Die Geheimnisse des Alexianer-Klosters Mariaberg

Textdaten
<<< >>>
Autor: Hugo Friedländer
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Geheimnisse des Alexianer-Klosters Mariaberg
Untertitel:
aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1, S. 91–135
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Hermann Barsdorf
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
[[w:{{{WIKIPEDIA}}}|Artikel in der Wikipedia]]
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:{{{BILD}}}|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
Die Geheimnisse des Alexianer-Klosters Mariaberg.
Bruder Heinrich.

Von jeher haftete den Klöstern etwas Sagenhaftes an. Der Umstand, daß die Klöster mit einer hohen Mauer umgeben waren, daß kein Unbefugter Eintritt fand und die Klosterbewohner nur selten in die Außenwelt kamen, verlieh den Klöstern etwas Geheimnisvolles. Es war daher begreiflich, daß, als im Sommer 1895 vor der Strafkammer des Aachener Landgerichts in einem Beleidigungsprozeß die Geheimnisse eines Klosters aufgerollt wurden, die ganze Kulturwelt den Prozeß mit atemloser Spannung verfolgte. In einer Vorstadt Aachens erhob sich ein langgestreckter grauer Bau. Ein Kruzifix und das Muttergottesbild waren wohl der einzige Schmuck dieses dürftigen Gebäudes, das augenscheinlich schon viele Jahrhunderte überdauert hatte. Es war das Kloster Mariaberg, das den Alexianerbrüdern, einem katholischen Laienorden, zum Aufenthalt diente. Die Brüder beschäftigten sich mit Krankenpflege. In der Hauptsache fanden Epileptiker Aufnahme. Aber auch Geisteskranke wurden in dem Kloster verpflegt. Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts verlangte ein katholischer Geistlicher aus Schottland, namens Forbes, in das Kloster Mariaberg aufgenommen zu werden. Er kam auf Empfehlung des Bischofs von Schottland, da ihm der Bischof dies Kloster als gutes Sanatorium empfohlen hatte. Anfänglich gefiel es dem schottischen Geistlichen im Kloster Mariaberg. Es standen ihm zwei Zimmer zur Verfügung und er hatte über die Behandlung keine Klage zu führen. Eines Abends kam jedoch Forbes etwas spät nach Hause. Er hatte seinen Urlaub wesentlich überschritten und wohl auch ein paar Glas Bier mehr getrunken, als sich für einen Geistlichen geziemte. Er soll stark nach Alkohol gerochen und den Eindruck eines Betrunkenen gemacht haben. Aus diesem Anlaß wurde er von dem Pförtner sehr unwirsch empfangen. Da er, wie die Brüder behaupteten, torkelte und sehr aufgeregt war, wurde er in eine Zelle gesperrt. In dieser hat er ein Fenster eingeschlagen. Die Brüder riefen deshalb den Kreisphysikus und Aachener Polizeiarzt Geh. Medizinalrat Dr. Kribben herbei. Dieser erklärte den Geistlichen für gemeingefährlich geisteskrank. Pastor Forbes wurde deshalb zu den tobsüchtigen Geisteskranken gesperrt und von diesen erst wieder abgesondert, als er sich beruhigt hatte.

Im Jahre 1893 wurde ein Vikar, namens Rheindorf, der an einem Magen- und Nervenleiden erkrankt war, auf Verfügung des Kardinals und Erzbischofs Dr. Krementz zu Köln in der Demeritenanstalt Marienthal bei Hamm a. d. Sieg aufgenommen. Der Zustand des Vikars besserte sich aber nicht, er bat deshalb nach Verlauf von drei Monaten, ihm zu gestatten, die Anstalt zu verlassen und einen eigenen Haushalt gründen zu dürfen. Erzbischof Dr. Krementz verfügte jedoch, daß Vikar Rheindorf sich in das Aachener Alexianerkloster „Mariaberg“ zu begeben habe. In dem betreffenden Schreiben des Erzbischofs hieß es: „Gehen Sie mit Zuversicht nach Mariaberg, dort werden Sie eine so vorzügliche Pflege und Aufwartung erhalten, wie sie Ihnen in dem kostspieligsten eigenen Haushalte nicht gewährt werden kann.“ Vikar Rheindorf will nun in dieser Anstalt sehr inhuman behandelt worden sein. Er schrieb trotzdem an den Erzbischof, daß es ihm in Mariaberg sehr gut gefalle, die Klosterbrüder ließen ihm die beste Behandlung zuteil werden, er bitte jedoch, behufs Regelung eines Rechtsverhältnisses, ihm einen Tag Urlaub zu gewähren. Der Erzbischof willfahrtete diesem Gesuche; Rheindorf hatte jedoch dies Schreiben nur an den Erzbischof gerichtet, um durch List aus dem Kloster zu entkommen. Er begab sich zu einem Freunde nach Iserlohn. Von letzterem wurde er einem Rechtskonsulenten und Schriftsteller, namens Heinrich Mellage, zugeführt. Dieser war bemüht, die vollständige Freilassung des Vikars aus „Mariaberg“ bei dem Erzbischof zu bewirken. Die Bemühungen Mellages hatten auch schließlich den Erfolg, daß der Vikar auf Verfügung des Erzbischofs in dem Mariahospital zu Rathingen bei Düsseldorf Aufnahme fand, und später wieder als Geistlicher in Köln angestellt wurde. Vikar Rheindorf erzählte außerdem dem Mellage: im Kloster Mariaberg herrschten heillose Zustände. Die Kranken würden von den Brüdern in furchtbarer Weise mißhandelt, das Essen sei miserabel. In dem Kloster befinde sich schon seit 39 Monaten ein schottischer Geistlicher. Dieser, der auf Befehl seines Bischofs nach dem Kloster „Mariaberg“ gesandt wurde, sei für geisteskrank erklärt worden, obwohl er vollständig geistig gesund sei. Beweis hierfür sei, daß er die Messe lese und Andachten abhalte. Dieser Geistliche, der ebenfalls von den Brüdern mißhandelt werde und dem jeder Verkehr mit der Außenwelt vollständig abgeschnitten sei, sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Er (Rheindorf), der die englische Sprache beherrsche, sei der einzige Mensch in dem Kloster gewesen, der sich mit dem Schotten unterhalten konnte. Er habe letzteren in seinen Plan eingeweiht. Da habe der Mann gesagt: „Wenn du in Freiheit bist, lieber Bruder, dann gedenke deines Bruders, der hier seit 39 Monaten in schrecklichster Gefangenschaft schmachtet, obwohl ich nichts Unrechtes begangen habe. Vielleicht kannst du mich auch befreien.“ Mellage wandte sich daraufhin an die Staatsanwaltschaft in Aachen. Diese wies ihn an die Polizei. Mellage begab sich infolgedessen am 30. Mai 1894, in Begleitung des Aachener Polizeikommissars Lohe und des Aachener Hoteliers Ohse in das Kloster Mariaberg. Ohse war der englischen Sprache mächtig. Als diese drei Herren nach Mariaberg kamen, wurden sie von dem Subrektor Bruder Heinrich in folgender Weise empfangen:

„So, das ist ja recht hübsch, daß Sie uns besuche. Wollen wir nicht zuerst ein Fläschche Wein trinke? – Kommissar: Nein, dazu haben wir nicht Zeit, wir müssen bald wieder weg. – Bruder Heinrich: Wir han äber en ganz got Treppche. – Kommissar: Das glaube ich wohl, aber für diesmal muß ich darauf verzichten; wir haben schon so häufig freundschaftlich zusammen verkehrt, heute habe ich etwas Dienstliches hier zu verrichten. – Bruder Heinrich: Nun dann, loße mir uns wenigstens ersch ä Priesche nehme. (Der Subrektor holte aus seinem Habit eine Schnupftabaksdose hervor, von dem ungefähren Kaliber, wie man sie vielfach mit den Goldbuchstaben: „Schnupfe wer will!“ sehen kann.) Diese zirkulierte, und alsdann ging’s zur Sache: Nu Herr Kommissär, womit kann ich Uech diene? – Kommissar: Bruder Heinrich, führen Sie uns den Alexander Forbes vor, wir möchten den Herrn gern kennen lernen – Bruder Heinrich: O, Häer, nee dat möcht Ehr net duhn, ne, ne, de Häer Forbes es su krank une so schwach; o, Jott ne, det jet nit, wat wullt Ehr denn mit dem Häer Forbes, dat is jo ne Kaplan us Schottland. – Kommissar: Das schadet nichts, wir wünschen ihn zu sehen, dieser Herr (auf Mellage deutend) hat ein großes Interesse daran. – Bruder Heinrich: Is dat dann ne Verwandte von de Häer Forbes? – Kommissar: Das weiß ich nicht, fragen Sie ihn selbst. Bruder Heinrich (zu Mellage gewandt). Häer, süed Ehr verwandt mit’m Häer Forbes? – Mellage. Nein, ich bin dem Herrn wildfremd. – Bruder Heinrich: Jo, dann könnt Ehr dat och net jut verlange, besonders wo de Häer so krank is (zum Kommissar gewandt), ick glöf, dat es ne Kriminalmann us ’ner jroßen Stadt! – Kommissar: Wer oder was der Herr ist, darauf kommt es einstweilen nicht an, holen Sie uns nur Herrn Forbes herbei. – Mellage: Sagen Sie, Bruder Heinrich, kann Herr Forbes noch die Messe lesen und Andacht abhalten? – Bruder Heinrich: Ja Häer, dat jet noch so eebe met äm! – Mellage: Ist der Herr denn noch immer irrsinnig? – Bruder Heinrich: O, geweß dat, dä es sehr bös un tobsüchtig un schlät öm sich; dat macht äwwer sin Krankheit. – Mellage: Nun bringen Sie ihn einmal her, wir wollen ihn schon bändigen, wenn er wild werden sollte. – Bruder Heinrich: No wennt dann nit anders is, dann in Gottes Name, äwwer en paar Minütche mößt Ihr Uech gedolde, dä Häer es jedenfalls am Bete.

Nach längeren Verhandlungen mit Bruder Heinrich und dem Rektor der Anstalt, Bruder Overbeck, wurde Forbes ins Sprechzimmer geholt, und nachdem er rasiert worden war, auf das Aachener Polizeipräsidium gebracht. Dort wurde er wiederum dem Polizeiarzt, Kreisphysikus Geh. Medizinalrat Dr. Kribben vorgestellt. Dieser erklärte nach kurzer Untersuchung: Er halte den Mann nicht mehr für geisteskrank und habe gegen seine Entlassung aus dem Kloster nichts einzuwenden. Mellage nahm darauf Forbes zu sich nach Iserlohn. Die Staatsanwaltschaft leitete gegen die Vorsteher des Alexianerklosters Mariaberg ein Strafverfahren wegen widerrechtlicher Freiheitsberaubung ein. Dies Verfahren wurde jedoch nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Inzwischen hatte sich die Presse der Sache bemächtigt. Dadurch und infolge eines Aufrufs erhielt Mellage ein so großes Material, daß er im Verlage von Hermann Risel & Co. in Hagen unter dem Titel: „39 Monate bei gesundem Geiste als irrsinnig eingekerkert! Erlebnisse des katholischen Geistlichen M. Forbes aus Schottland im Alexianerkloster Mariaberg in Aachen während der Zeit vom 18. Februar 1891 bis 30. Mai 1894“, eine Broschüre herausgab.

Die Vorsteher des Alexianerklosters, der dirigierende Anstaltsarzt, Sanitätsrat Dr. Capellmann, und der Aachener Regierungspräsident stellten deshalb Strafantrag wegen Verleumdung. Ende November 1894 wurde auf Beschluß des Landgerichts zu Hagen die vorläufige Beschlagnahme der Broschüre verfügt und alsdann gegen Mellage, den Inhaber der Verlagsfirma Hermann Risel & Co., Verlagsbuchhändler Warnatzsch in Hagen, und gegen den Redakteur des „Iserlohner Kreisanzeigers“, Max Scharre, auf Grund der §§ 185 und 186 des Strafgesetzbuchs Anklage erhoben.

Mellage, Warnatzsch und Scharre hatten sich infolgedessen vor der ersten Strafkammer des Aachener Landgerichts zu verantworten. Vorsitzender des Gerichtshofs war Landgerichtsrat Dahmen. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Pult. Vertreter der Beleidigten, die sich der Anklage als Nebenkläger angeschlossen hatten, war Rechtsanwalt Oster (Aachen). Die Verteidigung führten Rechtsanwalt Lenzmann (Lüdenscheid) und Rechtsanwalt Dr. Victor Niemeyer (Essen, Ruhr). Als Vertreter des Landesdirektors der Rheinprovinz wohnte Landesrat Brandts der Verhandlung bei. Der Kaiser ließ sich von dem medizinischen Sachverständigen, Geh. Medizinalrat Professor Dr. Finkelnburg (Bonn) täglich eingehend berichten. Der dirigierende Arzt des Alexianerklosters Mariaberg, Sanitätsrat Dr. Capellmann, bekundete als Zeuge: Forbes wurde im Jahre 1890 als freiwilliger Pensionär aufgenommen. Er sagte: er sei von seinem Bischof zunächst in ein belgisches Kloster verwiesen worden. Dort habe es ihm nicht gefallen, er wünsche daher in das Alexianerkloster aufgenommen zu werden. Diesem Gesuche wurde entsprochen. Nach etwa einem Jahre wurde mir von den Brüdern gemeldet, daß Forbes stark dem Trunke ergeben sei. Sobald er betrunken nach Hause komme, beginne er zu toben. Es sei deshalb notwendig, ihn in eine Isolierzelle zu sperren. Ich sagte: das läßt sich nicht tun, der Mann ist freiwillig in das Kloster gekommen, ohne Genehmigung des Kreisphysikus dürfen wir ihn daher nicht in die Irrenstation bringen. Der Bezirksphysikus, Geh. Medizinalrat Dr. Kribben, untersuchte den Forbes, erklärte ihn für irrsinnig und befahl, ihn in die Irrenstation zu bringen. – Vors.: Haben Sie den Forbes untersucht? – Zeuge: Forbes ließ sich nicht untersuchen. Es wurde mir aber mitgeteilt, daß Forbes sehr häufig betrunken nach Hause kam, alsdann sehr erregt war und auch oftmals Geschäftshäuser besuchte und dort Damen ansprach. Er soll sich auf seinen Spaziergängen so benommen haben, daß es geraten schien, ihn nicht mehr ausgehen zu lassen, er wollte auch schließlich nicht mehr ausgehen. Staatsanw.: Hatte die Anstalt Mariaberg die Berechtigung, Pensionäre aufzunehmen? – Zeuge: Jawohl. - Staatsanw.: In erster Reihe ist aber das Kloster eine Irrenanstalt? – Zeuge: Jawohl. – Staatsanw.: Wieviel Kranke zählt wohl die Anstalt? – Zeuge: Augenblicklich zählt die Anstalt 600 Kranke, darunter 150 Idioten, die zumeist unheilbar sind. Die Epileptiker sind in den meisten Fällen von ihren Gemeinden im Interesse der öffentlichen Sicherheit der Anstalt überwiesen. – Vors.: Haben Sie täglich die Anstalt besucht? – Zeuge: Das war mir selbstverständlich nicht möglich. – Vors.: Es wird behauptet, daß dem Kreisphysikus Dr. Kribben, als er den Forbes auf seinen Geisteszustand untersuchen sollte, ein Strohmann vorgeführt wurde? – Zeuge: Darüber kann ich nichts sagen. – Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Niemeyer: Sind denn die Pensionäre gesunde Leute? – Zeuge: Nein. – Vert.: Sie dürfen also gesunde Leute nicht aufnehmen? – Zeuge: Nein. – Vert.: Und trotzdem nahmen Sie den Forbes auf? – Zeuge: Forbes sagte uns, daß er von seinem Bischofe geschickt sei. Wir fragten deshalb beim Bischof an und erhielten zur Antwort, daß F. dem Trunke ergeben sei. – Vert.: Der Brief des Bischofs ist in englischer Sprache geschrieben? Haben Sie den Brief gelesen? – Zeuge: Nein. – Vert.: Sind Sie der englischen Sprache mächtig? – Zeuge: Nein. – Vert.: Haben Sie sich überzeugt, daß die Übersetzung des Briefes korrekt gewesen ist? – Zeuge: Ich habe auf den Übersetzer vertraut. – Vert.: Wer hat den Brief übersetzt? – Zeuge: Das weiß ich nicht mehr. – Vert.: Sie sagten vorhin, Forbes wollte sich von Ihnen nicht sprechen lassen, nun sprechen Sie aber nicht Englisch und Forbes nicht Deutsch. Wie dachten Sie sich die Unterhaltung? – Zeuge: Etwas Deutsch konnte Forbes wohl. – Vert.: Forbes kann heute noch nur sehr mangelhaft Deutsch. Wenn er aber schon damals etwas Deutsch verstand, weshalb ließ er sich denn nicht von Ihnen sprechen? Zeuge: Das weiß ich nicht, Forbes lief einfach fort. – Vert.: Haben Sie sich keine Gedanken darüber gemacht? – Zeuge: Nein. – Vert.: Machen Sie sich auch heute noch keine Gedanken darüber? – Zeuge: Nein. – Vert.: Rechtsanw. Lenzmann: Ist Ihnen bekannt, daß in der Anstalt Mariaberg als Strafmittel die Dusche angewandt wird? – Zeuge: Eine Dusche wird wohl bisweilen angewandt; ich kann aber nicht begreifen, weshalb sich die Kranken dagegen sträubten, da das Wasser der Dusche nicht einmal kalt war. – Vert.: War das Wasser erwärmt? – Zeuge: Jawohl, es waren etwa 20 Grad Wärme. Jedenfalls war die Dusche kein Strafmittel. – Vert.: Es ist doch aber sehr eigentümlich, daß die Kranken sämtlich vor der Dusche eine heillose Angst hatten? – Zeuge: Darüber kann ich nichts sagen. – Vert.: Stieg Ihnen niemals der Gedanke auf, daß der Bischof von Schottland den Forbes nach Mariaberg geschickt habe, weil er sich renitent benommen habe ? – Zeuge: Nein. – Vert.: Ist denn dem Zeugen bekannt, daß Geistliche gesetzlich nicht länger als drei Monate in einer Demeritenanstalt festgehalten werden dürfen? – Zeuge: Das weiß ich nicht. – Vert.: Hat eine Besichtigung der Leichen in der Anstalt Mariaberg ärztlicherseits stattgefunden? – Zeuge: In der Regel nicht. – Vert.: Können Sie sich erinnern, ob in Ausnahmefällen Leichen ärztlicherseits besichtigt worden seien? – Zeuge: In einzelnen Ausnahmen ist das wohl geschehen. – Vert.: Rechtsanwalt Dr. Niemeyer: Sie geben zu, daß Zwangsmittel gegen Kranke angewandt wurden? – Zeuge: Es gibt Fälle, in denen die Zwangsmittel unentbehrlich sind. – Vert.: Ist lhnen bekannt, daß Zwangsmittel gegen Geisteskranke wissenschaftlich verpönt sind? – Zeuge: Das ist mir nicht bekannt. – Vert.: Können Sie aus der medizinischen Literatur oder sonstwie einen namhaften Mediziner nennen, der auf Ihrem Standpunkt steht? – Zeuge: Ich bemerke, daß ich auch nicht auf dem Standpunkt der Anwendung von Zwangsmitteln stehe, ich bin jedoch der Meinung, daß ein vollständiger Ausschluß der Zwangsmittel nicht möglich ist. Es gibt unter den Irren und Epileptikern, ganz besonders, wenn die Geistesgestörtheit durch Trunkenheit entstanden ist, so viel nichtswürdige Elemente, daß in gewissen Fällen Zwangsmittel durchaus geboten sind. – Vert.: Sind auch in der Anstalt Mariaberg Zwangsmaßregeln auf Ihre Veranlassung angewendet worden? – Zeuge: In einzelnen Fällen wohl. – Vert. R.-A. Lenzmann: Ist Ihnen bekannt, daß es Vorsteher von Trinkerasylen, wie z. B. Pastor v. Bodelschwingh in Bielefeld, gibt, die die Trunksucht als eine Art Teufelsbesessenheit betrachten, und stehen Sie auch auf diesem Standpunkt? – Zeuge: Ich kenne wohl diese Ansicht, ich stehe aber gewiß nicht auf diesem Standpunkt. – Vertreter der Nebenkläger, Rechtsanwalt Oster: Sind Sie der Meinung, daß die Anlegung der Zwangsjacke und anderer Zwangsmittel bisweilen im Interesse der eigenen Sicherheit und der der anderen Kranken geboten ist? – Zeuge: Allerdings. In der Anstalt Amelbüren in Westfalen ist vor kurzer Zeit ein Bruder von einem Irrsinnigen totgeschlagen worden. – Rechtsanwalt Oster: Werden nicht alle Kranken, die vom Kreisphysikus für geistesgestört erklärt worden sind, von Ihnen beobachtet? – Zeuge: Allerdings, alle diese Kranken werden von mir mehrere Monate beobachtet. – Vert. Rechtsanwalt Lenzmann: Haben Sie das auch bei Forbes getan? – Zeuge: Nein, dieser Mann war so störrig, daß eine Beobachtung kaum möglich war. Auch ist bei Deliranten eine Beobachtung kaum notwendig. – Vert.: Sie haben zugegeben, daß Strafmittel auch auf Ihre Veranlassung angewendet worden sind. In welchen Fällen wurden diese Zwangsmaßregeln angewendet? – Zeuge: Wenn der Kranke nicht anders zu bändigen war, oder wenn er Fluchtversuche oder unflätige Gespräche führte. – Vert.: Ist Ihnen der Spottkittel und die schmutzige Station bekannt? – Zeuge: Es wird allerdings Kranken, die sich selbst beschmutzen, ein sogenannter Kittel angelegt, damit sie sich nicht die Kleidung beschmutzen. – Vert.: Ist Ihnen bekannt, daß auch andere Kranke zur Strafe in die schmutzige Station gebracht werden? – Zeuge: Das ist mir nicht bekannt. – Vert.: Ist Ihnen bekannt, daß Forbes, ein gewisser Häuseler, ein Mann namens Hahn u. a. zur Strafe auf die schmutzige Station gebracht worden sind? – Zeuge: Das ist mir nicht bekannt. – Polizeiarzt und Kreisphysikus Geh. Medizinalrat Dr. Kribben bekundete als Zeuge: Im Jahre 1891 wurde ich von den Alexianerbrüdern in das Kloster Mariaberg zu einem angeblich Tobsüchtigen gerufen. Es wurde mir ein katholischer Geistlicher aus Schottland, Mr. Forbes vorgestellt, der furchtbar erregt war und stark nach Spirituosen roch. Der Mann führte wirre Redensarten. er schimpfte auf seinen Bischof, auf die Königin von England und sagte: er sei ein freier Engländer und lasse sich hier nicht einsperren. Da mir außerdem mitgeteilt wurde, daß der Mann schon seit vielen Jahren dem Trunke ergeben sei, so erklärte ich ihn für geistesgestört. Im Mai 1894 wurde mir der Mann nochmals auf dem Polizeipräsidium vorgestellt. Ich habe ihn wiederum untersucht und fand ihn sehr ruhig. Ich konnte den Mann nicht für gesund erklären, ich attestierte daher: ich kann den Mann nicht für vollsinnig erklären, gegen seine Entlassung aus der Irrenanstalt liegen aber keine Bedenken vor. – Vors.: Wissen Sie genau, daß der Mann, der Ihnen 1894 auf dem Polizeipräsidium vorgestellt wurde, derselbe Mann war, den Sie 1891 im Kloster Mariaberg untersucht haben? – Zeuge: Jawohl, ich habe ihn sofort wiedererkannt. – Vert. Rechtsanwalt Lenzmann: Wie lange haben Sie 1891 den Forbes beobachtet? – Zeuge: Etwa 15 Minuten. – Vert.: Sie sind also der Meinung, daß, wenn Sie einen Mann 15 Minuten beobachten, der eine Ihnen unverständliche Sprache spricht, nach Alkohol riecht und sehr erregt ist, dann sind Sie in der Lage, ihn für verrückt zu erklären? – Zeuge: Das war es nicht allein, es wurde mir außerdem mitgeteilt, daß sein Bischof geschrieben hatte: er sei schon seit vielen Jahren dem Trunke ergeben. – Vert.: Haben Sie den Brief des Bischofs gelesen? – Zeuge: Nein. – Vert.: Von wem wurde Ihnen Mitteilung von dem Schreiben des Bischofs gemacht? – Zeuge: Von den Anstaltsbrüdern. – Vert.: Haben Sie bei Ihrer Untersuchung einen Arzt zu Rate gezogen? – Zeuge: Nein, bloß die Anstaltsbrüder. – Vert.: Also die bloße Mitteilung von Anstaltsbrüdern, ehemaligen Schneidern, Schustern und Maurergesellen lassen Sie sich als Grundlage dienen, um einen Mann für verrückt zu erklären? – Zeuge: Der Mann war aber total betrunken und tobte. – Vert.: Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, daß der Mann einen augenblicklichen starken Rausch haben kann, dessen Wirkungen am folgenden Tage beseitigt sein können? – Zeuge: Mein Gott, der Mann war ja tobsüchtig. – Vert.: Haben Sie denn noch niemals gehört, daß betrunkene Leute, die auf die Polizeiwache gebracht waren, aus ganz natürlichem Freiheitsdrange die Fenster einschlugen? Kam Ihnen nicht der Gedanke, daß nur ein akuter Rausch vorhanden sein kann? – Zeuge: Nach den Mitteilungen der Brüder konnte ich das nicht annehmen. – Vert.: Dann ist es doch möglich, wenn ich zufällig in berauschtem Zustande ins Alexianerkloster gebracht, dort eingesperrt werde, und aus innerem Freiheitsdrange ein Fenster einschlage, Sie mich auch für verrückt erklären, wenn Ihnen nur ein ehemaliger Schuster- oder Schneidergeselle sagt: der Rechtsanwalt Lenzmann ist schon seit langer Zeit dem Trunke ergeben? – Zeuge: Diese Frage finde ich etwas komisch. – Vert.: Herr Geheimrat, ich bin weit entfernt, hier komische Fragen zu stellen, die Sache ist mir bitterer Ernst. Nach dem, was wir hier von Ihnen gehört haben, ist es zweifellos möglich, jeden beliebigen Menschen für geistesgestört zu erklären und ihn in ein Irrenhaus zu sperren. – Zeuge: Das kann ich nicht zugeben; ein Mann, der sich so gebärdet wie Forbes, und schon seit Jahren dem Trunke ergeben ist, ist geistesgestört. – Vert.: Ich konstatiere, daß Sie lediglich auf Grund von Mitteilungen der Anstaltsbrüder angenommen haben, daß Forbes an chronischer Trunksucht leidet. Mußten Sie sich denn nicht sagen, daß Sie durch Ihr Zeugnis den Mann den Anstaltsbrüdern auf Gnade und Ungnade überlieferten? – Zeuge: Ich habe nur auf einen Tag die Internierung angeordnet. – Vert.: Forbes ist aber jahrelang interniert gewesen? – Zeuge: Wenn der Zustand sich nicht bessert, sind die Anstaltsleiter berechtigt, den Kranken auch länger zu internieren. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Niemeyer: Haben Sie den Forbes noch nach Ihrer einmaligen 15 Minuten langen Untersuchung beobachtet? – Zeuge: Dazu hatte ich keine Verpflichtung. – Vert.: Ich frage Sie ja doch bloß; beantworten Sie gefälligst meine Frage. Sie haben sich also niemals mehr um den Mann gekümmert? – Zeuge: Nein. – Vert.: Sind Sie mit Sanitätsrat Dr. Capellmann oftmals zusammengekommen? – Zeuge: Jawohl. – Vert.: Haben Sie jemals mit Sanitätsrat Dr. Capellmann über Forbes gesprochen? – Zeuge: Nein. – Vert.: Haben Ihnen nicht die Brüder auch erzählt, daß Forbes auf seinen Spaziergängen oftmals Urteile über die Schönheit junger Mädchen abgegeben hat? – Zeuge: Jawohl. Die Brüder ärgerten sich darüber und wollten deshalb nicht mehr mit ihm ausgehen. – Vert.: Diente Ihnen diese Urteilsabgabe auch als Grundlage zur Beurteilung des Geisteszustandes des Forbes? – Zeuge: Das gerade nicht, ich fand aber dies Benehmen für wenig passend. – Vertreter der Nebenkläger, Rechtsanwalt Oster: Wurde Ihnen nicht mitgeteilt, daß Forbes sich sehr häufig jungen Damen gegenüber auffallend benommen hat? – Zeuge: Jawohl. – Staatsanwalt: Ich glaube, der Verteidiger Lenzmann befindet sich doch in einem kleinen Irrtum. Der Geheimrat hat den Forbes am Morgen untersucht, nachdem der Rausch doch schon verflogen war, es kann also dann von einer akuten Betrunkenheit nicht die Rede gewesen sein? – Zeuge: Das ist richtig. – Vert. Rechtsanwalt Lenzmann: Sie erklärten aber vorhin, daß der Mann stark berauscht war und stark nach Spirituosen roch? – Zeuge: Es war das ein süßlicher Geruch, wie er bei Alkoholikern wahrzunehmen ist, deren Rausch schon halb verflogen ist. – Vert.: Dann wollen Sie Ihre vorherige Bekundung, daß der Mann Ihnen total betrunken vorkam, widerrufen? – Zeuge: Ich habe mich so bestimmt nicht ausgedrückt. – Vert.: Das haben Sie doch getan. – Pfarrer Rheindorf, der auf ausdrücklichen Befehl des Kardinal-Erzbischofs Dr. Krementz nach Mariaberg gekommen war, bekundete als Zeuge: Er sei in Mariaberg wie ein Gefangener und Verbrecher behandelt worden. Er sei im Dienste der Mission lange Zeit in Amerika gewesen, habe dort die Cholera und das Malariafieber durchgemacht, er sei infolgedessen furchtbar nervös gewesen. Er habe außerdem an einer Zahnkrankheit gelitten. Der Anstaltsarzt Dr. Chantraine habe ihm Myrrhentinktur verordnet. Da dies nichts half, habe er den Arzt gebeten, zu einem Spezialarzt gehen zu dürfen. Dr. Chantraine habe aber diese Bitte abgelehnt. Er habe Dr. Chantraine außerdem ersucht, mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand, das Kloster verlassen zu dürfen. Dr. Chantraine habe ihm als Antwort den Rücken zugewendet und die Tür hinter ihm zugeschlagen. Er durfte auch das Kloster nicht zwecks Spazierengehens verlassen. Auf seine Beschwerde habe Sanititsrat Dr. Capellmann gesagt: „Die bischöfliche Behörde will es nicht haben.“ Er (Pfarrer Rheindorf) habe nicht nur vollständig unzuträgliche Kost erhalten, sondern es seien während des Essens auch verschiedene Unsauberkeiten und ekelerregende Unappetitlichkeiten vorgekommen. Alle Briefe, sowohl die ankommenden als auch die hinausgehenden, gingen durch die Hände der Brüder. – Kaplan Schröder (Medebach im Sauerlande) bekundete als Zeuge: Er sei als Franziskanerpater viele Jahre in Amerika gewesen. Als er 1880 aus Amerika zurückgekehrt war, sei einmal ein fremder Herr zu ihm gekommen, und habe ihn in einen Zustand versetzt, daß ihm seine Sinne vollständig schwanden. Als er aufwachte, habe er sich im Alexianerkloster Mariaberg befunden. Auf welche Weise er in das Kloster gekommen, wisse er nicht. Er habe sich nun krank gefühlt, obwohl er früher ganz gesund gewesen sei. Er habe einmal den Versuch gemacht, aus der Anstalt zu entfliehen, und habe bei der Polizei Schutz gesucht. Die Polizei habe ihm aber keinen Schutz gewährt, sondern ihn in die Anstalt zurückgebracht, er sei deshalb zur Strafe auf acht Tage in die schmutzige Station gebracht worden. In dieser Station beschmutzen die Irren sich selbst und gebärden sich wie wilde Tiere. Er habe einmal das Essen verweigert. Es sei ihm deshalb zur Strafe die Zwangsjacke angezogen und er alsdann von dem Bruder Wollenweber gepackt und in den Rücken gestoßen worden. – Sanitätsrat Dr. Capellmann bekundete, daß der Zeuge an Verfolgungswahnsinn gelitten und auf Beschluß des hiesigen Amtsgerichts entmündigt worden sei. – Kaplan Forbes bekundete mit Hilfe eines Dolmetschers als Zeuge: Eines Abends sei er später nach Hause gekommen, als er versprochen hatte. Er hatte ein Glas Bier und einen Kognak getrunken, betrunken sei er jedoch nicht gewesen. Der Pförtner habe ihn gleich bei seinem Eintritt angegriffen und ihn vergewaltigt. Alsdann seien vier Brüder gekommen, hätten ihn gefesselt und ihn während der Nacht in diesem Zustande in eine Zelle gesperrt. Am folgenden Morgen habe er sich bei Herrn Dr. Chantraine und Herrn Geh. Rat Dr. Kribben, dessen Amtseigenschaft er allerdings nicht kannte, beschwert. Er habe den Herren gesagt: Es sei in höchstem Grade unwürdig, einen gebildeten Mann derartig zu behandeln. Geh. Rat Dr. Kribben sei ihm als ein Herr von nobler Gesinnung vorgekommen. Dieser habe auch zu ihm gesagt: Seien Sie nur ruhig, dann wird Ihnen nichts weiter passieren. Einige Zeit darauf habe er an seine Mutter einen Brief geschrieben. Seine Mutter sei aber eine Protestantin. Dies habe Bruder Overbeck erfahren und ihm deshalb verboten, an seine Mutter zu schreiben. Als er dagegen Verwahrung einlegte, habe ihn Bruder Overbeck an die Schultern gefaßt und ihn mißhandelt. Er (Forbes) sei darüber sehr aufgeregt gewesen, ganz besonders deshalb, weil ihm das als katholischer Priester passieren mußte. Einige Zeit später habe er verlangt, zu einem englischen Geistlichen beichten gehen zu dürfen. Er habe sich bereit erklärt, in Gemeinschaft mit einem Bruder zu dem englischen Geistlichen zu gehen. Der Rektor, Bruder Overbeck, habe jedoch diese seine Bitte abgeschlagen und ihm anbefohlen, zu einem Geistlichen namens Thiel beichten zu gehen. Da er sich weigerte, dies zu tun, sagte ihm Overbeck: Wenn Sie zu dem Priester Thiel nicht beichten gehen, dann stecken wir Sie unter die Tollen. Sehr bald darauf erschien in dem Kloster ein englischer Geistlicher, höchstwahrscheinlich ein Abgesandter des Bischofs Msgr. Donald von Aberdeen und sagte den Brüdern, er (Forbes) sei ein gemeingefährlicher Mensch, dem jeder Verkehr mit der Außenwelt zu untersagen sei. Der englische Geistliche habe ihm selbst gesagt, daß er ein Abgesandter des Bischofs Msgr. Donald von Aberdeen sei, und welchen Auftrag er den Brüdern überbracht habe. Er sei der Überzeugung, daß dieser englische Geistliche auch in das Kloster eingesperrt worden wäre, wenn er Geld gehabt hätte. Es sei ihm jeder Verkehr mit der Außenwelt abgeschnitten gewesen. Er habe sich darüber nicht beschwert, da er befürchtete, alsdann noch schlechter behandelt zu werden. Die Dusche sei gegen ihn nicht angewendet worden, er sei aber eines Abends in seinem Zimmer von den Brüdern mit Stricken gefesselt worden. Es sei ihm gelungen, diese Fesseln am Bettpfosten abzustreifen. Er habe nachher an seinen Bischof geschrieben, ihm diese Behandlung mitgeteilt und diesen gebeten, ihn zu befreien, da er sich nicht denken konnte, daß der Bischof mit dieser Behandlung einverstanden sei. Er habe jedoch vom Bischof keine Antwort erhalten; er vermute, daß die Brüder den Brief nicht abgeschickt haben. Bruder Heinrich habe ihm einmal gedroht, wenn er nicht artig sei, werde er alles, was er von ihm wisse, in der „Germania“ in Berlin veröffentlichen. Er sei einmal ohne Begleitung ausgegangen. Schon mittags, als er weggegangen sei, habe ihm der Bruder Leonhard ein sehr böses Gesicht gemacht, was ihm sehr bedenklich vorgekommen sei. Er sei in ein Wirtshaus gegangen und habe dort ein Glas Bier, einen Kognak und eine Tasse Kaffee getrunken. Ein Mann, den er sofort für einen „Spion“ der Anstalt hielt, sei ihm bei seinem Weggange aus der Anstalt auf dem Fuße gefolgt. Dieser Mann sei ihm auch ins Wirtshaus nachgekommen und habe ihn schließlich aufgefordert, mit ihm nach Hause zu gehen. Da er sich dessen geweigert, habe der Mann eine Droschke geholt und ihn mit Hilfe eines hinzugekommenen Bruders in diese gezerrt und sei mit ihm nach dem Kloster Mariaberg gefahren. Dort angekommen, sei er von den Brüdern mißhandelt worden. Er sei seiner Stellung als Geistlicher entsetzt worden, da sein Patron, der Gutsbesitzer, sich bei seinem Bischof über ihn beschwert habe. Er habe sich in dem Streit zwischen den Gutsbesitzern und Pächtern auf Seite der letzteren gestellt. Er sei alsdann drei Jahre bei seinen Eltern gewesen, um sich dort zu erholen. – Kanonikus John Cameron Beauly in Schottland bekundete mittels Dolmetscher: Forbes sei Pfarrer in einem Nonnenkloster gewesen und habe dort die Nonnen gegen die Oberin aufgehetzt. Verteidiger Rechtsanwalt Lenzmann: Ist dem Zeugen bekannt, daß die Oberin von Forbes etwas verlangte, was dieser als Geistlicher zurückweisen mußte? – Staatsanwalt: Das ist allerdings deutlich. – Zeuge: Davon weiß ich nichts. – Bruder Alexander, ehemaliger Bahnassistent Barth machte als Zeuge folgende Aussage: Eines Abends im Mai 1890 sei er von dem Bruder Heinrich in das Zimmer des Forbes gerufen worden. Forbes sei stark angetrunken gewesen, und als er das Zimmer betrat, nahm Forbes ein Kruzifix von der Wand und wollte ihn schlagen. Dies sei ihm aber nicht gelungen. Er habe dem Forbes die Zwangsjacke angelegt und habe sich alsdann nicht weiter um die Sache gekümmert. – Vert. R.-A. Dr. Niemeyer: Forbes war freiwilliger Pensionär? – Zeuge: Jawohl. – Vert.: Und trotzdem hielten Sie sich für berechtigt, dem Manne die Zwangsjacke anzulegen? – Zeuge: Ich war bloß Untergebener und handelte nur auf Befehl. – Vert.: Von wem erhielten Sie den Befehl? – Zeuge: Von dem Subrektor, Bruder Heinrich. – Staatsanw.: Hielten Sie den Forbes für betrunken oder für verrückt? – Zeuge: Für betrunken. – Staatsanw.: Einem Betrunkenen legt man doch nicht die Zwangsjacke an? – Zeuge: Ich hatte nur die Befehle meiner Vorgesetzten auszuführen. – Vors.: Haben Sie sonst eine besondere Wahrnehmung an Forbes gemacht? – Zeuge: Nein, ich wurde sehr bald nach jenem Vorfall nach England versetzt. – Vors.: Haben Sie außerdem einmal gesehen, daß an Kranken Strafmittel angewendet wurden? – Zeuge: Ich habe einmal gesehen, daß ein Kranker eine halbe Stunde knien mußte. – Vors.: Wurde ihm das befohlen? – Zeuge: Jawohl, von dem Wärter Krings. – Vert. R.-A. Lenzmann: Haben Sie einmal gesehen, daß gegen Kranke die Dusche angewendet wurde? – Zeuge: Ja, ich habe einmal gesehen, wie ein Kranker in der Dusche war. – Vert.: Wie lange wurde der Kranke in dieser Weise im Wasser gehalten? – Zeuge: Mehrere Minuten. – Vert.: Kannten Sie die schmutzige Station, in der sich Kranke befanden, die den Kot unter sich gehen lassen? – Zeuge: Jawohl. – Vert.: Sind auch Kranke, die nicht den Kot unter sich gehen ließen, behufs Bestrafung in die schmutzige Station gebracht worden? – Zeuge: Jawohl, aus meiner Station ist einmal ein Mann namens Friedrich Hahn 2 Tage lang behufs Bestrafung in die schmutzige Station gebracht worden. – Vert.: Wer hatte die Überführung des Kranken in die schmutzige Station anbefohlen? – Zeuge: Der Rektor, Bruder Overbeck.

Der Rektor des Klosters Mariaberg, Bruder Paulus Overbeck, ein ehemaliger Schuhmacher, bekundete als Zeuge: Er sei früher in einem belgischen Kloster gewesen. Dort seien Strafmittel wie Dusche, Tauchbad und Zwangsjacke gesetzlich eingeführt. Als er nach Mariaberg kam, habe er diese Strafmittel auch dort eingeführt und gegen widerspenstige Geisteskranke und Epileptiker angewandt. Den Anstaltsärzten habe er weder von der Einführung noch von der Anwendung dieser Strafmittel Mitteilung gemacht. Er gebe zu, daß auch Epileptiker und Geisteskranke „in Notfällen“ geschlagen wurden. Auf Befragen der Verteidiger, ob das Briefgeheimnis in Mariaberg gewahrt worden sei, verweigerte Bruder Overbeck die Antwort. Er habe den Kaplan Forbes für anstaltsbedürftig gehalten, weil er sehr aufgeregt war. Er habe Forbes nur in Begleitung eines Bruders ausgehen lassen, weil ein Abgesandter des Bischofs von Schottland ihm sagte: man müsse auf Forbes achtgeben, er wolle ausreißen. Schließlich wollte aber kein Bruder mehr mit Forbes ausgehen, weil er sich gegen Damen unpassend benahm. – Vors.: Inwiefern geschah das? – Bruder Overbeck: Er lachte die ihm begegnenden jungen Damen an und äußerte seine Bewunderung über die schönen Nasen, die prächtigen Kußlippen, den stattlichen Wuchs der jungen Damen.

Der katholische Geistliche Goidzierk bekundete als Zeuge: Er sei eine Zeitlang Hausgeistlicher im Kloster Mariaberg gewesen. Er habe einmal an das erzbischöfliche Vikariat berichtet: Es sei eine öftere Revision des Klosters erforderlich, da die Kranken sich über die schlechte Kost und hartherzige Behandlung beklagen. Er habe außerdem veranlaßt, daß zwei junge Leute von 17 und 18 Jahren aus der Anstalt entlassen wurden, weil ihre Anwesenheit nicht mehr erforderlich sei: Er wurde deshalb von den Brüdern in die Ecke gestoßen. Die Beköstigung im Kloster Mariaberg sei ganz miserabel gewesen. Eines Abends war er im katholischen Gesellenverein und kam etwas spät nach Hause. Als ihm der Pförtner auf sein Klingeln öffnete und er eintreten wollte, habe ihn der Pförtner mit Gewalt zurückgestoßen und mit den Worten: Schlafen Sie heute draußen die Pforte zugeschlagen. –

Die Wirtschafterin des Pfarrers Rheindorf, Frau Fiesel, bekundete: Bruder Heinrich habe zu ihr einmal gesagt: Wer es hier gut haben will, der muß sich mit den Brüdern gut verhalten. Wer hier hereinkommt, der kommt ohne den Willen der Brüder nicht mehr hinaus. Hier hat weder der Generalvikar noch die „Döktersch“ etwas zu sagen, wir sind klüger als die „Döktersch“. Wer hier drin ist, der wird zahm gemacht. Wer hier herauskommt, der ist zahm.

Um so größer war die Spannung, als darauf der Subrektor Bruder Heinrich als Zeuge aufgerufen wurde. Ein kleines, altes Männchen von ahschreckend häßlichem Aussehen betrat den Gerichtssaal. Er bekundete auf Befragen, daß er mit seinem bürgerlichen Namen Joseph Schoper heiße und früher Schneidergeselle war. Dem Kaplan Forbes sei einmal die Zwangsjacke angelegt worden, weil er betrunken und infolgedessen sehr aufgeregt gewesen sei. Die von der Fiesel bekundete Äußerung habe er nicht getan. Er blieb auch dabei, als ihm die Fiesel und Pfarrer Rheindorf die Aussage mit voller Bestimmtheit vorhielten und der Vorsitzende ihn darauf aufmerksam machte, daß er einen Eid geleistet habe.

Landwirtschaftsgehilfe Joseph Nelleser machte folgende Aussage: Ich war 11 Monate Wärter in Mariaberg. Ich habe in meiner Station niemals einen Anstaltsarzt gesehen. Ich sah einmal, wie ein Bruder einen Kranken zu Boden stieß, mit dem Fuße trat und in die Seite schlug. Ein anderes Mal sah ich, wie ein Kranker, der nicht schnell genug gehen konnte, von einem Bruder und einem Wärter die Treppe hinabgezerrt und alsdann über den Fußboden geschleift wurde. Ein weiteres Mal sah ich, wie ein Bruder einen Kranken mit einem Schlüsselbund auf den Hinterkopf schlug. – Vors.: Wieviel Schlüssel enthielt dieser Schlüsselbund? – Zeuge: 5-6 Schlüssel. – Vors.: Wie waren die Schlüssel beschaffen? – Zeuge: Es waren gewichtige Türschlüssel. – Vors.: Wie hieß der Bruder, der in dieser Weise mit dem Schlüsselbund schlug? – Zeuge: Bruder Cajus. – Vors.: Nun erzählen Sie einmal, wie es mit dem Bottich gehandhabt wurde? – Zeuge: Die Epileptiker Joseph Schäfer, Oprée und Louis Meyer erzählten mir: sie seien in folgender Weise bestraft worden: Sie wurden in den Bottichraum gebracht; es ist das ein leerer Raum, in dem eine Badewanne steht. Dort wurden die Kranken vollständig entkleidet, darauf gefesselt und alsdann in die mit eiskaltem Wasser gefüllte Wanne gesteckt, und zwar derartig, daß der Kopf unter Wasser kam. Wenn die Kranken zu ersticken drohten, dann wurde der Kopf aus dem Wasser herausgezogen, damit die Kranken einen Augenblick Luft schnappen konnten. Nach einigen Minuten ging diese Prozedur von neuem los und dauerte so etwa eine halbe Stunde. – Vors.: Wissen Sie, aus welcher Veranlassung dies geschah? – Zeuge. Zur Strafe. – Vors.: Was hatten die Kranken denn verbrochen? – Zeuge: Oprée soll einmal gelogen haben, Schäfer soll einige Wärter ins Gesicht gekratzt haben. – Vors.: Haben die Kranken üble Folgen durch diese Prozedur davongetragen? – Zeuge: Davon weiß ich nichts. – Vors.: Stand denn diese Strafe jemals im Verhältnis zu den begangenen Verbrechen? – Zeuge: Niemals, ich kann nur sagen, daß ich die ganze Prozedur als eine geradezu unerhörte, unmenschliche Strafe angesehen habe. Der Zeuge bekundete im weiteren, daß Kranke oftmals gefesselt in die Kirche geführt wurden. Die Kranken wurden auch oftmals von den Brüdern ohne jede Veranlassung blutig geschlagen. Ein Kranker wurde einmal von dem Bruder Ezechiel derartig mit einem Schlüssel auf den Kopf geschlagen, daß er ein großes Loch in den Kopf bekam. Als ein Wärter deshalb diesen Kranken zu Bett bringen wollte, sagte Bruder Rochus: „Ich werde den Kerl die Treppe hinunterwerfen und ihm noch ein Loch in den Kopf schlagen. Ein Kranker sei durch die Mißhandlung eines Bruders gestorben. Er habe schließlich die Mißhandlungen nicht mehr mit ansehen können und habe deshalb gekündigt.

Ein buckliger, ganz kleiner, schwächlicher Zwerg bekundete: Er sei ein Jahr als Epileptiker in Mariaberg gewesen, Eines Tages, als er aus der Kirche kam, habe er den Bruder Ezechiel gebeten, ihm seine Zelle aufzuschließen. Als Antwort habe ihm Bruder Ezechiel ein paar heftige Ohrfeigen gegeben und ihn mit der Faust auf den Kopf und ins Kreuz geschlagen. Als er sich das verbat, habe ihn Bruder Ezechiel die Treppe hinuntergeworfen.

Barbier Meven machte folgende Bekundung: Er sei 30 Jahre in Mariaberg tätig gewesen. Als die Mellagesche Broschüre erschien, habe er sofort gesagt: der Verfasser ist gut unterrichtet. Das Schlagen mit dem Schlüsselbund auf den Kopf sei ihm nicht mehr aufgefallen, daran sei er schon gewöhnt gewesen. Er habe einmal gesehen, wie ein Kranker zwischen ein eisernes Gitter und einen glühenden eisernen Ofen gestellt wurde. Vors.: War der Kranke ein Epileptiker oder ein Verrückter? – Zeuge: Ich glaube, es war ein Verrückter. – Vors.: Hat man den Kranken gefesselt? – Zeuge: Nein. – Vors.: Dann lag doch die Gefahr nahe, daß er auf den glühenden eisernen Ofen fallen und jämmerlich verbrennen konnte? – Zeuge: Gewiß, diese Gefahr war vorhanden. – Vors.: Wissen Sie, weshalb diese Strafe vollstreckt wurde? – Zeuge: Nein. - Vors.: Blieb nun der Kranke auf einer Stelle stehen oder lief er um den Ofen herum. – Zeuge: Er lief unauhörlich laut schreiend herum. – Vors.: Brannte der eiserne Ofen? – Zeuge: Jawohl, der Ofen brannte lichterloh. Er habe gesehen, daß Kranke die sogenannte Kübeldusche bekamen. Ein Kranker, der früher im Zuchthause zu Werden war, habe ihm einmal gesagt, das Essen im Zuchthause sei bedeutend besser als in Mariaberg, das sei kein Essen für Menschen, sondern fürs Vieh. Er (Zeuge) habe 1890 die Stellung in Mariaberg aufgegeben.

Schreiner Krämer: Er sei eine Zeitlang Wärter im Kloster Mariaberg gewesen. Bruder Thomas habe einmal einen Kranken mit einem großen Schlüsselbund heftig auf den Kopf geschlagen, ihn alsdann in eine Zelle schaffen und hilflos liegen lassen, am andern Morgen sei der Mann tot gewesen. Bruder Karl habe einmal einem Kranken eine Schlinge um den Hals geworfen und ihn damit gewürgt. –

Bruder Irenäus: Der mit dem Schlüsselbund erschlagene Kranke ist am folgenden Abend gegen 6 Uhr gestorben. – Vert. R.-A. Lenzmann: Haben Sie zu dem Verstorbenen einen Arzt hinzugezogen? – Zeuge: Nein. – Vert.: Hielten Sie es nicht für Ihre Christenpflicht, dem armen Menschen ärztliche Hilfe zu bringen? – Zeuge: Der Mann machte auf mich den Eindruck eines Tobsüchtigen, in solchem Falle ist ärztliche Hilfe nicht notwendig. – Vert.: Sie sagten vorhin, Sie hätten nachmittags gegen 3 Uhr dem Sterbenden Speise und Trank gebracht? – Zeuge: Allerdings. – Vert.: Tobte er da noch? – Zeuge: Nein, da war er schon ruhiger. – Vert.: Sie hielten es aber nicht für notwendig, dem Mann ärztliche Hilfe zu bringen? – Zeuge: Nein. –

Alsdann bemerkte Barbier Meven: Es sei einmal im Alexianerkloster die Frage gestellt worden: Worin besteht der Unterschied zwischen dem Himmel und dem Alexianerkloster? Bruder Leonhard bemerkte darauf: „In den Himmel ist schwer hinein-, aus dem Alexianerkloster ist schwer herauszukommen.“

Bäcker Kaspar Kleinschmidt machte folgende Bekundung: Er sei eines Tages auf Veranlassung seiner Frau, die ihn gern beiseite geschafft hätte, von der Polizei nach Mariaberg gebracht worden. Gefehlt habe ihm gar nichts, er sei damals ebenso gesund gewesen wie heute. Er sei zwei Monate in Mariaberg festgehalten worden. Als er Herrn Sanitätsrat Dr. Capellmann bat, ihn herauszulassen, habe dieser ihm geantwortet: Hier ist kein Gefängnis, sondern eine Irrenanstalt, da kommen Sie nicht ohne weiteres heraus. Er habe Mißhandlungen in Mariaberg nicht beobachtet. Das Essen sei allerdings miserabel gewesen. Es gab gewöhnlich des Mittags Gerstensuppe, ein Stückchen Leberwurst oder einen halben Hering. – Vert. R-A. Lenzmann: Ich frage Herrn Sanitätsrat Dr. Capellmann, ob es wahr ist, daß er dem Zeugen auf seine Bitte, ihn freizulassen, geantwortet hat: Es ist hier kein Gefängnis, sondern eine Irrenanstalt, da können Sie nicht so ohne weiteres heraus? – Dr. Capellmann: Das kann ich selbstverständlich nicht gesagt haben. – Vert. R.-A. Lenzmann: Herr Sanitätsrat, was gab Ihnen Veranlassung, den Zeugen in die Irrenanstalt aufzunehmen? – Dr. Capellmann: Der Mann litt an Verfolgungswahnsinn. – Vert.: Woraus entnehmen Sie das? – Dr. Capellmann: Aus den Mitteilungen seiner Frau. – Vert.: Die Angaben seiner Frau genügten Ihnen, um den Mann in Ihrer Irrenanstalt zu internieren? – Dr. Capellmann: Ich hatte auch ein Attest des Kreisphysikus Dr. Baum. – Vert.: Ich bemerke Ihnen, daß Dr. Baum, dessen Amtseigenschaft auf dem Atteste nicht ausgedrückt ist, es ist bloß mit „Dr. Baum“ unterzeichnet, in dem Attest bemerkt: Er könne die Geisteskrankheit noch nicht feststellen. Haben Sie nun, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist, von Herrn Dr. Baum wenigstens nachträglich ein motiviertes Zeugnis verlangt? – Sanitätsrat Dr. Capellmann: Nein. – Vert.: Haben Sie sich ferner um das Schicksal des Mannes bekümmert? – Zeuge: Nein. – Vert.: Also die Angaben der Frau des Mannes genügten Ihnen, um den Mann festzuhalten? – Dr. Capellmann: Die müssen mir vorläufig genügen. – Vert.: Herr Sanitätsrat, es wird schon seit Jahren in allen Zeitungen darüber Klage geführt, daß Privatirrenanstalten bequeme Stätten sind, in die böse Frauen ihre ihnen unbequemen Männer mit Leichtigkeit schaffen lassen können. Nun hat Ihnen doch der Zeuge gesagt: Seine Einlieferung in die Irrenanstalt sei auf Betreiben seiner Frau von dem hiesigen Polizeikommissar Zimmermann angeordnet worden; er (der Zeuge) hege den Verdacht, daß der Polizeikommissar mit seiner Frau ein unerlaubtes Verhältnis unterhalte. Hat Ihnen diese Angabe des Mannes nicht Veranlassung gegeben, eine Untersuchung über die Wahrheit dieser Angaben anzustellen? – Dr. Capellmann: Nein, wie konnte ich das auch feststellen?

Geschäftsreisender Joseph Junior, früher Aufseher im Kloster Mariaberg, berichtete über eine große Anzahl von den Brüdern an den Kranken begangenen Mißhandlungen. Bruder Heinrich habe einen Kranken mit einem Schlüsselbund in heftiger Weise in die Seite und mit einem Schuhabsatz auf den Kopf geschlagen. Bruder Ezechiel habe einen Kranken furchtbar geohrfeigt und mit dem Fuß zur Erde gestoßen. Bruder Gregor und Bruder Heinrich haben einmal einem Kranken, angeblich aus Scherz, beim Waschen eiskaltes Wasser in den Nacken gegossen. – Vors.: Was war das für ein Kranker? – Zeuge: Das weiß ich nicht, es war jedenfalls ein sehr armseliger Mensch. Bruder Cajus habe einmal in der schmutzigen Station einen Kranken von hinten mit aller Gewalt zu Boden gestoßen. Ein anderer Kranker, ein sehr alter Mann, sei von den Brüdern derartig mißhandelt worden, daß er einen Leistenbruch davongetragen habe. Dieser selbe Kranke habe ihm einmal einige Zähne gezeigt, die ihm die Brüder ausgeschlagen hatten. –

Es wurden alsdann die Zwangsjacke, ein Fußriemen, ein Handriemen, ein Paar lederne Zwangshandschuhe und eine dicke kurze eiserne Kette, die an zwei eisernen Armfesseln befestigt waren, vorgelegt. Auf Auffordern des Vorsitzenden zog Bruder Provinzial Welter dem Bruder Overbeck die Zwangsjacke an. Bruder Overbeck machte dabei ein sehr bedenkliches Gesicht. Ein ehemaliger Wärter bemerkte: die Zwangsjacke wurde den Kranken derartig festangelegt, daß sie kaum noch atmen konnten. –

Der Hauptsachverständige, Geh. Medizinalrat Professor Dr. Finkelnburg (Bonn), begutachtete: Forbes sei weder geisteskrank, noch leide er an Größenwahn. Sein ethisches Empfinden sei wohl bezüglich seiner alkoholischen Exzesse und deren Folgen etwas abgestumpft, wie dies bei allen Trunksüchtigen der Fall sei. Im übrigen sei Forbes vollständig geistig intakt, und eine Notwendigkeit, ihn zu internieren, habe durchaus nicht vorgelegen. Eine provisorische Internierung zum Zwecke ärztlicher Beobachtung wäre vielleicht zu empfehlen gewesen. – Auf Befragen des Verteidigers, Rechtsanwalts Dr. Niemeyer, bemerkte Geh. Rat Professor Dr. Finkelnburg: Ein verwöhnter Mann wie Forbes würde auch an einer guten Anstalt an seiner Gesundheit Schaden gelitten haben. Nachdem ich aus der Beweisaufnahme erfahren, welche Zustände in Mariaberg herrschen, muß ich nur meine Verwunderung aussprechen, daß Forbes nach so jahrelanger Internierung und nach solcher Behandlung, wie sie ihm in Mariaberg zuteil geworden, nicht geisteskrank geworden ist. Eine solche Gefahr lag zweifellos vor. Herr Forbes kann mithin Herrn Mellage mit vollem Recht als seinen Befreier und Erretter ansehen. – Die anderen medizinischen Sachverständigen schlossen sich dem Gutachten des Geh. Medizinalrats Prof. Dr. Finkelnburg fast vollständig an. – Noch eine ganze Anzahl Leute aller Altersklassen bekundeten zeugeneidlich: Sie seien, da sie an Epilepsie leiden, im Kloster Mariaberg gewesen und seien der geringfügigsten Vergehen wegen von den Brüdern „geduscht“ und aufs schwerste mißhandelt worden. – Der 55 jährige Epileptiker Launer machte folgende Angaben. Er habe mit dem Bruder Basilius einmal wegen Gemüse Streit bekommen. Bruder Basilius habe ihn deshalb ins Gesicht geschlagen, zu Boden geworfen, furchtbar mit Füßen getreten, so daß er ganz mit Beulen bedeckt war, fünf Löcher in den Kopf bekam und ungeheure Schmerzen hatte. Alsdann wurde er 14 Tage lang fast täglich geduscht. Er wurde in einen leeren Raum gebracht, wo eine Badewanne stand. Er wurde zunächst gefesselt, alsdann kopfüber unter die Dusche gesteckt, so daß er keine Luft bekam. Diese Prozedur wurde zehnmal wiederholt. Vors.: Und das geschah täglich 14 Tage lang? Zeuge: Fast täglich. Eines Tages sei er nicht schnell genug die Treppe zur Kirche hinaufgegangen. Bruder Pankratius habe ihn zur Eile angetrieben, und da er sich deshalb verantwortete, habe ihn Bruder Pankratius die Treppe hinuntergeworfen, ihn furchtbar geschlagen, mit Füßen getreten, und nun sei er zur Strafe wieder 14 Tage lang geduscht worden. Dr. Chantraine: Der Mann sei sehr streitsüchtig und leide an Verfolgungswahnsinn. Er sei auch in der letzten Zeit schwachsinnig geworden. Er leide an eingebildeten Schmerzen und bilde sich ein, Verletzungen erhalten zu haben. Vert. Rechtsanwalt Lenzmann: Wodurch wissen Sie das? Dr. Chantraine: Das ist mir mitgeteilt worden. Vert.: Ich bitte Sie doch aber, auseinanderzuhalten, was Sie selbst gesehen haben und was Sie vom Hörensagen wissen. Selbstverständlich hat Ihnen dies ein Bruder mitgeteilt? Dr. Chantraine: Jawohl. Vert. Rechtsanwalt Lenzmann: Hat Ihnen auch der Mann selbst über Schmerzen geklagt? Dr. Chantraine: Jawohl. Vert.: Und Sie hielten das für Einbildung? Dr. Chantraine: Jawohl. Vert.: Woher entnahmen Sie das? Dr. Chantraine: Weil ich wußte, daß der Mann an Einbildung leidet. Vert.: Woraus entnahmen Sie das? Dr. Chantraine: Wenn mir der Mann ein Jahr lang über Rückenschmerzen klagt, dann muß man doch annehmen, daß er sich die Schmerzen einbildet.  Vert.: Haben Sie jemals den Urin des Mannes untersucht? Dr. Chantraine: Ich glaube nicht. Vert.: Ich wünsche eine bestimmte Antwort von Ihnen. Dr. Chantraine: Bestimmt kann ich es nicht sagen. Vert.: Ich bin nicht Mediziner, bin aber der Meinung, wenn der Arzt den Schmerz nicht erkennen kann, dann nimmt er zunächst eine Harnuntersuchung vor. Dr. Chantraine schweigt. Vert. Rechtsanwalt Dr. Niemeyer: Herr Doktor, wenn jemand über Kopfschmerz klagt, ist alsdann der Kopfschmerz an einer äußeren Erscheinung zu erkennen? Dr. Chantraine: Bisweilen allerdings. Vert. Rechtsanwalt Lenzmann: Wir verzichten darauf, über dieses Thema die medizinischen Experten zu vernehmen. Wir trauen dem hohen Gerichtshof so viel medizinische Kenntnis zu, daß er sich über dieses Thema selbst ein Bild wird machen können. – Schreinermeister Sauren machte folgende Aussagen: Er habe mehrere Jahre in Mariaberg als Schreinermeister gearbeitet. Er habe einmal gesehen, daß Forbes, als er eines Abends gegen 7 Uhr nach Hause kam, von einer Anzahl Brüdern ergriffen, geschlagen, gestoßen und zur Treppe hinauf in eine Zelle gezerrt wurde. Forbes habe geschrien und gebeten, ihn loszulassen, er werde allein gehen, diesem Verlangen haben aber die Brüder nicht entsprochen. Er habe außerdem mehrfach gesehen, daß Kranke von Wärtern und Brüdern mißhandelt, gestoßen, geschlagen und getreten wurden. Einmal habe er gesehen, wie der Wärter Krings einem Kranken ein Bein stellte. Bruder Heinrich habe einen Kranken mit einem Schlüsselbund auf den Kopf geschlagen. Er selbst sei einmal von dem Bruder Florian heftig auf die Schulter geschlagen worden, weil er in die Küche gekommen sei. Er habe nicht gewußt, daß es verboten sei, in die Küche zu gehen. Er habe sich dagegen verwahrt und dem Bruder Florian gesagt: Sie haben kein Recht, mich zu schlagen, ich bin kein Kranker. Vert. Rechtsanwalt Lenzmann: Wurden die Kranken geschlagen? Zeuge: Allerdings, vielfach. Den Kranken wurde von den Brüdern oftmals mit den Worten gedroht: Nimm dich in acht, sonst kommst du nach dem Käuffchen. (Käuffchen ist der Wärter der schmutzigen Station.) Sauren bekundete noch: Es sei ihm einmal erzählt worden, daß vor acht Jahren in Mariaberg ein Kranker erschlagen worden sei. – Ein anderer Zeuge bekundete: Ein Kranker sei von dem Bruder Pankratius einmal ganz furchtbar geschlagen und alsdann mehrere Tage in eine Zelle gesperrt worden. Wärter Käuffchen habe mehrfach Kranke im Hofe des Klosters an einen Baum festgebunden. Vors.: Haben Sie das selbst gesehen? Zeuge: Jawohl, das habe ich mehrfach gesehen. Vors.: Wie lange mögen wohl diese Kranken am Baum festgebunden gewesen sein? Zeuge: Den ganzen Tag. – Vors.: Waren Brüder dabei? Zeuge: Jawohl, der Rektor Overbeck. – Vors.: Können Sie das beeiden? Zeuge: Jawohl, mit reinstem Gewissen. – Die medizinischen Sachverständigen wurden schließlich aufgefordert; ihr Endurteil über die Zustände in „Mariaberg“ abzugeben. Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Finkelnburg: Ich muß bemerken, daß ich vergeblich nach Worten suche, um für die Zustände in Mariaberg, wie sie uns durch die Beweisaufnahme hier vorgeführt worden sind, die richtige Bezeichnung zu finden. Mich haben diese hier bekundeten Vorgänge mit Entsetzen und Abscheu erfüllt. Derartige Dinge sollte man weder in Deutschland, noch in einem anderen zivilisierten Lande für möglich halten. Dr. Besser und Geh. Sanitätsrat Dr. Ripping erklären, daß sie sich diesem Gutachten vollständig anschließen können. – Medizinalrat Dr. Gerlach: Ich kann mich auch nur dem Gutachten des Herrn Geheimrats Finkelnburg anschließen. Ich will aber noch bemerken, daß nächst den Mißhandlungen es in hohem Grade zu verurteilen ist, daß den Kranken ärztliche Hilfe versagt und die gesamte Krankenpflege den Brüdern überlassen wurde. Die Kranken bedürfen schon der ärztlichen Behandlung im Interesse der Hygiene. In Mariaberg wurden die Verhältnisse geradezu auf den Kopf gestellt. Ich bin der Ansicht, daß die Ärzte der Kranken wegen da sind und nicht die Kranken der Ärzte wegen. Es heißt doch alles auf den Kopf stellen, wenn Kranke, die den Arzt verlangen, sich bei diesem in seinem Zimmer melden müssen. In jeder anderen Krankenanstalt kommt der Arzt unaufgefordert zu dem Kranken. Auf Befragen des Staatsanwalts und des Vertreters der Nebenkläger, Rechtsanwalt Oster, erklären die medizinischen Sachverständigen wiederholt, daß die Psychiatrie alle Zucht- und Strafmittel gegen Kranke grundsätzlich verwirft. Zwangsmittel, die zur eigenen Sicherheit des Kranken geboten erscheinen, dürfen nur von einem Arzt angeordnet und auch nur in dessen Beisein angewendet werden. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Niemeyer: Wir könnten noch einige dreißig Zeugen vorführen, die über arge Mißhandlungen, die die Brüder in Mariaberg an Kranken vorgenommen haben, bekunden würden. Wir hatten außerdem die Absicht, den Antrag zu stellen, wegen Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit die Öffentlichkeit auszuschließen und eine Reihe von Zeugen vorzuführen, die bekundet hätten, daß im Kloster Mariaberg im Beisein und zum Teil unter Teilnahme der Brüder widernatürliche Unzucht getrieben worden sei. Die Verteidigung hat jedoch nicht die Absicht, ohne daß eine dringende Notwendigkeit vorliegt, noch mehr Schmutz aufzuwirbeln. Die Verteidigung verzichtet deshalb auf jede weitere Beweisaufnahme, da die Zustände in Mariaberg hinreichend beleuchtet worden sind. – Staatsanwalt Pult, der am vorletzten Tage zur Begründung der Anklage das Wort nahm, führte u. a. aus: Die Anklage ist auch erhoben worden wegen einer Reihe von Behauptungen, daß im Alexianerkloster Mariaberg die Kranken in ärgster Weise mißhandelt worden seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bin ich genötigt, die Anklage nach dieser Richtung fallen zu lassen. Es ist in der Tat festgestellt, daß im Kloster Mariaberg Dinge vorgekommen sind, die die schwersten Strafen rechtfertigen. Die Staatsanwaltschaft wird diesen Dingen näher treten und auf Grund der hier zutage getretenen Vorkommnisse und noch weiter anzustellender Erhebungen die strengste Ahndung vornehmen, darauf können Sie sich verlassen. Allein so sehr diese Vorkommnisse zu bedauern sind, so kann ich Herrn Mellage trotzdem den Vorwurf nicht ersparen, daß er sich auch in dieser Behauptung der Übertreibung schuldig gemacht hat. Ich bin nun der Meinung, daß ebensowenig wie dem Angeklagten Mellage auch den beiden anderen Angeklagten der § 193 des Strafgesetzbuches nicht zur Seite steht. Was das Strafmaß anlangt, so wird zu berücksichtigen sein, daß der Angeklagte Mellage nicht aus niederen Motiven gehandelt hat. Im Gegenteil, ich muß ausdrücklich anerkennen, daß Mellage sich das Verdienst erworben hat, schwere Mißstände aufgedeckt zu haben. Dieses Moment wird bei Abmessung der Strafe zu berücksichtigen sein. Ich bedauere bloß, daß Mellage die Broschüre in so wenig sachlicher Weise geschrieben hat, daß er sich bei Abfassung der Broschüre zu argen Gehässigkeiten hat hinreißen lassen. Ich beantrage gegen Mellage wegen der drei Artikel im „Iserlohner Kreisanzeiger“ je 20 Mark, wegen der Broschüre 300 Mark, gegen den Angeklagten Scharre, der für alle vier Artikel im „Iserlohner Kreisanzeiger“ verantwortlich zu machen ist, zusammen 80 Mark, und gegen den Verleger der Broschüre, den Buchhändler Warnatzsch, 200 Mark Geldstrafe. Im Unvermögensfalle beantrage ich für je 5 Mark einen Tag Gefängnis. Ich beantrage außerdem auf Vernichtung der Broschüre und der inkriminierten Artikel des „Iserlohner Kreisanzeigers“ zu erkennen, und endlich den Beleidigten, Sanitätsrat Dr. Capellmann, Bruder Provinzial Welter, Rektor Overbeck und dem hiesigen Regierungspräsidenten das Recht zuzusprechen, sechs Wochen nach Zustellung des Urteils, den Tenor im hiesigen „Politischen Tagebl.“, im „Echo der Gegenw.“, in der „Köln. Ztg.“, in der „Köln. Volksztg.“ und im „Iserl. Kreisanz.“ zu veröffentlichen und den Angeklagten die Kosten des Verfahrens, auch die der Nebenkläger aufzuerlegen. – Der Vertreter der Nebenkläger, Rechtsanwalt Oster führte aus: Ich kann, als Vertreter der Nebenkläger, die Anklage wegen der Behauptung, daß Kranke in Mariaberg mißhandelt worden, nicht fallen lassen. Ich halte den Beweis der Wahrheit bezüglich aller dieser Behauptungen nicht für erbracht. Man darf doch nicht außer acht lassen, daß die Zeugen hier sämtlich in großer Erregung aufgetreten seien, und wohl kaum von einer Übertreibung freizusprechen sind. Man darf andererseits nicht außer acht lassen, daß in Irrenanstalten ohne Zwangsmittel überhaupt nicht auszukommen ist. Daß den Angeklagten der § 193 des Strafgesetzbuches nicht zur Seite steht, hat der Herr Staatsanwalt bereits hervorgehoben, ich will bloß noch hinzufügen, dem Angeklagten Mellage war bekannt, daß er sich arger Übertreibungen schuldig gemacht hat. Es ist im weiteren zu berücksichtigen, daß die ärgsten Vorwürfe und Beleidigungen erhoben worden sind gegen Klosterbrüder, die nicht materieller Vorteile wegen, sondern lediglich aus Liebe zu ihrem Gott und ihrer Kirche sich in den schweren, Tag und Nacht die härteste Arbeit erfordernden Dienst der Irren- und Krankenpflege stellen. – Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Niemeyer (Essen): Hoher Gerichtshof! Die Ausführungen des Herrn Staatsanwalts haben mich in nicht geringes Staunen gesetzt. Ich bin mit Spannung der Rede des Herrn Staatsanwalts gefolgt, da ich erwartet habe, nach diesem Ergebnis der Beweisaufnahme werde er sich auf unseren Standpunkt stellen. Ich bin deshalb um so mehr enttäuscht, und muß bekennen, ich hätte etwas mehr Objektivität von dem Herrn Staatsanwalt erwartet. Vors.: Herr Verteidiger, ich bin entfernt, Sie in Ihren Ausführungen irgendwie zu beschränken, ich muß Sie aber dringend ersuchen, sachlich zu bleiben. Es ist doch nicht gut angängig, dem Herrn Staatsanwalt Mangel an Objektivität vorzuwerfen. Vert.: Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich vielleicht etwas zu weit gegangen bin, allein ich bin förmlich aus dem siebenten Himmel gefallen, als ich die Rede des Herrn Staatsanwalt hörte. Denn ich sowohl als auch Herr Rechtsanwalt Lenzmann fühlen uns nicht als Verteidiger armer Sünder, sondern als Rechtsbeistände eines Mannes, dessen Handlungsweise die größte Anerkennung verdient, der dem Vaterlande, ja der ganzen Menschheit, einen ganz unendlich großen Dienst geleistet hat, der ein Werk christlicher Nächstenliebe vollbracht hat, das für die Kultur und den menschlichen Fortschritt von höchster Bedeutung ist. Welche Bedeutung das große Publikum dem Werke des Herrn Mellage beilegt, hat der hier als Zeuge aufgetretene Major Löbbecke bekundet, indem er sagte: Obwohl ich ein politischer Gegner des Herrn Mellage bin, so bin ich doch stolz darauf, daß gerade ein engerer Landsmann von mir ein solch edles Befreiungswerk vollbracht hat. Und mit Recht wird Mellage als Menschenbefreier gefeiert. Ohne das Vorgehen des Herrn Mellage säße Herr Forbes noch heute hinter den Mauern des Klosters Mariaberg und wäre zweifellos dort gestorben. Das Charakteristische in dem ganzen Prozeß ist, daß der Subrektor, Bruder Heinrich, der am meisten Beleidigte, sich dem Strafantrage nicht angeschlossen hat, obwohl die Staatsanwaltschaft allen Brüdern dazu die beste Gelegenheit bot. Bruder Heinrich wird für die Unterlassung des Strafantrages seinen guten Grund gehabt haben. Ich behaupte, das Kloster Mariaberg ist eine Anstalt, die u. a. dazu dient, widerspenstige Geistliche unschädlich zu machen. Dies hat sowohl der Fall Forbes als auch der Fall Rheindorf zur Genüge dargetan. Rheindorf ging aus Anlaß des Kulturkampfes im Dienste der christlichen Mission nach Amerika. Als er nach Deutschland zurückkam, fiel er in Ungnade und wurde deshalb in die Demeritenanstalt nach Mariathal gesandt. Nach dem deutschen Reichsgesetz ist es nicht gestattet, länger als drei Monate Geistliche in einer Demeritenanstalt gefangen zu halten. Rheindorf verlangte nach Ablauf der drei Monate mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand, in eine Privatpflege gehen zu dürfen, er wurde jedoch von dem Erzbischof nach Mariaberg mit den Worten befohlen, er werde dort eine Pflege erhalten, wie er sie in der kostspieligsten Privatpflege nicht bekommen könne. Und als Rheindorf sich durchaus weigerte, nach „Mariaberg“ zu gehen, wurde ihm bedeutet: wenn er sich nicht unverzüglich nach Mariaberg begebe, habe er noch strengere Maßregeln zu erwarten. Mein Kollege hat bereits hervorgehoben, daß hier eine Nötigung vorliegt. Ich will hierbei bemerken, daß dieser Prozeß sich nicht gegen den Ultramontanismus oder Katholizismus richtet, sondern lediglich in objektiver Weise Mißstände, schreiende Mißstände aufdeckt. Ich freue mich, daß selbst Zentrumsblätter dies eingesehen haben und über die Verhandlungen dieses Prozesses vollständig objektiv berichten. Ich fahre in der Beleuchtung des Falles Rheindorf fort und bemerkte: Der erwähnte Befehl des Erzbischofs war sicherer wie eine militärische Eskorte, die einen Sträfling ins Zuchthaus schafft. Wir haben aus dem Munde des Pfarrers Rheindorf selbst gehört: Er wurde wie ein Gefangener und Verbrecher behandelt. Ist es nicht geradezu empörend, daß ehemalige Schuster, Schneider, Bäcker, Brauer, Fremdenführer usw. das Recht haben, katholische Priester, also akademisch gebildete Leute, wie Verbrecher zu behandeln und nach Belieben zu mißhandeln. Wir haben gehört, welch ungeheure Macht der ehemalige Schneidergeselle Bruder Heinrich nicht bloß über die Kranken, sondern auch über die Ärzte hat. Es ist hier von zwei Zeugen eidlich bekundet worden, daß Bruder Heinrich selbst nach dem Erzbischof und dem Generalvikar nicht fragt. „Wer hier ist, der wird zahm gemacht, ohne unseren Willen kommt aus diesen Mauern niemand heraus. Hier hat weder der Erzbischof, noch der Generalvikar, noch die „Döktersch“ etwas zu sagen, hier haben nur wir Brüder etwas zu sagen, wir Brüder sind klüger als die „Döktersch“. Ist das nicht charakteristisch. Bruder Heinrich hat dies allerdings eidlich abgeleugnet. Er hat allerdings auch die eidliche Bekundung des Polizeikommissars Lohe in Abrede gestellt. Ich überlasse es dem hohen Gerichtshof, welches Zeugnis er für glaubwürdig hält. Wir haben gehört, wie es dem Rheindorf in Mariaberg erging. Ich erinnere nur an den einen Vorgang, als Rheindorf mit Tränen in den Augen Herrn Dr. Chantraine nachlief und diesen flehentlich bat, ihm doch zu gestatten, zum Zahnarzt gehen zu dürfen. Rheindorf hat schließlich sich durch List einen Urlaub erwirkt, wodurch es ihm gelungen ist, aus Mariaberg zu entkommen. Ich habe absichtlich mit dem Fall Rheindorf begonnen, weil dieser den Schlüssel zu dem Fall Forbes liefert. Rheindorf kam zu Herrn Mellage, und nachdem er ihm seine Erlebnisse mitgeteilt, sagte er zu ihm: Es sitzt noch ein schottischer Geistlicher in Mariaberg, dem es noch viel schlimmer ergeht, als es mir ergangen ist. Forbes ist ein streng auf katholischen Dogmen stehender Geistlicher. Aber er ist Engländer und hat das Unglück, eine etwas demokratische Natur zu haben. Dies machte ihn bei seinem Bischofe mißliebig. Wäre Forbes eine fügsame Natur gewesen, ich bin überzeugt, die excessio in bacho und noch weniger das bekannte Renkontre mit dem englischen Offizier hätten ihm geschadet. Aber da er eine selbständige Natur ist, so wird dies selbstverständlich gegen ihn verwertet. Forbes wurde, da er für die irischen Pächter eintrat und mit seiner Kirchenpatronesse in Konflikt geriet, seines Amtes entsetzt, aber dies genügte seinem Bischof nicht, er sollte unschädlich gemacht werden. In England ließ sich das nicht tun. Dort gilt noch die persönliche Freiheit. Er wurde deshalb nach Brügge in Belgien geschickt. Aber auch nach den belgischen Gesetzen ist eine Internierung auf Lebenszeit verboten. Deshalb verwies ihn sein Bischof nach Mariaberg in die Pflege des sanften Bruder Heinrich. Allein bei einem freiwilligen Pensionär war man doch nicht ganz sicher, ob er sich doch nicht einmal der liebevollen Umarmung des Bruders Heinrich entziehen konnte. Es wurde deshalb die erste beste Gelegenheit benutzt, um den Forbes für irrsinnig zu erklären und zeitlebens gewaltsam zu internieren. Ich kann Herrn Geheimrat Kribben den Vorwurf nicht ersparen, daß er sich in fahrlässiger Weise der Beihilfe widerrechtlicher Freiheitsberaubung schuldig gemacht hat. Herr Geheimrat Kribben hat Herrn Forbes für irrsinnig erklärt, weil er betrunken und erregt war und weil er nach Mitteilung seines Bischofs erblich belastet und auch schon früher dem Trunke ergeben war. Und als Herr Geheimrat Kribben gefragt wurde, wer ihm dies mitgeteilt hat, war die Antwort: Bruder Heinrich. Ja, wenn man alle Leute, die in der Trunkenheit erregt sind, für geistesgestört erklären wollte, dann hätte Herr Geheimrat Kribben, der ja der hiesige Polizeiarzt ist, Gelegenheit, täglich 10–12 Leute, die betrunken auf die Polizeiwache gebracht werden, für geistesgestört zu erklären, ein abgekürztes Verfahren für Schöffengerichte und Strafkammern. Im übrigen ist dem Forbes auch schon im Jahre 1890, als er noch freiwilliger Pensionär war, die Zwangsjacke angelegt worden. Ein Jahr später wurde auf Befehl des Bischofs von Aberdeen aus dem freiwilligen Pensionär ein unfreiwilliger Pensionär. Daß dies wahr ist, dafür spricht der Umstand, daß der Bischof von Aberdeen an den Generaloberen Bank wahrheitswidrig berichtete: Forbes ist ein Trunkenbold und erblich belastet, und daß der Bischof sich sofort bereit erklärte, wöchentlich 20 Mark Pension für Forbes zu zahlen. Im übrigen ist es nach den deutschen Gesetzen nur gestattet, gemeingefährliche Geisteskranke zu internieren, andernfalls macht man sich einer Freiheitsberaubung schuldig. Daß die Herren Forbes und Rheindorf nicht gemeingefährlich sind, das wird wohl dem Blödesten klar geworden sein. Ich behaupte aber, daß Forbes und Rheindorf auch keine Trinker sind. Bezüglich des Rheindorf hat lediglich ein Kutscher, um sich wegen eines nicht erhaltenen Trinkgeldes zu rächen, bekundet, er habe diesen betrunken gesehen. Und Forbes verkehrt bereits ein Jahr lang in der Wirtschaft des Herrn Mellage in Iserlohn; dort stehen ihm alle geistigen Getränke unentgeltlich zur freien Verfügung, er hat aber davon niemals Gebrauch gemacht. Ist es nicht geradezu ein ungeheuerliches Verfahren, das mit Forbes angestellt wurde? Charakteristisch ist, daß, als Mellage und Genossen den Forbes zu sprechen wünschten, Bruder Heinrich sagte: Das geht nicht, der Mann ist so krank und so schwach und schlägt um sich, den kann niemand sprechen. Weshalb diese Lüge? Weshalb die Komödie, den Forbes von zwei Leuten ins Sprechzimmer führen zu lassen, damit man glauben solle, der Mann ist doch verrückt? Man befürchtete eben die Befreiung, denn einmal vollzog man den Befehl des Bischofs, einen aufsässigen Geistlichen unschädlich zu machen, und andererseits erhielt man dafür von dem Bischof eine angemessene Bezahlung. Es entsteht nun die Frage: Steht dem Angeklagten Mellage der Schutz des § 193 des St.-G.-B. zur Seite? Der Schutz dieses Paragraphen muß ihm zugestanden werden, da er gehandelt hat in Wahrnehmung des Interesses des Forbes, zweitens in seinem eigenen und drittens im Interesse der Allgemeinheit. Forbes hatte ein Recht, Anklage gegen die Leiter der Anstalt Mariaberg zu erheben, einmal, weil er Genugtuung zu fordern hatte für die ihm widerfahrene Behandlung und weil für ihn die Gefahr der Wiederholung vorlag. Allein Forbes ist der deutschen Sprache nicht mächtig, er konnte seine Rechte nicht wahrnehmen. Wer war mehr berufen als sein Anwalt aufzutreten als sein Retter und Befreier, und zwar Befreier nicht in Gänsefüßchen. Mellage handelte auch in Wahrnehmung seiner eigenen Interessen. Er war genötigt, die Angriffe, die gegen ihn hageldicht fielen, zurückzuweisen. Er handelte aber auch im Interesse der Menschheit, und auch dies Recht wird von dem höchsten Gerichtshofe anerkannt. Ja, ich behaupte: Mellage handelte im Interesse nicht bloß seines Vaterlandes, nein, im Interesse der Menschheit. War es nicht des Schweißes der Edlen wert, daß Mellage solche grauenhafte Mißstände aufgedeckt hat? Abscheu und Entsetzen hat es in der ganzen zivilisierten Welt erregt, daß in unserem deutschen Vaterlande in einer staatlich konzessionierten Irrenanstalt trotz staatsanwaltschaftlicher und Regierungsaufsicht derartige Schandtaten vorkommen konnten. Aber noch mehr war ich von der Behauptung des Herrn Staatsanwalts überrascht: Mellage habe sich Übertreibungen schuldig gemacht. Ich traute meinen Ohren kaum, als ich diese Bemerkung hörte. Jeder, der dieser achttägigen Verhandlung gefolgt ist, wird zugeben, daß nicht bloß der Inhalt der Broschüre, sondern noch bedeutend mehr erwiesen worden ist. Hätte Mellage gewußt, was in dieser Verhandlung zutage treten wird, dann wäre der Inhalt der Broschüre noch ein bedeutend reichhaltigerer gewesen. Mellage wußte noch nicht, als er die Broschüre schrieb, daß Kranke zwischen ein eisernes Gitter und einen brennenden eisernen Ofen gestellt wurden und in dieser Stellung, unaufhörlich schreiend, um den Ofen umhergelaufen sind. Herr Mellage wußte noch nicht, als er die Broschüre schrieb, daß Kranke an einem Baum festgebunden und den ganzen Tag in dieser Stellung behalten wurden. Herr Mellage wußte zurzeit noch nicht, daß Epileptikern die Schlinge um den Hals geworfen wird und diese dem Ersticken nahe gebracht werden, er wußte noch nicht, daß es verschiedene Duschen in Mariaberg gibt, mit denen hilflose Kranke gezüchtigt werden. Herr Mellage wußte, als er die Broschüre schrieb, noch nicht, daß die Brüder sich nicht scheuten, selbst den Kaplan Medebach in die Dusche zu bringen. Herr Mellage wußte auch nicht, daß man einem Kranken eine eiserne Stange zwischen die Beine gekettet habe. Ich erinnere an die übrigen Foltern und Mißhandlungen, die man in Mariaberg gegen die Kranken angewandt hat. Das Stoßen und Treten mit den Füßen, die Mißhandlung, die dem kleinen, buckligen Stubenkämper zuteil wurde, das „scherzweise“ erfolgte Wasserbegießen in den Nacken der Kranken, die eidlichen Bekundungen, wie das Schlagen mit dem Schlüsselbund auf den Kopf, war etwas Alltägliches, und daß ein Kranker, namens Krämer, infolge von Schlägen mit dem Schlüsselbund am anderen Morgen gestorben ist. Im Mosseschen Insertionskalender zeigen die Alexianerbrüder an, daß die Kranken in zweckentsprechender Weise in ihren Klöstern beschäftigt werden. Wie diese zweckentsprechende Beschäftigung ausgeübt wird, hat die Verhandlung bewiesen. In unseren Gefängnissen ist die Anwendung von Strafmitteln verboten, und in den Zuchthäusern darf die Prügelstrafe nur im äußersten Falle unter Genehmigung des Arztes und des Geistlichen angewendet und gesetzlich muß darüber in der genauesten Weise an die vorgesetzte Behörde berichtet werden. Und hier maßten sich Leute an, hilflose Kranke, die ihrer Sinne nicht mächtig sind, in einer aller Menschlichkeit hohnsprechenden Weise zu mißhandeln. Ist das nicht gottlos? Und wenn dies von Leuten geschieht, die die Krankenflege im Namen Gottes ausüben, so ist das scheinheilig. Der Wahrheitsbeweis ist Herrn Mellage in allen Dingen gelungen. Und auch die Behauptungen, die in der Broschüre gegen Herrn Sanitätsrat Dr. Capellmann enthalten, sind vollständig erwiesen. Denn ich muß sagen, wenn Herr Dr. Capellmann, der 30 Jahre Anstaltsarzt gewesen, von den unerhörten Vorgängen im Alexianerkloster wirklich keine Kenntnis gehabt hat, dann ist das ebenso schlimm, als wenn er sie geduldet hätte. Objektiv hat der Angeklagte Mellage in allen Beziehungen den vollen Beweis der Wahrheit erbracht. Wenn er in subjektiver Hinsicht vielleicht etwas zu weit gegangen sein sollte, so ist doch zu erwägen, daß er mit Recht über derartige aller Menschlichkeit Hohn sprechende Zustände in einer christlichen Krankenanstalt seiner Entrüstung Ausdruck gegeben hat. Ich kann mir nicht denken, daß der hohe Gerichtshof ein Urteil fällen wird, von dem man sagen könnte „summum jus summa injuria“. Ich halte es für unmöglich, daß der hohe Gerichtshof ein Urteil fällen wird, das dem Rechtsbewußtsein des ganzen deutschen Volkes widersprechen würde.

Verteidiger Rechtsanwalt Lenzmann: Ich bin in der Lage, mich kurz fassen zu können, da ich das Glück habe, einen so wackern jungen Kollegen zur Seite zu haben, der mir meine Arbeit wesentlich erleichtert hat. Ich will mich fern von jeder Leidenschaft halten und mich auf den streng sachlichen Standpunkt stellen, zumal ich mit Freuden konstatieren kann, daß die Verhandlung mit strengster Unparteilichkeit geleitet worden ist. Die Herren Richter haben sich durch die achttägige Verhandlung zweifellos ein klares Bild geschaffen, ich habe daher nicht mehr nötig, auf die Genesis des Prozesses einzugehen. Ich habe mit meinem Kollegen die Überzeugung, daß Sie nur zu einem freisprechenden Urteil kommen können. Sie können das, wenn Sie die Broschüre als Ganzes betrachten, wenn Sie das Gesamtbild auf sich wirken lassen und sich von aller Silbenstecherei fernhalten. Der Prozeß verdient, daß der Richter bei der Beurteilung nicht von kleinlichen Dingen ausgeht, sondern sich von großen allgemeinen Gesichtspunkten leiten läßt. Mein Kollege sprach von der vox populi. Ich liebe es sonst nicht, den fünf Richtern noch einen sechsten in Gestalt der öffentlichen Meinung beizugesellen, allein bei diesem Prozeß ist des Volkes Stimme tatsächlich Gottes Stimme. Durch das, was sich hier im Gerichtssaale abgespielt hat, ist das Rechtsbewußtsein des deutschen Volkes in geradezu empörendster Weise verletzt, und das Volk würde es einfach nicht verstehen, wenn eine Verurteilung, und wäre es auch nur die niedrigste Geldstrafe, eintreten würde. Daß die drei Männer hier überhaupt auf der Anklagebank sitzen, liegt an unseren eigentümlichen Rechtsverhältnissen, ganz besonders an dem Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft. Es handelt sich hier erst in zweiter Reihe um die Angeklagten, in erster Reihe handelt es sich um einen Kampf der Neuzeit gegen das finstere Mittelalter, um den Kampf der Humanität gegen die mittelalterliche Folter, um den Kampf der Kultur und des Fortschrittes gegen mittelalterliche Traditionen. Diesen Kampf entfacht zu haben, ist das große Verdienst des Angeklagten Mellage. Dies erklärt auch die große Wut der Gegner, die in der Wahl der Mittel, der sie sich zur Bekämpfung und Verunglimpfung des Herrn Mellage bedienten, nicht wählerisch waren und sogar so weit gingen, es zu hintertreiben, daß ich für Mellage die Verteidigung führe. Es wird mir von den Gegnern das Zeugnis nicht versagt werden, daß ich niemals gegen die katholische Kirche aufgetreten bin. Aus diesem Grunde habe ich auch auf die Ladung eines Herrn hier verzichtet, dem es sehr unangenehm gewesen wäre, wenn er hier hätte bekunden müssen, weshalb dem hier als Zeuge erschienenen Pfarrer Godizart die „Cura animarum“ nur auf vier Wochen ausgestellt wurde, als man erfuhr, daß er hier gegen die Alexianer als Zeuge auftreten werde. Man hat noch verschiedene andere Zeugen zu beeinflussen gesucht, Zeugen, die hier vernommen werden sollten, weggeschickt. Ja, man hat sich sogar nicht gescheut, im Namen von Jesus, Maria und Joseph tatsächliche Unwahrheiten nach Deutschland zu berichten. Dieser eine Brief des Bischofs von Aberdeen an den Generaloberen Bank, in dem es heißt: „Im Namen Jesus, Maria, Joseph. Ich habe mir vergeblich die erdenklichste Mühe gegeben, ein Irrenattest für Forbes zu beschaffen,“ und indem er gleichzeitig mitteilt: „Die Mutter des Forbes ist irrsinnig, die Schwester dem Irrsinn nahe,“ liefert er den unwiderleglichen Beweis, daß Forbes auf Befehl seines Bischofs als Irrsinniger zeitlebens interniert werden sollte, weil er dem Bischof unbequem war. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß die Behauptungen des Bischofs Lügen waren. Es ist festgestellt worden: Die Eltern des Forbes sind beide geistig und körperlich gesunde Leute gewesen, die ein hohes Alter erreicht haben, und die Schwester ist über den Verbleib ihres Bruders allerdings etwas erregt gewesen. Und übel nehmen kann man das der Schwester doch jedenfalls nicht, denn es ist nicht das erstemal, daß Geistliche auf Befehl ihres Bischofs verschwinden. – Wenn ich mich nun zur Sache selbst wende, so kann es sich bei Beurteilung des Falles nur um die Frage handeln: Sind die Strafantragsteller beleidigt? Mein Kollege hat bereits darauf hingewiesen, daß Bruder Heinrich nebst den verschiedenen anderen Brüdern von einem Strafantrag Abstand genommen haben. Den Strafantrag haben gestellt Bruder Provinzial Welter, Rektor Overbeck und Sanitätsrat Capellmann. Nun hat Bruder Welter, als er gefragt wurde, wodurch er sich beleidigt fühle, erklärt: Lediglich durch die Bemerkung in der Broschüre, daß dem Forbes Gelder vorenthalten worden seien. Der Beweis der Wahrheit für diese Behauptung ist vollständig erbracht worden. Wegen der anderen Dinge kann sich Bruder Welter auch kaum beleidigt fühlen, da er im Mutterhause der Alexianer und nicht in Mariaberg stationiert ist. Von Herrn Sanitätsrat Capellmann heißt es in der Broschüre: „Es kann ihm der Vorwurf nicht erspart werden, daß er die Gefangenschaft des Forbes in fahrlässiger Weise mitverschuldet hat.“ Hätte ich gewußt, was in der Hauptverhandlung zutage kommen wird, dann hätte ich Herrn Mellage geraten, diesen Satz etwas kräftiger zu schreiben. Mag es Herr Capellmann mit seinem Eide abmachen, daß es ihm während 31/4 Jahren nicht möglich war, sich auch nur ein einziges Mal um das Schicksal des Forbes zu bekümmern. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit ist der geringste, den man ihm machen kann. Ich nehme nicht Anstand, zu behaupten: es ist eine arge Pflichtvergessenheit eines Arztes, der 3200 Mark Tantieme von einer Anstalt bezieht, sich um die Patienten nicht zu kümmern. Das Attest des Geheimrats Kribben bezog sich bloß, wie dieser uns anfänglich sagte, auf einen Tag. Ich glaube es Herrn Dr. Capellmann einfach nicht, daß es ihm nicht möglich war, sich um das Schicksal des Forbes zu bekümmern. Er durfte als pflichttreuer Arzt die Patienten nicht Schustern, Schneidern und Kesselflickern überlassen. Er mußte sich sagen: es ist unmöglich, daß in einer Anstalt, die 660 Kranke birgt, zwei Ärzte im Nebenamt auf 11/2 Stunden täglich angestellt sind. Er mußte, nachdem die Anstalt von 30 auf 660 Patienten angewachsen war, darauf dringen, daß noch ein Assistenzarzt angestellt wurde. Anstattdessen schreibt er noch im vorigen Jahre an die Provinzialverwaltung: „Ich glaube nicht, daß sich der Vorstand des Alexianerklosters Mariaberg bei der Eigenartigkeit seiner Einrichtungen dazu verstehen wird, noch einen Assistenzarzt anzustellen.“ Dieser Prozeß hat ja bereits das günstige Ergebnis gehabt, daß Sanitätsrat Capellmann eingesehen hat, daß es so doch nicht weiter geht, und deshalb gestern seine Stellung als Anstaltsarzt in Mariaberg niedergelegt hat. – Dem Rektor Overbeck wird in der Broschüre zum Vorwurf gemacht, daß er im Verein mit den anderen Brüdern den Forbes widerrechtlich gefangen gehalten und in systematischer Weise seinen Tod herbeiführen wollte. Für diese Behauptung ist der Wahrheitsbeweis vollständig erbracht. Geh. Rat Finkelnburg hat erklärt: Es ist ein Wunder, daß Forbes durch die jahrelange Internierung nicht irrsinnig geworden ist. Eine längere Internierung hätte zweifellos zum Irrsinn geführt. Es kann für den, der der Verhandlung gefolgt ist, keinem Zweifel unterliegen, daß die Brüder sowohl in dem Falle Forbes als auch in dem Falle Rheindorf die Helfershelfer des Bischofs waren. Sie haben in bewußter Absicht den Forbes gefangen gehalten, denn wenn sie auch ungebildete Leute waren, so mußten sie sich doch als vernünftige Menschen sagen, wir sind genötigt, einen Arzt zu Rate zu ziehen, wir dürfen den Forbes ohne ärztliche Erlaubnis nicht länger gefangen halten. Anstattdessen sagt sowohl Rektor Overbeck als auch der Subrektor Heinrich dem Mellage: Forbes ist vollständig irrsinnig, der tobt und schlägt um sich und kann von niemandem gesprochen werden. Daß die Einsperrung des Rheindorf eine unberechtigte war, kann absolut nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Daß die Brüder trotz ihrer Unbildung wußten, daß Forbes nicht verückt ist, geht doch aufs deutlichste aus dem Umstande hervor, daß ihm das Lesen der heiligen Messe gestattet wurde. Soviel mir bekannt, ist in der katholischen Kirche kein Priester befugt, die Messe zu lesen, wenn er auch nur einen geistigen Defekt hat. Ich kann mir nicht denken, daß katholische Ordensbrüder einen Mann mit dem Lesen der heiligen Messe betrauen werden, wenn sie ihn in Wirklichkeit für verrückt halten. Die Brüder handelten also in dolo malo, wenn sie den Forbes trotzdem als Irrsinnigen gefangen hielten. Nun werden die Brüder in der Broschüre der Gottlosigkeit und Scheinheiligkeit bezichtigt. Ja, was ist es denn anderes als Gottlosigkeit, wenn man arme hilflose Kranke in der empörendsten Weise mißhandelt? Und ist es nicht die ärgste Scheinheiligkeit, wenn man, mit einem Priestergewand umkleidet, außerhalb des Klosters den frommen Mann spielt und innerhalb des Klosters die größten Schandtaten begeht? Und hierbei kann ich nicht umhin, Herrn Capellmann wiederum den Vorwurf ärgster Pflichtvergessenheit zu machen. 30 Jahre ist er Anstaltsarzt gewesen und will von all den rohen Strafmitteln, wie sie hier zutage getreten sind, keine Ahnung gehabt haben. Im März 1894 hat allerdings Dr. Chantraine davon erfahren, aber dieser hat es nicht für nötig gehalten, von diesen Ungeheuerlichkeiten seinem Kollegen Mitteilung zu machen. Auf eine Frage, weshalb dies Herr Dr. Chantraine unterlassen haben mag, antwortete Capellmann: dieser müsse es vergessen haben. Und was tat Herr Capellmann, als er von der Existenz der Dusche usw. erfuhr? Er legalisierte diese Einrichtungen und bezeichnete sie für gewisse Fälle als praktisch. Wenn man Herrn Mellage einen Vorwurf machen könnte, dann wäre es höchstens in dem Falle Enderlein. Aber abgesehen davon, daß Herr Polizeisekretär Enderlein den Strafantrag zurückziehen würde, wenn es sich tun ließe – der Regierungspräsident hat bekanntlich den Strafantrag für ihn gestellt –, so hat Herr Enderlein erklärt, daß er sich nicht beleidigt fühle, da ihm in der Broschüre der Vorwurf der passiven Bestechung gar nicht gemacht worden sei. Daß Herrn Mellage der Schutz des § 193 des Strafgesetzbuches zur Seite steht, kann einem Zweifel nicht unterliegen. Er hatte einmal ein persönliches und zweitens das Interesse des Herrn Forbes wahrzunehmen. Wer anders als Herr Mellage war berufen, Herrn Forbes zu schützen? Mellage hatte außerdem aber auch ein Allgemeininteresse zu wahren. Wenn auch durch eine Reichsgerichtsentscheidung der Presse das Recht der Kritik sehr beschränkt worden ist, so ist ihr doch gestattet, öffentliche Mißstände zu kritisieren. Dafür ist eigens der § 193 geschaffen worden. Der § 193 des Strafgesetzbuches soll es ermöglichen, öffentliche Mißstände ungestraft rügen zu dürfen. Eine Überschreitung dieser Grenze ist nur vorhanden, wenn aus der Form oder den Umständen die Absicht der persönlichen Ehrenkränkung hervorgeht. Dies ist jedoch weder aus den inkriminierten Artikeln, noch aus der Broschüre zu entnehmen. Die Menschheit muß es Herrn Mellage danken, daß er Scheußlichkeiten aufgedeckt hat, wie man sie in unserem Vaterlande für unmöglich halten sollte. Ohne die Energie und das furchtlose Vorgehen des Herrn Mellage würden die hilflosen Kranken in Mariaberg wohl noch sehr lange in der hier vorgeführten Weise mißhandelt worden sein. Die Welt würde es daher nicht verstehen, wenn deshalb Herr Mellage und die beiden Herren, die ihn in seinem hochedlen Werke unterstützt haben, bestraft werden würden. Auch nur die geringste Geldstrafe würde die Gegenpartei als einen Sieg für sich bezeichnen. Ich hoffe, der hohe Gerichtshof wird den rocher de bronze bilden, an dem die Gegenpartei zerschellen wird. Wenn der hohe Gerichtshof aus Silbenstecherei zu einer Verurteilung käme, dann würde sich die Göttin Themis wie eine Puppe auf ihrem Postament ausnehmen. Sie haben auf Ihrer Eingangstür die Worte stehen: „Die Wahrheit zu finden, ist des Richters Handwerk“. Dieser Aufgabe haben Sie genügt, wenn Sie sich nicht in Einzelheiten verlieren, sondem die Broschüre in ihrer Gesamtheit auf sich wirken lassen. Meine Herren Richter: Sie sitzen hier im Namen des Königs, um Recht zu sprechen. Geben Sie ein königliches Urteil ab, und dies kann nicht anders lauten, als: die Angeklagten sind freigesprochen.

Nach etwa zweistündiger Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsrat Dahmen: Auf Grund der Beweisaufnahme ist bezüglich des ersten Artikels im „Iserlohner Kreisblatt“ der Beweis der Wahrheit als geführt erachtet worden. Bezüglich der drei anderen Artikel im „Iserlohner Kreisblatt“ ist ebenfalls angenommen worden, daß der Beweis der Wahrheit erbracht ist, resp. kommt den Angeklagten Scharre und Mellage der Schutz des § 193 des Strafgesetzbuchs zustatten. Das gleiche gilt hinsichtlich der Broschüre für die Angeklagten Mellage und Warnatzsch. Demgemäß hat der Gerichtshof im Namen des Königs für Recht erkannt: Die Angeklagten sind freizusprechen. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last mit Ausnahme der den Nebenklägern erwachsenen Kosten. Ferner wird auf Aufhebung der Beschlagnahme der Broschüre erkannt.