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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[45]

No. 5. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Wie die reichen Bauern in Angeln auf die Heirath gehen.

(Sittenbild.)

Ich war Offizier in schleswig’schen Diensten und zwei Mal in einem Dorfe im Lande der Angeln, welches bekanntlich zwischen Flensburg und Schleswig liegt, einquartiert. In dem Hause meines Wirthes Johann Lanesen herrschte ein ziemlich freies und ungezwungenes Leben. Vermittelst der Glasthür, die aus meinem Zimmer in die Küche führte, waren die Hausgenossen im Stande, all mein Thun und Treiben den ganzen Tag lang zu überwachen und des Abends, wenn ich mein Licht anzündete, pflegte eine neugierige Kuh ihren Kopf zu dem niedrigen Fenster hereinzustecken, um zu sehen, was ich vorhätte. Wenn mein Bursche die Thür der Brautkammer zuzumachen vergaß – eines großen Gemaches, in welchem er unter Kisten und Truhen und Leinen und Bettzeug, welches zur Ausstattung der Tochter des Hauses bestimmt war und unter großen Haufen getrockneten Obstes und langen Schnuren Zwiebeln seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte – so kam eine Henne mit ihren Jungen, die hier mit ihm zusammenwohnte, in mein Zimmer getrippelt, um die Krumen aufzupicken, welche auf dem Fußboden umhergestreut lagen. Die Mägde kamen zu jeder Tageszeit ohne weitere Umstände in mein Stübchen, um irgend etwas daraus zu holen, obschon ich mich vielleicht gerade in einem Kostüm befand, in welchem man in der Regel[WS 1] keine Damenbesuche anzunehmen pflegt. Andererseits ward es aber auch durchaus nicht übel genommen, wenn ich durch die große Kammer ging, wo die Betten sämmtlicher Hausgenossen standen und hier einen derselben im tiefsten Negligé antraf.

Das Haus war mit einem Worte seiner innern Einrichtung zufolge von der Art, daß wir kein Geheimniß vor einander haben konnten. Der alte Johann konnte es allemal sehen, wenn ich mit einem stillen Seufzer einen Thaler aus meinem Koffer holte und ich dagegen sah ihn oft mit stillvergnügtem Grinsen in seinem Wandschranke von Eichenholz eine Rolle harter Thaler zu der andern legen.

Er befand sich sehr schlau, der alte Bursche, obschon es ihm Niemand angesehen hätte. Seine Kleider waren überall geflickt und der Kopf seiner unzertrennlichen Gefährtin, die Tabakspfeife, ward durch ein Stückchen Schuhdraht in einem sehr unsichern Zustande des Daseins erhalten. Sein altes Wohnhaus zeigte allerdings einige Spuren von Verfall, aber dennoch war Johann Lanesen der reichste Mann im Dorfe und hätte ein zweimal so großes und schönes Haus bauen können, als irgend einer seiner Nachbarn besaß, wenn er nur sonst gewollt hätte.

Johann war Wittwer und seine Familie bestand aus [46] einer einzigen Tochter, der kleinen Marie, auf die er nicht wenig stolz war.

„Sehen Sie,“ sagte er zu mir, „Marie ist erst neunzehn Jahr alt, aber sie führt das Hauswesen schon so gut, wie ihre brave selige Mutter.“

„Aber wie lange werdet Ihr sie wohl noch im Hause behalten? Es wird schon mancher junger Bursche ein Auge auf sie haben.“

Marie war in der That ein sehr hübsches Mädchen.

„Ach, damit hat’s keine Gefahr,“ sagte er, und blinzelte mich schlau von der Seite an. „Es wird wohl nicht gleich einer kommen, und kommt einer und ist von der rechten Sorte - nun dann mag sie ihn in Gottes Namen nehmen. Ich bin nun in die Sechzig und kann mich zur Ruhe setzen.“

Was die kleine Marie selbst betraf, so schienen Heirathsgedanken das allerletzte zu sein, womit sie sich beschäftigte. Des Morgens, wenn ich noch im süßesten Schlummer lag, ward ich von lauten hellen Stimmen aufgeweckt und das Erste, was ich, wenn ich die Augen aufschlug, sah, war der Balken über meinem Kopfe, welcher hin und her schwankte, als wenn er im nächsten Augenblick zermalmend auf mich herabstürzen wollte. Aus der Küche ließ sich ein lautes Donnern und Pochen, Holzschuhgeklapper und Singen vernehmen. Es war Marie, welche den Schwengel der Butterfaßstange an den Deckbalken befestigte und sich bemühte, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden und die schwierige Aufgabe zu lösen, gleichzeitig zu buttern und nach einer selbstgeträllerten Melodie eine Polka in Holzschuhen zu tanzen.

Doch von Marien’s Gesang und Tanzkunst wollte ich eigentlich nicht sprechen, sondern von ihrer Verheirathung.

Es war Sonntag und sie kam eben aus der Kirche nach Hause. Da es geregnet hatte, so hatte sie ein Paar Holzschuhe angezogen, die gegen ihre feinen weißen Strümpfe und ihren übrigen ganz modernen und städtischen Anzug merkwürdig abstachen. Sämmtliche junge Leute waren in der Kirche gewesen und mein Wirth, der zu Hause geblieben war, hatte mittlerweile Besuch erhalten. Der Fremde war ein langer Mann in einem langen grauen Frack und mit einer Meerschaumpfeife im Munde. Er saß mit beiden Ellbogen auf den Tisch gestützt und den Kopf in beiden Händen haltend und sprach mit Lanesen.

„Nein, Klaus Tram,“ sagte mein Wirth, „das ist kein Mann für Marien. Sein ganzer Viehstand kann kaum ein paar hundert Thaler werth sein. Und Marie kriegt einmal mein Gut.“

„Ich will Euer Gut gar nicht schlecht machen,“ versetzte Tram, „aber ein Rittergut ist es auch noch nicht. Ihr solltet nur das Haus sehen, welches Carsten sich gebaut hat! Marie könnte wenigstens einmal hinübergehen und es sich ansehen.“

„Buten (auswendig) blank, binnen krank,“ antwortete Lanesen kopfschüttelnd; „was meinst Du dazu, Marie,“ fuhr er fort, indem er sich zu seiner Tochter wendete, die so eben eingetreten war; „hier sitzt Tram als Freiersmann für Carsten Carstensen, der aber ein ganz kleines Gütchen und kaum zehn Kühe hat.“

„Hm!“ sagte Marie.

„Nein, er hat zwölf Kühe,“ sagte Tram.

„Wir haben auf dem letzten Viehmarkte in Brarup die dreißigste gekauft,“ bemerkte Marie ruhig, während sie ihren Hut und ihr Umschlagetuch abnahm.

Die Männer sprachen noch eine Zeit lang über die Sache und endlich erhob sich Tram, um wieder fortzugehen.

„Ich sehe schon, daß wir nicht Handels einig werden,“ sagte er. „Na, es hat weiter nichts zu bedeuten; Carsten kann eine Frau kriegen, sobald er sie haben will, wenn es auch nicht gerade Eure Marie ist.“

„Hi! hi! hi!“ lachte mein Wirth. „Ihr könnt ja einmal wieder einen Sprung zu uns hereinkommen, Tram.“

Klaus Tram ist ein Mann von nicht geringer Bedeutung. Er hat ein nettes, kleines Gut mit einem Dutzend Kühen und eine ausgebreitete Bekanntschaft mehrere Meilen in der Runde. Er weiß genau, wie viel jeder Bauer im Vermögen hat und führt ein förmliches Register über sämmtliche heirathsfähige junge Bursche und Mädchen. Er ist jede Stunde bereit, Jedem, der es wünscht, eine Frau zu verschaffen und wenn vielleicht eine Wittwe sich nach einem andern Manne umsieht, der etwas Geld hat, um das Gut wieder in Betrieb zu setzten, so braucht sie sich nur an Klaus Tram zu wenden. Für eine kleine Erkenntlichkeit bringt er die Sache sofort in’s Reine, ohne daß die Betheiligten es nöthig haben, sich erst in einander zu verlieben oder Berechnungen anzustellen, oder zeitraubende Erkundigungen einzuziehen.

Den sogenannten „kleinen Leuten“ bleibt es in der Regel überlassen, ihre Lebensgefährten sich selbst zu wählen, denn bei ihnen sind nicht so viele und wichtige Punkte in Erwägung zu ziehen. Mit dem Besitzer eines großen Gutes aber ist es etwas ganz Anderes. „Geld sucht wieder Geld,“ sagt man hier, und es wäre eine furchtbare, aber wohl auch noch nie vorgekommene Mißheirath, wenn ein reicher Bauerssohn eine arme Häuslerstochter zur Frau nehmen wollte.

Klaus Tram hielt meinen Wirth beim Worte und es waren nur erst vierzehn Tage vergangen, so erschien der Heirathsagent wieder auf dem Hofe. Johann hieß ihn ziemlich mürrisch willkommen, aber nachdem sie eine Zeit lang draußen an der Schwelle mit einander gesprochen hatten, traten sie beide mit lächelnden Mienen in die Küche und Lanesen sagte zu seiner Tochter:

„Na, heute pfeift Klaus aus einem andern Tone!“ Der Sohn des reichen Niels Skytte läßt um Dich anhalten.“

„Den kenn’ ich nicht,“ sagte Marie.

„Na, das schadet nicht, Marie, Ihr könnt ihn Euch ja ansehen,“ sagte Tram. „Wenn Ihr und Euer Vater nichts dagegen habt, so können wir ja nächsten Sonntag einmal herkommen.“

„Mir recht,“ sagte mein Wirth, und die Sache schien vor der Hand abgemacht, aber diesmal durfte Klaus nicht so fortgehen, wie das vorige Mal. Heute mußte er sich niedersetzen und ich weiß nicht wie viel Tassen Kaffee trinken und als er fortging, begleitete ihn Johann bis an der Hofthor.

Der Sonntag kam und mittlerweile war das ganze Haus umgestürzt worden. In der Küche sah es aus wie in einer Porzellan- und Eisenwaarenhandlung, so vollgepfropft war sie von Tellern, Schüsseln, Krügen, Tassen, Kannen, Bratpfannen und allem andern möglichen Küchengeschirr und Kochgeräthschaften. Auf dem Heerde loderte [47] ein prasselndes Feuer, welches von dem blankgeputzten Kupfer und Messing hundertfältig zurückgespiegelt ward. Die Wohnstube war auf’s Sauberste gefegt und frisch aufgeputzt. Die Thür der Schlafkammer stand halb offen und ließ ganze Gebirge von roth- und blaugestreiften Federbetten sehen, die bis an die Decke hinaufreichten. Die Truhen und Kisten in der Brautkammer waren nur halb zugemacht und hier und da sah man einen Zipfel feine, weiße Leinwand hervorragen, während aus den Schubfächern allerlei bunte Gegenstände hervorlugten. Rings an den Wänden herum hing Marien’s Garderobe - schöne seidene, wollene und baumwollene Kleider, Tücher, Schürzen, Mäntel, Hauben, Hüte und Regenschirme in solcher Menge, daß dem Freier in Bezug auf die Ausgabe für die Garderobe seiner Frau binnen der nächsten zehn Jahre nicht Angst zu sein brauchte.

Die Thür der Milchkammer stand ebenfalls offen und gestattete einen Blick auf die vollen Milcheimer, die in enggeschlossener Reihe auf dem Fußboden von rothen Ziegelsteinen standen, während weiter hinten an der Wand ein ungeheurer Trog voll frischer Butter sichtbar war.

Sämmtliche Hausgenossen hatten natürlich ihre besten Sonntagskleider angelegt. Marie sah aus wie eine feine Dame in kolossalem Maßstabe, aber sie war nichts desto weniger wirklich hübsch mit ihren frischen, rothen Backen und gutmüthigen blauen Augen. Das Einzige, was mich an ihr unangenehm berührte, war, daß sie die von der Arbeit gerötheten dicken Finger der rechten Hand in goldene Ringe mit gefärbtem Glas, statt der Steine, gezwängt hatte.

Ihr Vater ging in seinem langen Rock und mit seiner kurzen Pfeife fortwährend hinaus und herein; er hatte sich gewaschen und rasirt und ein weißes Halstuch umgebunden, so daß ich ihn wirklich kaum wiedererkannte.

Endlich war der ersehnte Augenblick da. Zwei Leiterwagen rollten in den Hof und von den breiten eingehängten Sitzen herab stiegen drei oder vier stattliche Bäuerinnen und eben so viel langröckige Bauern, nahe Verwandte des Freiers, den sie begleiteten, um ihm bei seinem wichtigen Vorhaben zur Seite zu stehen.

Klaus Tram eröffnete den Zug. Er schritt mit der Miene eines Mannes, der sich seiner Bedeutung bewußt ist, in die Küche und durch dieselbe hindurch in die Wohnstube. Hier fanden sie Johann und seine Tochter, nebst einigen ihrer Verwandten. Der Anstand hatte ihnen nicht erlaubt, hinauszugehen und ihre Gäste zu empfangen; dies hätte ausgesehen, als ob sie auf die Heirath gar so sehr erpicht wären. In der Stube war der Empfang dafür desto wärmer, denn so wie die Gäste eintraten, wurden zwei dampfende Terrinen Suppe auf den Tisch gesetzt und nachdem man nur einige wenige Worte gewechselt, setzte man sich zu Tische.

Klaus Tram gab auch in der Unterhaltung den Ton an. Bald machte er eine Bemerkung in Bezug auf Johann’s dreißig Stück Kühe, dann erging er sich in einer längeren Hindeutung auf Niels Skytte’s Ziegelbrennerei, die, wie er sagte, „Dreck in Silber verwandeln könnte“ und wollte sich dann über seinen eigenen Witz halb todt lachen.

Das Gespräch drehete sich größtentheils um Ackerbau und Geld, ward aber nur mit Mühe im Gange erhalten. Es war klar, daß ein anderer Gegenstand die Gedanken der Tischgäste beschäftigte.

Die jungen Leute wechselten kein Sterbenswort mit einander; sie saßen am Tische einander gegenüber, sahen sich aber kaum an. Uebrigens war der Freier ein ganz hübscher junger Bursche mit kurzverschnittenem blonden Haar und einem rothen Taschentuch, welches fast zur Hälfte aus der großen Seitentasche seines Rockes heraushing.

Als die Suppe gegessen war, standen die Männer auf und stopften ihre Pfeifen. Tram streckte die Beine aus und sagte:

„Ich dächte, wir gingen nun einmal durch die Ställe.“

Und während die Männer dort waren, inspicirten die Weiber das Innere des Hauses, hoben die Federbetten in die Höhe, nahmen das Leinenzeug in prüfenden Augenschein und kosteten die Butter in der Milchkammer.

Nach einiger Zeit rief Marie ihre Gäste wieder zu Tische. Das Fleisch, welches die Brühe zur Suppe geliefert hatte, ward jetzt mit in Butter schwimmenden Kartoffeln aufgetragen. Auch standen auf dem Tische Schaalen mit klarem weißen Zucker, dessen man in der That auch wirklich höchst nothwendig bedurfte, um die dunkelrothe Flüssigkeit zu versüßen, welche unter dem Namen Wein in die Gläser geschenkt ward.

Nun ward das Gespräch bedeutend lebhafter und drehete sich um das Gut und dessen Viehstand. Einer unzeitigen Schmeichelei konnte man die Gäste durchaus nicht beschuldigen; sie lobten nur, was handgreiflich gut war und nahmen keinen Anstand, an dem alten Wohnhause allerlei auszusetzen und zu berechnen, was wohl ein Neubau kosten würde.

Hierauf trat abermals eine Pause ein, die Pfeifen wurden wieder gestopft, und ein zweiter Spaziergang angetreten, bis eine prachtvolle, herrlich gebratene Schöpskeule auf den Tisch gesetzt ward. Man ging nun allmälig näher auf den Zweck des Besuches ein und sprach sich ohne Rückhalt über den beiderseitigen Stand des Vermögens und der sonstigen Habe aus. Während die Gesellschaft Kaffe trank, der ihr von Marien in nicht geringen Quantitäten aufgenöthigt ward, war man der Verständigung ziemlich nahe gekommen und als der Bräutigam seinen Löffel quer über die Obertasse legte, um dadurch anzudeuten, daß es ihm unmöglich sei, eine siebente Tasse zu trinken, war er mit meinem Wirth bis auf ein paar hundert Thaler einig, welche, wie er meinte, Johann der Ausstattung seiner Tochter noch hinzufügen könnte.

Eine Zeit lang schien es, als wenn keine von beiden Parteien zum Nachgeben geneigt sei und Tram sah sich genöthigt, verschiedene diplomatische Missionen von der einen Seite des Zimmers nach der andern zu unternehmen und zwischen den beiden Parteien zu unterhandeln, die sich in entgegengesetzten Ecken gruppirt hatten und die Sache unter sich discutirten.

Endlich ward ein Traktat abgeschlossen und Johann sagte trocken:

„Na, meinetwegen. Was meinst Du denn dazu, Marie?“

Und Marie, welche emsig beschäftigt war, den Tisch abzuräumen, blieb mit einem Haufen Geschirr in den Händen einen Augenblick an der Thür stehen, drehete sich halb herum und sagte:

[48] „Na ja.“

Damit war die Sache entschieden. Der unermüdliche Tram setzte sofort den Contrakt auf, der nicht sobald unterzeichnet war, als der Bräutigam seine Uhr herauszog und sagte:

„Ich dächte, wir machten nun, daß wir nach Hause kämen.“

Und sofort brach die Gesellschaft auf, ohne daß Braut oder Bräutigam ein einziges zärtliches Wort gewechselt oder einander auch nur die Hand gedrückt hätten, – aber freilich hätte es sich auch nicht recht geschickt, in Gegenwart Anderer sich solche Vertraulichkeiten zu erlauben.

Acht Tage später sah man Braut und Bräutigam, jedes mit einem Regenschirm unter dem Arm und auf entgegengesetzten Seiten der Straße nach dem Pfarrhause gehen, um das Aufgebot zu bestellen und drei Wochen später war kein kleiner Lärm im Dorfe, denn der Sohn des reichen Niels Skytte ward mit der Tochter des reichen Johann Lanesen getraut.

Ich bekam leider nichts von dieser Festlichkeit zu sehen, bei welcher ich außerdem ganz gewiß die schmeichelhafte Rolle eines Ehrengastes gespielt haben würde. Ich hatte mittlerweile mit meiner Compagnie ausrücken müssen und als ich wiederkam, saß mein alter Wirth, seine Pfeife schmauchend, auf der Bank vor der Hausthür und sah seinem Schwiegersohn zu, welcher geschäftig auf dem Hofe umher und in die Scheune hinein und heraus lief. Die kleine Marie war in der Milchkammer und wusch Butter aus, ihr Mann hatte schon wieder eine Kuh gekauft, und es läßt sich kaum daran zweifeln, daß sie eine glückliche Gattin in einem Lande sein wird, wo das häusliche Glück lediglich auf der Grundlage des Reichthums beruht.

Was übrigens die Werbeangelegenheiten betrifft, so habe ich ganz im Stillen mir gesagt, daß mit einigen Abänderungen die Sache in unserer Heimath, bei Baronen, Banquiers und Gevatter Schneider und Handschuhmacher ganz in derselben Weise betrieben wird.




Das Friedens- und Kriegsleben der Ameisen.[1]

(Ein Beitrag zur Thierseelenkunde.)

Mancher unserer Leser wird beim Lesen der Ueberschrift dieses Artikels ungläubig lächeln. Und doch ist es eine Wahrheit, daß auch in den Thieren eine Seele lebt. Denn mag auch das Thierreich tief unter uns anfangen, wir gehören noch dazu, mögen auch selbst die höchsten Thiere noch unter uns stehen, sie stehen uns doch schon so nahe, daß wir uns zu ihnen herablassen können, und je mehr wir uns dann mit der Seele der Thiere, dem Köstlichsten, was auch sie haben, beschäftigen, je klarer uns die verborgenen Kräfte derselben werden, um desto achtungswerther wird uns auch das Thier, um desto herrlicher die Natur! Wir werden in unsere Gartenlaube eine Reihe Artikel bringen, die den Beweis liefern sollen, daß die Thiere wirklich eine Seele, also neben dem mechanischen Leben auch ein freies geistiges Leben und, so weit eines jeden Welt reicht, eine eigene, überlegte, selbstständige Willenskraft haben und daß sie also nicht blos reine, nur vom dunklen, unbewußten Naturtriebe bewegte Maschinen sind. Wir beginnen mit den Ameisen, einer, was die Seelenkräfte anlangt, sehr untergeordneten Thiergattung, deren Leben und Schaffen aber einen höchst interessanten Einblick in das Treiben der Thierwelt giebt.

Bei den Bienen gehorcht alles einer Königin und alle unterwerfen sich ihr unbedingt, bei den Ameisen dagegen ist kein König, keine Königin, sie sind Republikaner, Demokraten, sogar Socialisten und Communisten, und doch geht alles seinen geregelten Gang, jeder unterwirft sich in freiem Gehorsam dem von der absoluten Natur gegebenen Gesetze. Die Weibchen, deren mehrere oder viele in einem Baue wohnen, sind nur die Mütter, nicht die Herrscherinnen. Ein Regiment von vielen Weibern in einem Hause, worin Ordnung sein soll, kommt in der Natur nicht vor. Jede Ameise arbeitet für sich, aber unermüdlich erfüllen sie alle ihre Pflichten wie Tagelöhner, pausiren auch zuweilen, doch nur kürzere Zeit als diese und sonnen sich ein wenig. Weibchen, die sich noch nicht gepaart, haben noch etwas von der Natur der Arbeiter oder Geschlechtslosen an sich, denn sie wollen wie diese, den Jungen aus der Puppe heraushelfen. Nach der Paarung fällt es ihnen nie mehr ein; sie hat also, wie es sich von selbst versteht, auf ihre Psyche Einfluß.

Auch bei ihnen treten die drei Formen des Geschlechtes auf, Männchen und Weibchen sind geflügelt und zierlichern Baues, als die Arbeiter, welche keine Flügel, dagegen einen dickern Kopf und sehr starke Kinnbacken haben, daher den Larven, den Kindern, den Unverwandelten ähnlich sind. Alle Arbeiten werden nur von ihnen verrichtet und Männchen und Weibchen arbeiten nicht. Ihre Puppen, unsere sogenannten Ameiseneier lieben sie außerordentlich und schleppen und tragen sie, je nach der Feuchtigkeit des Bodens bald herauf, bald herunter, je nach dem Sonnenstand. Werden sie dabei angegriffen, so vertheidigen sie sie herzhaft und lassen sich lieber entzweireißen als die Puppe nehmen. Abends werden die Puppen sorglich, eine jede in ihre besondere Zelle getragen, doch haben auch sie, wie die Bienen, für jedes Geschlecht eine besondere Art Zellen. Auch die Weibchen werden bei ihnen hochgeachtet und paaren sich einige von ihnen in oder auf dem Haufen, so werden sie nicht fortgelassen. Die Arbeiter klammern sich dann aus allen Kräften an sie an, reißen ihnen die Flügel aus und hüten sie ganz eifersüchtig, als wenn ihnen klar wäre, daß von ihrem Dableiben das Fortbestehen, das Wohl der Kolonie abhänge.

[49] Sie pflegen es dann, ernähren es, tragen es wohl gar herum und dies geschieht in einem Haufen oft mehreren Weibchen zu gleicher Zeit ohne allen Streit.

Wunderbar ist der Bau ihrer Wohnungen und wenn er auch weniger regelmäßig als bei den Bienen ist, so ist er doch nicht weniger zweckmäßig. Sie benutzen dazu je nach ihrer Art Gras, Holz, Blätter, Tannennadeln, Erde, Steinchen, Schneckenschaalen etc. und scheinen dabei die

Bau der Termiten.

Aeußere Ansicht. Ansicht im Längedurchschnitt.

Umstände genau und klug zu benutzen, denn finden sie auf dem Neste zwei sich kreuzende Splitter, so untersuchen sie dieselben, ob sie zur Unterlage eines Zimmers oder Balkens benutzt werden könnten und bauen sodann frisch darauf los. Liegen Strohhalme bequem zu dem Dache eines Zimmers, so verschmäht sie die Ameise nicht, sondern führt die Mauer in der Richtung auf, wozu dann andere kommen und ihr helfen.

Jede Ameise handelt daher unabhängig nach eigenem Plane, den sie anlegt und die Ausführung nachher andern überläßt, wobei sie das Wasser zu Mörtel benutzen, die Kiefer als Meisel, die Fühlhörner als Senkblei und die Füße als Kelle anwenden. Da die Ameisen ihren Bau nach den Umständen einrichten, sich nicht an eine unveränderliche Form binden, dabei immer aber ihren Bedarf und Nutzen erkennen, so muß ihnen noch mehr geistige Thätigkeit inwohnen, als den Wespen und Bienen.

Noch mühsamer und künstlicher arbeiten die Holzschnitzer, eine Art Ameisen, die ihre Städte und Dörfer in hohlen Bäumen anlegt. Sie bestehen aus zahllosen, ziemlich söhligen Stockwerken, deren Böden und Bühnen 5 bis 6 Linien auseinander so dünn wie Karten, bald von zahllosen, senkrechten Scheidewänden, bald von vielen kleinen Säulen getragen, in dem Innern eines Baumes ausgehöhlt sind. Die meisten Wände sind parallel und folgen den concentrischen Holzschichten, die Säulen sind zwei Linien dick, rundlich, in der Mitte dünner und in geraden Linien stehend, weil sie aus den parallelen ausgeschnitten sind. Eine ungeheure Arbeit.

Sie müssen gewisser noch als die Bienen eine Zeichensprache haben, die ihnen wie den vollkommnern Thieren und Menschen als Wortsprache dient. Wenn eine irgendwo in einem Hause, – wo sie nur um nachzuschauen, auszukundschaften, verirren thun sie sich nicht, hinkommen, – Zucker, Honig etc. findet, so kehrt sie zurück und bald kommen sie zu Hunderten und Tausenden und zehren alles auf. Die erste kann nur durch den Geruch hingeleitet worden sein, die andern wurden durch die erste hingeführt. Auffallender bemerkt man dies noch bei ihren Kriegen. Stört Jemand ihre Haufen, so eilen einige augenblicklich hinein um Anzeige zu machen; schnell stürzt dann ein Heer heraus und noch schneller tragen andere die geliebten Puppen noch tiefer hinunter. Am deutlichsten kann dieses bei den Roßameisen gesehen werden, die ihren Bau in hohlen Bäumen haben. Sie benachrichtigen einander durch’s Stoßen mit dem Kopfe und die Gestoßenen stoßen wieder andere so, doch nicht alle merken das Zeichen gleich schnell. Den Kampf führen nur die Arbeiter; die Männchen und Weibchen verbergen sich oder fliehen. Heimtücke kennen sie nicht, aller Angriff ist offenbar, jeder nimmt seinen Mann auf’s Korn, wie in den alten Schlachten beim Handgemenge. Will man aber regelmäßige Kriege sehen, so muß man in die Wälder gehen, wo die rothbraunen Ameisen ihre Herrschaft über alle vorbeigehende Insekten behaupten und mit ihres Gleichen von verschiedenen Nestern Krieg führen, wie es im Mittelalter benachbarte Städte gethan haben. Manchmal rücken aus zwei Haufen, die über 100 Schritte von einander entfernt liegen, die Heere so zahlreich gegen einander, daß sie den ganzen Weg zwei Fuß breit bedecken und in der Mitte mit einander kämpfen. Tausende ringen da einzeln mit einander und suchen sich mit den Kiefern [50] in die Gefangenschaft zu schleppen. Gegen Nacht ziehen sich beide Heere allmälig in ihre Städte zurück, indem sie die Todten liegen lassen, die Gefangenen aber mitnehmen, fangen aber den nächsten Morgen mit Sonnenaufgang noch viel wüthender ihren Kampf wieder an. Das Wunderbarste dabei ist, daß sich die Ameisen dabei gegenseitig zu kennen scheinen und die Freunde von den Feinden sehr genau zu unterscheiden wissen. Sie gehen zwar immer mit offenen Kiefern auf einander los, packen sich auch wohl manchmal an, lassen aber augenblicklich wieder los und streicheln sich mit den Fühlhörnern, wenn sie zu einem Stocke gehören. Trotz dieser fürchterlichen Kriege der verschiedenen Arten findet man doch auch Haufen von gemischten Ameisen. Gewohnheit und Erziehung scheint bei ihnen viel zu wirken, wenn sie als Larven mit einander aufgewachsen sind. Sperrt man Puppen von grauschwarzen, blutrothen und röthlichen zusammen, so leben sie nachher, obgleich jede Gattung ihr eignes Naturell und ihr eigenes Verfahren beibehält und so seine Selbstständigkeit bewahrt, doch als wenn kein Unterschied zwischen ihnen wäre, während sie sich sonst als die grimmigsten Feinde verfolgen. Im Winter findet man in den Ameisenhaufen auch noch Vielfräße, Asseln, Ohrwürmer, Käferlarven etc., welche sich der größern Wärme im Neste wegen dahin zurückziehen. Sie haben keinen Nutzen für die Ameisen, werden von ihnen aber ruhig und unbeschwerdet geduldet, ja im Fall eines unverhofften Angriffes sogar vertheidigt und geflüchtet. Ein neuer Zug ihres Charakters, den wir nicht übersehen dürfen.

Auch bei unsern Ameisen kommen Wanderungen vor, die Ursachen aber lassen sich angeben, denn sie wandern nur aus, wenn sie von feindlichen Nachbarn zu oft überfallen werden, oder wenn die Nässe des Bodens und der Schatten sich vermehrt. In den letzten Fällen ziehen sie nicht weit, oft nur ein Dutzend Schritte von der alten Wohnung und handeln auch hier wieder frei nach den Umständen. Ist der Bau vorgeschritten, so holen sie Maden, Puppen, selbst die Männchen und Weibchen herüber und ist der Neubau entfernt, so legen sie unterwegs für die Träger Ruheörter, kleine Höhlen mit Stroh bedeckt, an. Auch Gedächtniß- und Erinnerungs- und Erkennungsvermögen selbst nach längerer Zeit tritt bei ihnen hervor, denn wenn man einen Theil der Bevölkerung eines Haufens wegnimmt, ihn einige Monate lang von dem andern Theile getrennt hält, sie aber dann wieder zusammenbringt, so kennen sie einander augenblicklich wieder und äußern mit den Fühlhörnern und durch andere Liebkosungen ihre Freude des Wiedersehens gar mannigfaltig.

Aber auch Gemeinde- oder Erbbegräbnisse sollen sie, nach Dupont, und zwar in einiger Entfernung von ihrer gewöhnlichen Wohnung haben, wohin die Todten von ihren überlebenden Mitbürgern gebracht und dort bestattet werden. Sie sind die ersten Thiere, die für ihre Angehörigen auch nach dem Tode sorgen und müssen, wenn auch die sterbende Ameise sich nicht schon vor ihrem Ende in die vielleicht selbst bereitete Begräbnißzelle begiebt, doch jedenfalls eine Ahnung des Todes und eine Kenntniß seiner Wirkungen haben.

Selbst zum Spielen und Scherzen scheinen sie Heiterkeit des Gemüths genug zu besitzen. An schönen Tagen sitzen die braunrothen haufenweise auf ihrem Neste in einer allgemeinen Bewegung, wie siedendes Wasser, sie schwingen dann die Fühlhörner mit außerordentlicher Geschwindigkeit, streicheln mit den Vorderfüßen sanft den Kopf der andern, richten sich dann paarweise auf, ringen mit einander, fassen sich bald an den Kiefern, bald am Hals, oder am Hinterleibe, jedoch ohne Gift auszuspritzen und ohne sich etwas zu thun, dann lassen sie los, laufen auf eine andere zu und treiben mit ihr dasselbe Spiel. Also auch Gutmüthigkeit und Fröhlichkeit dürfen wir ihnen zurechnen.

Die liebste Nahrung der Ameisen ist eine Art Honig, den die Blattläuse ausschwitzen und den sie mit großer Gier aufsuchen. Aber sie leben dabei nicht blos friedlich mit den Blattläusen, sondern sie vertheidigen sie, tragen sie in Sicherheit und halten sich förmliche Kolonien von ihnen. In der Nähe eines Haufens der braunen Ameisen findet man bisweilen an einem Kraute, besonders an der Wolfsmilch eine Art Zelle von Erde, durch welche der Stiel geht und die ein Loch hat, woraus Ameisen kommen, untersucht man sie, so findet man sie voll Blattläuse. Zerstört man nun diese Zellen, so schleppen sie die Blattläuse sofort weg und einstweilen in ihr Nest, stellen aber die Zellen nach einigen Tagen wieder her, und bringen ihr Milchvieh wieder hinein. Im Winter würde, da die Ameisen keine Vorräthe eintragen, Hungersnoth entstehen, wenn sie sich mit den Blattläusen nicht auch da zu helfen wüßten. Bekanntlich bringen die Blattläuse im Sommer lebendige Junge, legen aber im Herbste Eier. Untersucht man nun im November die Haufen der gelben Ameisen, so findet man in einem Zimmer einen Haufen kohlschwarzer, gelber, brauner, rother und weißer Eier, unter einander gemischt; Alle werden von den Ameisen gleich sorgfältig behandelt, im Munde herumgewälzt, befeuchtet und in Sicherheit gebracht. Die Ameiseneier sind weiß, werden durchsichtig und bekommen nie eine andere Farbe. Aus den andern aber kommen endlich wirklich Eichenblattläuse, welche, wenn man ihnen Zweige giebt, sofort zu saugen anfangen, und so wissen sich die Ameisen ihr Milchvieh aufzuziehen, um selbst im Winter Nahrung von demselben zu gewinnen.

Was wir hier von den europäischen Ameisen gesagt haben, gilt auch von den außereuropäischen Arten, die mit allen vorher erwähnten geistigen Eigenschaften noch ein heftigeres und hartnäckigeres Temperament zu verbinden scheinen. Die bemerkenswerthesten von ihnen sind die Termiten oder weißen Ameisen, denn was Bienen und Ameisen im kleinen und kleinsten Maaßstabe sind, machen und thun psychisch und materiell die Termiten im allergrößesten. Körperlich sind sie aber noch viel kleiner als selbst die Ameisen, nur herrscht zwischen ihnen der bedeutende Unterschied, daß, wie diese eine republikanische Verfassung haben, die Termiten streng monarchisch gesinnt sind, und Gut und Blut, Leib und Leben für König und Königin – das einzige Männchen und Weibchen im ganzen Reiche, alle andern sind geschlechtslos – lassen.

Bei den Bienen, Wespen und Ameisen sind die Geschlechtslosen Soldaten und Arbeiter zugleich, wenn sie zu den Letzteren nicht Gefangene verwenden, bei den Termiten theilen sie sich dagegen in zwei völlig getrennte Stände, Arbeiter und Soldaten. Nach den neuern Beobachtungen sollen die Arbeiter die Larven, die Soldaten die Puppen sein, und psychologisch ist diese Hypothese wahrscheinlich. [51] In irgend einer Art muß eine Puppe etwas psychisches leisten, bis hierher ist dieses noch nicht der Fall gewesen, später aber kann dieses Verhältniß nicht mehr auftreten, da mit ihnen der Uebergang durch den Puppenzustand verloren geht. Es giebt Larven, Männchen, Weibchen, mit einer Bedeutendes leistenden Psyche, es muß auch solche Puppen geben, die wir am sichersten in dem Kulminationspunkte der ganzen Gattung, der Termitenart, suchen dürfen. Die Natur strebt nach Mannigfaltigkeit, stellt Alles in seiner Art vollkommen her und schließt hier das ganze Verhältniß mit der Termitenpuppe.

Was die Lebensart dieser Thiere, ihre Wanderungen, Kämpfe und Räubereien betrifft, so ist alles so wunderbar, wie ihre Wohnungen. Sie sind bei ihren Arbeiten eben so vorsichtig, klug und emsig, wie die Ameisen, übertreffen aber Bienen, Wespen und Biber in der Baukunst eben so sehr, wie die Europäer die Wilden. Sie leben in Indien, Afrika und Südamerika, die Arbeiter sind nicht größer als unsere kleinen, schwarzen Ameisen, die Soldaten dagegen stehen dem vollkommenern Zustande näher, sind 1/2 Zoll lang, wohl 15 mal schwerer als die Arbeiter, von denen 100 gegen einen Soldaten angenommen werden müssen. Die Arbeiter führen ihre Wohnungen, große Gebäude in der Form konischer Hügel, von 8 bis 10, ja manchmal 20 Fuß Höhe auf, die sie aus einer Art rothen Lehm errichten, und die so fest sind, daß wohl ein Dutzend Menschen darauf stehen können. (Siehe Abbildung.) In der Mitte liegt das königliche Zimmer, länglich oval, wie ein Backofen, anfangs nicht einen Zoll, später aber, sowie die Königin an Größe zunimmt, wohl 8 Zoll lang. Die Wände bestehen rings aus Lehm, der Boden ist wagerecht, und gegen einen Zoll dick, die Bühne gewebt und fast ebenso dick, die Seitenwände aber dünner und darin sind einander gegenüber zwei Oeffnungen oder Thüren, aber so eng, daß nur die Arbeiter und die Soldaten, keineswegs aber der König und die Königin, welche zur Legezeit 1000 mal größer ist, als jene, heraus und hinein kann. Das königliche Zimmer ist bei einem großen Hügel stets mit einer unzähligen Menge anderer Zimmer von verschiedener Größe und Gestalt umgeben, die sich bald in einander öffnen, bald durch einen weiten Gang mit einander verbunden und zum Aufenthalte der Soldaten oder Arbeiter oder des Gesindes bestimmt sind, wovon immer eine große Zahl gegenwärtig sein muß, um die Befehle auf den Wink zu erfüllen. An diese Vor- oder Gesindezimmer stoßen die Vorrathskammern und Ammenstuben. Jene bestehen aus Thon und der Vorrath ist eine Art Gummi, die Kinderstuben aber sind von Holz und mit Gummi gut verkittet. Anfangs liegen sie dicht um das königliche Gemach, später aber, wenn die Königin mehr Eier zu legen anfängt, deshalb mehr Diener braucht und die Zimmer zu eng werden, werden sie abgerissen und in einiger Entfernung größer gebaut, wobei auch das königliche Gemach größer gemacht wird. Spuren von solcher Nachhülfe kommen auch bei Bienen und Ameisen vor, und an den senkrechten Wänden sieht man nicht selten halbzollbreite Leisten wie eine Treppe, bisweilen sogar von einem Schwibbogen zum andern gesprengte frei schwebende Brücken, die bis 10 Zoll lang, 1/2 Zoll breit und 1/4 Zoll dick sind. Diese Kammern steigen bis 2/3 oder 3/4 des ganzen Gebäudes in die Höhe, so daß darüber ein leeres Gewölbe wie die Kuppel einer Kirche bleibt und auch ebenso durch Schwibbogen gestützt wird.

Weder Arbeiter noch Soldaten kommen je an die freie Luft, sondern arbeiten immer unter der Erde oder unter den Baumstämmen, welche sie zerstören, fort. Sie scheinen zu wissen, daß ihnen außen Gefahr droht und ihnen kleinere Vögel, Hühner, Eidechsen etc. auflauern, und wagen sich deshalb auch nur im äußersten Nothfalle heraus. Sie ziehen, um dies zu vermeiden, ihre Gänge mehrere Hundert Schritte weit unter der Erde fort und stoßen sie dabei auf einen Felsen, unter den sie nicht durchkommen, so bauen sie einen verdeckten Gang darüber hinweg. Zerstört man ihnen einen solchen Gang 5 bis 6 Schritte lang, so ist er dennoch am andern Morgen wieder hergestellt und mit Hin- und Hergehenden angefüllt.

Weil bei den andern Insekten kein eigener Soldatenstand vorkommt, so verdient derselbe bei den Termiten besondere Aufmerksamkeit. Selbst zu arbeiten halten sie unter ihrer Würde, sie überlassen dies den geringern Arbeitern, über die sie die Aufsicht zu führen und den Platz zu vertheidigen haben. Schlägt man mit einer Hacke oder einem Beil ein Loch in ihren Hügel, so erscheint nach wenigen Secunden ein Soldat, um zu sehen, was vorgeht, dem aber sofort mehrere und bald soviel, als nur die Bresche durchlassen will, folgen. In der Hitze und Wuth stürzen sie, ihres schweren Kopfes wegen, oft an der Seite des Hügels herunter, klimmen aber bald wieder hinauf und beißen, weil sie blind sind, in jedes Ding, an das sie rennen, wodurch ein lautes Geräusch, wie das Picken einer Taschenuhr entsteht. Sie beißen sich so arg in die Beine des Menschen hinein, daß zollgroße Blutflecken entstehen und schlagen dabei ihre gekerbten Kiefern so tief ein, daß sie nicht loslassen, selbst wenn man sie entzwei reißt. Zieht man sich aber zurück und weicht ihnen aus, so ziehen auch sie sich nach ungefähr einer halben Stunde wieder in ihre Festung zurück und nun kommen die Arbeiter zu Tausenden mit einem Klumpen Mörtel im Maule hervor, um den Schaden wieder auszubessern und ungeachtet der anscheinenden Verwirrung sieht man in sehr kurzer Zeit einen Wall emporsteigen, der die Bresche ausfüllt. Unter 1000 Arbeitern sieht man dabei hier und da einen Soldaten herumschlendern, der sich aber nie um den Mörtel bekümmert. Er stellt sich dicht an den Wall, dreht sich gemächlich nach allen Seiten um, als wenn er die Aufsicht führen müßte und beißt alle zwei Minuten auf das Gebäude, wodurch ein Schall entsteht, der von den Arbeitern durch ein lautes Gezisch erwiedert wird. Sie verdoppeln dann ihre Schritte und arbeiten schneller als vorher. Sie müssen also eine Zeitrechnung in sich haben und wohl dürfte ihnen dabei, nach der Kürze ihres Lebens, die Minute eine Stunde sein.

Man hat mit großer Mühe und Kraftanstrengung schon mehrere Tausend Zimmer und Gänge blosgelegt, aber man muß dabei sehr rasch sein, weil sonst während man untersucht, die Arbeiter so schnell alle Gänge verstopfen, daß man nur einen unförmlichen Lehmklumpen findet. Das königliche Gemach erkennt man theils aus seiner Lage in der Mitte, theils aus der Menge von Arbeitern und Soldaten, welche es umgeben und bis auf den Tod vertheidigen. Nimmt man das königliche Gemach ganz heraus und thut es in eine Glaskugel, so kann man [52] die außerordentliche Anhänglichkeit, Aufmerksamkeit und Verehrung, die sie besonders der Königin Mutter beweisen, sehr genau beobachten. Der König kommt dabei selten zum Vorschein und wird wegen seiner Kleinheit fast immer von der Königin bedeckt. Zerstört man bei solchen Untersuchungen auch das ganze Gebäude bis auf die königlichen Gemächer und läßt in diesen das Königspaar darin, so wird sofort jeder Raum zwischen den Gängen, wo der Regen eindringen könnte, wieder bedeckt, und in Jahr und Tag erreicht das Gebäude seine vorige Größe wieder.




Etwas zum Nachdenken

von
einem Menschenfreund.
II. Sendung.

Der Fragsteller in Nr. 3. der Gartenlaube wird nun zum Beantworter, und da möcht er nun, - nach seinem schlichten Menschenverstand und darnach, wie er die Menschen nah und fern beobachtet hat - die dort gestellten Fragen also beantworten:

1. Frage: Was thun wir gewöhnlich mit dem, was wir nicht verstehen? Und warum?

Antwort: Wir verachten es oder bewundern es. – Und warum? Die liebe Eitelkeit und der Hochmuth bringen uns dazu. Aus Eitelkeit oder Hochmuth wollen nur uns nicht eingestehen, daß wir etwas nicht verstehen könnten und so nennen wir es lieber dumm oder schlecht, anstatt entweder einfach zu sagen: das geht über meinen Verstand, oder uns recht eifrig zu bemühen, es richtig zu erkennen. – Oder aus Eitelkeit und Hochmuth machen wir uns weiß, daß wir es verständen, damit die Andern, die es verstehen, uns nicht für ungebildet halten sollen; oder wir glauben wirklich: das müsse jedenfalls bewundernswerth sein, was unserm Verstande, – den wir meist für größer halten, als er es wirklich ist – nicht begreiflich sei.

Dieser Fehler in uns ist scheinbar sehr klein und doch in seiner Wirkung auf uns und auf die Bildung überhaupt sehr groß; namentlich führt er im sogenannten Volke dahin: daß es sich so oft hier hartnäckig gegen neue, große und schöne Lehren und Erfindungen sträubt, sich dort von Dingen blenden läßt, die eigentlich der Bewunderung gar nicht werth sind. Daraus könnte ich nun noch manche andere schädliche Folgen herleiten, doch sei das Jedem selbst überlassen: sie liegen nahe genug für Jeden, der mit gesunden Augen sehen will. –


2. Frage: Gegen wen sind wir oft am dankbarsten? Und warum?

Antwort: Gegen denjenigen, der uns in einer Ansicht bestärkt, die wir für unrecht halten aber doch gerne ausführen möchten.

Und warum? Er beruhigt oder vermindert wenigstens uns die Gewissensbisse, die wir bei einer bösen Absicht empfinden und das gilt uns oft weit mehr als Wohlthaten oder Güte, die man uns erweist. Er befördert aber auch unsren Vortheil, den wir durch Ausführung der bösen Absicht erreichen wollen, und haben wir sie ausgeführt, so ist er uns, wenn wir ihn auch verachten, doch lieb als der Sündenbock, dem wir einen großen Theil des gethanen Unrechts aufbürden können. – Im Ganzen darf man auch wohl annehmen: wir nehmen eher bösen Rath an als guten.


3. Frage: Warum loben wir oft so gern einen Menschen oder eine gute Handlung?

Antwort: Um rechtschaffen wieder gelobt zu werden, oder um zu zeigen: wie wenig neidisch, wie anerkennend wir seien und wie wir das Gute lieb hätten. Wir werfen da oft, wie man zu sagen pflegt, „mit der Wurst nach der Speckseite.“ Es lege hier ein Jeder still die Hand auf’s Herz und frage sich einmal recht ehrlich; ob er stets nur aus innerstem Herzensdrange einen Menschen oder eine gute Handlung gelobt habe. –


4. Frage: Warum sind wir oft rauh und streng gegen Jemand, den wir eigentlich hoch schätzen?

Antwort: Aus Eitelkeit und Hochmuth. Diese beiden Fehler sind, nach der Eigenliebe und Selbstsucht, die allerstärksten und zugleich die allergefährlichsten, weil oft am tiefsten in uns verborgen und in allen möglichen Verkleidungen uns zum besten habend. Es verletzt unsere Eitelkeit und unsern Hochmuth, Jemanden höher schätzen zu müssen als uns selbst, wenigstens gute Eigenschaften an ihm zu loben, die wir selbst nicht besitzen. Nun suchen und suchen wir, um doch irgend Etwas gegen ihn zu finden, und je weniger wir finden, desto mehr glauben wir zu finden oder desto fester halten wir uns an ein wirklich Gefundenes und lassen dann daran unsern Aerger aus. Wir brauchen uns in der Geschichte neuerer Zeit nur umzuschauen, um dafür hinlängliche Beweise zu finden: die Wuth gewisser Herren und Zeitungen gegen tüchtige Männer der Zeit, – sie hat oft allein darin ihren Grund; aber wir können es auch täglich bei uns selbst wahrnehmen. –


5. Frage. Warum loben wir meist so gern und so leicht die Todten?

Antwort. Eben weil sie todt sind. Weil also ihre Verdienste den unsrigen nicht mehr schaden können: weil sie unsere Absichten, unser Wirken nicht mehr kreuzen.


6. Frage. Was wird wohl am häufigsten mit der sogenannten Humanität oder Duldung verwechselt?

Antwort. Die Trägheit und Nachlässigkeit. – Aus wirklicher tiefster Ueberzeugung Duldung auszuüben, auch dann, wenn wir selbst darunter leiden, wenn wir ihr Opfer bringen müssen, wenn wir damit verlacht oder verhöhnt werden: das ist eine große, seltene Tugend. Wir begnügen uns dafür meist mit dem trüglichen Spruch: „Meinethalben [53] kann Einer denken, was er will,“ – und glauben nun damit human zu sein. Das ist nun der Fehler, der auch wieder einen andern großen Fehler herbeizieht: die Trägheit in Ueberzeugungen: die feste Entschlossenheit gegenüber einem einmal erkannten Rechten. Wer nicht die wahre Humanität hat, der hat auch keine festen, unerschütterlichen Principien; wer aus Trägheit duldsam ist, der wird aus Trägheit auch unentschlossen sein.


7. Frage. Was ist oft der wahre Grund zu einer muthigen That?

Antwort. Die Furcht! Es giebt viele Menschen. die gar keine Kurage haben, gar keine Thatkraft, und im Augenblicke höchster Gefahr nur aus Feigheit sich emporraffen und die Gefahr besiegen, der sie nicht mehr entlaufen können. – Viele gewonnene Schlachten sind durch solche Feigheit gewonnen.


8. Frage. Wer erscheint in einer Gesellschaft oft am geistreichsten?

Antwort: Wer den Andern am aufmerksamsten zuhört. Ach, wir hören uns ja so gerne selbst reden; wir sind so glücklich, wenn Einer uns recht aufmerksam zuhört, und wer uns nun dieses Glück verschafft, den halten wir dann aus Dankbarkeit für gescheidter und geistreicher, als er es vielleicht ist.


9. Frage: Wem bieten wir oft am liebsten unsere Wohlthaten an?

Antwort: Demjenigen, von dem wir überzeugt sind, daß er sie nicht braucht und den wahren Grund unseres Anerbietens nicht kennt. –


10. Frage: Warum fühlen wir es so rasch, wenn ein Anderer uns langweilt, und so spät, wenn wir einen Andern langweilen?

Antwort: Weil wir glauben, daß wir eigentlich Niemand langweilen können und jeden Andern für langweiliger halten als uns selbst.




Blätter und Blüthen.

Ein wackerer Vater. Die Kinder der Könige und Mächtigen der Erde sind eben auch wie die des ärmsten Tagelöhners „Menschenkinder“, welche der Erziehung bedürfen, wenn sie zum Nutzen und Dienst ihrer Nebenmenschen gedeihen sollen. Und wohl ihnen, wenn diese nöthige Erziehung von den Eltern ihnen auf eine Weise widerfährt, wie dieses im vorigen Jahre dem künftigen Thronerben von Großbritannien, dem damals sechsjährigen Prinzen von Wales, von seinem Vater, dem Prinzen Albert, geschah.

Der kleine Prinz von Wales stand eines Tages in seinem Zimmer des königlichen Landsitzes am Fenster, dessen Scheiben, wie dies bei manchen solchen Gebäuden der Fall ist, bis herunter auf den Fußboden reichten. Er sollte seine Lection auswendig lernen, schaute aber aus dem Fenster hinaus in den Garten, und spielte mit seinen Fingern an den Scheiben. Seine Gouvernante, das Fräulein Hillyard, bemerkte das und bat ihn freundlich, an das Lernen seiner Aufgabe zu denken. Der kleine Prinz sagte: „Ich mag nicht.“

„Dann muß ich Sie“, sagte das Fräulein „in die Ecke stellen.“

„Ich will“, antwortete ganz trotzig der Kleine, „nicht lernen und muß nicht in der Ecke stehen, denn ich bin der Prinz von Wales.“ – Indem er dies spricht, stößt er mit dem Fuße eine Fensterscheibe hinaus.

Da erhebt sich Fräulein Hillyard von ihrem Stuhle und sagt: „Sire, Sie müssen Ihre Lektion lernen oder ich muß Sie in die Ecke stellen.“

„Ich will nicht,“ sagte der Kleine und stößt eine zweite Fensterscheibe hinaus.

Das Fräulein klingelt: der Kammerdiener kommt: durch diesen läßt sie dem Vater des Prinzen, dem Prinzen Albert sagen, sie bäte unterthänigst, daß Sr. königl. Hoheit sich hieher bemühen möchten, weil sie in dringenden Angelegenheiten seines Sohns mit ihm zu sprechen habe. Der Vater kommt sogleich, läßt sich Alles, was so eben vorgegangen war, erzählen. Er wendet sich hierauf an seinen kleinen Sohn, und indem er auf einen kleinen Schämel deutet, sagt er: „Setze Dich einmal hieher und bleibe da bis ich wiederkomme.“

Darauf verläßt er das Zimmer, kehrt aber bald wieder zurück. „Es ist wahr“ wandte er sich dann zu dem trotzigen Knaben. „Du bist der Prinz von Wales, und wenn du dich gebührend aufführst, kannst du ein vornehmer Mann, Du kannst einmal nach dem Tode Deiner Mutter, die uns Gott noch lange erhalten möge, König von England werden. Aber jetzt bist Du noch ein kleiner Knabe, der seinen Vorgesetzten und Pflegern gehorchen muß. Ueberdies muß ich Dir noch ein anderes Wort eindringlich machen, das der weise Salomo sagt: Wer seine Ruthe schonet, der hasset seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald.“

Darauf zog der Vater eine Ruthe hervor und züchtigte den künftigen Thronerben des mächtigen Reiches in einer sehr fühlbaren derben Weise, stellte ihn dann in die Ecke und sagte. „Hier bleibst Du so lange stehen und lernst Deine Lection, bis Fräulein Hillyard Dir erlaubt, wieder hervorzutreten. Und vergiß nie wieder, daß Du jetzt unter Vormündern und Erziehern, sowie künftig unter den Gesetzen stehest.“


Eine Berichtigung. Durch viele deutsche Zeitungen läuft die Nachricht, der Apotheker Sänger in Neustadt a. O. habe ein Verfahren erfunden, durch welches die Leinewand so präparirt werde, daß man sich deren statt des Druckpapiers bedienen könne. Der dortige Buchhändler Wagner habe auch bereits eine Kinderschrift auf diesem neuen etwas theuern Papiere erscheinen lassen. Das Letztere ist allerdings richtig, was aber die neue Erfindung anlangt, so müssen wir bemerken, daß in England bereits seit mehren Jahren dergleichen unzerreißbare Kinderschriften [54] auf Leinwand gedruckt werden, die sich übrigens eben so wenig wie die Neustädter, durch geschmackvolle Ausstattung auszeichnen. Dem Nützlichkeitsprincip wird durch solche Bücher mehr gehuldigt als dem Schönheitssinn.


Das Mikroskop und die Industrie. Wie mit der fortschreitenden Wissenschaft der Aberglaube und die falschen Aufstellungen einer vergangenen Zeit mehr und mehr schwinden, so werden durch dieselbe auch Betrug und Schwindel schwieriger oder ganz und gar unmöglich gemacht. Der Optikus Chaudier in Paris, Rue de Varennes, hat in neurer Zeit ein Mikroskop gebaut, das besonders für Kaufleute und Fabrikanten von Weberei- und Spinnereistoffen eingerichtet ist und für diese zweifellos sehr nützlich werden muß. Durch dieses Mikroskop unterscheidet man nämlich ganz genau die Haare, die Wollgattungen, die Baumwolle, den Flachs, den Hanf, die Seide etc. von einander und wenn dies geübtern Kennern bisher auch mit der Loupe möglich wurde, so war dies doch nur da der Fall, wo das fremde Material in starkem Verhältniß mit eingemischt war, der Belang also nothwendig in die Augen springen mußte. Wo es sich aber um einige Hunderttheile handelte, reichte weder der Kennerblick noch die Loupe aus.

Unter diesem Mikroscop erscheinen die Haare gerade und an einem Ende zugespitzt. Die Kaschemirwolle zeigt einen viel geringern Durchmesser als die gewöhnliche Wolle und ihre Endchen sind bogenartig geformt, ohne jemals wie die feine Wolle gedreht zu sein, welche ihr Vorhandensein immer durch einige Fäden gröbere Wolle, welche man damit gemischt findet, verräth. Die Baumwolle insbesondere unterscheidet sich von allen andern Faserstoffen durch ihre breite, gedrückte und dünne Form, welche sie wie ein an manchen Stellen umschlungenes und zusammen gezogenes Band erscheinen läßt. Mit dieser einfachen Kenntniß ist es unmöglich, daß ein Fabrikant vermischte Rohstoffe kaufe, ohne daß er dieselben bemerke, und auch der Konsument wird sehr leicht irgend ein Gewebe, selbst Shawls[WS 2], diese kostbaren Gewebe, bei denen der Betrug außerordentlich groß ist, analysiren können. Ebenso ist es, wenn man die verhältnißmäßige Feinheit der Wollgattungen, ihre Verschiedenheit in Farbe und Nüance unterscheiden und bestimmen will. – Das Mikroscop kostet übrigens nur Einen Thaler.


Amerika und Deutschland. Mehr und mehr nehmen die amerikanischen Zustände das Interesse Deutschlands in Anspruch und der deutsche Buchhandel läßt es sich angelegen sein, der Wißbegierde nach jeder Richtung hin Befriedigung zu schaffen. Die politischen Zeitungen bringen in ihren Feuilletons die ausführlichsten Berichte über die dortigen politischen Zustände und Persönlichkeiten, die Auswanderungszeitungen, deren bereits drei bestehen, bieten jede Woche die reichhaltigsten Mittheilungen aus dem Lande, nach dem sich so Viele sehnen, und neuerdings sind in Bremen und Göttingen zwei neue Zeitschriften, das Westland und Atlantische Studien, entstanden, die sich lediglich nur mit Amerika’s politischen, socialen und literarischen Zuständen befassen. Außerdem erscheinen fast jede Woche mehr oder weniger umfangreiche Bücher über den Westen, dessen Bedeutung und Einfluß auf Europa mit jedem Tage riesengroß wächst.


Eine heitere Staatseinrichtung. Aegypten – erzählt Wilhelm Gentz[WS 3] in seinen soeben in Berlin erschienenen interessanten Briefen aus Aegypten und Nubien[WS 4] – Aegypten ist das Land, in dem, wenn man keine Geduld besitzt, man dieselbe erlernen kann. Die Gelegenheiten mangeln nicht, wo dieselbe auf die Probe gestellt wird. Was man bei uns an einem Tage abmachen kann, dazu gebraucht man hier ihrer acht. Von Worthalten ist keine Rede; alles Falschheit, Lüge, Interesse, Betrug; eine Demoralisation im höchsten Grade. In der europäischen Türkei[WS 5] existirt wenigstens ein Schatten von Gerechtigkeit, hier davon nicht einmal die Spur. – Um ein Beispiel anzuführen, will ich von den Spitzbuben reden.

Auch heute noch bilden, wie im alten Aegypten, Spitzbubenbanden einen integrirenden Theil des Staatsorganismus; ihre von der Regierung autorisirten Scheiks (Chefs) verpflichten sich nur, nichts, was dem Staate gehört, zu stehlen, oder, wenn etwas gestohlen wird, es zurückzugeben. Einer der jetzigen Chefs, ein hagerer, langer Kerl, mit großem Kopf, noch größeren Augen, langen Armen, starrem nüchternen Blick, schmalen Lippen, denen selten ein Wort zu entreißen ist, verdankt folgender Geschichte sein Glück, an die Spitze gestellt zu sein. –

Wenn ein Spitzbube in die Innung tritt, sucht er seine Geschicklichkeit durch eine kühne That zu bezeugen. Dieser nun drang Nachts in’s Palais Mehemet Ali’s und zwar trotz aller Wachen und Eunuchen bis in das Schlafzimmer, und nahm den Rosenkranz und Dolch des Fürsten vom Betttisch; da aber Mehemet Ali nicht schlief und ganz wenig die Augen öffnete, zog der Spitzhube, der dies sogleich bemerkte, den Dolch aus seinem Heft und hielt ihn eine Viertelstunde schwebend über seinem Kopf, während welcher Zeit er wahrscheinlich nachdachte, ob er den Mord begehen sollte oder nicht. Mehemet Ali that, als ob er schliefe; der Spitzbube entfernte sich und schickte ihm folgenden Tages den gestohlenen Dolch und Rosenkranz zurück, wie dies immer geschieht, wenn das Entwendete des Pascha’s oder der Regierung Eigenthum ist. Der Kriegsminister drang darauf, den Dieb hinrichten zu lassen; der Pascha meinte aber, daß so seltene Talente erhalten werden müßten, gab ihm eine jährliche Pension und machte ihn zum Chef der ganzen Innung.

Wenn Jemandem etwas gestohlen und dies zurück gewünscht wird, so wendet man sich an den Chef, giebt Ihm eine angemessene Belohnung, und man ist sicher, dasselbe zurück zu erhalten. Gewöhnlich thut dies die Regierung; den Spitzbuben bekommt man aber nie. Die Spitzbuben theilen ihre Beute unter sich, den Chefs und den Regierungsbeamten. Will man eine Reise machen, und vor Ueberfällen sich sichern, dann läßt man sich einen Firman[WS 6] geben, den man theuer bezahlt, weil einen Theil davon die Regierung, einen andern aber die Innung nimmt: dann ist man sicher, daß man respektirt wird. – Bei den alten Aegyptern war dieselbe Sitte; auch bei den Spaniern fanden sich ähnliche Gebräuche.


Thierseelenkunde. Unter diesem Titel ist in Leipzig eine Schrift erschienen, die in sehr ansprechender Form die interessantesten Mittheilungen aus der Thierwelt enthält. Wir machen unsere Leser darauf aufmerksam und bemerken noch, daß der in der heutigen Nummer abgedruckte Aufsatz: das Kriegs- und Friedensleben der Ameisen, größtentheils diesem Buche entnommen ist.

E. K.

  1. Eine Kenntniß des Naturgeschichtlichen der Ameisen setzen wir bei unsern Lesern voraus. Es ist bekannt, daß die Männchen kleiner als die Weibchen sind, daß beide nur zur Zeit der Begattung Flügel erhalten. Die Geschlechtslosen (Weibchen mit verkümmerten Eierstöcken) erhalten nie Flügel und verrichten alle auf Pflege der Jungen bezüglichen Arbeiten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Angel (Korrektur gemäß Heft 6, Seite 66)
  2. Vorlage: Shwals
  3. Karl Wilhelm Gentz (1822-1890), deutscher Maler (Quelle: Wikipedia)
  4. „Briefe einer Reise nach Ägypten und Nubien 1850/1851“, Berlin 1853
  5. Vorlage: In Europa (Korrektur gemäß Heft 6, Seite 66)
  6. Erlass, Dekret, Vollmacht oder Verordnung eines Souveräns in islamischen Ländern (Quelle: Wikipedia)