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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1856
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[57]

No. 5. 1856.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Vorurtheile
(Schluß.)

Bestürzt trat der Mulatte in das Zimmer; er schloß die Thür des Schlafgemachs hinter sich und sah Heiligenstein mit fragenden Blicken an. Aus der kurzen Unterredung hatte der Edelmann die Gewißheit geschöpft, daß der Kammerdiener um das Geheimniß des Barons wisse.

„Mein armer Herr scheint mir sehr krank zu sein; ich halte es für nöthig, daß man nach dem Arzte schicke,“ sagte Bob.

„Der Arzt würde hier überflüssig sein; aber ich kenne Jemanden, der sichere Hülfe zu bringen im Stande ist.“

„O, wer ist dieser Mann? Nennen Sie ihn, und ich eile, ihn zu holen.“

„Du bist es, Bob! Wenn Du es redlich mit Deinem Herrn meinst, so verbindest Du Dich mit mir, mit seinem besten, aufrichtigsten Freunde, zu seiner Rettung.“

„Was kann ich thun, mein Herr?“ fragte Bob eifrig.

„Die Vergangenheit Deines Herrn birgt ein Geheimniß, das ich kennen muß, um ihn zu vertheidigen. Was es auch sei, theile es mir mit, und Du wirst an mir einen treuen Verbündeten haben. Der Zustand Deines Herrn ist von der Art, daß wir ohne seine Beihülfe handeln müssen.“

Der Mulatte schüttelte schmerzlich sein Haupt.

„Lieber Herr,“ antwortete er, „wohl ist mir klar, daß die Eröffnung dieses Geheimnisses meinen Herrn sofort freisprechen würde; aber wenn er selbst es Ihnen nicht mittheilt, – ich kann es nicht, denn ich habe einen heiligen Eid abgelegt. Nur soviel kann ich versichern, daß der Herr Baron der edelste Mensch ist, daß er nie Böses, sondern stets nur Gutes gethan hat. Er ist nächst Gott mein größter Wohlthäter, und darum darf ich ihm meinen Eid nicht brechen.“

„Aber wenn Du durch Dein Schweigen sein Unglück herbeiführst?“

„Herr, ich gebe gern mein Leben hin, aber fordern Sie nicht, daß ich meinem guten Herrn ungehorsam bin.“

Traurig verließ Bob das Zimmer. Heiligenstein hatte nicht den Muth, den treuen Diener zurückzuhalten und weiter in ihn zu dringen. Das Herz des Freundes blutete bei dem Gedanken an die nächste Zukunft. Nach Allem, was er seit seiner Ankunft erfahren, war es unzweifelhaft, daß des jungen Barons Glücksstern erbleichen würde. In qualvoller Unruhe hatte Heiligenstein eine halbe Stunde verbracht, als Bob wieder eintrat.

„Herr,“ meldete er, „so eben sind drei Männer angekommen, die den Herrn Baron zu sprechen verlangen; ihr Wagen hält am Thore.“

Der Edelmann bebte zusammen; ihm ahnte, daß es die Commission des Criminalgerichts sei. An ein Abweisen war nicht zu denken, aber man mußte Sorge tragen, daß sie ohne Aufsehen in das Schloß gelangte. Die Uhr auf dem Hauptgebäude zeigte in diesem Augenblicke die vierte Morgenstunde an.

„Bob, führe die Herren so leise in dieses Zimmer, daß Niemand im Hause dadurch gestört werde. Zugleich sage ihnen, daß der Herr Baron krank liege.“

„Könnte man sie aus diesem Grunde nicht abweisen?“ meinte der Mulatte, der am ganzen Körper zitterte.

„Das Gesetz, mein Freund, läßt sich nicht abweisen. Bob,“ sagte Heiligenstein, indem er die Hand des Mulatten ergriff, „ein furchtbarer Augenblick naht – willst Du Dich nicht mit mir verbinden, ihn abzuwehren?“

„Herr, nehmen Sie meinen Kopf, aber lassen Sie mich ein treuer Diener bleiben!“

„Ein treuer Diener rettet seinen Herrn von Schmach und Schande! Weigerst Du Dich zu sprechen, so kann ich nur ein ohnmächtiger Zeuge sein.“

Der braune Mann sank Heiligenstein zu Füßen und bedeckte seine Hand mit Thränen und Küssen. Noch ehe er zu Worte kommen konnte, öffnete der Baron die Thür des Schlafgemachs. Er war halb angekleidet; das Licht der Kerze, die er in der Hand trug, beleuchtete seine bleichen, verstörten Züge. Heiligenstein trat ihm entgegen und theilte ihm die Ankunft der Fremden mit.

„Sie mögen eintreten!“ befahl Ludwig dem Diener.

Bob zögerte.

„Verweigerst Du mir schon den Gehorsam?“ fragte der Kranke mit einem schmerzlichen Lächeln.

Der Mulatte entfernte sich. Der Baron warf einen Pelz über und setzte sich in einen Sessel. Eine furchtbare Ruhe lag in seinen Zügen, sein großes Auge blitzte in fieberhafter Glut. Es schien, als ob ein ungeheurer Entschluß in ihm zur Reife gediehen sei.

„Nicht wahr,“ fragte er nah einer Pause, „Henriette und mein Kind schlafen?“

„Es ist vier Uhr, man kann es wohl annehmen.“

„Heiligenstein, Sie betrachten mich mit zweifelnden Blicken – Ihr Vertrauen beginnt zu wanken, nicht wahr?“

„Sie fordern Vertrauen, Ludwig, während Sie selbst es verweigern!“

„Gönnen Sie mir Frist!“ stammelte der Baron, indem er beide Hände flehend ausstreckte. „Der Schlag kommt so unerwartet, [58] daß ich seine Folgen nicht zu übersehen vermag – er hat mich bis in das tiefste Mark erschüttert. Glauben Sie nur an meine Unschuld, Sie werden sich nicht täuschen! O, meine Gattin, die ich anbete wie einen Gott, ich hätte es wahrlich nicht gewagt, dir meine Hand zu reichen, wenn sie ein Vergehen beschmutzte!“

Ein Thränenstrom rann über die Wangen des armen Mannes.

„Was gedenken Sie nun zu thun?“ fragte Heiligenstein erschüttert.

„Im Vertrauen auf die Gerechtigkeit der Behörde trete ich der Anklage entgegen.“

„Aber die Papiere?“

„Ich darf sie nicht kennen – ich will sie nicht kennen – die Pflicht gebietet es mir!“ flüsterte der Baron mit gepreßter Stimme, als ob ihm dieser Ausspruch eine furchtbare Ueberwindung kostete. Dann sank er wie vernichtet zusammen; ein heftiger Fieberfrost durchrüttelte seinen Körper.“

„Seltsam! Seltsam!“ murmelte Heiligenstein, indem er seinen Freund erschüttert betrachtete.

Da ließ sich ein Geräusch von Schritten in dem Vorzimmer vernehmen. Die Thür ward geöffnet und drei Männer erschienen, die sich als eine Deputation des Criminalgerichts zu erkennen gaben. Der Führer derselben forderte den Baron auf, alle seine Papiere zur Durchsicht vorzulegen. Ludwig deutete schweigend mit der Hand auf die Möbel. Fast eine Stunde lang durchsuchten die Beamteten jedes Fach und jeden Schubkasten, sie prüften jedes Papier – es fand sich keins, das ihren Verdacht erregte.

„Herr Baron,“ sagte der Commissar, „eine Prozeßangelegenheit erfordert, daß sie stets bereit sind, der Ladung des Gerichts Folge zu leisten. Sie werden mir nicht nur eidlich versprechen, bis nach beendetem Prozesse Ihr Gut nicht zu verlassen, sondern auch eine Kaution von zehntausend Thalern stellen. Wollen und können Sie dies, so ist für jetzt meine Sendung erfüllt.“

Ludwig gab das Versprechen und lieferte Papiere zu dem geforderten Werthe aus. Sein Benehmen dabei war mehr kalt als ruhig, so daß man hätte glauben mögen, die Krankheit habe ihn gegen Alles völlig abgestumpft. Als die Gerichtspersonen sich entfernt hatten, suchte er sein Bett wieder auf. Heiligenstein bedeutete ihm, daß es nöthig sei, den Obersten und Henrietten von der Bosheit der Erichsheims in Kenntniß zu setzen, damit das Gerücht davon sie nicht überraschte; er nickte traurig mit dem Kopfe und flüsterte:

„Es muß sein, übernehmen Sie es, mein Freund; aber sagen Sie kein Wort von den Papieren, der geringste Zweifel, den Henriette hegt, wird mir den Tod geben.“

Der Morgen brach an. Es lag in der Absicht der Behörde, die Sache so lange als möglich geheim zu halten und den jungen geachteten Baron zu schonen. Wie man sieht, war diese Absicht erreicht. Der Fürst selbst hatte angeordnet, daß die Untersuchung mit der größten Vorsicht geführt werden solle.

Um acht Uhr erschien die bestürzte Henriette an dem Krankenbette ihres Mannes, Ludwig tröstete sie und versicherte, er fühle sich besser, die Hülfe des Arztes sei unnütz. Die arme Frau warf sich über das Bett und begann bitterlich zu weinen.

„Du bist sehr blaß!“ schluchzte sie.

„Ich habe eine heftige Migräne gehabt.“

„Der gute Gott wird ja geben, daß Du nicht ernstlich erkrankst.“

„Er wird es, Geliebte, denn er erhört das Gebet eines Engels, und Du wirst beten, daß unser kaum erblühtes Glück nicht gestört werde.“

Während dieser Zeit war Heiligenstein zu dem Obersten gegangen. Vorsichtig bereitete er den Greis auf die Nachricht vor, dann theilte er ihm Alles mit, nur den Umstand verschwieg er ihm, daß Ludwig wirklich in dem Besitze der Papiere gewesen sei. Der alte Mann war tief erschüttert. Daß die Feindschaft einer Frau so weit gehen könne, hatte er nicht für möglich gehalten.

„Die Sache muß im Keime erstickt werden!“ murmelte er. „O, es ist ersichtlich, sie will meiner Ehre einen empfindlichen Streich versetzen, und der unbesonnene Jugendstreich meines Schwiegersohnes bietet ihr eine günstige Gelegenheit. Aber auch an Henrietten, die ihren Sohn verschmäht, rächt sie sich. O mein armes, armes Kind! Weiß sie um die erhobene Beschuldigung?“

„Ich habe sie nur von der Krankheit Ludwig’s in Kenntniß gesetzt.“

„So darf sie noch Nichts erfahren. Und was hat Ludwig beschlossen?“

„Im Vertrauen auf seine Unschuld will er ruhig den Prozeß abwarten.“

„Unmöglich!“ rief bebend vor Aufregung der Greis. „Man hat ihn unter obrigkeitliche Aufsicht gestellt – dieser Zustand ist ein schimpflicher, er muß sobald als möglich wieder aufgehoben werden.“

„Wie läßt sich das bewirken?“ fragte Heiligenstein.

Der Oberst hatte einige Augenblicke nachgesonnen.

„Die Ruhe und das Glück meines Kindes stehen auf dem Spiele,“ murmelte er – „ich werde zunächst einen Schritt bei der Freifrau unternehmen. Bleiben Sie hier, mein Freund, und wachen Sie über meine Kinder. Diesen Abend sehen wir uns wieder.“

Eine Viertelstunde später bestieg der Oberst den Wagen, der ihn nach Erichsheim brachte. Heiligenstein ging zu dem Baron, den Henriette soeben verlassen hatte. Ludwig saß aufrecht in seinem Bette, schmerzlich lächelnd streckte er dem Freunde die Hand entgegen.

„Meine Gattin ist der Arzt, der mich bald heilen wird,“ sagte er. „Und Sie, Freund, bewahren Sie mein kleines Gehemnniß, die juristische Klugheit erfordert es. Ich biete den feindlichen Angriffen eine gepanzerte Brust, glauben Sie mir, es werden alle Pfeile daran zerschellen.“

Heiligenstein betrachtete den Kranken mit einer tiefen Rührung. Da trat Henriette ein; die junge Mutter, reizend wie eine Fee, trug den Säugling auf ihren Armen.

„Ludwig“ rief sie, „küsse unsern Sohn, und Du wirst genesen!“

„Mein Kind, mein Kind!“ rief der Baron in einem dnrchdringenden Tone.

Dann drückte er einen Kuß auf die kleine Stirn desselben. Nachdem er das zarte Wesen einige Augenblicke gerührt betrachtet, gab er es der Mutter zurück.

„Dank, Henriette, Dank, Du hast mich wunderbar gestärkt!“ rief er aus.

Heiligenstein betrachtete aus einiger Entfernung die rührende Gruppe.

„Es ist unmöglich,“ dachte er, „daß die Vorsehung ein solches Glück erschafft, um den Kontrast des Unglücks desto fürchterlicher zu machen. Täusche ich mich hier, so ist mir mein tröstlichster Glaube erschüttert!“


VIII.

Der Oberst hatte das Schloß der Erichsheim’s um Mittag erreicht. Als man der Freifrau den Gast meldete, erschien ein stolzes, triumphirendes Lächeln in ihren Zügen. Ohne Zögern gab sie dem Diener Befehl, den Besuch in den Empfangsaal zu führen. Dann ließ sie durch die Kammerfrau ihre Toilette noch einmal ordnen und legte einige Sehmucksachen an, deren Diamanten bei den dunkeln Farben ihres Kostüms eklatant hervorstachen. Das bleiche Gesicht dieser Dame, obgleich von einigen Furchen durchzogen, trug noch deutliche Spuren einer pikanten Schönheit. Das schwarze Haar bildete noch einen glänzenden Scheitel, und zwischen den Lippen zeigten sich noch weiße Zahnreihen, die durch keine Lücke unterbrochen wurden.

Zehn Minuten hatte der Oberst unruhig im Saale gewartet, als ein Diener die Flügelthür öffnete und die hohe Gestalt der Freifrau von Erichsheim eintrat. Auf den Gruß des Obersten dankte sie durch eine kalte, höchst ceremonielle Verneigung. Dann gab sie dem Diener ein Zeichen, dieser zog sich ehrerbietig zurück und schloß die Thür.

„Ich habe mich beeilt, den verehrten Gast, den ich so wenig erwartete, zu empfangen,“ sagte sie mit leicht erregter Stimme, indem sie mit dem Fächer nachlässig auf einen Sessel deutete.

„Das durfte ich voraussehen“ antwortete ruhig und fest der Greis, „wenn wir uns auch in P. ohne Abschied trennten.“

„Wenn der Vater Henriette’s diese Voraussetzung hegt, so kann ich die Bemerkung nicht unterdrücken, mein Herr, daß Sie der Mutter des jungen Freiherrn von Erichsheim entweder eine große Schwäche oder einen Ueberschwang von Großmuth beimessen, der sie in den Augen der Welt lächerlich erscheinen lassen muß. Den Vater meiner Schwiegertochter heiße ich willkommen.“

[59] Sie lud noch einmal den Gast zum Sitzen ein. Der Oberst ließ sich auf dem Sessel nieder, die Freifrau nahm ihm gegenüber Platz.

„Gnädige Frau,“ begann ruhig der Greis, „ich bin Soldat und pflege mein Ziel auf dem geradesten Wege zu verfolgen – demnach theile ich Ihnen ohne Umschweife mit, daß ich als Vater Henriette’s zu Ihnen gekommen bin. Wir stehen Beide in dem Alter, in dem die Leidenschaften keine Gewalt mehr haben und jede Uebereilung uns doppelt angerechnet wird – ja, gnädige Frau, Sie bereiten einen Eclat vor, der uns Beiden bei unsern Standesgenossen schaden wird.“

„Was meinen Sie?“ fragte verwundert die Freifrau.

„Ich meine die Anklage gegen Henriette’s Gatten, die Sie wahrlich nicht bedacht haben.“

„Ah, das ist es!“ rief sie. „Herr Oberst, ich überdenke stets meine Handlungen, und bevor ich etwas unternehme, kenne ich nicht nur das Ziel, ich weiß auch, daß ich es erreiche.“

Der Oberst sah bestürzt die Freifrau an, aus deren dunkeln Augen stechende Blicke schossen.

„Madame,“ sagte er fast staimmelnd, „Sie sind eine Frau, Sie sind selbst Mutter, Sie lieben Ihre Kinder –“

„Und daran erinnern Sie mich, Herr Oberst, Sie?“

„Noch mehr: ich erinnere Sie auch daran, daß Sie in dem vorliegenden Falle nicht zum Ziele gelangen werden.“

„Dann begreife ich nicht, warum Sie gekommen sind!“ sagte höhnend die aufgeregte Dame.

„Ich bin gekommen, um der Schwiegermutter meiner ältesten Tochter die Reue zu ersparen, die Reue über einen Schritt, den sie – ich wiederhole es – nicht überlegt hat. Zu diesem Zwecke wende ich mich nicht nur an Ihr Herz, sondern auch an Ihren Verstand. Noch ist es Zeit, die Uebereilung wieder auszugleichen; warum soll die Welt erfahren, daß eine Dame aus dem Adelstande eine Rache übt –“

„Genug, mein Herr!“ rief auffahrend die Freifrau.

„O, Sie müssen mich hören, Madame! Ich kann Sie nicht verlassen, ohne eine Verständigung herbeigeführt zu haben, die uns Beiden zum Heile gereichen wird. Sie wollen den jungen Baron von Nienstedt und mit ihm Henrietten verderben, weil die gegenseitige Neigung der beiden jungen Leute einen Ihrer Pläne vereitelte – Sie holen ungewisse Anhaltepunkte aus einer Vergangenheit, die fast in das Knabenalter dessen fällt, den Sie hassen – Madame, Sie nehmen zur Denunciation Ihre Zuflucht, um eine vermeintliche Beleidigung zu bestrafen! Wahrlich, wer vor diesem Gedanken nicht zurückbebt,“ fügte der Greis wie empört hinzu, „ist ein Sclave seiner Leidenschaften oder sein Herz hat nie edlere Gefühle gehegt.“

Frau von Erichsheim zuckte zusammen, als ob ein Dolchstich ihr Herz durchbohrte; aber anscheinend verlor sie ihre Fassung nicht, sie spielte vielmehr die unschuldig Gekränkte.

„Mein Herr,“ flüsterte sie, „ich begreife, daß die Verständigung von mir ausgehen muß. Sie wähnen, die jüngste Vergangenheit liefere die Motive zu meinen Handlungen – gehen Sie weiter zurück, fünfundzwanzig, dreißig Jahre – versetzen Sie sich in die Zeit, wo Emilie von Windheim noch jung und, wie man sagte, noch schön war; erinnern Sie sich, daß man sie wie eine Königin feierte, daß sie glänzende Vasallen an dem Fuße ihres Thrones sah, aber daß sie nur einem gewogen war, daß sie nur einem gestattete, ihr seine Huldigungen darzubringen. Die arme Emilie liebte ihren Vasallen, wie er sich oft selbst nannte und sie glaubte sich wieder geliebt, denn sie empfing schriftlich und mündlich die Versicherungen. Da ward der junge Offizier zu einem fernen Regimente versetzt, und Emilie empfand bei der Trennung, daß ihre Neigung eine Leidenschaft geworden war, die sich ihres ganzen Wesens bemächtigt hatte. Hoffend auf die Treue des Geliebten, sonderte sie sich von der Welt ab, sie lebte für ihn, dachte an ihn und ertrug ruhig den Zorn des Vaters, der ein vortheilhaftes Heirathsproject für seine einzige Tochter hegte. Niemand kannte den wahren Zustand ihres Herzens, und deshalb hielt man sie allgemein für überspannt, für ein Mädchen, das über ihren Stand hinaus wollte. Was kümmerte sich Emilie darum? Ein Brief von dem Geliebten entschädigte sie für Alles und erhielt ihren Muth aufrecht. Er schrieb von Hindernissen, die sich einer Verbindung entgegenstellten; sie begriff die Unmöglichkeit einer raschen Erfüllung ihrer Wünsche, und deshalb beschloß sie, in Ergebung zu warten. Da starb ihr Vater plötzlich vom Schlage getroffen, und hinterließ seiner Tochter Nichts als ein kleines, überschuldetes Gut. Emilie wies die besten Anträge um ihre Hand zurück, sie kämpfte mit Entbehrungen und mit der stets wachsenden Sehnsucht nach dem Geliebten, sie verlebte furchtbare Tage, aber sie blieb ihrer ersten Neigung treu, Die Anmuth und der Stolz der schönen Emilie machten sie bald zum Gegenstande des Spottes und endlich auch der Lächerlichkeit, es verbreiteten sich selbst Gerüchte, die ihrer Ehre nachtheilig waren. Herr Oberst, der junge Offizier, um den sie so viel litt, avancirte, er avancirte rasch, damit er die Tochter seines Generals heirathen konnte. Die Kunde davon schmetterte Emilien zu Boden; der Zufall wollte, daß ihre getäuschten Hoffnungen bekannt wurden, und anstatt daß man sie bemitleidete, verlachte man die stolze Schönheit. Noch mehr: nach zwei Jahren kam der treulose Geliebte als Oberst nach M., wo das verlassene Mädchen trauerte. Sie sah ihn an der Spitze seines Regiments – dieser Anblick brachte sie fast dem Wahnsinne nahe; aber ihr starker Geist widerstand, sie ward ruhiger, und endlich gleichgültig gegen den treulosen Mann, den man allgemein achtete, selbst feierte. Ein Husarenoberst von dreißig Jahren ist eine interessante, pikante Erscheinung! Die Lage Emilien’s war eine traurige, denn die Armuth zwang sie, aus der Sphäre zurückzutreten, der sie eigentlich angehörte. Kein Freier ließ sich mehr sehen, man hatte das blutarme Fräulein vergessen. Und wer trug die Schuld davon? Der Mann, auf dessen Treue sie gebauet hatte, der Mann, den sie so zärtlich liebte. Da nahete sich abermals ein Bewerber, ein Mann, der weiter keinen Vorzug besaß, als ein großes Vermögen. Das getäuschte Herz des armen Fräuleins war der Liebe für immer verschlossen, es konnte ein Glück in dieser Beziehung nicht mehr erwarten; aber um wenigstens nicht dem Elende anheim zu fallen, wenn sie nicht als Gouvernante dienen wollte, reichte sie dem Manne, den sie nicht lieben konnte, die Hand, und Emilie von Windheim ward die Freifrau von Erichsheim. Das Herz fand keine Befriedigung in dieser Ehe, wohl aber der Stolz – man suchte die Vergessene wieder auf, und die Gattin des Freiherrn von Erichsheim gehörte zu den ersten Damen. Bald jedoch sah sie ein, daß der Reichthum allein nicht glücklich macht; der Pein, einem Manne anzugehören, den sie kaum achten konnte, nachdem sie ihn näher kennen gelernt, gesellte sich eine Art Lebensüberdruß bei, und es ist wohl natürlich, daß in der Brust einer Frau, die Anwartschaft auf das höchste Lebensglück gehabt, der Haß gegen den Urheber ihrer traurigen Lage erwachte. Und dabei war ich gezwungen, vor der Welt glücklich zu erscheinen, wenn ich nicht lächerlich werden wollte. Diesem Scheine glaubte auch der Oberst, wenn wir uns in Gesellschaften trafen, die ich nicht umgehen konnte. Zwischen ihm und meinem Manne entspann sich ein freundschaftliches Verhältniß. Der Oberst ward der Pathe meines ältesten Sohnes, und ich hob ein Jahr später seine erste Tochter aus der Taufe, welche die Namen Emilie Cäsarine erhielt. Ich wies diese Annäherungen nicht zurück, da ich den Grund derselben kannte: mein Mann war reich, und der General hatte seinem Schwiegersohne nicht einen Thaler hinterlassen. Mit Freude machte ich die Bemerkung, wie der stolze Oberst, der ein großes Haus führen mußte, immer tiefer in die Schuld meines Mannes gerieth, der es in seiner Habsucht nicht verschmähete, Geld zu hohen Zinsen auszuleihen. Die Zeit verfloß, und ich muß meine Schwäche bekennen, daß durch die gegenseitige Annäherung meine erste Neigung wieder erwachte, ein Umstand, der die Pein meiner Situation erhöhete. Da starb die Gattin des Obersten, indem sie der Welt eine zweite Tochter schenkte. Der Gedanke, der Mann meiner ersten Liebe ist frei von allen Fesseln, brachte mich unwillkürlich in eine Aufregung, die ich vergebens zu bemeistern mich bestrebte. Jahre lang suchte ich sie zu bekämpfen – umsonst, die Fesseln meiner unglücklichen Ehe wurden stets drückender, und mein Mann wurde mir eine verhaßte Last. Das Gefühl der Liebe war in der gereiften Frau mit neuer Heftigkeit erwacht, und in in meinem verwirrten Geiste fliegen Hoffnungen auf ein Glück empor, das mich vor Wonne schaudern machte. Um diese Zeit trieb der geizige Freiherr seine ausstehenden Kapitalien ein, und auch der Oberst wurde angegriffen, dessen Ehre dabei auf dem Spiele stand. Ich empfand das Bedürfniß ihn zu retten, und brachte die Heirath unserer Kinder zu Stande; die verhängnißvollen Papiere blieben fest verschlossen, und ich ging selbst so weit, einen Ehrenschein [60] von dem Herrn von Nienstedt einzulösen, damit dem Manne meiner Liebe von dieser Seite keine Gefahr drohe.“

„Madame, dessen waren Sie fähig?“ stammelte wie betäubt der Oberst.

„Zweifeln Sie nicht daran, mein Herr; was ich that, wissen Sie!“

„Aber ich kannte die Gründe nicht.“

„Sie kannten meine erste Neigung, Sie kannten meine unglückliche Ehe und empfingen selbst Andeutungen, die Ihnen jeden Zweifel hätten lösen müssen, wenn Sie ihr Unrecht hätten einsehen wollen. Aber kein Wort des Trostes kam über Ihre Lippen, Sie sprachen keine Entschuldigung aus, die mich überglücklich gemacht haben würde – statt dessen legten Sie allen meinen Handlungen schmähliche Gründe unter, Sie machten mich selbst zur Theilhaberin aller nicht zu billigenden Handlungen meines Mannes und traten offen zu der mir feindlichen Partei über, als der Freiherr erkrankte, während seines Krankenlagers beraubt wurde, und unter Verwünschungen gegen mich starb. Ich kenne die Gerüchte, die sich damals verbreiteten, ich weiß auch, daß Sie Ihre Tochter nicht mehr Emilie nannten, sondern Cäsarine, um mich, die Pathe derselben, zu kränken. Die Ehe unserer Kinder ist zu meinem Bedauern eine unglückliche geworden, und auch dies schreiben Sie meinem Einflusse zu. Herr Oberst, anstatt mich zu beklagen, haben Sie mich verfolgt und den letzten Funken von Neigung in mir erlöscht.“

„Großer Gott, gnädige Frau, welch’ eine furchtbare Vergangenheit rollen Sie meinen Blicken auf!“ rief der Oberst.

„Wollen Sie mir nicht sagen, daß Sie jetzt erst zur Einsicht gelangen?“ fragte die Freifrau, indem sie sich auf den Arm ihres Sessels lehnte. „Am Hochzeitstage unserer Kinder, als Sie mir die Hand küßten, sahen Sie meine Thränen, Sie sahen selbst Ihren Ring an meinem Finger glänzen, den ich wie ein theures Kleinod aufbewahrte. Wir sprachen von dem Glücke der Ehe, aber Sie wollten mich nicht verstehen, Sie wichen mir aus, indem Sie mir einige spöttische Phrasen zuwarfen, die eine Galanterie sein sollten. Da wurden mir Ihre Ansichten von den Frauen klar, und um Ihnen nicht völlig zum Gespött zu werden, zog ich mich zurück. Ich wußte nun, daß Sie der Leidenschaft des Spielens Alles opferten; Sie hatten Ihre erste Jugendliebe aufgegeben, weil Emilie arm war – Sie hatten Ihre Tochter gegen ihre Neigung verheirathet, um Ihre Spielschulden zu bezahlen.“

„Gnädige Frau!“ fuhr der Greis auf.

„Ward meine Ansicht nicht vorigen Sommer bestätigt?“ fragte höhnend die bleiche Frau. „Mein zweiter Sohn hatte Henrietten gesehen und liebte sie – ich näherte mich Ihnen, aus Liebe zu meinem Sohne, und Sie kamen mir damals entgegen, weil Sie ein gewisses Papier fürchteten.“

„Verzeihung,“ unterbrach sie der Oberst, „Sie sprachen von einem Ehrenscheine, den Sie von dem Barone von Nienstedt eingelös’t – um mich sicher zu stellen!“ fügte er betonend hinzu.

„Ich will offen sein – ja!“

Die Freifrau biß wie krampfhaft die Lippen zusammen.

„Mein Herr, Sie zeihen mich auch der Lüge?“ flüsterte sie nach einer Pause.

„Madame, jener Schein befindet sich seit einem Jahre in meinen Händen.“

Eine leichte Röthe überflog das Gesicht der Freifrau. Gewaltsam unterdrückte sie ihre Bewegung.

„Aber nichts destoweniger danke ich Emilien für diese Erfindung,“ fuhr der Oberst fort, denn sie beweis’t das Bemühen, sich mir nützlich zu machen.

Die Dame verneigte sich.

„Herr Oberst,“ sagte sie lächelnd, „Sie wissen, daß Emilie triftige Gründe hat, Ihnen zu mißtrauen, und wenn Sie es versuchen, Ihre Untreue in ein weniger ungünstiges Licht zu stellen – –“

Des Greises Zorn keimte auf.

„Sie fordern meine Offenheit heraus. Madame!“ rief er. „Der alte Baron von Nienstedt war mir ein wahrer Freund, der mit solchen Papieren keinen Handel trieb. Man kann sich nicht wundern, wenn es die erste Sorge seines Sohnes war –“

„Ihnen diesen Schein zurückzugeben?“

„Ganz recht.“

“Dann freilich habe ich die Unwahrheit gesagt, Herr Oberst. Solchen Beweisen gegenüber zu beharren, wäre lächerlich.“

„Madame, wir haben eine vertrauliche Unterredung gehabt –“

„Und wenn ich nun offen meine Behauptung wiederholte?“

„Dann würde ich gezwungen sein, Ihnen dasselbe zu wiederholen.“

Die Freifrau verließ rasch ihren Sessel; sie öffnete eine Tapetenthür, die sich neben dem Kamine befand, und eine alte Kammerfrau trat ein.

„Jenny, hast Du die letzten Worte unserer Unterredung gehört?“ fragte sie zitternd.

„Ja, gnädige Frau. Der Herr Oberst theilte Ihnen mit, daß er von dem Sohne des Barons von Nienstedt einen Schein empfangen habe –“

„Geh’, und vergiß nicht, was Du gehört hast.“

Die Kammerfrau verschwand durch die Tapetenthür.

„Was soll das bedeuten?“ fragte der Oberst, der sich überrascht erhoben hatte.

„Herr Oberst, bekennen Sie nur, daß Sie, auf die Schwäche der armen Emilie bauend, hierher gekommen sind; aber statt Emilien treffen Sie die Freifrau von Erichsheim, die Mutter des verschmähten Ignaz, den näher kennen zu lernen Henriette nicht einmal der Mühe werth hielt. Sie werden mir antworten, daß Sie das Glück Ihrer Tochter im Auge gehabt haben – auch ich bin für das Glück meines Sohnes besorgt, denn Ignaz liebt Ihre Tochter, wie ich einst liebte. Und wen ziehen Sie ihm vor? Einen Menschen, den man für einen Abenteurer halten muß, der Nichts für sich hat, als ein großes Vermögen, dessen Quelle Niemand kennt. Jetzt steht eine doppelte Feindin vor Ihnen: die betrogene Geliebte und die schwer gekränkte Mutter. Das Schicksal ist mir günstig in dem Kampfe, zu dem ich herausgefordert bin, es giebt mir heute noch durch Sie selbst eine mächtige Waffe in die Hand – wissen Sie denn, mein Herr, das Papier, in dessen Bestz zu sein Sie sich übermüthig rühmten, dasselbe Papier, das mich zu einer arglistigen Heuhlerin stempeln sollte, ist mit jenen Papieren gestohlen, die ich bereits der Behörde überliefert habe.“

Wie vom Blitze getroffen zuckte der Oberst zusammen.

„Sie werden nach Beweisen fragen?“ fuhr die aufgeregte Dame fort. „Die Acten des Criminalgerichts enthalten eine Quittung über 24,000 Thaler, die für Einlösung eines Ehrenscheins des Obersten von Eppstein gezahlt sind. Sie sehen, mein Herr, daß der Baron von Nienstedt nur so lange Ihr Freund war, als er Ihr Geld nicht gebrauchte. Die Noth besiegte seine Freundschaft, er gab Ihr Papier aus den Händen, unbekümmert, was daraus werden würde.“

„Es ward ein Mittel, mich zu verderben!“ murmelte erschüttert der Oberst. „Gnädige Frau, mein Geschick liegt in Ihrer Hand –“

„Wie das der armen Emilie einst in der Ihrigen lag.“

„Ich versuche es nicht, mich zu rechtfertigen, denn ich würde nur Vorurtheile anführen können, die mich in meiner Jugend leiteten. Damit Sie mch aber nicht für allzu strafbar halten, bekenne ich Ihnen, daß meine Ehe eine unglückliche war. Ich habe viel gelitten – erhöhen Sie das Leid meiner alten Tage nicht, indem Sie mich zwingen, ein Zeugniß gegen den Gatten meiner Henriette abzulegen, und eine wirklich glücklihe Ehe zu zerstören. Nehmen Sie die Hälfte unsers Vermögens und erklären Sie, daß Ihr Antrag auf einem Irrthum beruhe. Der Fürst wird gern einen Prozeß niederschlagen, der seinen Adel compromittirt.“

„Also mit Gelde wollen Sie die lange Pein meines Lebens bezahlen?“ rief mit Bitterkeit die Freifrau.

„Nein, o nein! Sie sehen uns nur bereit zu einer Entschädigung dessen, was Ihnen ein leichtsinniger junger Mensch genommen hat.“

„Zählen Sie nicht auf meine Nachsicht,“ rief die Freifrau; „ich habe mir geschworen, meine Rache zu fühlen!“

Der Oberst trat zu ihr und ergriff ihre Hand.

„Emilie,“ sagte er bittend, „mein Haar ist bereits ergraut und mein vergangenes Leben bietet mir nur traurige Erinnerungen – über unserer Liebe hat ein Unglücksstern gewaltet, lassen Sie die Freundschaft des Alters an die Stelle der Jugendneigung treten, lassen Sie uns die wenigen Jahre, die uns noch bleiben, einem ruhigen Glücke weihen! Emilie, es giebt einen Gott, der die guten Handlungen belohnt!“

[61]
Album der Poesien.
Nr. 14.

An meine Mutter.

Gelobt sei der Herr, daß ich Deine Hand
Mit heißen Thränen darf nässen –
Ich habe Dich wieder, o Mutterherz,
Und nun will ich Alles vergessen.

5
Die Jugend ging hin und die Freundschaft mit,

Die Liebe vergaß das Lieben –
O Mutter, von Allem, was ich besaß,
Bist Du, nur Du mir geblieben.

Du hast Dein Wohl, Dein Hoffen, Dein Weh

10
Mit dem Deines Kindes geeinet,

Du hast – da mir nicht zu helfen war,
Gebetet für mich und geweinet.

Du hast Dich in meiner Freude gefreut,
Und die Wunden, die mir geschlagen,

15
Du hast sie alle gleich mir gefühlt,

Doch ohne gleich mir zu klagen! –

– Vergieb mir, Herr, daß ich so oft
Vergiftet habe ihr Leben,
Vergieb, daß sie es getragen hat,

20
Vergieb, daß sie es vergeben!


Sieh’, Mutter, nach manchem langen Jahr
Kehr’ ich Dir wieder auf’s Neue,
Nur Deines von allen Herzen ich fand
Von der alten Liebe und Treue.

25
Und weinend leg’ ich mein müdes Haupt

An diesem Herzen nieder,
Und was mir draußen verloren ging,
Hier find’ ich Alles wieder.



[62] Bewegt ließ sich der Greis auf ein Knie nieder. In den Augen der Freifrau erschienen Thränen.

„Adalbert! Adalbert!“ stammelte sie, indem sie sich hinabneigte.

Doch plötzlich fuhr sie wieder empor und trat von dem Knienden zurück. In ihren Zügen drückte sich wieder eine herbe Bitterkeit aus.

„Hinweg, hinweg!“ flüsterte sie zitternd. „Ich darf diese Stirn nicht küssen! Soll ich mich zum zweiten Male berücken lassen? Die Liebe hat mich betrogen, die Freundschaft, wenn sie möglich ist, wird mich betrügen!“

„Emilie, ist das Herz des Weibes härter als das des Mannes?“

„Mann, Du hast mich zu dem gemacht, was ich bin!“ rief sie mit tonloser Stimme. „Jetzt näherst Du Dich mir, weil es Dein Vortheil erfordert – warum erinnertest Du Dich meiner nicht, als Deine Gattin gestorben war, als mich der Tod des Freiherrn zur Wittwe gemacht hatte? Ah, ich lese es in Deinen Zügen,“ flüsterte sie ganz leise: „Du glaubst dem Gerüchte, daß ich ein Verbrechen begangen habe. Adalbert, fandest Du keine Entschuldigung für mich, keine, keine?“

„Emilie!“ rief zusammenbebend der Oberst.

„O, ich habe Dir Nichts verrathen,“ fügte sie hinzu, indem ihre glühenden Blicke den immer noch Knienden durchbohren zu wollen schienen; „aber ich schleudere den Vorwurf auf Dein Gewissen zurück, den Du nicht auszusprechen wagst. Martere Dich ab in Vermuthungen, Treuloser, und wenn Du den Muth hast, an die Wirkungen Deines Verrathes zu glauben, wie sie Dir das Gewissen vorspiegelt, so klage mich an!“

Sie zog eine Glocke. Der Diener erschien.

„Der Wagen des Herrn Obersten soll vorfahren!“ befahl die Schloßherrin mit fester Stimme.

Dann grüßte sie kurz und kalt, und verließ den Saal.

Nach einigen Minuten erschien der greise Oberst in dem Hofe; schwankend wie ein Kranker bestieg er seinen Wagen.


IX.

Gegen Abend kam der Oberst auf Nienstedt an. Kaum hatte er sein Zimmer betreten als Heiligenstein erschien; er brachte die Nachricht, daß Ludwig’s Zustand sich verschlimmert habe.

„Auch seine übrigen Angelegenheiten stehen sehr schlimm!“ sagte der Oberst. „Wir haben es mit einer unversöhnlichen Feindin zu thun, die alle zu unserm Verderben erforderlichen Mittel besitzt.“

Wie wir wissen, war Heiligenstein Zeuge gewesen; als Ludwig dem Obersten den Ehrenschein übergeben hatte. Der Greis nahm keinen Anstand, die Mittheilungen der Freifrau in Betreff dieses verhängnißvollen Papiers dem Freunde zu eröffnen. Er verschwieg auch nicht, daß er zu einem Zeugnisse gegen den Baron gezwungen werden könne. Beide Männer glaubten an das Verbrechen, aber keiner wagte es auszusprechen. Um den Greis zu trösten, zog Heiligenstein die Handlung des verstorbenen Barons von Nienstedt in Zweifel und hielt die Angaben der Freifrau nur für Drohungen. Da Ludwig’s Zustand eine Gemüthserregung nicht erlaubte, beschloß man, einige Tage zu warten, ehe man ihm die neue Wendung der Dinge mittheilte und die nothwendigen Aufklärungen von ihm forderte. Henriette, die um den Zustand ihres Gatten in der peinlichsten Besorgniß war, sollte vor der Hand noch Nichts erfahren. Am folgenden Tage ritt Heiligenstein zu dem Gute der Freifrau; man sagte ihm, daß sie verreis’t sei, er kam unverrichteter Sache zurück. Nun zog man einen geschickten Advokaten in das Geheimniß. Der Rechtsgelehrte erklärte Nichts thun zu können, wenn ihm sein Client keine Anhaltepunkte zur Vertheidigung lieferte, das heißt, wenn er keine Auskunft darüber lieferte, wie er in den Bestz der Papiere gekommen sei, und vorzüglich des Ehrenscheins, dessen Empfang der Oberst nicht abschwören könne. Eine Klage wegen Erbrechung des Secretärs dürfe man nicht erheben, da dies ein Zugeständniß sein würde. Um diese Zeit kam eine Ladung des Gerichts. Der Advokat reichte ein Krankheitsattest ein. Nun drang man in Bob, man versuchte List und Gewalt – Alles blieb vergebens. Der Mulatte setzte heimlich seinen Herrn von Allem in Kenntniß, was vorging.

Der Oberst konnte den peinlichen Zustand der Ungewißheit nicht mehr ertragen; er kannte die Liebe Ludwig’s zu Henrietten, und in der Voraussetzung, daß er ihren Bitten nachgeben würde, weihete er sie in das schreckliche Geheimniß ein. Die junge Frau schauderte zurück, aber sie zweifelte nicht an der Unschuld ihres Mannes.

„Es muß sein, um unsere Ehre zu retten,“ sagte sie; „ich werde mich des traurigen Auftrags unterziehen.“

Denslben Abend trat sie in das Krankenzimmer. Bob saß am Bette seines Herrn. Bei dem Erscheinen seiner Gattin, obgleich es täglich um diese Zeit erfolgte; zuckte der Kranke leicht zusammen.

Henriette ertheilte dem Kammerdiener einen Auftrag, um ihn zu entfernen. Zögernd verließ der Mulatte das Zimmer.

„Ludwig,“ begann die junge Frau mit gepreßter Stimme, „Du hast viel gelitten, und leidest noch – Du willst mich nur trösten und stellst Dich stärker, als Du bist.“

„Hege keine Besorgniß, meine Geliebte!“ antwortete unruhig der Kranke, „Ich bin ja noch jung, mein starker Körper widersteht der Krankheit.“

Sie ergriff zärtlich seine Hand.

„Und dennoch hegt meine Liebe große Besorgnisse!“

„Frage den Arzt, Henriette, er wird sie verscheuchen.“

„Ludwig, Dein Leiden ist ein moralisches – o, glaube mir, es konnte Deiner liebenden Gattin nicht entgehen! Habe ich nicht die Pflicht, selbst das Recht, Deine Leiden mitzutragen? Und Du schließest mich aus, duldest allein – fast möchte ich Dir Vorwürfe machen!“

„Was ist das? Was ist das?“ flüsterte bestürzt der Baron.

„O, Verzeihung, mein lieber Freund, ich kann nicht länger schweigen, ich muß Dich an Deine Pflicht erinnern!“

„An meine Pflicht?“

„Es ist Deine Pflicht, mit Deiner Gattin, die Dein zweites Ich ist, Leiden und Freuden zu theilen. Oder verdiene ich Dein Vertrauen nicht?“

„Henriette,“ rief Ludwig, „man hat mich bei Dir angeklagt! Man will mir auch deine Liebe rauben!“

„Meine Liebe ist Dein Eigenthum, das Dir Niemand in der Welt rauben kann!“ antwortete feierlich die junge Frau. „Sieh’, Ludwig,“ fuhr sie unter Thränen fort, „mein Herz liegt offen vor Dir, es birgt keine Falte, die Dir unbekannt geblieben wäre, und würde es von einem geheimen Kummer bedrückt, es müßte sich Dir unwillkürlich erschließen, denn es weiß, daß es bei Dir Trost findet, daß Du es nicht verkennst. Kannst Du die Mutter Deines Kindes leiden sehen, Ludwig? Kannst Du es dulden, daß sie der Gram über Dein Mißtrauen verzehrt? Du bist der Wohlthäter aller Armen, sie segnen Deine milde Hand – und mir, Deiner Gattin, entziehst Du Dein Vertrauen, Du läßt es mich wie ein Almosen erflehen.“

„Halte ein, Henriette, Deine Worte tödten mich!“ rief der Baron erschüttert.

„Ich habe schon zu viel gesagt,“ flüsterte sie, die herabquellenden Thränen mit ihrem weißen Tuche trocknend; „ein Wort hätte hinreichen müssen.“

„Henriette,“ rief er flehend: „zweifle nicht an meiner Liebe, alle meine Gedanken, alle meine Handlungen werden von der Liebe zu Dir geleitet!“

Sie warf sich über ihn und schloß sein Haupt in beide Arme.

„Ludwig,“ flüsterte sie zitternd, „dann bin ich Deine Mitschuldige; gestatte meiner Liebe zu Dir, daß ich es sei!“

„Mitschuldige?“ rief der Kranke in einem unbeschreiblichen Tone. „Wer spricht von einer Schuld? Henriette, auch Du, Du hältst mich für schuldig? Ich reichte Dir eine reine, unbefleckte Hand am Altare.“

„Vergieb, vergieb meiner grenzenlosen Liebe, Ludwig! Ich wollte Dir nur zeigen, wenn ich von Schuld sprach, daß Deine Gattin Alles mit Dir zu theilen bereit ist!“

Laut schluchzend schloß er die junge Frau in seine Arme.

„Mein Gott,“ rief er aus, „habe Dank, daß du mir diesen Augenblick gesendet hast! Er lös’t die furchtbaren Zweifel, mit denen mein Herz im Kampfe lag. Henriette, wenn ich mir einen Vorwurf zu machen habe, so ist es der, daß mein Vertrauen nicht ohne Grenzen war, wie Deine Liebe! Du hast den Muth, mit mir eine Schuld zu theilen, Du wirft auch über Vorurtheile erhaben sein.“

[63] „Ich bin es, seit Du mich Deine Gattin nennst!“

„Wohlan, so sollst Du Alles wissen, ich darf Dir Nichts mehr verschweigen. Doch Du allein nur, Henriette – das Geheimniß muß unter uns bleiben.“

Nachdem sie die Thür verschlossen, setzte sie sich zu ihm auf das Bett. Er umschlang sie mit seinen zitternden Armen und begann leise:

„Der Drang zu erwerben, trieb mich nach Calcutta, wo ich durch einen seltenen Glücksfall in Verhältnisse geworfen wurde, die mir gestatteten, in kurzer Zeit ein großes Vermögen zu erwerben. Während ich vom Glücke überschüttet ward, schlugen einem andern Deutschen, meinem Nachbar, alle Unternehmungen fehl, so daß er bald in das tiefste Elend gerieth. Ich unterstützte ihn, indem ich ihm seine letzten Sklaven zu hohen Preisen abkaufte, unter denen sich auch mein Bob befand. Dieser Deutsche interessirte mich doppelt: er war mein Landsmann und hatte eine so wunderbare Aehnlichkeit mit mir, daß man uns allgemein für Zwillingsbrüder hielt. Aber so ähnlich unser Aeußeres war, so verschieden waren unsere Charaktere, und mehr als einmal wollte man mich, seinen Doppelgänger, für seine leichtsinnigen Streiche verantwortlich machen, Um ihn nicht völlig untergehen zu lassen, nahm ich ihn in mein Haus als Sekretair. Nach wenigen Wochen ergriff ihn ein heftiges Fieber, und er ließ mich an sein Bett kommen. Sie haben die Absicht, nach Europa zurückzukehren, sagte er, nehmen Sie diese Papiere und übergeben Sie sie meinem Vater, der vielleicht noch einigen Nutzen daraus ziehen kann; dann gab er mir noch nähere Nachrichten über seine Familie und verschied. Ein Jahr später verkaufte ich meine Besitzungen und reis’te nach Europa zurück. Ich erinnerte mich des Versprechens, das ich dem sterbenden Freunde gegeben, und um es zu erfüllen, reis’te ich nach Nienstedt. Hier sah ich meine Henriette, ich folgte ihr in das Bad, und der Kaufmann Ludwig benützte die Aehnlichkeit mit seinem verstorbenen Freunde und die Papiere desselben, um den fürstlichen Ball als der Baron von Nienstedt zu besuchen. Henriette, die Leidenschaft beherrschte mich, und ich glaubte kein Verbrechen zu begehen, wenn ich durch List lächerliche Vorurtheile zu beseitigen suchte, Henriette, bin ich strafbar, so hat mich die Liebe zu Dir dazu gemacht. Du bist nicht die Gattin eines Barons – mein Vater ist ein armer Handwerker in Hamburg, den ich heimlich unterstütze. Ich habe einen furchtbaren Kampf gerungen!“ fügte er schmerzlich hinzu. „Henriette, kannst Du mich noch lieben wie zuvor? Ich bin der Sohn eines Bürgersmannes, aber meine Hand ist rein. Die Täuschung, die ich begangen, wird mir Gott und meine Henriette verzeihen.“

„Bist Du nicht derselbe noch?“ rief weinend die junge Frau. „Mein Herz kann Dich nicht verurtheilen – ich bin Deine Mitschuldige! Der Vorsehung sei Dank, daß sie das furchtbare Drama auf diese Weise lös’t.“

„Dank, Dank, mein geliebtes, hochherziges Weib! Henriette, verwende das Geheimniß nach Deiner Ansicht.“

„Jetzt ist es an mir zu handeln – beruhige Dich, Ludwig!“

Sie küßte ihn, und verließ das Krankenzimmer. Eine halbe Stunde später meldete Bob den Obersten. Ludwig, der sich wunderbar gestärkt fühlte, hatte das Bett verlassen.

„Mein Sohn,“ rief der Greis, und schloß den bleichen jungen Mann in seine Arme.

Hinter ihm stand Henriette, sie trug ihr Kind an der Brust. Dann erschien Heiligenstein und reichte gerührt seinem Freunde die Hand. Alle bestürmten ihn mit Vorwürfen über sein hartnäckiges Schweigen.

„Ich war der Ansicht,“ antwortete er, „daß die Macht des Vorurtheils nicht minder stark sei, als der Verdacht eines Vergehens. Der Verdacht ließ sich durch einen glücklichen Prozeß beseitigen, während das Vorurtheil – –“

„Es ist längst beseitigt,“ unterbrach ihn der Oberst, „und ich bin zu der Ansicht gelangt, daß das wahre Glück im eigenen Herzen und bei guten Menschen, aber nicht in Verhältnissen zu suchen ist, die nur durch äußern Flitter glänzen. Wir alle sind schwache Menschen, wir alle stehen unter dem Einflusse der Leidenschaften – Sie, Ludwig, hat ein guter Engel verblendet, ich verzeihe Ihnen, zumal da sich Henriette als Ihre Mitschuldige bekannt hat. Das Vorurtheil soll das Glück meiner Kinder nicht zerstören; ich folge Euch in den Bürgerstand.“

Am folgenden Morgen fand eine Berathung mit dem Advokaten statt. Gleich darauf ward ein Expresser nach Hamburg abgesendet, um den Vater Ludwig’s zu holen. Er traf schon den dritten Tag ein. Am vierten stand der Advokat mit seinem Clienten und dessen Vater vor dem Criminalgerichte, auch Bob hatte man mitgenommen. Der Rechtsanwalt entkräftete die Anklage durch den Beweis, daß nicht der Baron von Nienstedt, sondern der Kaufmann Ludwig in dem Besitze der Papiere gewesen sei. Der Vater recognoscirte seinen Sohn, Bob trat als Zeuge auf, und Ludwig präsentirte einen Todtenschein des Barons, den der Mulatte zur größern Sicherheit aufbewahrt hatte. Die neue Anklage wegen Mißbrauchs anvertrauter Papiere und Anmaßung des Adels war bald entschieden. Da Ludwig Niemandem geschadet, vielmehr der ausgestorbenen Familie der Nienstedt’s durch seine Großmuth genützt habe, belegte ihn der Fürst, aus besonderer Rücksicht für den Obersten, mit einer Geldbuße von fünftausend Thalern.

Der Advokat forderte nun den Obersten auf, die Freifrau über Erlangung der Papiere zur Rechenschaft zu ziehen; aber er gab seine Zustimmung nicht dazu.

„Ich verzeihe ihr,“ sagte er; „sie leidet mehr, als ich gelitten habe.“

Ueber den Diebstahl der Papiere hat man nie Gewißheit erlangt, doch ruhete der Verdacht auf einem Jägerburschen, der später Kammerdiener des jungen Freiherrn von Erichsheim ward.

Ludwig verkaufte Nienstedt und ging mit seiner Familie nach Hamburg. Der Oberst begleitete ihn, um seine letzten Tage in Ruhe und Gemächlichkeit zu verleben. Der Gatte seiner ältesten Tochter stürzte bald darauf in der Trunkenheit mit dem Pferde und starb an den Folgen des Sturzes. Heiligenstein brachte die Wittwe mit ihren beiden Kindern nach Hamburg, und der Oberst hatte die Freude, seine ganze Familie um sich versammelt zu sehen. Ein Jahr später erhielt er die Kunde von dem Tode der Freifrau, specielle Nachrichten fügten hinzu, daß sie in einer Art Wahnsinn gestorben sei.

„Friede sei ihrer Asche!“ sagte erschüttert der Oberst.

„Auch ich verzeihe ihr ,“ fügte Ludwig hinzu, „denn sie hat mich ganz das Glück kennen gelehrt, das ich in meiner Gattin besitze.“

„Leider bedurfte es dieser Lection!“ sagte Henriette im Tone zärtlichen Vorwurfs.

„Sei gewiß, daß ich sie nie, nie vergesse!“




Unser tägliches Brot.
Von Dr. Hirzel. (Schluß.)

Die bessere technische Einrichtung der Bäckereien bezieht sich hauptsächlich auf den schon seit längerer Zeit angeregten Gedanken, in den Städten und Dörfern große sogenannte Gemeindebäckereien einzurichten. Dieser Gedanke ist sogar schon an mehreren Orten in Deutschland verwirklicht worden und hat sich. wie zu erwarten war, vollkommen bewährt. Die Gemeindebäckereien backen theils eigenes Brot, welches sie zum Verkaufe bringen, theils backen sie gegen eine geringe Entschädigung denen das Brot, die sich den Brotteig lieber eigenhändig kneten und vorbereiten. Hierdurch wird eine große Ersparniß von Brennmaterial erzielt; denn anstatt der vielen kleinen, braucht nur ein großes Backofen geheizt zu werden. Auch lehrt uns die Technik jetzt Backöfen bauen, welche nicht mehr auf die höchst verschwenderische Weise ausgewärmt werden müssen, daß man im Backofen selbst eine gewisse Menge Holz verbrennt, die Asche dann herausnimmt und hierauf die Brote einschiebt. Die Backöfen der neuen Construction haben, wie andere Oefen, die Feuerung für sich, besitzen daher den großen Vorzug, daß sie den ganzen Tag ohne Unterbrechung zum Backen benutzt werden können, während die alten Backöfen, wenn sie sich abgekühlt haben, durch neues Verbrennen [64] von Holz „im Backraum“ erst wieder ausgewärmt werden müssen. Auch können die Oefen von neuer Construction mit jedem beliebigen Brennmaterial, also auch mit Steinkohlen oder Braunkohlen geheizt werden. Solche Oefen lassen sich aber mit Vortheil nur für große Bäckereien einrichten; weil sie nur dann den Vortheil der Ersparniß geben, wenn sie anhaltend gebraucht werden. Die Errichtung von Gemeindebäckereien mit solchen Backöfen verdient daher eine allgemeine Beachtung.

Auch die zur Bäckerei nöthigen Arbeitskräfte suchte man zu sparen und wenigstens theilweise durch Maschinen zu ersetzen. Die mühsamste und schwierigste Arbeit für den Bäcker ist das Kneten des Teiges. Um hierbei die menschlichen Hände zu ersetzen, hat man verschiedene sogenannte Knetmaschinen construirt, von welchen die von Clayton die sinnreichste ist. Dieselbe besteht aus einer walzenförmigen, hohlen, eisernen Trommel und einem innern, aus gußeisernen, sich kreuzenden Messerklingen gebildetem Gitterwerk. Die äußere Trommel und das darin befindliche Gitterwerk sind - jedes für sich - drehbar, können auch gegeneinander gedreht werden. Hierdurch wird das in die Trommel gebrachte Mehl mit dem zugegossenen Wasser in kurzer Zeit in einen völlig gleichmäßigen Teig verwandelt. Die Anwendung von Knetmaschinen empfiehlt sich besonders wegen ihrer Reinlichkeit; denn nicht jede Bäckerstube sieht so rein aus, wie es sein sollte. Sieht man aber vollends den Bäckergesellen, dem das Kneten des Teiges anvertraut ist, am frühen Morgen sein mühsames Tagewerk beginnen und vollenden, so könnte man mitunter den Appetit nach Brot für längere Zeit vollkommen verlieren. Mit triefenden Augen, laufender Nase, ungewaschenen Armen stellt sich mancher Geselle vor den Backtrog. Er knetet den Teig mit seinen gewaltigen Fäusten, hebt ihn in die Höhe und wirft ihn wieder in den Trog zurück, um ihn gut zu verwirken. Bei dieser unnatürlichen Anstrengung rieselt ihm der Schweiß vom halb bloßen Körper herunter, und viele der salzigen Tropfen helfen mit zur Befeuchtung des Teiges. Das Nähere über diese jedenfalls unappetitliche, doch vor der Hand kaum zu umgehende Manipulation mögen sich die Leser selbst ausdenken. Eine Knetmaschine würde die menschlichen Hände entbehrlich machen; nur ist allerdings das Kneten des Teiges keine ganz mechanische Arbeit, indem die Bereitung eines guten Teiges von dem richtigen, allmäligen Zusatz von Wasser und manchen kleinen Handgriffen abhängt, die eine Maschine nicht zu verrichten vermag. Zur Zeit ist jedenfalls das Empfehlenswertheste, sich seinen Bedarf an Brot selbst so weit vorzubereiten, daß er nur vom Bäcker gebacken zu werden braucht. Man weiß dann eher zu beurtheilen, was für Brot man genießt, und bei kleineren Mengen von Brot ist das Kneten keine so mühsame Arbeit, kann im Hause überwacht und mit der größten Reinlichkeit vorgenommen werden.

Ebenso wünschenswerth, wie eine bessere technische Einrichtung der Bäckereien, ist ferner eine zweckimäßigere chemische Verarbeitung des Mehles zu Brot. Die Bedingungen, nach welchen aus einem guten Mehle ein in jeder Beziehung gutes Brot gewonnen werden kann, sind noch keiner genügenden Beachtung gewürdigt worden, und doch sind sie ganz einfach und für Jedermann verständlich.

Wenn man das Mehl nur mit Wasser zu Teig knetet und den Teig sogleich in den Backofen schiebt, so erhält man kein richtiges Brot, sonderu anstatt diesem einen festen, feuchten, schwer verdaulichen Klumpen. Das Brot ist durch seine lockere, schwammige Beschaffenheit, seine Porosität ganz besonders ausgezeichnet, und diese giebt man ihm dadurch, daß man den Teig vor dem Backen - wie man sich ausdrückt - „zum Gehen“ bringt. Das Aufgehen des Teiges wird durch verschiedene Mittel bewirkt. Gewöhnlich versetzt man den Teig mit Substanzen. welche in demselben eine sogenannte „Gährung“ hervorbringen, das heißt, welche so auf die im Teige mit Wasser befeuchteten Bestandtheile des Mehles einwirken, daß diese sich theilweise verändern und zersetzen. Namentlich wird das im Mehle enthaltene Stärkemehl bei der Gährung größtentheils in Gummi und Zucker verwandelt, und der gebildete Zucker weiter zu Weingeist und luftförmiger Kohlensäure (der Luft der schäumenden Getränke) zersetzt. Die hierbei in der ganzen Teigmasse entstehende Kohlensäureluft vermag aber einen guten zähen Teig nicht zu durchbrechen, sondern sie treibt nur die Theilchen desselben auseinander, bildet unendlich viele kleine Höhlungen und bleibt in diesen sitzen. Dadurch wird natürlich der Teig aufgebläht, „er geht auf.“ Ist der Teig zu dünn oder (bei schlechtem, verdorbenem Mehle) nicht zäh genug, so wird er von der sich entwickelnden Kohlensäure durchbrochen, geht nur für wenige Minuten auf und sinkt dann schnell wieder zusammen. Damit durch die Gährung der Zweck der Auflockerung erreicht werde, muß daher der Teig einen bedeutenden Grad von Zähigkeit besitzen, sonst erhält man ein zu festes schliffiges Brot.

Die Gährung des Brotteiges erfolgt schon freiwillig oder wird durch verschiedene anregend wirkende Stoffe, sogenannte „Fermente“ eingeleitet. Freiwillig erfolgt sie, wenn man den Brotteig einen oder mehrere Tage in der Wärme liegen läßt (auf diese Weise wird in Griechenland das dort gebräuchliche Weizen- und Gerstenbrot gebacken). Künstlich wird sie vorzüglich durch Hefe oder Sauerteig (das ist alter, in Gährung begriffener Teig) hervorgerufen, indem man des Abends ungefähr den dritten Theil des zu backenden Mehles mit Wasser und etwas von dem Fermente zu einem dünnen Brei anrührt, am frühen Morgen das übrige Mehl nebst dem noch übrigen Wasser entweder allmälig oder auf einmal dazu knetet, wieder (gewöhnlich zwei Stunden) stehen läßt und hierauf bäckt. In den meisten Ländern bewirkt man die künstliche Gährung und verwendet als Ferment für kleineres feineres Backwerk die Hefe (Bierhefe), für das eigentliche Brot den Sauerteig, welcher stets aus demselben Mehle wie das Brot bereitet wird. In der Schweiz benutzt man, besonders auf dem Lande, als Ferment das sogenannte Bäckerzeug oder Haab, das ist ein Hopfenabsud, in welchen Teig eingerührt wird. Es besitzt vor der Hefe und dem Sauerteig den Vorzug, daß es an einem kühlen Orte aufbewahrt, ziemlich lange (drei bis vier Wochen) gut bleibt, eignet sich daher ganz besonders zur Privatbäckerei, wo nur von Zeit zu Zeit gebacken wird.

Von der richtigen Leitung der Brotteiggährung hängen Beschaffenheit, Güte und Nahrungswerth des Brotes in hohem Grade ab. Aus ein und demselben Mehle läßt sich Brot von den verschiedensten Eigenschaften darstellen, je nachdem man die Gährung des Teiges vollständiger oder unvollständiger, schneller oder langsamer verlaufen läßt. Ein Teig, der zu wenig gegohren hat, giebt festes, klumpichtes, schwer verdauliches Brot, während ein zu lange in Gährung versetzter Teig zu Brot bäckt, was zwar sehr schön porös und schwammig erscheint, aber zäh und geschmacklos ist, rasch austrocknet (altbacken wird) und nur geringen Nahrungswerth hat. „Gutes Brot“ muß gleichmäßig feinporig sein, ein angenehmes Aroma besitzem, seine Feuchtigkeit und seinen Wohlgeschmack mehrere Wochen fast unverändert bewahren, leicht verdaulich und nahrhaft sein. Man irrt sich sehr, wenn man den Werth und die Güte eines Brotes nur nach seiner Porosität beurtheilen will; denn oftmals ist schön poriges Brot ganz sauer und schlecht.

Durch Hefe läßt sich die Gährung des Teiges weit besser leiten als durch den Sauerteig, da bei letzterem leicht ein Gährungsstadium eintritt, wobei sich die Bestandtheile des Mehles zu sehr verändern und sauer werden, was niemals stattfinden darf; dennoch giebt man dem Sauerteig beim Brotbacken wegen größerer Billigkeit den Vorzug vor der Hefe, benutzt ihn fast überall zu Weißbrot und Schwarzbrot. Die nachstehenden Bemerkungen beziehen sich daher nur auf das Backen mit Sauerteig.

Man kann sich leicht eine richtige Vorstellung von dem großen Einflusse der Teiggährung auf die Güte des Brotes machen, wenn man bedenkt, daß durch den Gährungsproceß, der in dem Teige mit Hülfe von Sauerteig eingeleitet wird, ein Hauptbestandtheil des Mehles, das Stärkemehl zunächst größtentheils verändert, in Gummi und Zucker übergeführt, und daß bei weiter fortschreitender Gährung der gebildete Zucker zu Kohlensäure und Weingeist zersetzt wird. Kohlensäure und Weingeist bedingen das Gehen des Teiges, entweichen beim Backen oder werden in den entstandenen Poren des Brotes zurückbehalten, sind jedoch in Bezug auf den Nahrungswerth eines Brotes ganz ohne Bedeutung. Um also ein poröses Brot zu gewinnen, opfern wir einen großen Theil des mit zur Ernährung dienenden Stärkemehls. Die Gährung (vielleicht wird sich später einmal Gelegenheit bieten, den Gährungsproceß genauer zu charakterisiren) ist eine Art von Verbrennungsproceß; sie verzehrt einen Theil der wesentlichsten Mehlbestandtheile, so daß diese für uns verloren gehen; sie muß daher in ihrer Wirkung sorgfältig geleitet und gezügelt werden, damit der Verlust an nährenden Stoffen nicht zu groß wird und damit sich keine Säuren bilden. Die Annahme, daß ein mittelst Sauerteig gebackenes Brot stets sauer schmecken müsse, ist ganz unrichtig. [65] Ein saurer Geschmack des Brotes ist im Gegentheil das sicherste Zeichen der zu weit getriebenen Gährung.

Vor einiger Zeit machte der Vorschlag des berühmten Freiherrn von Liebig: zum Brotteige Kalkwasser zu setzen, um die bei der Gährung entstehende Säure zu neutralisiren, in fast allen Blättern und Zeitschriften die Runde, und wurde mit wenigen Ausnahmen empfohlen. Allein dieser Vorschlag ist nicht nur unpraktisch, sondern ganz überflüssig. Unpraktisch ist er, weil die Bereitung so großer Mengen von klarem Kalkwasser für den Bäcker sowohl, wie für den Privatmann, so einfach sie erscheint, doch oft zu umständlich ist, und weil durch das Kalkwasser doch mitunter fremdartige schädliche Stoffe in das Brot gelangen könnten (es müßte denn ein „reiner Kalk mit besonderer Vorsicht und Reinlichkeit für die Bäcker gebrannt werden); denn jeden in den Handel kommenden Kalk kann man hierzu nicht gut empfehlen. Ueberflüssig ist der Liebig'sche Vorschlag, weil es ein sicheres Mittel giebt, um die Gährung des Teiges so zu mäßigen, daß keine oder nur Spuren von Säuren durch diese gebildet werden.

Das einfache Mittel, um eine zu lebhaft eintretende Gährung und in Folge dieser die zu große Zerstörung und Veränderung der Nahrungsstoffe zu verhüten, ist das gewöhnliche Salz.

Das Kochsalz dient nicht allein als Würze zum Brote. Wird es dem Teige in der richtigen Menge und auf die richtige Weise zugesetzt, so ist es der trefflichste Regulator der Gährung. Bis dahin hat man diesen Umstand völlig übersehen. In vielen Gegenden wird das Brot gar nicht gesalzen und schmeckt es dann schlecht, so schiebt man die Schuld auf das Mehl; oder man nimmt so wenig Salz, daß dasselbe die Gährung nicht zu hemmen vermag; oder - das geschieht gewöhnlich - man setzt das Salz erst nach der Gährung, beim Kneten des Teiges zu. Soll das Salz die zu heftige Gährung mäßigen, damit dem Brote mehr nährende Theile erhalten bleiben, so muß es dem Mehle schon Abends, zugleich mit dem Sauerteige in richtiger Menge beigemischt werden. Schon seit längerer Zeit habe ich die verschiedensten Versuche angestellt, um das günstigste Verhältniß zu ermitteln, und ich bin jetzt im Stande, ein Roggenbrot von ganz vorzüglicher Güte, leichter Verdaulichkeit und möglichst großer Nahrhaftigkeit so vorzubereiten, daß es nur vom Bäcker gebacken zu werden braucht. Dieses Brot wird bei genauer Befolgung der Vorschrift, die ich nun mittheilen werde, immer von gleicher Beschaffenheit erhalten; es läßt sich eben so gut und sicher im Kleinen aus wenigen Pfunden, wie im Großen aus Sheffeln von Mehl bereiten; es besitzt einen lieblichen Brotgeruch, keinen sauren, sondern einen erfrischend etwas salzigen Geschmack, der den an saures Brot Gewöhnten anfangs etwas auffällt, an den sich aber Gaumen und Magen bald sehr gern gewöhnen; es läßt sich leicht brechen und krümeln und hält sich 2-3 Wochen je nah der Größe der Brote so frisch, daß es von neu gebackenem Brote kaum zu unterscheiden ist. Dasselbe Mehl, welches mit Hülfe von Salz ein so vorzügliches Brot liefert, giebt ohne Salz gebacken ein zähes. geschmackloses, schnell altbacken werdendes Brot, welches sich nicht brechen läßt, sondern förmlich zerrissen werden muß. Das mit Salz gebackene Brot ist sehr feinporig und entspricht allen an „gutes Brot“ zu stellenden Anforderungen. Die zu seiner Bereitung ermittelte Vorschrift ist folgende:

Von je 55 Pfund (½ Scheffel) Roggenmehl wird des Abends ziemlich genau der dritte Theil, also 181/3 Pfund in dem Backtroge mit 1 Pfund und 20 Loth Sauerteig, 1 Pfund Salz und 10 Kannen (circa 20-22 Pfund) Wasser von 28-30° des 80theiligen Thermometers von Reaumür (oder 35-38° des 100theiligen Thermometers von Celsius) so vermischt, daß man den Sauerteig und das Salz in die Mitte des in dem Troge befindlichen Mehles legt und nun die 10 Kannen des warmen Wassers allmälig unter Umrühren zusetzt. Es entsteht ein dünner Teig, den man mit etwas Mehl bestreut und nun in dem bedeckten Troge wie gewöhnlich an einem warmen Orte bis zum frühen Morgen stehen läßt. Des Morgens ist der Teig ftark aufgegangen und bedeutend zäher, indem das zugesetzte Wasser gleichsam in cemische Verbindung mit den Mehlbestandtheilen getreten ist. Man macht nun in die Mitte des Teiges eine Vertiefung, bringt in diese noch ein Pfund Salz, setzt hierauf 4 Kannen (8-9 Pfund) Wasser von 60° Reaumür (75° Celsius) unter Umrühren hinzu und knetet in die dünne Masse allmälig das übrige, also die 362/3 Pfund Mehl (das Mehl muß auch in einem erwärmten Raume gestanden haben) ein. Nach zweistündigem Stehen des gut durchkneteten Teiges formt man denselben zu den Broten, schiebt diese in den geheizten Backofen, welcher eine Temperatur von 160-200° R. (200-250° C.) haben muß, ein und läßt sie darin, bis sie eine schöne dunkelbraune Rinde bekommen. Aus den 55 Pfund Mehl erhält man auf diese Weise 70-72 Pfund Brot. Im Ganzen ist das Verhältniß:

110 Gewichtstheile Mehl,
56-60 Wasser,
4 Salz,
3 Sauerteig,

Die eine Hälfte des Salzes wird stets Abends mit dem Sauerteig, die andere Hälfte erst früh zugesetzt. Dieses Verhältniß bleibt für größere oder kleinere Quantitäten von Mehl ganz dasselbe. So nimmt man z. B. von einer Metze (6 Pfund 28 Loth) Mehl Abends zum Einsäuern 2 Pfund und 9 Loth, versetzt diese mit 4 Loth Salz, 6½ Loth Sauerteig und 1¼ Kanne (2¾ Pfd.) Wasser von 28° R., läßt bis zum Morgen gähren, setzt wieder 4 Loth Salz und noch ½ Kanne (ein reichliches Pfund) Wasser von 60° R. zu, knetet die übrigen 4 Pfund 19 Loth Mehl hinein, bäckt nach 2 Stunden und erhält 85/8-83/4 Pfund Brot. -

Das auf diese Weise bereitete Brot besitzt entschiedene Vortheile. Es enthält in 100 Theilen nur 40 Theile Wasser, läßt sich in Wasser schnell und leicht zertheilen, löst sich in demselben zum Theil auf, und bildet eine angenehm weinig schmeckende Flüssigkeit. Das ohne Salz gebackene Brot enthält in 100 Theilen 42-45 und mehr Theile Wasser, ballt sich, obgleich es poröser erscheint, erst zusammen, wenn man es in Wasser legt, und zertheilt sich nur schwierig, enthält weniger in Wasser lösliche Theile und giebt eine säuerlich fade schmeckende Flüssigkeit.

Was die Aufbewahrung des Brotes betrifft, so sind dumpfige feuchte Keller hierzu nicht geeignet, da in solchen das Brot verdirbt und schimmlig wird. Am besten sind kühle luftige Orte, wobei man das Brot nicht auf die flache, sondern auf die bauchige Seite legt, damit es an möglichst vielen Stellen mit der Luft in Berührung kommt. Die Ansicht, daß das Brot durch Wasser oder Feuhtigkeitsverlust trocken werde, und daß man es deshalb an feuchten Orten aufbewahren müsse, ist ganz unrichtig. Das Brot enthält nach zweiwöchentlichem Liegen an luftigen Orten noch fast genau so viel Wasser, wie im frischen Zustande; denn es giebt sein Wasser schwer und erst bei höherer Wärme ab, und auch die äußere feste Kruste wirkt hier als schützende Decke. Das Altbackenwerden des Brotes beruht auf einer geringen Veränderung seiner Bestandtheile, wahrscheinlih auf dem Uebergange derselben in einen dichteren Zustand; doch geht diese Veränderung beim Weißbrot viel schneller als beim Schwarzbrot von Statten, kann aber durch eine genügende Menge von Salz sehr verzögert werden.

Um bei in Angriff genommenem Brote das Trocken- und Hartwerden der Schnittfläche zu verhindern, sind gut schließende Kapseln von Weißblech, sogenannte „Brotbüchsen“ sehr zu empfehlen. Dieselben können von jedem Klempner in jeder beliebigen Form und Größe verfertigt werden, und gewähren den Vortheil, daß sie das Brot auch vor dem besonders in Zimmern sich setzenden Staube und anderen Unreinigkeiten schützen. Die Brotkapseln müssen aber von Zeit zu Zeit sorgfältig ausgewischt und gereinigt werden, sonst überzieht sich ihre innere Wandung mit Schimmelpflanzen; auch darf das Brot nicht mehrere Tage in denselben liegen bleiben, ohne daß die Kapsel geöffnet wird, da es sonst in einen dumpfigen moderigen Zustand übergeht.

Schließlich noh einige Bemerkungen über Verfälschung des Brotes: Bei einem so allgemein wichtigen Nahrungsniittel, wie das Brot namentlich auch für die ärmeren Klassen der Bevölkerung ist, sollte es sich Jeder, der die Materialien dazu liefert oder sich mit dessen Bereitung beschäftigt, zur ersten Pflcht machen, jeder Verfälschung zu entsagen, um dadurch namentlich seine ärmeren Mitmenschen nicht durch schändlihen Betrug um einen Theil der Nahrung oder selbst um die Gesundheit zu bringen. Menschen, welche im Stande sind, solche unentbehrlihe Nahrungsmittel mit Absicht zu verfälschen, um sich schnell zu bereichern, gehören jedenfalls zu den erbärmlichsten Geschöpfen, welche der Erdboden trägt. Trotzdem mögen theils in der Mühle, theils beim Bäcker oftmals die verschiedenartigsten Verfälschungen und Vermischungen vorgenommen werden. Namentlich werden die feineren, theurern Mehlsorten mit weniger werthvollen vermischt und als „bestes Mehl“ [66] verkauft. Gutes Mehl wird mit mulsterig gewordenem versetzt, oder es werden verschiedene Mehlsorten, Kartoffelstärke etc. untereinander gemischt und als reines Mehl verkauft. Alle diese Betrügereien lassen sich nur schwer, am besten noch mit Hülfe des Mikroskopes erkennen. Dagegen kommen auch gröbere Fälschungen vor, indem dem Mehle mineralische weiße Körper, besonders Kreide, Gyps, Schwerspath, weißgebrannte Knochen zugesetzt werden, was leicht daran erkannt wird, daß solches Mehl beim Verbrennen sehr viel Asche zurückläßt (gutes Mehl läßt beim Einäschern nur 1-11/2 Procent Asche zurück). Die Bäcker richten ihr Augenmerk vorzüglich auf gut aussehendes und in’s Gewicht fallendes Brot, sowie auch auf große Ausbeute. Auch sie sollen oft das Mehl noch mit Kartoffelstärke, Bohnenmehl und andern geringeren Sorten von Mehl vermischen; dem Teige setzen sie (besonders in England und Holland) Alaun, Kupfervitriol und andere giftige Körper zu, welche dem Brote ein schönes Aussehen geben und bewirken, daß der Teig mehr Wasser aufnimmt, und solches auch beim Backen zurückbehält. Jede Verfälschung oder Vermischung, auch die der Gesundheit nicht gerade nachtheilige, ist aber verwerflich, da das so erhaltene Brot dann oftmals den Namen „Brot“ nicht mehr verdient. Namentlich wäre es besser, Bohnen und Erbsen nur als Gemüse, nicht aber zum Brote zu verwenden; doch mögen hierüber diese Andeutungen genügen.

Mitunter wird das Getreide auch durch natürliche Beimengungen vergiftet. Besonders bekannt ist in dieser Beziehung das Mutterkorn, ein in seiner Entwickelung begriffener Pilz, welcher in der Aehre anstatt des Samens entsteht, und in einem gewissen Stadium seiner Entwickelung, besonders wenn er älter wird, sehr giftige Wirkungen äußert. Ein Brot, das aus Mehl gebacken wird, in welchem mit dem Getreide viel Mutterkorn gemahlen wurde, ist fleckig, dunkler, speckig und bewirkt bei länger fortgesetztem Genusse die oft tödtlich endigende Kriebelkrankheit, welche sich durch große Mattigkeit, Unlust zur Arbeit, Taubheit, Kriebeln an Händen und Füßen bemerkbar macht. Hierauf folgen heftige Krämpfe an Händen und Füßen, Hitze, Schwindel, Verlust der Geisteskräfte, furchtbare Convulsionen, Stumpfsinn und Tod. Die Kriebelkrankheit tritt hin und wieder in Gegenden epidemisch auf, und fordert viele Opfer. - Auch der Taumellolch (Lolium temulentum), ein Gras, welches als Unkraut unter dem Getreide wächst, und dessen Samen sehr giftig wirken, kann die Vergiftung von Brot herbeiführen. Diesen Verhältnissen hat vorzüglich der Landmann die größte Beachtung zu schenken, und von ihm muß verlangt werden, daß er dafür besorgt sei, daß sein Getreide keine solchen gefährlichen Zugaben enthalte.

Sollten vorstehende Mittheilungen über das Brot dazu beitragen, daß den zur Brotbereitung dienenden Stoffen, sowie der Brotbäckerei selbst, eine entsprechende, allseitige Beachtung geschenkt würde, so wäre der Wunsch und das Streben des Verfassers erreicht. -



Ein öffentliches Fest in Haiti.

Um neun Uhr Morgens hielten wir unsern Einzug in Port-au-Prince, der Hauptstadt des Kaiserreichs Soulouque,[1] Man kommt an einer verfallenen Redoute vorüber, auf welcher die schartige Mündung eines alten rostigen Achtpfünders den possirlichsten Anblick gewährt. Eine Schildwacht saß ruhig auf der Brustwehr und kehrte uns den Rücken zu; so wollten wir denn passiren. Allein eine Art Orang-Utang, der den Posten befehligte, bemerkte uns und befahl schreiend, sogleich herbeizukommen, um unsern Reisepaß vorzuweisen. Ich machte ihm ein Zeichen, das er sich wie: all right! erklären konnte und schickte mich an, weiter zu gehen; da indessen meine Gefährten zauderten, sendete man einen Soldaten, um uns zur Stelle zu bringen. Hier untersuchte ein himmelblauer Offizier unsere Pässe und entfernte sich darauf in Galopp. Nun wollten wir unsern Weg nach der Wohnung des Consuls (des schweizerischen) weiter fortsetzen; allein der Soldat, der uns einmal hatte aufhalten müssen, weigerte sich, uns ziehen zu lassen, weil ihm dazu kein ausdrücklicher Befehl geworden war. Erst als ich gedroht, ihn arretiren zu lassen, und nachdem sich die Farbigen in die Sache gemischt, gab der arme Teufel widerstrebend nach. Bei dem Consul angelangt, fanden wir alle Räume besetzt, und da die Stadt keine öffentlichen Hotels hat, sahen wir uns genöthigt, in einer elenden Herberge einzukehren, in welcher keine einzige Thüre verschließbar ist.

Port-au-Prince ist zwar eine Residenz, besteht aber doch nur aus hölzernen Baraken und Strohhütten. Die von den Franzosen angelegten Straßen sind breit und gerade; jetzt sind sie aber durch allerhand Unrath aus den Häusern uneben und beinahe ungangbar gemacht. Hier und da zeigen sich wohl Spuren eines ehemaligen Pflasters, die man aber besser entfernt hätte. Die schönsten Häuser, bewohnt von europäischen Kaufleuten, den Ministern und Consuln, sind nur von Holz errichtet und mit Gallerien umgeben. Am Ende der Straßen erblickt man etliche hölzerne Baraken, welche die öffentlichen Gebäude vorstellen, wie den Palast des Senats, den kaiserlichen Palast, den Palast des Gouverneurs etc. Diese Paläste sind ehemalige, mehr oder minder demolirte und wieder aufgebaute französische Wohnungen.

Es wurde gerade Messe gelesen, deshalb eilten wir nach der Kathedrale, die sich am Ende der Marktstraße erhebt. Kavaliere in den verschiedenfarbigsten Kleidern drängten sich auf dem überfüllten Platze, Generale in Sammetkleidern, Gemeine belastet mit goldenen Stickereien. Ueberall die lächerlichste und unharmonischste Pracht, die mit den schmutzigen Straßen und armseligen Gebäuden der Stadt einen komischen Kontrast bildete; bei jedem Schritt mußte man über einen neuen Mischmasch von übertriebenem Luxus und offenbarer Armseligkeit staunen.

Auf dem Platze vor der Kirche selbst fanden wir einige tausend [67] Soldaten in Vierecken aufgestellt. Wirklich ein seltsames Schauspiel! Es versetzte uns in eine Laune, die mit der Feierlichkeit der Umgebung wenig harmonirte, und deren unaufhaltsam willenlose Aeußerung unsere Sicherheit beinahe gefährdet hätte. Diese zerlumpten Truppen! Diese fabelhaft komischen Portraits! Etliche Soldaten trugen zum Schutz vor der Sonne breitkrämpige Strohhüte unter dem ordonnanzmäßigen Tschako, andere hatten das Mützenschild über die Nase heruntergestülpt, um nicht von der Sonne incommodirt zu werden, noch andere trugen ihre Kopfbedeckung beinahe horizontal auf dem Hinterkopfe. Ich verzichte darauf, die Uniformen selbst zu beschreiben, es scheint, daß man die einmal abgenutzten mit beliebigen Kleidungsstücken wieder ersetzt. Man möchte glauben, der Boulevard du Temple (in Paris) habe allen Abfall der französischen und der übrigen europäischen Armeen zu diesem Zwecke hierher verschachert. So erblickte ich zu meinem Erstaunen auch einen Lieutenant, der eine alte Offiziersuniform des eidgenössischen Geniestabs trug, nur war das Grün schon sehr vergilbt. Die Fußbekleidungen bestehen aus alten zerplatzten Schuhen ohne Seitenleder und ohne Gamaschen; glücklich können sich Die preisen, deren Beinkleider über die Knie herabreichen. Die Offiziere gehen zerlumpt wie die Soldaten und tragen wie diese keine Strümpfe in den Schuhen. Der bänderreiche Hut, welcher ihren schwarzen Kopf bedeckt, ist abgeschabt bis auf den Carton. Es ist der Brauch, den Kopf mit einem farbigen Seidentuche zu umhüllen, und auf diese Art von Turban erst den Hut oder Tschako zu drücken, doch ist Nichts vorgeschrieben, Alles erlaubt. Der Kaiser, welcher den Luxus liebt, strebt Abwechselung in die Montirung zu bringen: es giebt Grenadiere der kaiserlichen Garde, Chasseurs, Voltigeurs etc. Jede Section von 24 Mann hat zwei Offiziere; der Eine marschirt vorn, um den Eifer der Truppe zu moderiren, der Andere hinterdrein, um die Nachzügler voranzutreiben. Niemals konnte jedoch eine Section auf den vollen Bestand gebracht werden, so daß es fast so viele Offiziere als Soldaten giebt. Ein Reglement kennt man nicht, und die Rekruten werden nicht einexercirt, so daß die Manoeuvres nie klappen und fast nur instinctive ausgeführt werden. Die Kavallerie vollends übertrifft alle Begriffe von Abenteuerlichem. Große schwarze, gelbe und braune Gestalten hocken auf kleinen Pferden und schleppen die langen Beine am Boden hinterdrein, während man auf die höchsten Rosse Knaben von funfzehn Jahren gesetzt hat. Diese berittenen Neger, zum Theil auf Mauleseln, mit ihrer zerlumpten Kleidung, ihren furchtbaren Säbeln aus dem vorigen Jahrhundert, geben einen so phantastischen Anblick, daß jeder Europäer sich auf ein Jahrmarktstheater versetzt meint. - Um den Glanz seines Hauses zu erhöhen, und vermuthlich weil ihm sein Kanzler oder Haushofmeister von den rothen Husaren Napoleon’s III. erzählt, hat der Kaiser sich auch ein Corps von rothen Garden oder Husaren angeschafft. Dem Namen nach besteht es als Regiment, allein der commandirende Oberst hat trotz aller Mühe noch nie mehr als ein Peloton zusammengebracht, Dieses Peloton nun war zur Seite der Kathedrale aufmarschirt, und vor demselben, in fast eben so langer Reihe standen seine Offiziere. Ich bewunderte besonders den Oberst dieser Truppe, eine Art Don Quixote als Neger, von großer knochiger Gestalt. Er trug rosa und goldgestreifte Hosen und einen dito rosa Frack, an dem jedoch - ein Schoos fehlte. Seine Stiefeln waren überall zerplatzt, und von der Schulter floß ihm ein vergoldeter Grünspan verzierter Gürtel, der immer herab zu schlüpfen drohte, weshalb ihn der Lange durch ein eigenthümliches Zucken mit der Achsel immer wieder in die Höhe dirigirte. Sicherlich würden die Kostüms, die wir hier bewunderten, von viel Effect sein bei einer Maskerade, und Soulouque würde besser thun, seine Armeen in Europa für Geld sehen zu lassen, als den Kaffee, den seine treuen Unterthanen gewinnen, mit 25% zu besteuern. Der Gewinn wäre schon darum ein doppelter, weil diese Armee dann doch zu Etwas nütze wäre,

Während ich dieses seltsame Schauspiel bewunderte, trieb ich mich in den Reihen der Kavallerie umher (denn hier kann man sich überall umhertreiben) und grüßte alle Generale, um zu sehen, wie sie es aufnehmen würden. In diesem Lande erwiedert man jede Höflichkeit mit Wiehern und geizt nach Respectsbezeugungen.

Ich bestieg eine ehemals wohl unterhaltene Plattform, welche den Franzosen einst als Waffenplatz gedient hatte. Hier donnerten vier Kanonen, so oft die Messe in der Kirche eine Pause machte. Die Bedienung dieser Geschütze geschah auf so seltsame Weise, daß es mich wunderte, wie es ohne Unglück abging. Von hier aus überschaute ich denn diesen wandelnden Trödelmarkt. Die aufgeputzten Generale tummelten sich vor den krummen Linien der Garde; alle trugen Phantasiekostüms, mit Goldstickereien so überladen, daß sie einen Marschall von Frankreich verdunkelt haben würden. Allein dafür hat der größte Theil keine Handschuhe, und Manche haben nicht einmal Stiefeln, sondern nur Gamaschen, an denen die Sporen angeschnallt sind. Die Monturen, für andere Leiber gemacht, ließen oft zwischen Frack und Hose einen Spalt, aus dem das Hemd freundlich hervorblickte. Der Sohn Boyer’s, eines Mauleseltreibers, ist der Einzige, der seine Uniform ordentlich trägt und mindestens ein anständiges Aussehen hat. Es versteht sich von selbst, daß alle diese Generale mit Orden bedeckt sind, in deren Mitte man das Großkreuz des St. Faustin-Ordens erkennt. Allein das Schauspiel war noch nicht vollständig. Bald kam das kaiserliche Haus in rothsammetner Tracht mit goldgestickten Kronen auf dem Rücken, der Hof folgte dann, darunter Herzog von Limonade, Intendant der Hofbäckerei, Herzog von Cul-de-Sac, und andere hohe Persönlichkeiten.

Ein Huissier mit schwarzem Claquehut lud uns ein, in die Kirche zu treten. Der Eingang derselben war blau tapezirt; Polizeisoldaten bildeten ein Ehrenspalier. Diese Soldaten, welche etwas weniger zerlumpt sind, als die Mannschaft der Armee, tragen ein großes rothes Schultergehänge, auf dem man die Worte liest: „Achtung vor dem Gesetze!“ - Gewiß eine höchst komische Aufschrift in einem Lande, dessen Gesetze zur Hälfte unausführbar sind, zur Hälfte nicht beachtet werden. - Unglücklicherweise war die Kirche voll zerlumpter Soldaten, so daß man den Hof und das diplomatische Corps im Hintergrunde kaum erblicken konnte. Alle Winkel des Gebäudes, das im Innern mit blauen, roth gestreiften, aber an vielen Stellen durchlöcherten Tüchern behangen war, hallten wieder vom fürchterlichsten Chorgesange, den eine Orgel begleitete, eine Orgel vom Klange eines jener alterthümlichen Klaviere, wie wir sie bei uns nur noch in Rumpelkammern finden. Einige Tasten darauf gaben nicht mehr an, und so hörten wir denn eine gerade so lückenhafte durchbrochene Melodie, wie daheim von defekten Leierkästen auf Jahrmärkten kleiner Provinzstädte. Nachdem endlich die Messe beendet war, begannen die Kanonen einen infernalischen Lärm, die Musiker, Tamboure und Pfeifer erfüllten die Luft mit ohrzerreißenden Tönen, die Truppen präsentirten das Gewehr. Ich bestieg von Neuem die Plattform, um den Auszug des Hofes besser zu überschauen. Alsbald stürzten auch mehrere Generale hervor und begannen eine große Rolle zu entfalten, die sich als ein mächtiger Thronhimmel erwies. Kaum war dieser aufgerichtet, so eilten in ziemlich ungraziösem Marschmarsch der zahlreiche Generalstab und das Gros des Hofes, die Ehrendamen nicht ausgeschlossen, herbei, und schaarten sich ringsum. Kurios nimmt sich eine Negerin als Ehrendame aus, in weißem Kleid nach pariser Schnitt; zum Lobe ihres Geschmacks muß man aber gestehen, daß sie den ungeheuerlichen Hut unserer Damen nicht angenommen, sondern denselben durch einen recht originellen Kopfputz mit Goldfransen ersetzten.

Endlich sah ich einen großen Bacchus mit grauen Haaren langsamen und gemessenen Schrittes sich nähern. Es war Seine schwarze Majestät. Soulouque trug ein ziemlich gut erhaltenes, blaues und mit Gold verbrämtes Kostüm, anschließende weiße Beinkleider und rothe Husarenstiefeln. Ich sah, wie er sich unter dem Thronhimmel niederließ, verschiedene Geberden machte und dann das Kreuz küßte. Hierauf beeilt sich der ganze Hof zu Pferde zu steigen, die Generale jagen in Unordnung von dannen, und überlassen S. M. dem Stallmeister, der Höchstsie nur mit Mühe in den hohen Sattel bringt. S. M. entfernt sich zuletzt, die Truppen grüßend, die ihr „Es lebe der Kaiser!“ brüllen.

„Von dem Anblicke dieses Schauspiels endlich zu mit selbst gekommen, frug ich mich unwillkürlich, ob das Alles Wirklichkeit gewesen? Stellte man irgend auf dem Theater ein Fest so dar, Jedermann würde den Vorwurf der Uebertreibung machen. Und doch erzähle ich Nichts, als was meine Augen sahen. Nicht einen einzigen Wagen bemerkte ich; selbst die Hofdamen begingen die Feier zu Fuß. Wollte ich noch schildern, wie ich schließlich die Truppen defiliren sah und was dabei Alles passirte, so könnte ich meine Darstellung um das Doppelte verlängern. Statt dessen will ich noch kurz erzählen, wie mein Diener Marc, der unterdessen in Jacmel geblieben war, ein ähnliches Schauspiel genoß.

[68] Der Gouverneur, Herzog von Leogane, hielt daselbst eine große Revüe. Marc, in seiner Livree an eine Thürpfoste des Hotels gelehnt, sah dem Defiliren zu. Als nun der Herzog von Leogane an der Spitze seines Regiments an dem Hause vorüber kam, glaubte er in der gestickten Livree eine ausländische Uniform zu sehen, und grüßte mit seinem Degen meinen Diener auf das Zuvorkommendste. Alle Offiziere ahmten ihm nach und salutirten, die Truppen schulterten, nach dem armen Marc Richtung nehmend, der die unverhofften, ungewohnten Ehrenbezeugungen mit dem Gesichte eines Erztölpels empfing. Dieses Ereigniß hatte nichts desto weniger seinen Nutzen. Man hält uns für wichtige Personen, Freunde des Herzogs, und flüstert sich zu, daß es nicht gerathen sei, uns in üble Laune zu versetzen.

Die Festlichkeiten werden sechs Tage dauern. Während dieser Zeit empfängt der Kaiser nicht, was mir leider das Vergnügen verzögert, demselben vorgestellt zu werden. Ein ander Mal werde ich Ihnen davon berichten, und wie ich mit dem Herzog von Leogane zusammentraf, sowie, in welchem Grade ich das Glück habe, mit dem Kommandanten des Platzes, Sr. Excellenz dem Baron von Michel, Großoffizier des St. Faustin-Ordens etc. etc. befreundet zu sein.




Blätter und Blüthen.

Der Amazonenstaat auf der Insel Java. Unter den holländischen Besitzungen jenseits Europa’s giebt es einen merkwürdigen kleinen Staat, der mit seiner Constitution und den originellen Gebräuchen seiner Bewohner an eine der ergötzlichsten Stellen in Ariosto’s „rasenden Roland“ erinnert, und die fünfhundert Träume amerikanischer Emancipations-Damen übertrifft. Auf der Insel Java, zwischen den Städten Batavia und Gamarang, versteckt sich ein ganzes Königreich, genannt Bantan. Obgleich unter der Oberherrlichkeit Hollands, bildet das Ländchen doch einen besondern Staat mit unabhängigem Staatsoberhaupte. Das Land, politisch ohne Bedeutung, ist doch glücklich und reich, und ward seit undenklichen Zeiten stets blos von Weibern regiert und vertheidigt. Der König ist zwar ein Mann, alle übrige Regierung aber schönes, schwaches Geschlecht. Der Fürst ist durchaus abhängig von seinem weiblichen Staatsrathe, gebildet von drei Frauen, der obersten Behörde des Landes. Alle Staatsstellen, alle Hofstellen, alle Militairstellen, alles Militair – ohne Ausnahme aus Eva’s Geschlecht. Die Mannsen treiben Ackerbau, Handel und Gewerbe. Die Leibgarde des Fürsten besteht aus der weiblichen Elite des Landes, den Schönsten der Schönsten. Diese Amazonen reiten nicht damenartig, sondern wie ächte Ritter, größtentheils wohl besser, da bei uns viele Ritter in sich selbst zwar oft Esel, sonst aber keine Pferde besitzen. An ihren kleinen Schuhhacken haben sie statt der Sporen kleine Stahlspitzen. Ihre Kleidung ist oft sehr spärlich, sehr malerisch und sehr antik: eine kurze rothe Tunica, welche oben Schulter, Busen und linken Arm, unten die Füße von den Knieen an unbedeckt läßt. Um den linken Arm sind die Zügel des Pferdes geschlungen. Das Haar wird an allen Seiten in die Höhe gebunden und von einer breiten Binde, mit einem goldenen Schmuck über der Stirn, umschlossen. Ihre Hauptwaffe, eine kurze, spitzige Lanze, schwingen sie sehr graziös und geschickt. Sonst früher mit Pfeil und Bogen bewaffnet, tragen sie jetzt eine kleine Muskete an der Stelle des ehemaligen Köchers. Mit den Musketen wissen sie auch sehr geschickt umzugehen: im vollen Galopp schießen und treffen sie blos mit einer Hand. Dieser seltsamen Soldateska entspricht die übrige Regierung von Bantan. Der Thron ist erblich für die männlichen Erstgebornen. Sobald so ein Erstgeborner den Thron besteigt wird er mit einer Reihe Mädchen unter sechzehn Jahren umgeben, damit er die ihm Schönste sich zur Gemahlin wähle. (Viel vernünftiger als bei uns, wo kein Herz, sondern nur Diplomatie wählt und die Gattin dictirt und octroyirt). Stellt sich nach dreijähriger Ehe kein junger Thronerbe ein, kann der Fürst eine andere Gattin wählen, jedoch ohne die erste von ihrem eigenen Range als „Sultanin“ zu verstoßen. Sollte der Fürst oder Sultan trotz dieser Fürsorge ohne Thronfolger sterben, versammeln sich hundert junge, auserwählte Amazonen, um einen Thronerben unter ihren eigenen Sprößlingen auszuerkiesen. Der frauengewählte Sultan wird dann proclamirt und Alles ist wieder in Ordnung. Die Hauptstadt dieses kleinen Frauenstaates liegt in einem der malerischsten Theile der Insel auf einer fruchtbaren, baumbeschatteten Ebene. In der Mitte derselben erheben sich zwei gut verwahrte Festungen; die Diamantenburg, wie eine derselben heißt, schließt den Palast des Sultans ein, ein großes, geräumiges, massives Bauwerk, wohl geeignet, eine Belagerung auszuhalten. Die regierenden Damen sind sanft und höflich in ihrem Benehmen, und Fremde, die ihre Aufwartung machen, werden mit großer Zuvorkommenheit aufgenommen. Das glückliche Bantan-Land erinnert an glückliche, brave Frauen, von denen die Welt auch nicht spricht. In der Politik kommt das Land gar nicht vor. Man sagt, es sei politisch ohne Bedeutung. Ich dächte nicht. Wenn es unter dem Scepter der Schönheit so reich und glücklich ist, wie es der Engländer Elton schildert, wäre es ja die Lösung eines großen Problems, der Sieg einer neuen Regierungsform. Wer, wie es jetzt Vielen geht, weder zur Monarchie, noch zur Demokratie, noch zum Constitutionalismus, noch zur Oligarchie, Plutokratie, Republicokratie noch zu einer andern Kratie Vertrauen hat, der könnte sich ja vielleieht noch mit der Hoffnung trösten, daß von Bantan die Pantofflokratie die Welt befreien und erlösen werde. Mit letzterer hat man bis jetzt blos im stillen Familienkreise glückliche Versuche gemacht, es käme bei diesem Mangel an Männern nun nur auf einen großen, staatlichen an.


Aus Briefen einer barmherzigen Schwester in Sebastopol. In der Nacht vom Montag auf Dienstag wurden unsere Truppen beordert, neue Trancheen zu graben und Batterien aufzuwerfen, unter starker Bedeckung. Wir waren die ganze Nacht über bereit, doch die Nacht ging glücklich vorüber und der ganze Dienstag war still und ruhig. Abends wartete man wieder. Alles wird vorbereitet; Matratzen werden in mehreren Reihen auf den Boden gelegt; kleine Tische mit Papier, Tinte, Federn und Lichtern hingestellt. Auf einem Tisch legt man Haufen von Chapie, Compressen, Binden, kurze Stearinlichter, Arzneien. In einer Ecke steht ein großer Samowar (Theemaschine), der den Tag und die ganze Nacht kochen soll; daneben zwei Tischchen mit kleinen Theekesseln und Schalen. Auf der andern Seite ein Tisch mit Branntwein, Wein, saurer Limonade, Trink- und Weingläsern.

Zwischen 9 und 10 Uhr zuckt es wie ein Blitz an den Fenstern vorüber und es kracht plötzlich, daß die Fensterscheiben erzittern. Nach und nach und immer schneller und häufiger; man kann die einzelnen Schüsse nicht mehr unterscheiden. Alles dröhnt, die fünfte und sechste Bastion sind im Feuer. Die feindlichen Bomben fliegen nicht bis in die Stadt. Wir sitzen und horchen, immer in demselben; es vergeht eine Stunde ungefähr. Da erscheint eine Tragbahre, die zweite, die dritte – es hat begonnen. Die Lichter werden angezündet, die Leute laufen eilig hin und her, und bald ist dieser große Saal mit Menschen angefüllt; der Fußboden ist mit Verwundeten bedeckt – überall, wo man sitzen kann, sitzen deren, die sich selbst hergeschleppt haben. Wie sie schreien! Welch ein Lärm! Eine Hölle ist’s um uns her. Man hört den Kanonendonner nicht vor diesem Jammern und Stöhnen. Dieser schreit ohne Worte; jener ruft: „Rettet mich, Brüder, rettet!“ Ein Anderer erblickt den Branntwein auf dem Tische und bittet: „Sei mir eine gute Mutter, gieb mir einen Schnaps!“ In allen Richtungen hört man Stimmen, die zu den Aerzten, welche Wunden untersuchen, schreien: „Erw. Wohlgeboren, quält mich nicht!“ Und ich selbst gehe mit großer Mühe zwischen den Reihen der Tragbahren durch und rufe: „Hierher, Leute – tragt ihn in’s Gustsczinski’sche Haus (dorthin wurden die hoffnungslos Verwundeten gebracht), – den da in die Nikolajew’sche Batterie. – Legt diesen auf das Bett hier!“

Nun bringt man auch Offiziere. Das Operationszimmer ist ganz angefüllt mit Verwundeten; doch an Operationen ist jetzt nicht zu denken. Da bringt man einen Offizier, – sein Gesicht ist ganz mit Blut überströmt, – ich wasche es ihm, – unterdessen holt er, mühsam aus seinem Portemonnaie ein Trinkgeld heraus für die Soldaten, die ihn getragen haben. Ich knie auf den Fußboden, um dem Doctor zu leuchten; der Verwundete ist von einer Kugel in die Brust getroffen; um zu sehen, ob er nicht durch und durch geschossen, lege ich ihm die Hand unter den Rücken und untersuche die Wunde. – Du kannst Dir denken, wie er in seinem Blute schwimmt. Doch genug! Du würdest schaudern, wenn ich Dir alle Qualen und Leiden, die ich in jener Nacht nur gesehen – beschreiben wollte. Endlich dämmert es, das Geschützfeuer hört auf. – Wir haben einen kleinen Garten, denke, auch da lagen Verwundete. Ich nahm Branntwein mit und lief dahin – unter dem herrlichsten Sonnenaufgang über der Bucht – bei dem Gezwitscher der Vögel – im Schatten weißblühender Akazien – fand ich da ungefähr dreißig sehr schwer Verwundete, die meisten beinahe schon sterbend. Welch’ ein Gegensatz zu diesem Frühlingsmorgen. Ich bat zwei Einwohner von Sebastopol, welche die ganze Nacht über sehr eifrig geholfen hatten beim Tragen der Verwundeten, auch diese gleich in’s Hospital zu tragen. Gottlob, das Tragen hat ein Ende. Die Aerzte, welche um Tagesanbruch nach Hause gegangen waren, um auszuruhen, kamen wieder; diejenigen, welche geblieben waren, gehen fort.

Um sieben Uhr beginnen die Operationen auf’s Neue. Obgleich es nicht mein Dienstag war, entschloß ich mich auch da zu bleiben. Bis zwei Uhr dauern die Operationen. Zwischen fünf und sechs Uhr kommt Pirogoff wieder, und das Operiren dauert bis acht Uhr; doch war es dann vorbei, und um neun Uhr ging ich nach Hause. Die Kanonade dauerte aber immer fort und wurde gegen Morgen stärker; ich stand daher um sechs Uhr auf und meldete mich um sieben zum Dienst. Alles war in Ordnung – in dieser Nacht kaum hundert Verwundete. Freilich hatten wir drei Stunden lang Amputationen; doch mit dem Verbande war um ein Uhr Alles vorüber. Man brachte mir Dein Päckchen, ich machte es auf und fing sogleich an, aus Deiner Leinewand Compressen zu reißen. Man bringt mir mein Mittagsessen. Alles ist still. Heute giebt’s einen ruhigen Tag. Die Thüre geht auf und eine Tragbahre nach der andern erscheint. Was heißt, das? Wo, wie? Wann bist Du verwundet? – Noch seit jener Nacht haben wir da gelegen, – jetzt erst war Waffenstillstand. Denke Dir das Fürchterliche! Beinahe zwei Mal 24 Stunden hatten sie da gelegen; einige mitleidige Franzosen hatten ihnen Brot und Wasser gegeben. Wir wuschen gleich ihre Wunden, verbanden sie, gaben ihnen zu essen und zu trinken; natürlich waren sie Alle an den Füßen verwundet, einige nur leicht; – doch gab es wieder zwölf Operationen, und da Niemand diesen Zwischenfall erwartete, waren Dr. Chlebnikoff und ich beinahe allein an dem Operationstische. Die Nacht ging ruhig vorbei.


„Aus der Fremde“ Nr. 5 enthält:

Aus dem Leben eines Sklavenhändlers. (Zweiter Artikel.) – Aus dem Kaukasus. (Mit Abbildungen.) – Franklin und die Reisen zur Ermittelung seines Schicksals. Nach offiziellen Quellen. (Schluß.) – Aus allen Reichen: Die schrecklichste Nacht meines Lebens.


  1. Se. Majestät, der Kaiser Faustin Soulouque von Haiti, sind neuerer Zeit wieder sehr in den Vordergrund getreten. Die Zeitungen der letzten Tage erzählen, daß er mit 30,000 Mann am 12. December ausgezogen, um den östlichen Theil der Insel St. Domingo zu unterjochen, ein Unternehmen, was ihm schon im Jahre 1849 mißlang. Jetzt ist die Nachricht eingetroffen, daß auch dieses Mal Se. Majestät mit ihrer trefflichen Armee, die in obigem Artikel geschildert wird, geschlagen worden sind und Fersengeld geben mußten. Faustin Soulouque wurde im Jahre 1787 als Sklave zu Petit Grava in der Plantage des Herrn Biallet, eines französischen Creolen, geboren. Seine Aeltern waren Sklaven derselben Pflanzung, Neger von unvermischter Race. Im Jahre 1793 erhielten sie mit ihrem Sohne die Freiheit infolge eines Beschlusses der französischen Republik, welcher in sämmtlichen französischen Kolonien die Sklaverei aufhob. Herr Biallet lebte noch als einer der ältesten Creolen der Insel zur Zeit, als sein ehemaliger Sklave den Präsidentenstuhl bestieg, und stattete dem neugewählten Staatsoberhaupte seinen Besuch ab. Soulouque soll ihm aus seinem Palast entgegengekommen sein, ihm die Hand geküßt und seinem alten Gebieter alle möglichen Beweise des Respects und der Anhänglichkeit gegeben haben. In seinem siebzehnten Lebensjahr trat der junge Neger in Kriegsdienst und stand vier Jahre als gemeiner Soldat unter dem berüchtigten Dessalines. Im Jahre 1808 wurde er Infanterie-Lieutenant und trat drei Jahre später in demselben Grade zur Kavallerie über, was ihm bei zunehmender Corpulenz nur gut thun konnte. Im Jahre 1820 avancirte Soulouque zum Kapitain, in welchem Grade er volle zwanzig Jahre blieb. Präsident Boyer, der vielbekannte Mulatte, bediente sich seiner als eines gefügigen Werkzeuges zu den verschiedensten Verrichtungen. Als Soulouque im Jahre 1840 Major und drei Jahre später Oberst wurde, fing sein Haupt schon an etwas kahl zu werden. Im Jahre 1846 war er Divisions-General und Platzcommandant von Port-au-Prince, und 1847 nach Richers Tod der gewählte Präsident der Republik. Das Jahr 1848 wurde auf Haiti durch Soulouque’s berühmten Staatsstreich vom 16. April, durch die Niedermetzlung vieler Mulatten, durch die Abschaffung der Republik und die Errichtung eines schwarzen Kaiserthums bezeichnet. Noch in demselben Jahre machte Soulouque seinen bekannten Schreckenszug durch einen Theil der Insel, Hinrichtungen, Blutströme bezeichneten den Weg, den er genommen. Sein Versuch jedoch, im Jahre 1849 auch den östlichen Theil der Insel wieder zu erobern, mißlang gänzlich. Der Kaiser kam mit seiner Armee aus der Republik San Domingo, wo die Regierung aus Mulatten besteht, schneller zurück, als er dahin gegangen war. Er gab auch, wie nach ihm Louis Napoleon, eine so genannte „freie Verfassung." Diese Constitution, welche Soulouque die erbliche Kaiserwürde verleiht, bestimmt für ihn auch eine Civilliste von 150,000 Papier-Gourds oder Piaster, was bei dem geringen Werth der Papiermünze des Landes keine bedeutende Summe wäre. Der Kaiser reclamirte jedoch später auch den fünften Theil der sämmtlichen Kaffeeproduction Haiti’s, d. i. etwa zehn Millionen Pfund Kaffee. Die freie Verfassung sagt zwar nichts davon, aber der Kaffee muß ebenso pünktlich abgeliefert werden, als wenn diese Bestimmung schon unter den zehn Geboten Mosis figurirte.
    D. Redakt.