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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[521]

No. 48. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Selbstaufopferung.

Lebensskizze.
(Schluß.)


„Auf einer Durchreise in meine Heimath suchte ich das Rommel’sche Haus auf. Rudolf’s Aussehen erschreckte mich in der tiefsten Seele. Er war gebrochen. Seine hohe kräftige Gestalt erschien mir wie innerlich zusammengestürzt. Die Spannung und bläuliche Blässe in seinen Zügen war mir wahrhaft peinlich, und den unheimlichen Glanz seines Auges ertrug ich kaum. Er hatte das Ansehen eines Mannes, der sich aus moralischer Verzweiflung dem Trunke ergeben hat und täglich eine größere Quantität starker Spirituosen zu sich nimmt. Inzwischen versicherten mich sein Bruder, wie Veit, die ich einzeln über Rudolfs auffallende Veränderung befragte, daß er außerordentlich mäßig lebe und nie einen Tropfen geistige Getränke zu sich nähme.

„Mit schmerzlicher Wehmuth saß ich mit ihm auf seinem Zimmer auf dem Sopha. Auf mein Befragen nach seinem Befinden hatte er mir geantwortet: er habe sich noch nie wohler befunden als jetzt. Das schnitt mir in die Seele. Nach einem kurzen gleichgültigen Gespräch sagte er plötzlich: „Ich will Dich mit einer Neuigkeit überraschen, wenn Du sie nicht schon weißt. Mein Bruder hat sich mit Louise Bernigau verlobt. Er und meine Schwester werden zusammen zu Ostern nächstes Jahr Hochzeit machen.“

„Ich habe das fast vorausgesehen,“ versetzte ich, eigentlich froh über die Nachricht.

„Ich nicht,“ sagte er schmerzlich lächelnd. „Ich bin sehr kurzsichtig.“

„Glaube mir, Rudolf, das Mädchen paßt zu Deinem Bruder. Zu Dir nicht. Ihn wird sie glücklich machen. Du hättest unmöglich glücklich mit ihr leben können.“

„Lassen wir das. Es ist ja gut so.“

„Du mußt Dich aus dieser weinerlichen, entnervenden, eines Mannes so unwürdigen Stimmung herausreißen, Rudolf. Du thätest am besten, das elterliche Haus und die Vaterstadt ganz zu verlassen.“

„Das will ich auch. Ich stehe im Begriff, Alles aufzugeben, selbst die Kaufmannschaft. Ich habe endlich [522] eingesehen, daß ich nicht dazu passe. Du weißt, daß der Professor Transdorf hier eine Lehranstalt für Chemie hat. Diese besuche ich schon seit einem halben Jahre und werde den ganzen Cursus durchmachen. Dann will ich eine große Reise machen und nicht wieder zurückkehren.“

„Das ist ein herrlicher Entschluß von Dir, weshalb ich Dich sehr loben muß,“ versetzte ich aufrichtig erfreut und ohne die mindeste Ahnung, welchen geheimen Sinn er mit seinen Worten verbunden hatte. „Nicht wahr?!“ lachte er, aber es war kein Frohsinn in diesem Lachen. – Ich verließ ihn zwar bekümmert, aber ich hoffte von der Ausführung seines Entschlusses, wie ich ihn natürlich dem Wortlaute nach verstanden hatte, und von seiner Jugend alles Gute für ihn.

„Zum Frühjahre erhielt ich eine Einladung nach E. und für eine lange Zeit die Zusage lohnender Beschäftigung.

„Mein erster Besuch galt wieder dem Rommel’schen Hause. Im Laden war Veit, und als ich nach Rudolf fragte, antwortete er: „Sie finden ihn auf seiner Stube,“ machte aber dazu ein Gesicht und eine Handbewegung, die mich nichts Gutes erwarten ließen.

„Rudolf’s Anblick war wirklich entsetzlich. Ganz abgezehrt, war die Haut straff und glänzend und von ganz fahler Farbe über die stark hervorstehenden Backenknochen gespannt. Nie hab' ich etwas Grausigeres gesehen, als den Glanz seines tief eingesunkenen Auges. Er war so schwach, daß er mir kaum noch entgegen schleichen konnte; seine knöcherne Hand war kalt und klebrig, und seine Stimme matt und hohl, als er mich willkommen hieß.

„Rudolf!“ rief ich und hatte Mühe, einen Thränenstrom zurück zu halten. „Um Gott, Freund! was ist das mit Dir?“

„Der Tod!“ hauchte er freundlich lächelnd, gleichsam schon verklärt. „Es ist mir eine große Freude, daß Du wieder hierher gekommen bist. Ich habe Dich mit Sehnsucht erwartet. Du wirst mir noch einige Abende schenken, eh' ich aus dem Leben scheide. Ich muß Dir durchaus ein Geheimniß anvertrauen. Ich kann’s Niemandem weiter als Dir. Wir wollen noch ein paar Tage recht glücklich zusammen sein.“

„Er war wirklich heiter und zufrieden, und mein Schmerz über seinen bevorstehenden Verlust wurde dadurch milder. Ich mußte ihm versprechen, den Abend bei ihm zuzubringen und ging. Sein Aussehen machte mir viel Bedenken. Das war doch keine gewöhnliche Abzehrung oder Lungensucht. Er hatte weder über Husten, noch Auswurf geklagt; keins der gewöhnlichen Symptome zeigte sich an ihm. Das Räthsel sollte sich mir bald genug lösen.

„Als ich Abends wieder in sein Zimmer trat, war es mit einigen Blumenstöcken in Aschen, Teppichen und dergleichen geschmückt; er selbst in einer feierlichen und getragenen Stimmung. Die Theemaschine sang auf dem Nebentische; Havannah's lockten auf einem Teller. Rudolf verschloß die Thür und setzte sich dann zu mir auf das Sopha.

„Ich kann nicht sterben, lieber Schmidt,“ begann er mit einer heiser flüsternden Stimme, die mich erbeben machte, „ohne Dir vorher mein Herz aufgeschlossen zu haben. Du wirst das, was ich Dir entdecken muß, so lange als Geheimniß bewahren, bis die Mittheilung Niemandem mehr schadet, und auch dann noch wirst Du vorsichtig damit sein.“

„Ich gab ihm Hand und Wort darauf.

„Liebes Bruderherz,“ begann er, „ich liebte Louisen schwärmerisch mit der heiligsten Geschlechtsliebe – ach! diese Liebe hat sich zur Leidenschaft gesteigert, seit sie meines Bruders Braut ist; ich liebte meinen Vater und meine Geschwister eben so schwärmerisch mit ächter treuer Kindes- und Bruderliebe; aber meine Liebe wurde nicht verstanden und nicht erwiedert, hier nicht und dort nicht. Zwei unselige Entdeckungen machte ich fast zu gleicher Zeit, nämlich daß Louise meinen Bruder liebte und von ihm geliebt wurde und daß unser Haus dem Bankrott entgegen ging. Wir waren bei Weitem nicht so gut situirt als die Welt glaubte und Verluste und unglückliche Spekulationen brachten uns an den Abgrund des Verderbens. Mein alter Vater durfte davon um keinen Preis der Welt etwas merken. Aber desto schrecklicher mußte der Schlag für ihn sein, wenn ihm der Bruch nicht mehr verborgen bleiben konnte. Aber noch schlimmer: mit dem Bankrott hätte Fritz die Braut und Eulalie den Bräutigam verloren. Ich kenne Louisens Vater zu gut, als daß ich nicht wissen sollte, er werde seine Tochter nimmermehr dem Sohne eines fallirten Hauses geben, und Veit ist ein viel zu gemeiner Mensch, als daß er ein armes Mädchen beirathen sollte. Ich habe diesen widerwärtigen Gesellen nie leiden können, aber meine eigenthümliche Natur hat mich stets angetrieben, ihm Gutes zu thun, Wohlthaten zu erweisen. Ich erkannte es sogleich als meine Lebensaufgabe, schnell unser Haus zu retten, meinen Vater seinem glücklichen sorglosen Leben zu erhalten, meinen Bruder Fritz und meine geliebte Louise, sowie meine Schwester Eulalie und Veit glücklich zu machen, und damit so still als möglich aus diesem Hause zu scheiden und den zurückbleibenden Gliedern desselben in keinerlei Weise ahnen zu lassen, was ich für sie gethan. Ich hatte mir früher einmal ein kleines Kapital erworben, von dem die Meinigen nichts wußten. Dieses wandte ich jetzt dazu an, mich heimlich mit der höchsten Versicherungssumme in eine der größten Londoner Lebensversicherungsbanken zu kaufen. Bei meiner so sehr in die Augen fallenden gesunden Complexion hatte meine Aufnahme keine Schwierigkeiten. Sobald ich die Police in der Hand hatte, erklärte ich meinen Angehörigen, den Cursus der Chemie bei Professor Transdorf machen und dann in’s Ausland gehen zu wollen. Ich aber studirte aus keinem andern Grunde Chemie, als um die feinen ätherischen Gifte kennen zu lernen und mir zu verschaffen, welche das menschliche Leben langsam und in einem vorher zu bestimmenden Zeitraum vernichten, ohne eine erkennbare und nachweisbare Spur im Körper zurückzulassen.“

„Um Gotteswillen!“ schrie ich auf. „Du hast Dich vergiftet, Rudolf!“

„Still, still, Freund! Das Opfer ist gebracht; in wenigen Tagen fällt es. Ich kann fast den Tag [523] bestimmen, an welchem ich sterben werde. Ich bin mit der äußersten Um- und Vorsicht zu Werke gegangen. Ich vertraue Deiner Freundschaft; sie wird mein Werk nicht vereiteln. Ich fühle mich unaussprechlich glücklich, daß ich der Retter der Meinigen werden kann, und um so glücklicher, daß Keins von ihnen auch nur die leiseste Ahnung von meinem Liebesopfer hat. Wie Jesus Christus gehe ich für die Meinigen in den Tod.“

„Es ist unmöglich, meine Gefühle bei diesem Geständniß zu beschreiben. Ich saß wie erstarrt. Ich mußte den dem Tode verfallenen Menschen vor mir zu gleicher Zeit hochverehren und verdammen. Was sind alle berühmten Selbstmorde und Opfertode gegen diesen! Welche furchtbare über alles menschliche Maaß hinausgehende Charakterstärke gehörte dazu, seit Jahr und Tag gleichsam täglich zu sterben und diese Leiden auszuhalten! Ich warf mich weinend an seine Brust und rief: „Aber, Rudolf, geliebter Mensch, hast Du denn nicht bedacht, daß Du mit Deiner beispiellosen Aufopferung für die Deinen einen Betrug begehst? Du betrügst ja die Versicherungsbank, die Dir vertraut.“

„Ich habe diesen dunkeln Fleck in meiner That wohl erkannt. Aber diese Sünde ließ sich nicht vermeiden. Ich konnte und durfte ja nicht unschuldig sterben, wie mein Heiland. Aber sein Blut hat dafür gesorgt, daß mir diese Schuld wieder abgenommen werde. Unsere Kirche bietet nicht die rechten versöhnenden Reinigungsmittel für solche intricate Fälle. Ich bin heimlich zur ehrwürdigen und wahrhaftigen Mutter Kirche zurückgekehrt; sie hat den Sünder erbarmungsvoll in ihren Schooß aufgenommen und ihn mit ihrer unerschöpflichen Heilkraft von allen Sünden entlastet. Ich habe Absolution erhalten, liebster Freund, und gehe ruhig und heiter mit Gott und Menschen versöhnt hinüber, wo nicht Goldbesitz das Glück der Seligen ausmacht.“ Damit zog er ein Kruzifix aus seinem Busen und küßte es inbrünstig und andächtig. – –

„Meine Gemüthsbewegung an diesem Abend war so stark, daß ich selbst erkrankte. Rudolf Rommel starb nach einem Monat und hinterließ den Seinigen eine Police, welche ihnen ein großes Kapital in’s Haus brachte. In keinem der Betheiligten stieg eine Ahnung von seinem Opfertode auf. Friedrich und Louise wurden ein glückliches Paar und überließen dem Veit’schen Ehepaar das väterliche Geschäft in E., indem sie in der hiesigen Stadt ein bedeutendes Kaufmannsgeschäft begründeten. Die junge Frau Doctorin ist ihre Tochter. Ich zweifle, daß der Name des unseligen Schwärmers in diesem Hause jemals genannt worden ist. Am meisten hat mich eine spätere Aeußerung Veit’s geschmerzt. Ich deutete nämlich darauf hin, daß die hohe Versicherungssumme dem Rommel’schen Geschäfte sehr zu statten gekommen sein möchte.

„Ich verstehe Sie,“ versetzte er. „Ihre Aeußerung beweist, daß Ihnen Rudolf über unsere damalige Lage, wie er sie ansah, Mittheilungen gemacht hat. Aber er war im Irrthum. Wir standen keineswegs auf so schwachen Füßen. Diese Annahme war eine seiner fixen und verrückten Ideen. Er war ein viel zu schlechter Geschäftsmann, als daß er unsere Lage richtig hätte beurtheilen können. Er sah Gespenster am hellen Tage und ängstigte sich unnöthiger Weise ab. Es war gut für ihn, daß ihn Gott hinweg nahm.“

„Ich schauderte. Und was hattest Du gelitten und gekämpft, großes stolzes Herz! – Was ist denn eigentlich das Leben? Eine widerwärtige Posse, eine miserable Farce. Für welche Kreaturen hatte Rudolf den ungeheuern Kampf bestanden? Dort sitzt ein Paar davon. Was ich Ihnen da erzähle, ist keine Dichtung – es ist nur leider mir allzusehr Wahrheit.“

Schmidt schwieg mit einem grimmigen Gesicht. Ich war tief erschüttert und den ganzen Tag verstimmt und schweigsam.

L. St. 




Die unbekannten Gewerbe in Paris.

Nachdem ich Paris in allen Richtungen studirt hatte, gelangte ich zu der festen Ueberzeugung: Wenn mir Jemand sagen würde, daß in irgend einer entlegenen Gasse ein Mensch wohne, der Messergriffe aus alten Mondscheiben mache – ich würde es ihm glauben.

Paris hat meine ganze Verwunderung abgenützt; ich staune nicht mehr, mache keine Bemerkungen mehr, ich sehe und höre nur und sage mir: Es ist möglich! Ich habe auf meinen Gängen mitten durch die Stadt des Elends Alles gesehen! Ich habe Männer angetroffen. die das Talent Columb’s haben und jeden Tag irgend ein Amerika entdecken müssen, um am Tage einen Bissen Brot und in der Nacht ein Lager zu finden.

Kennen Sie einen Menschen, der Feuer verkauft? Nein; aber ich! Monsieur Jannier ist etwa 35 Jahre alt, seine Brust ist breit, seine Haare fallen auf den Nacken nieder, wie die Mähnen eines Löwen. Sein Gesicht ist offen und freimüthig; seine Sammetjacke mit den weiten Seitenflügeln, seine pludrigen Husarenhosen dazu geben ihm das Aussehen eines Ornamentenmachers, kein Pariser würde ihn für einen Geschäftsmann halten; kurz er sieht wie ein Künstler aus und er liebt auch die Kunst. Als er noch jung war, schwärmte er manchmal in den Weinkneipen der Barrièren, seitdem aber haben die Jahre seinen Verstand gereift, er hat Satan Lebewohl gesagt und den Werken des Teufels entsagt. Er geht allerdings noch sehr gern in die Boulevardtheater, wo man die sanftrührenden Thränen- und Schauerstücke zu Dutzenden giebt, aber seine Gedanken sind auf etwas Anderes gerichtet: er will Glück machen!

Jannier träumte von behaglichem Leben, vom Mittelstande, [524] von einem Pferde, um nach Herzenslust auszufahren, um in seinem eigenen Sperrsitze seine Lieblingsschauspieler zu sehen. Sein höchster Ehrgeiz, sein Utopien bestand darin, in einem kleinen weißen Landhäuschen mit grünen Jalousien seine alten Ideale zu vereinigen. Surville, Francisque, St. Ernest und Chilly, und in Paris zuweilen Lacressonnière und Deshapes zu besuchen, vielleicht Christian und Bavasseur vom Theater des folies zu dutzen und bei hellem Tage mitten auf dem Boulevard die Damen vom Theater zu grüßen. Dies war der Beweggrund, der unsern Erfinder stachelte, der Stern, der ihn zu Entdeckungen geführt hat.

Die Marktweiber (les dames de la halle), welche den ganzen Tag der unangenehmsten Witterung ausgesetzt sind, bedienen sich sieben Monate lang kleiner viereckiger Kästchen, die inwendig mit Blech beschlagen sind und Chausserettes heißen, oder auch jener abscheulichen Thontöpfe, die man gueux, Lumpenkerls, heißt. Sie setzen dieselben zwischen die Knie, um sich die Finger zu erwärmen. Diese Damen lassen sich ihre Wärmkästchen oder gueux täglich 1–2 Mal von den nahen Kohlenhändlern herrichten, zahlen 3 Sous für beide Male und müssen oft lange warten, bis es den Herren Auvergnaten beliebt, daran zu denken oder früh aus dem Bette zu kriechen. Diese unentbehrlichen Herren schliefen bisweilen bis in den hellen Tag hinein.

Jannier war Zuläufer am Markte, d. h. er verrichtete ungefähr Alles, was man von ihm verlangte; er war Lastträger, Eckensteher, Botenläufer u. s. w. Jannier hatte also, während er in langen Nächten auf Arbeit wartete, die Nachlässigkeit der hohen Bankiers vom Kohlenhandel bemerkt und beschloß, sie auszustechen. Er hatte einen Einfall, der, wenn er gut angewendet wurde, den Erfinder unfehlbar zu jener ersehnten Behäbigkeit führen mußte – zu dem geträumten Sperrsitze.

Er sagte zu sich selbst: Ich kann zu meinem Ziele nur gelangen, wenn ich bessere und wohlfeilere Waare liefere, meinen Kunden mit Gefälligkeit zuvorkomme,




Ein Sonntag in Altbayern.




Es blinkt der Morgen durch den Wald
In heit’rer Sonntagshelle,
und von der grünen Höhe schallt
Das Glöcklein zur Kapelle.
0 In bauschig-faltenreichem Putz
0 Die Frauen in des Mannes Schutz,
Die Kinderlein zur Seite,
0 Ein frommes Buch in jeder Hand,
0 Und ehrbarlich den Schritt gewandt, –
Zieh’n sie sie durch frische Weite.

Vor der Kapelle hingestreckt
Der Hörer dichte Reihen:
Des Priesters Wort erbaut, erweckt
Die Herzen auch im Freien.
0 Doch wenn nun Gottes Wort erbaut
0 Die Seelen hat: dann umgeschaut
Nach einem andern Orte.
0 Und sieh, er winkt mit blankem Schild, –
0 Und sieh, es treibt und drängt und quillt
Hin durch die nahe Pforte.

[525]

Und nun hinauf zum Wagensitz,
Und nun hinab zum Thale,
Und mit dem ersten kleinen Spitz
Zum sonntäglichen Mahle.
     Wie Haus und Flur gemüthlich blinkt!
     Wie der geliebte Knötel winkt
Zu innigstem Behagen!
     Da sitzen sie nun Kopf an Kopf,
     und communistisch nur Ein Topf
Für all’ die weiten Magen.



Doch nun hinaus in buntem Kranz:
Hier flottes Kegelschieben,
Und dort ein kecker Geigentanz
Mit Streiten und mit Lieben!
     Und aus der Liebe kommt der Streit,
     Und durch die Prügel erst gedeiht
Das sonntägliche Feiern.
     So war es stets und wird es sein:
     Zum Sonntag müssen Prügel sein,
Im guten, alten Bayern!



Wer sie bekommt, ob Frau ob Mann, –
Man braucht’s nicht zu erfahren.
Man knüpft die Herzen wieder an
Mit ausgerauften Haaren.
     Und daß der Sonntag nichts verliert:
     Nun rasch noch ein’ge Maß riskirt,
Dann mag der Himmel walten.
     Doch wißt, der Teufel ist verschmitzt.
     Wenn Einer einen Rausch besitzt:
D’rum fest zusammenhalten.

So feste wie es eben geht,
Nach so und so viel Maaßen,
und wenn der Mond am Himmel steht,
Dann find’t man schon die Straßen.
     Man findet auch das off'ne Haus,
     Schläft seinen Rausch gemüthlich aus,
Und denkt der nächsten Feier
     Hin durch der Woche ernster Pflicht;
     Des Durstes Reue kennt er nicht,
Der gute, alte Bayer. –
 A. Schloenbach.

[526] anstatt sie zu meinem Bette kommen zu lassen. Die Auvergnaten geben Kohlenstaub in die Chaufferetten und das kann gefährlich werden; ich muß etwas Unschädliches auftreiben, das eben so viel Wärme giebt und länger brennt. Er dachte nach, suchte, versuchte und fand endlich „den verkohlten Gerberloh.“

Er konnte nun seine Rivalen schlagen, indem er ankündigt: „Keinen Kopfschmerz mehr!“ Jannier war ein Erfinder, seine Concurrenten waren nur simple Verkäufer; er hatte Genie, hatte den Fortschritt gefunden, während jene nur ärmliche Professionisten waren.

Gegen Ende des Winters 1836, als die Marktweiber nur in der Nacht noch Feuer brauchten und nur auf den Markt kamen, wenn um Mitternacht die ersten Obst-, Fisch- und Gemüsewagen auf den Platz rollten, näherte er sich den Gruppen, sprach mit den Leuten, scherzte höflich mit den Damen, die sich die Oberherrschaft der schwarzen Kohlenhändler gefallen ließen, und als er sich endlich das Lob eines gutmüthigen Burschen erworben hatte, flocht er hinterlistig die Frage in’s Gespräch:

„Was würden Sie denken, wenn ein Mann, der weder Auvergnat noch Kohlenhändler ist, jeden Morgen Ihnen die Wärmpfanne zu Ihnen selbst auf Ihre Standplätze brächte, ohne daß Sie sich auch nur im Geringsten zu derangiren brauchten, und das sofort zu jeder Stunde, bei Tag und Nacht?“

„Wir würden sagen: das ist ein braver Kerl, er würde sich gut dabei stehen und wir auch.“

„Nun also, dieser Kerl werde ich sein, denn im nächsten Winter etablire ich mich als Feuerhändler.“

Diese neue Idee, ein Mann, der es besser zu machen versprach, als man es seither gemacht hatte, beschwor einen wahren Sturm heraus, ein allgemeines Hallali! Bevor noch Jemand wußte, wovon es sich handle, hatte schon Jeder geschrieen, das sei unmöglich und jeder Versuch unnütz; das solle Keinem einfallen. Ueber Jannier fielen alle Witze her, er ertrug sie alle mit der Ruhe des Genies. Er fühlte sich stark, denn er hatte Vertrauen auf sich selbst und er ließ den Sturm vorübergehen. „Wer sich zuletzt wärmen wird, wird sich am besten wärmen,“ dachte er bei sich selbst.

Sogleich den folgenden Tag miethete er jenseits der Seine, an dem Ufer der stinkenden Bièvre, fast auf dem Felde, in der Gasse Croulebarbe, eine Art verwitterten Gemäuers, einen Hof, der von einer zerfallenen Mauer eingeschlossen war. Hierher schleppte er vier Pflastersteine und ein altes Blechdach, einen Aufsatz, und begann sein Geschäft mitten im zwölften Arrondissement; zwischen den zahlreichen Gerbereien sitzend hatte er sein Material bei der Hand, das er mit einem kleinen Handkarren zuführte und in einem alten Kasten verschloß, den er mit Blech ausfütterte und somit zu seinem Magazine umgestaltete. Mit diesem bescheidenen Handwerkszeuge machte sich Jannier an’s Werk. Zuerst richtete er einen gehörigen Luftzug ein, die Pflastersteine stellten den Ofen vor.

Seine sämmtlichen Ersparnisse, 600 Francs, die Frucht saurer Mühen und Entsagungen, spielte er auf eine einzige Karte; wie die kühnen Seeleute, welche auf die Entdeckung unbekannter Welttheile ausziehen, wagte er seine Jugend und seine alten Tage.

Den ganzen Winter hindurch steckte er in seinem Laboratorium während des Tages, halb nackt, der Ungunst der Witterung preisgegeben, neben einer Ofenhitze wie in einer Bäckerei. Ein anderer Mensch wäre dabei umgekommen, aber er besaß Ausdauer, Muth und Unternehmungsgeist; er wollte über die Lacher triumphiren Nach diesen Tagesarbeiten ging Jannier regelmäßig des Nachts auf den Markt und setzte daselbst die alten Arbeiten fort, um das Nöthige für sein Leben zu verdienen. Er verrichtete hier die Arbeit von drei Männern, aber er hatte sich feierlich vorgenommen, sein Kapital nicht anzugreifen und seine Existenz wie früher zu fristen.

Gegen das Ende des Sommers baute er sich einen Lastwagen, den er inwendig und auswendig mit starkem Blech beschlug; sein alter Karren gab die Räder und das Gestelle dazu her, und sobald die erste Nachtkälte einbrach, Ende September, erschien er plötzlich auf dem Markte des Innocents, hinter sich ein schwarzes Ding schleppend, das ganz wie ein Trauerkasten aussah. Als man am wenigsten darauf gefaßt war, erscholl auf einmal der sonderbare Ruf, daß alle Köpfe sich umwandten:

„Feuer! Feuer zu verkaufen! Wer braucht Feuer?! Meine Damen bedienen Sie sich für Ihre Chaufferetten! Feuer zu verkaufen!“

Seine männliche und wohlklingende Stimme übertönte den Markt von der Gasse St. Denis an bis weit über den Tuchmarkt hinüber. Ein ungeheurer Lärmen antwortete; das schallende Gelächter überbot die Verwirrung der verschiedenen Rufe, von denen der Markt gewöhnlich erdröhnt. Aber er hatte die Neugierde angeregt, man kam heran, man wollte sehen und erfahren, was da geschieht. Die kühnsten Marktweiber wollten die Waare versuchen; Jannier, treu den Vorschriften der alten französischen Galanterie, zeigte seine Neuigkeit und wies das Innere seines Kastens, das ganz einem glühenden Krater glich. Die muthigen Damen kauften um 1 Sous Feuer und ihre plaudernden Zungen trugen die Mähre weiter, und ersparten ihm alle Kosten der Anschlagzettel.

Auf dem ganzen weiten Markte sprach man von nichts als von dem neuen Kaufmanne; es kam in Mode, seinen Wärmtopf und seine Wärmschachtel bei dem Feuerverkaufer zu verproviantiren und der war so lustig, so artig und hatte für Jeden seinen harmlosen Scherz.

Heut zu Tage beschäftigt Jannier 15-20 alte Weiber bei seinem Kohlofen; sie verkohlen Lohziegel das ganze Jahr hindurch, Sommer und Winter. Er hält vier kräftige Pferde, die nicht mehr bloße mit Blech beschlagene Wagen ziehen, sondern eine Art kolossaler Locomotiven aus geschmiedetem Eisen, die auf Messingtafeln stolze Namen tragen: Vulcan, Polyphem, Cyclops, Lucifer, ganz wie auf Eisenbahnen. Diese Wagen versorgen mit ihrem Feuer alle Marktweiber von Paris, von der Vorstadt St. Antoine und le temple bis zur Vorstadt St. Germain und St. Honoré. Ueberdies füllt er die Wärmkasten der alten Leute [527] mehrerer Versorgungshäuser und wenn die Verwaltung der öffentlichen Krankenhäuser diesen Artikel verlicitiren wollte, und Jannier die zwei großen Siechenhäuser la Salpetrière und le Bicêtre bekäme, so wäre sein Traum erfüllt, den er schon bis zu drei Vierteln erfüllt sieht. Dann könnte er täglich Vavasseur und Deshayes, St. Ernest und Christian zu Tische laden und von seinem Sperrsitze aus diese Herren spielen sehen; er könnte in seinem eigenen guten und weichen Wagen mit zwei schönen Mecklenburgern dahinfahren.

Ohne Zweifel giebt es ungeheure Reichthümer auf dem Pariser Markte, aber das will nicht sagen, daß man nur den Fuß auf das Pflaster des Marktes des Innocents zu setzen braucht, um sogleich seine alten Brotrinden oder seine mürben Lohziegel in Gold verwandelt zu sehen. Auch hier giebt es Leute und zwar sehr viele, die unterliegen; nicht alle Steine, die man rollt, bringen Moos mit, wie man sagt. Auf den Pariser Märkten schlägt sich um’s tägliche Brot eine ungemein große Volksmenge und benetzt mit saurem Schweiße die wenigen Sous des täglichen Erwerbs. Diese Zuläufer sind thätige, unternehmende Leute, kühn und bereit zu jeder Arbeit, zu jedem Gange, zu jeder Entbehrung. Sie schonen weder ihre Arme noch ihre Beine; sie sind treu und redlich; sie haben alle Eigenschaften, die einen ehrlichen Mann auszeichnen und dennoch tragen sie meist nur einen geringen, ungenügenden Lohn davon.




Gesundheits-Regeln.

IV.
Blut-Diätetik.

Ohne Blut und seinen Lauf kein Leben, ohne die richtige Menge und Mischung des Blutes, sowie ohne die gehörige Circulation desselben keine Gesundheit.

Darum halte man stets auf genug und auf gutes Blut und unterstütze dessen Lauf durch den Körper so gut man kann. Nichts ist aber leichter als dies, sobald man nur ernstlich will und den folgenden Regeln mehr traut, als den Recepten der Aerzte. Denn in der Apotheke findet sich wahrlich kein einziges unentbehrliches Mittel für das Wohl unseres Blutes, trotz allen sogenannten blutreinigenden, blutmachenden und blutstärkenden Arzneien, wohl aber eine sehr große Menge gegen dessen Wohl. – Den Blutlauf besprechen wir zunächst und zwar deshalb, weil das Blut während seines Kreislaufs durch den Körper (s. Gartenlaube Nr. 9 S. 91) nicht blos alle Theile desselben durch Ernährung belebt, sondern weil es auch selbst an verschiedenen Punkten des Körpers zu seinem ordentlichen Bestehen neues gutes Material von außen aufnimmt und dafür alte, unbrauchbare Stoffe auswirft. Demnach muß ein regelmäßiger Blutlauf ebensowohl das Neubilden, sowie das Reinigen des Blutes unterstützen, während Störungen dieses Laufes das Blut arm an guten und reich an schlechten Bestandtheilen machen können.

Der Blutlauf kommt vorzugsweise mit Hülfe folgender Organe und Thätigkeiten zu Stande: 1) durch das Herz und seine Zusammenziehungen; 2) durch das Athmen, wobei sich der Brustkasten einem Blasebalge oder einer Spritze gleich öffnet und schließt; und 3) durch die Muskeln, welche bei ihrer Bewegung das Blut in den Adern vorwärts drücken. – Wenn wir nun auch auf das Herz und seine Thätigkeit keinen direkten Einfluß durch unsern Willen ausüben können, so liegt es doch in unserer Macht, zum Wohle des Blutlaufs durch mäßige Körperbewegungen, besonders mit den Armen, die Herzzusammenziehungen etwas energischer zu machen, sowie durch Vermeidung alles dessen, was sehr heftiges und länger anhaltendes Herzklopfen verursacht, Störungen im Blutlaufe zu vermeiden. – Ganz anders verhält es sich mit dem Athmen; dieses steht im Interesse des Blutlaufes zum Theil in unserer Herrschaft und wir vermögen durch kräftiges tiefes Einathmen das Blut kräftiger in den Brustkasten hinein und von den Nachbartheilen hinwegzuziehen, sowie durch tiefes und starkes Ausathmen gehörig wieder aus der Brust zu entfernen, so daß auf diese Weise die Circulation des Blutes gerade durch den wichtigsten Theil des Körpers, durch die Brust (Herz und Lunge) sehr gut befördert werden kann. – Was die Muskeln betrifft, so sind diese alle durch willkürliche Bewegungen in Thätigkeit zu versetzen und die Unterstützung des Blutlaufs von dieser Seite her leicht möglich gemacht. Es würde demnach von großem Vortheile für die Circulation sein, wenn man öfters alle in den Gelenken nur möglichen Bewegungen regelmäßig nach einander vornehmen und dabei zugleich das kräftige Ein- und Ausathmen nicht vergessen wollte. Wie oft und wie lange derartige gymnastische Uebungen aber zu machen sind, muß sich nach der Constitution eines Jeden richten; durch Zuviel könnte hier recht leicht geschadet werden und deshalb ist stets ein solcher Arzt dabei zu Rathe zu ziehen, der den Körper ordentlich zu untersuchen und etwas vom Turnen versteht. Wenn die Bewegungen (d. h. active) vom Kranken selbst nicht ausgeführt werden können, da lassen sich dieselben durch sogenannte passive Bewegungen zum Theil ersetzen, wobei ein Anderer die Glieder des Kranken beugt, streckt, rollt, klopft u. s. w. – Die Beschaffenheit des Blutes ist insofern nicht ohne Einfluß auf die Circulation desselben, als dickeres Blut träger wie dünnes fließen und leicht zu Stockungen in den Gefäßen Veranlassung geben wird. [528] Deshalb ist stets die gehörige Menge Wassers in das Blut zu schaffen. – Welches sind also die Hauptmittel zur Unterstützung des Blutlaufs? Bewegung, kräftiges Athmen und Wasser.

Das Blutleben ist nach drei Richtungen hin in Obacht zu nehmen, nämlich hinsichtlich der Neubildung, der Reinigung und der Verunreinigung des Blutes. – Die Neubildung des Blutes kommt einestheils dadurch zu Stande, daß ihm fortwährend die Stoffe von Außen zugeführt werden, aus welchen das Blut selbst und überhaupt der menschliche Körper besteht, und dies geschieht durch die Speisen und Getränke. Anderntheils hängt sie vom Eintritte eines luftförmigen Stoffes in das Blut ab, mit dessen Hülfe erst die dem Blute zugeführten Nahrungsstoffe (unter Wärme-Entwickelung) dem Blute auch wirklich ähnlich gemacht werden und dieser Stoff ist das Sauerstoffgas der atmosphärischen Luft, welches durch das Athmen in das Blut geschafft wird. Sonach sind Nahrung und Luft die durchaus erforderlichen Bedingungen zur Blutneubildung. Die erstere ist aber nur dann zweckentsprechend, wenn sie die richtige Menge von Wasser, eiweißartiger Substanz, Fett oder fettbildenden Stoffen, Salzen (besonders Kochsalz und phosphorsaurem Kalk) und Eisen enthält (s. Gartenlaube Nr. 39, S. 423); die letztere muß dagegen die richtige Menge von Sauerstoff besitzen und auch gehörig in die Brust eingezogen werden. Sehr oft wird darin gefehlt, daß eine Nahrung genossen wird, in welcher einer der genannten Stoffe in zu großer oder zu geringer Menge vorhanden ist oder wohl gar ganz fehlt, das Zuwenig ist vorzugsweise mit dem Wasser und Kochsalze der Fall. Das Athmen befindet sich aber deshalb gar nicht selten in schlechtem Zustande, weil zu wenig zur Ausbildung des Brustkastens, der Athmungsmuskeln und der Lungen gethan, die Brust sogar noch durch die Kleidung im Athmen gehindert wird (s. Gartenlaube Nr. 16 und 17.)

Die Blutreinigung ist ein zweites Haupterforderniß zum gesunden Blutleben. Fortwährend treten nämlich alte abgestorbene Partikelchen der Körpersubstanzen in das Blut ein, werden hier von dem eingeathmeten Sauerstoffe unter Wärme-Entwickelung verbrannt und dann, der Asche und dem Rauche im Ofen vergleichbar, an verschiedenen Punkten des Körpers mit Wasser oder Wasserdunst versetzt aus dem Blute und aus dem Körper hinausgeworfen. Die Organe, welche diese sogenannten Auswurfsstoffe aus dem Blute entfernen, sind: die Lungen, die Nieren, die Haut und die Leber. Es wäre sonach das erste Erforderniß zur Aufrechthaltung der Blutreinigung, daß das Blut auch ordentlich durch seine Reinigungsorgane hindurchfließt, und dies ist recht wohl durch Beförderung des Kreislaufes auf die vorher angegebene Weise zu ermöglichen. Sodann ist aber auch noch nach gesunden und thätigen Reinigungsorganen zu trachten. Die Lungen sind deshalb durch zweckentsprechendes Athmen, die Haut durch Waschungen und Bäder, die Leber durch Unterstützung des Unterleibsblutlaufes (mittelst Bewegung, kräftiges Athmen und reichliches Wassertrinken), die Nieren durch den Genuß reizloser Getränke in ihrer Thätigkeit zu unterstützen. Wenn der Heilkünstler durch Arzneimittel diese Ausscheidungen befördern will, da sieht’s schlimm um den Kranken aus.

Eine Verunreinigung des Blutes, welche übrigens sehr leicht zu Stande kommen kann, ist auf doppelte Weise möglich. Zunächst dadurch, daß die schlechten Bestandtheile, von denen sich das Blut, wie vorher gesagt wurde, fortwährend reinigen muß, in demselben zurückgehalten werden; sodann durch Eintritt neuer schädlicher Stoffe in den Blutstrom. Auf diese Weise entwickeln sich Krankheiten, welche man als Blutkrankheiten bezeichnet und bei denen es natürlich die Hauptaufgabe des Kranken ist, sein entartetes Blut wieder in die gehörige Ordnung zu bringen. Noch besser thut man freilich, wenn man solche Blutkrankheiten zu verhüten strebt, und darüber, lieber Leser, soll Dir in einem nächstfolgenden Aufsatze Belehrung werden.

(B.) 




Eine Büffeljagd.

Tagebuchserinnerungen.

Es war damals, als ich mich mit meinem Freunde Fliesberg am obern Missouri herumtrieb, über 200 deutsche Meilen aufwärts von St. Louis, wohin die Spuren der Civilisation in kaum erkenntlichen Merkmalen gedrungen. Die Sucht nach Abenteuern und ungebundenem Leben hatte uns dorthin geführt in Gemeinschaft mit einem amerikanischen Trapper, der von Jugend auf in den Indianergebieten geweilt hatte und uns durch seine Kenntniß des Landes und der Bewohner trefflich zu Statten kam. Wir hatten uns in der Nähe eines indianischen Dorfes vom Stamme der Mandanen, eine Hütte gebaut, wie man sie eben zum notdürftigsten Schutz gegen Wind und Wetter bedarf, und lebten, Dank der Vermittelung unseres Trappers, mit den Indianern im freundlichsten Einvernehmen. Von dem an der Mündung des gelben Steinflusses in den Missouri errichteten amerikanischen Fort konnten wir, wenn es sein mußte, allenfalls nöthige Lebensmittel beziehen, in der Hauptsache aber verschafften uns unsere Büchsen den nothwendigen Lebensunterhalt und unser amerikanischer Freund betrieb die Jagd sogar als Erwerb. Die Jagdgründe der Mandanen, wenn auch nicht mehr so reich an Wild als früher, bieten immerhin noch so viel reiche Ausbeute, daß die [529] Rothhäute weniger eifersüchtig auf ihr Jagdrecht zu sein brauchen, als die deutschen Grundherrn.

So führten wir denn ein ächtes Nimrod's-Leben, bald zu Roß, bald zu Fuß, immer aber die Büchse auf der Schulter und vom Morgen bis Abend die Jagdgründe durchschweifend in kurzer Unterbrechung.

Nur unser sehnsüchtiger Wunsch nach einer Büffeljagd schien nicht in Erfüllung gehen zu wollen, da von diesen nur in Heerden wandernden Thieren keine Spur zu finden war, obwohl wir nun schon mehrere Monate bei den Mandanen verweilten. Die Indianer selbst, für welche der Büffel das schätzbarste Thier ist, da Fleisch, Haut, Hörner, Hufen, Knochen, kurz Alles von ihm zu verwenden ist, nährten wie wir die Sehnsucht nach einer Büffeljagd, und vielleicht noch mehr als wir, indem es mit ihren Vorräthen zu Ende ging. Im Dorfe waren sogar schon religiöse Ceremonien veranstaltet worden, durch welche das Erscheinen der Büffel beschleunigt werden sollte, ungefähr so wie man in Spanien bei anhaltend trocknem Wetter so lange Processionen veranstaltet, bis es zu regnen anfängt.

Eines Abends endlich suchte uns einer unserer indianischen Freunde aus dem Dorfe in unserer Hütte auf. Solche Besuche selbst, bei denen übrigens nach indianischer Sitte nur selten ein Wort gewechselt wurde, waren für uns nichts Ueberraschendes, allein da diesmal [530] der Indianer mit dem, bei seinem Volke etwas Besonderes ankündigendem Ausrufe „Hugh!“ an unserm Feuer kauernd Platz nahm, so wurden wir doch auf der Zweck seines Besuchs gespannt. Mit alle der Würde und Ruhe, die dem Indianer eigen, saß unser rothhäutiger Freund vielleicht eine halbe Stunde schweigend da. Endlich wandte er sich, ohne jedoch eine Miene zu verziehen, in seiner Sprache mit einigen Worten an unsere amerikanischen Gefährten, die uns derselbe sofort fröhlich dahin übersetzte: „Hurrah, Kinder! die Büffel sind da!“

Von Schlaf war bei uns in dieser Nacht nicht viel die Rede, und das erste Grauen des Morgens fand uns bereits auf unsern kleinen Prairiepferden, dem Dorfe der Mandanen zureitend, mit denen gemeinschaftlich die große Jagd stattfinden sollte. Als sämmtliche Jäger vereinigt waren, eilten wir der Prairie zu, die sich unübersehbar vor unsern Blicken ausdehnte. Die Nacht suchte noch dem Tage sein Herrscherrecht streitig zu machen, als wir auf einer Hügelwelle in der Ebene Halt machten; einzelne Späher wurden von Zeit zu Zeit ausgesandt, und der Häuptling der Mandanen, als Führer der Jagd, traf dazwischen seine Anstalten, um durch Umzingelung der Buffelheerde die Jagd so ergiebig wie möglich zu machen. In vielen Fällen wird eine so angegriffene Heerde, die immer einige Hundert Köpfe zählt, fast buchstäblich vernichtet.

Nachdem nun alle Vorbereitungen getroffen und die über die grün wogende Prairie heraufsteigende Sonne uns in Entfernung von einer halben englischen Meile die friedlich grasende Heerde zeigte, noch nichts ahnend von dem Unheile, das sie bedrohte, wurde das Zeichen zum Beginn der Jagd gegeben. Eine Büffeljagd scheint für die Pferde eben so viel Anziehendes zu haben, wie für die Menschen, denn rasch wie der Blitz und mit vor Lust gespitzten Ohren flogen die kleinen Thiere über die Fläche dahin und trugen uns im Nu mitten unter die aufgeschreckte Heerde.

Rechts und links krachte nun in wildem Ritt schnell Schuß auf Schuß, und selten daß eine Kugel ihr Ziel verfehlte. Diejenigen Indianer, welche noch mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren, bedienten sich derselben mit eben so tödtlicher Sicherheit. Es war mehr eine Schlacht als eine Jagd. Die geängstigten Thiere stoben bald hierhin, bald dorthin, überall Feinden begegnend, bei denen kein Erbarmen. In kurzer Zeit befand sich die Heerde in voller kreisförmiger Flucht, und wir, die Jäger, mitten darin, im Galopp ladend und feuernd. Bisweilen kehrten sich jedoch auch die geängstigten und durch Verwundungen wüthend gemachten Thiere, welche sonst schon beim bloßen Anblick eines Menschen fliehen, zum Widerstande gegen uns. Es waren dies verhängnißvolle Augenblicke.

Zwei an meiner Seite galoppirende Indianer hatten es mit mir zugleich auf einen kolossalen Stier abgesehen, der trotz der Schnelligkeit unserer Pferde fortwährend im Vorsprunge blieb. Endlich holten wir ihn ein; ich drückte das Gewehr ab und brachte dem Thiere den ersten Schuß bei. Der verwundete Büffel machte einen gewaltigen Satz zur Seite und kehrte sich im selben Augenblicke wüthend gegen uns. Eine blitzschnelle Wendung meines Pferdes rettete mich, der schnaubende Büffel schoß hart an mir vorüber; der eine Indianer, nunmehr dem ersten Anprall des gefährlichen Feindes ausgesetzt, hatte kaum noch Zeit sich mit seltener Geistesgegenwart von seinem Pferde ab auf einige neben ihm rennende Büffel zu schwingen und so im majestätischen Cäsarritt, wie er bisweilen in Kunstreitergesellschaften ausgeführt wird, fortzujagen. Das Pferd des Indianers sank aber unter den wuchtigen Stößen des grimmigen Stieres nieder, dessen große weiße Augen zornglühend rollten, während er dazu mit den schweren Hufen wild den Boden zerstampfte und die lange schwarzzottige Mähne sich borstig sträubte. Ein von dem andern Indianer abgeschossener Pfeil traf den Büffel ebenfalls noch nicht tödtlich, reizte ihn aber dafür desto mehr. Mit fast an die Erde streifendem Kopfe stürzte er auf seinen Angreifer los, der, noch ehe er sein Pferd wenden konnte, sich jählings uns dem Sattel gehoben sah und einige vierzig Fuß weit durch die Luft geschlendert wurde. Ein zweiter Schuß von mir fuhr jetzt dem in seiner Wuth entsetzlich anzusehenden Thiere in den Kopf; es riß die Augen noch weiter auf als vorher, wühlte stampfend den Boden auf, der unter seinen mächtigen Tritten zu zittern schien, schüttelte mit einem mächtigen Gebrüll die riesigen Glieder und sank dann verendend zusammen.

In solche einzelne Scenen und Gefechte löste sich von Zeit zu Zeit die gemeinsame Jagd auf. Immer wieder wurde aber der Widerstand der rasend gemachten Thiere gebrochen, gewöhnlich wenn die wüthendsten getödtet umherlagen, und dann kehrten die übrigen sich wieder zur Flucht und wir, die Jäger, wieder wie vorher hinterdrein. Die Prairie war schon weithin mit getödteten Thieren bedeckt, das Gras zerstampft und niedergeritten, doch immer noch hallte Schuß auf Schuß, die Zahl der Opfer mehrend. So ging es mehrere Stunden fort, bis wir endlich nur noch einen kleinen Rest der Heerde fliehend vor uns hatten.

Die meisten Indianer waren auf dem Terrain, wo eigentlich die Hauptjagd stattgefunden hatte, zurückgeblieben, um die erlegte Beute einzusammeln und fortzuschaffen; nur einige befanden sich noch bei uns zur Verfolgung der Büffel, bei welcher wir jedoch schon seit geraumer Zeit aus dem Prairielande in dürre Haide gerathen waren. Die gehetzten Büffel warfen hier unter den Schlägen ihrer kräftigen Hufe Sand, Staub und Steine in dichten Wolken auf, ohne vor uns, ihren rastlosen Verfolgern, zur Ruhe zu kommen.

Unsere Pferde waren in dem Jagdgetümmel meist alle mehr oder weniger verletzt worden, so daß die Verfolgung von ihrer anfänglichen Lebhaftigkeit etwas abgenommen hatte, dagegen wußten wir um so sicherer, daß uns die Büffel nicht entgehen konnten, indem sie sich auf ein Terrain begeben hatten, das, am Ende durch steile Abhänge nach einem kleinen Bache zu begrenzt, ihr Entweichen unmöglich machte. Selten setzte sich jetzt noch eins der fliehenden Thiere zur Wehre, allein nicht weniger rasend jagten sie vor uns her.

Schon gewahrten wir die Felsenplatten, wo ihre Flucht ein Ende nehmen mußte, schon machten wir [531] uns kampffertig, um den Rückprall der wüthenden Büffel auszuhalten, als ...... Die Scene, die jetzt folgte, läßt sich schwer schildern.

Die bis zum Wahnsinn gehetzten Thiere, von Angst und Raserei vielleicht geblendet, stürzten in ihrem tollen Laufe eins nach dem andern die steile Felsenwand hinab. Als wir einige Augenblicke darnach an den Rand vorritten, zeigte sich unsern Blicken ein grausiges Schauspiel. Der Grund unten war mit den Körpern der riesigen Thiere wie übersäet, die meisten lagen zu Tode zerschmettert umher, einige ließen noch ein schmerzvolles, Mark und Bein durchdringendes Gebrüll vernehmen, dem bald das Röcheln des Todes folgte. An den Spitzen und Zacken der Felswand hingen große Klumpen Fleisch, welche den Büffeln im Niederstürzen herausgerissen worden waren; blutig rieselte es an den Felsen herunter. Noch blutiger sah es unten im Grunde aus; das Geröll und die Steine waren von dampfendem Blute überschwemmt, das rieselnd dem Bache zufloß und dessen Wasser tief roth färbte.

Ich kehrte mich schaudernd von dem Anblicke ab, der zu entsetzlich war, um mir nicht auf einige Tage die Lust zum Jagen zu benehmen. Als ich einige Zeit darauf die Stelle wieder besuchte, hatte der Regen die blutige Felswand und den Grund wieder reingewaschen; die weißen Wölfe, die dort höchst zahlreich, und Raubvögel hatten die gestürzten Büffel aufgezehrt, und selbst deren gebleichte Knochen waren durch die vom Regen angeschwollen gewesenen Fluthen des Baches zum großen Theil fortgeschwemmt worden. Von dem blutigen Vorgange war kaum eine leise Spur zurückgeblieben.




Blätter und Blüthen.

Prinz Ferdinand. Ueber den Tod des Prinzen Ludwig Ferdinand von Preußen bei Saalfeld ist so Vielerlei gefabelt worden, daß es nicht ohne Interesse ist, einen authentischen Bericht über den Vorfall zu hören. In den soeben erschienenen „Souvenirs et campagnes d’un vieux soldat de l’empire“ finden wir folgenden Bericht:

Am 10. Oktober 1806, beim Uebergang über die Saale, stieß das 111. französische Armeecorps unter Marschall Lannes auf eine Infanterie-Abtheilung, welche Prinz Ludwig Ferdinand von Preußen, Neffe des Königs, befehligte. Dieses Fußvolk, nicht im Stande, den überlegenen Franzosen zu widerstehen, zog sich wieder über die Saale zurück, und Prinz Ludwig Ferdinand war eben bemüht, das Gefecht wieder zum Stehen zu bringen, als ein Wachtmeister vom 10. französischen Husarenregiment, Gaindé mit Namen, auf ihn zueilte und ihm den Säbel auf die Brust setzend, Pardon zurief. „Ich mich ergeben? Niemals!“ war die Antwort des Prinzen, und indem er Gaindé’s Säbel parirte, versetzte er diesem einen Hieb in’s Gesicht. Eben im Begriff stehend, einen zweiten zu führen, stieß der Wachtmeister dem Prinzen den Säbel durch die Brust und warf ihn vom Pferde herab. Die Ordonnanzen des Prinzen, welche ihn im Kampfe mit einem französischen Soldaten sahen, sprengten herbei und würden Gaindé ohne Zweifel getödtet haben, wenn nicht zu gleicher Zeit ein Husar zu seiner Unterstützung herbeigeeilt wäre. Nicht im Stande, sich länger gegen die Preußen zu vertheidigen, zog sich Gaindé mit dem Husaren auf eine Unterstützungs-Abtheilung der Plänkler zurück. Daselbst angekommen, sagt er zu dem kommandirenden Offizier: „Herr Lieutenant, wenn Sie mit mir bis zum Flusse vorgehen wollen, können Sie den Leichnam eines Generals dort finden, den ich getödtet habe. Es ist derselbe, der mir diese Wunde versetzte. Wir werden ihm seinen Degen und seinen Stern nehmen, wenn anders der Feind uns nicht zuvorgekommen ist.“

Der Offizier, von seiner Truppe gefolgt, entfernte sich im Galopp, von dem Wachtmeister geführt, und erreichte den Platz, wo schon zwei Husaren vom 9. Regiment, welches mit dem 10. in einer Brigade stand, sich bei dem Leichnam eingefunden hatten. „Ich habe ihn getödtet,“ sagte Gaindé, „die Klinge meines Säbels ist noch von seinem Blute gefärbt; er muß einen Stich durch die Brust erhalten haben. Nehmt seine Börse; ich überlasse sie Euch; aber gebt mir seinen Degen und seinen Ordensstern, damit ich sie dem Marschall überbringe.“ Die Husaren gaben Gaindé das Verlangte, das er nun dem Marschall überbrachte.

In gleicher Zeit wurde durch Gefangene die Nachricht verbreitet, daß Prinz Ludwig Ferdinand von Preußen, ihr General, soeben durch einen französischen Husaren getödtet worden sei. Diese Nachricht war zu wichtig, als daß sie der Marschall nicht sogleich dem Kaiser gemeldet hätte. Da Gaindé, sich eben am Verbandplatz befand, so schickte der Marschall den Degen und Ordensstern durch einen seiner Adjutanten in’s Hauptquartier und bat um eine Belohnung für den Wachtmeister des 10. Husarenregiments. Der Kaiser bewilligte ihm das Kreuz der Ehrenlegion, indem er sagte: „Ich würde ihn überdies zum Offizier ernannt haben, wenn er mir den Prinzen lebend überbracht hätte.“

Als der Marschall dem Wachtmeister die Auszeichnung überreichte und ihm den Ausspruch des Kaisers mittheilte, antwortete Gaindé, indem er auf seine Wunde zeigte: „Meine Schuld ist es nicht, Herr Marschall, ich kann Sie versichern, daß mein Gegner nicht in der Laune war, sich zu ergeben.“




Reisen in den arktischen Regionen. Das Ziel, wonach England seit drei Jahrhunderten gestrebt und wofür es unzählige Tausende von Pfunden geopfert hat, nämlich einen nordwestlichen, kürzern Handelsweg nach Indien durch das atlantische Meer um Nordamerika herum durch die Behringsstraße und Baffins-Bai ausfindig zu machen, ist endlich nach mehr als zwanzig Nordpol-Expeditionen (von denen die Franklin’sche bekanntlich immer noch spurlos verschwunden bleibt) von dem Capitän M’Clure erreicht worden, obgleich das ewige Eis, das auf der amerikanischen Seite der Nordpol- oder arktischen Gegenden sich thürmt, damit noch nicht aufgethaut ist. Die andere Seite der Nordpolmeere, die asiatische, mit den ungeheuern Strömen Sibiriens ist dagegen alle Jahre Monate lang ganz frei vom Eis und gefahrlos, so daß sich Kenner oft genug gewundert haben, warum die englische Seeobrigkeit diesen offenen Weg nicht längst vorgezogen.

Wir unsererseits wollen die Obrigkeit der englischen Seeherrschaft hier nicht klug machen und beschränken uns auf Mittheilung einer Schilderung von der Art des Reisens durch das ewige Eis und das ewig frostgebundene Land am Nordpole, wie sie ein Lieutenant auf dem M’Clure’schen Schiffe kürzlich in einer englischen Gesellschaft machte. „Sie können sich wohl denken,“ erzählte er, „daß man in diesen arktischen Regionen nicht ganz so bequem reist, wie in den Ländern der Eisenbahnen und Civilisation. Die Natur ist hier ewig verschlossen und bietet kein Hälmchen, kein Stückchen Holz, keine Kohle. Was man auf der Reise braucht, muß man mitnehmen, natürlich [532] auch Haus und Bett. Wir machten's auf unsern Land-Expeditionen so: Ein Schlitten, von 4–6 Mann gezogen, schleppte Alles, was wir auf 40–50 Tage brauchten, hinter uns her, Zelt, Essen und Trinken, Küche und Alles, im Ganzen 200 Pfund Waare auf Jeden. Wenn wir 10–11 Stunden in einem Tage (oder vielmehr des Nachts, da die Sonne auf dem ewigen Schnee die Augen auf das Entsetzlichste quält) zurückgelegt hatten, schlugen wir unsere Herberge und unser Wirthshaus auf, das Zelt, machten Feuer, schmolzen Schnee über demselben und kochten damit Thee oder Grog, aßen, tranken, rauchten unsere Pfeifen und legten uns zum Schlafen zurecht. Zu diesem Zweck legten wir wasserdichtes Zeug auf den Schnee, darauf Buffalohäute, darauf uns, nachdem Jeder von uns sich in einen Sack gesteckt hatte. Der Wärme wegen schichteten wir uns dicht aneinander und zwar ganz so, wie Heringe in der Tonne: der Kopf des Einen drängte sich immer an die Füße des Andern. Dann wurden Pelzdecken über die ganze Gesellschaft gebreitet und dann geschlafen, aber gehörig, denn die Wege, die wir jedesmal zurückgelegt mit abwechselndem Ziehen des Lastschlittens, machten den Schlaf tiefer als auf Eiderdaunen hinter seidenen Vorhängen. Und niemals störte uns irgend der leiseste Laut Hunderte von Meilen ringsum in diesem großen, weißglänzenden, Tausende von Meilen sich ausbreitendem Tode der Natur.“




Die deutsche „Atlantis“ in Amerika. In Detroit, unweit des Niagarafalles im Staate Michigan, erscheint eine von Christian Esselen redigirte „Zeitschrift für Wissenschaft, Politik und Poesie: „Atlantis“, etwa die 140ste deutsche Zeitung in Amerika. Einige Nummern, die uns zu Gesicht kamen, lassen auf ein bedeutendes deutsches Leben und Geschäft dort schließen. Der deutsche Theaterverein in Detroit kündigte das neue Lustspiel von F. L. Schmidt: „Die Theilung der Erde“, an, welches im Moltz’schen Saale aufgeführt und mit einem Balle beendigt werden sollte. Ludwig Winkler (früher in Leipzig) erläßt eine Aufforderung zur Gründung eines Turnvereins. Friedrich Becker empfiehlt seinen „Darmstädter Hof“, H. Klußmann sein „Gasthaus zum Vater Rhein“, J. Miller die „Münchener Bierhalle“, B. Waldeck seinen „Wein- und Biersalon“, M. Brandt seine „Wirthschaft“, Held sein „Hotel“, Max Weber das „Hotel Constanz“, Reiske „Weinhandlung und Wirthschaft“, ein anderer Deutscher sein „River-Hotel“ am Niagarafall und seine Wagen, welche die Reisenden von Eisenbahnhöfen abholen; andere Deutsche Kleiderläden, Handlungen aller Art, Handwerke, Näheschulen für junge Damen, Apotheken, Tischler-Associationen, Bierbrauereien, ein Herr Böhnlein seine deutsche Buchhandlung mit der Versicherung, daß er jedes in Deutschland erschienene Buch schnell und billig besorge, dabei auch seine Niederlage von Uhren, Herr Bach seine Tanzschule u. s. w. Besondere Erwähnung verdient das über Europa und Amerika ausgebreitete Commissions-, Speditions- und Wechselgeschäft von Rischmüller und Löscher, das sich besondere Verdienste um die Personen-Beförderung von Europa nach Amerika erworben hat und in allen bedeutenden Seestädten beider Welten durch zuverlässige Agenten vertreten ist. So sieht man selbst aus der hintern Partie einer amerikanischen Zeitung, den Anzeigen, daß Deutschland drüben blüht:

„Und aus den Furchen, die Columb gezogen,
Geht Deutschlands Zukunft auf.“

Und das deutsche Mutterland liefert vorläufig noch tüchtig Samenkorn, wofür die Amerikaner von drüben Millionen von Scheffeln Korn und Weizen herüber schicken. Ohne unsere Brüder in Amerika wäre jetzt das deutsche Viergroschenbrot nicht viel größer als ein Viergroschenstück. Die amerikanischen Getreidebuden sind jetzt aber auch in Beziehung auf die Leichtigkeit der Beförderung den meisten deutschen Städten näher, als das Land der podolischen Ochsen.




Graf Alexander von Würtemberg, der jung verstorbene geniale Dichter, erzählte oft und gern die nachfolgende Scene aus seinem Reiseleben: In Gesellschaft eines Führers bestieg er den Montblanc, d. h. er stieg eben so hoch, als das mit Hülfe eines Führers möglich ist. Auf einem der höchsten Felsen klebt eine Kapelle. Ein schlichtes Muttergottesbild im kleinen Häuschen, ein Kupferstich, eine elende Votivtafel – das war Alles! „Das ist das wahre Gnadenreich,“ sagte der Führer. Der Teppich von Blumen, das frische Grün und der glänzende Schnee rings umher – fürwahr! das schlechte Kirchlein war schöner, als all’ die vielgepriesenen Dome in Mailand und Köln und Straßburg. Der Führer betet sehr lange; Graf Alexander, hinter der Kapelle auf die Kuppe des Felsens emporgeklettert, wartet und wartet. „Jetzt zähl’ ich noch Hundert, dann ruf ich ihn. Nein, er soll fortbeten.“ – Und so zählt er wieder Hundert und wartet wieder fünf Minuten.

Auf einmal athmet er schwer, vor den Augen wird’s ihm schwarz, er hört einen Knall, wie von Millionen Donnern und Kanonen, und darauf Lawinen wie ein Peletonfeuer. Vom nahen Berge ist eine senkrechte Felsenwand, vielleicht so hoch wie der Straßburger Münster, auf den angrenzenden hohlen Gletscher gestürzt, über welchen der Weg führte. Daher dieser furchtbare Knall. Noch ganz betäubt fühlte der Graf einen Schlag auf die Schultern. Sein Führer wars. Er deutete hinab auf die Kapelle und sagte: „Das ist das wahre Gnadenreich!“ – Hätte der Graf das Gebet seines Führers um fünf Minuten gekürzt, wären sie beide auf dem Gletscher zerschmettert.




Literarisches. In Berlin ist ein kleiner Boz aufgetreten. Unter dem Titel: „Berliner Pickwickier, Leben und Fahrten Berliner Junggesellen bei ihren Kreuz- und Querzügen durch das moderne Babylon“, giebt ein bis jetzt außer Berlin noch unbekannter Schriftsteller, Namens Heßlein, ein Werk heraus, halb Roman, halb Schilderung, worin das Berliner Leben und Treiben erschöpfend zur Darstellung kommen soll. Ludwig Löffler wird Illustrationen dazu liefern. – Unter den vielen Gedichtsammlungen, welche neuerdings wieder erscheinen, zeichnet sich vortheilhaft ein in Berlin erschienenes dünnes Bändchen aus unter dem Titel: „Aus grünen Zweigen.“ Der Verfasser oder die Verfasserin hat sich nicht genannt. Die meisten der darin gebotenen Gedichte sind von einer Gedankenfülle und Zartheit, die wahrhaft überraschen. – Auch Adolf Böttger hat eine neue Sammlung Gedichte in Leipzig erscheinen lassen.

E. K. 




Briefkasten. E. Gwd. in Dr.: Freundlichen Dank für Uebersendetes. Wenn das Bewußte erscheint, bitten wir um sofortige Uebersendung eines Abdrucks. – Hbr. in Pln.: Haben Sie unsere Zuschrift nicht erhalten, daß sie nicht antworten? – Mr. A. in London: Sie finden unsere Gartenlaube in ihren Erzählungen nicht modern genug, wünschen weniger „deutsche Gemüthlichkeit und mehr wirkliches Leben.“ Wenn Sie die letzten 4 bis 6 Nummern empfangen haben, dürfte Ihr Urtheil anders lauten. Vergessen Sie aber nicht, daß der Deutsche in Allem was er thut und schreibt, sein Gemüth niemals verläugnen kann. Auch widersprechen Sie sich in Ihrem Briefe. Sie sagen selbst, daß Sie die Gartenlaube in ihrer ganzen Art und Weise so recht an Ihr liebes Vaterland erinnere, das sie nun schon seit neun Jahren nicht wieder gesehen und wie sich's im lieder- und gemüthreichen Deutschland doch besser wohne, als auf dem kalten Kreidefelsen England, wenn man auch da „mehr Geld machen“ könne. Und doch wollen Sie in der ächt deutschen Gartenlaube weniger „deutsche Gemüthlichkeit?“ – F. R. in B.: Wir bitten die Erklärung des Herrn Professor Bock in Nr. 26 zu lesen. Herr Professor Bock giebt nur Kranken ärztlichen Rath, die er persönlich untersucht hat.

D. Red. 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.