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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[21]

No. 3. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.

Bilder aus dem Leben.

Von
Ed. Gottwald.
I.
Wie man Universalerbe wird.

Daß Herr Falke eine Perrücke trug und Herr Walke ebenfalls, das wußte die ganze Stadt, oder wenigstens doch alle diejenigen, welche das Vergnügen hatten, diese sehr ehrenwerthen Staatsbürger näher zu kennen. Da aber in einer großen Stadt viele Leute sehr nahe oft neben einander leben, ohne sich jemals kennen zu lernen, so konnte es nicht befremden, daß Herr Falke nicht die geringste Ahnung von der Existenz des Herrn Walke hatte, eben so wenig als Herr Walke von dem Vorhandensein des Herrn Falke Kenntniß hatte, obgleich, wie schon gesagt, Beide Perrücken trugen, obgleich Beide schon längst über das Schwabenalter[WS 1] hinaus und als alte Junggesellen privatisirten, und Beide fleißige Besucher des Theaters waren, in welchem Letzterer, Herr Falke, stets im Parterre oder zweiten Range Platz nahm, da er für reich galt, während Herr Walke, bescheiden mit der Mittelgallerie des vierten Ranges sich begnügte, da seine Mittel weiter zu gehen ihm nicht erlaubten.

So mochten wohl schon viele Jahre vergangen sein, ohne daß die beiden alten Junggesellen, die in so mancher Beziehung gleiches Loos getroffen und gleiche Lieblingsneigungen hegten, sich jemals gesehen und gesprochen oder auch nur vorübergehend mit einander in Berührung gekommen waren, als eines Abends das Schicksal durch Lucie Grahn[WS 2] es nicht allein dahin brachte, daß Beide sich kennen lernten, sondern Beide auch in sehr nahe Berührung gerathen ließ. – Und dies fand im Theater bei erhöhten Preisen statt. –

Der Andrang des Publicums zur letzten Gastrolle der berühmten Ballettänzerin war ein so außerordentlicher, daß Herr Falke nur mit Mühe ein Billet in einen Sperrsitz des vierten Ranges erlangen konnte, während der Zufall es fügte, daß Herr Walke auf der ersten Galleriebank dicht hinter Herr Falke Platz erhielt, was für den Erstern nicht eben günstig war, denn Falke war groß und stark, Walke dagegen klein und schmächtig, und eben an diesem Abend schien Falke sehr knappe Stiefeln zu tragen, die ihn drücken mochten, oder er hatte wegen vielleicht bevorstehendem Witterungswechsel Schmerzen in seinen Hühneraugen, denn er stand sehr häufig auf und verzog dabei schmerzhaft den [22] Mund, was allerdings Herr Walke hinter ihm nicht sehen konnte, der eben dadurch, da des Vormanns breiter Rücken gleich einem Schilde ihn deckte, den größten Theil der Aussicht auf die Bühne verlor. Während des Lustspiels, welches dem ersten Theile des Ballets vorherging, ertrug Walke ohne Murren das Unangenehme seiner Lage, als aber dieses beendet, und Lucie Grahn ihre Salto mortales als Willy’s begann, als sie mit dämonischer Lust den Geliebten auf dem Friedhofe gleichsam umflatterte und mit Riesensprüngen vom Hintergrunde der Bühne bis vor an den Souffleurkasten wirbelte, als die Ah’s und Oh’s des Erstaunens und der Bewunderung aus allen Räumen des Theaters der gefeierten Künstlerin entgegenschallten, und Herr Falke immer häufiger sich erhob, als ob der Schmerz in seinen Füßen während dieses Tanzes im Steigen begriffen schien, da schwoll dem kleinen gutmüthigen Walke die Zornader und heftig rief er Falken zu:

Herr, bleiben Sie doch ruhig sitzen. Glauben Sie vielleicht ich habe den erhöhten Preis für meinen Platz nur darum bezahlt, um weiter nichts hier zu sehen als Ihre Westseite?!

Ruhe auf der Gallerie! tönte es von mehreren Seiten, während Lucie Grahn einen ihrer groteskesten Sprünge ausführte, den Walke ebenfalls nicht zu sehen bekam, da Falke schon wieder aufgestanden war.

Niedersetzen! schrie Walke, von Zorn überwältigt.

Niedersetzen! riefen mehrere Stimmen, wie spottend nach, indeß die Grahn wie von Sturmwind erfaßt, mehr über der Bühne als auf derselben in wirbelnden Kreisbewegungen sich drehte.

Herr! sind Sie denn taub! knirrschte Walke dem unbeweglich stehen bleibenden Falke zu, und sprang auf um Falken auf den Kopf zu drücken und so handgreiflich diesen zum Niedersetzen zu bewegen; aber wahrscheinlich war diese Bewegung zu heftig gewesen, oder Falke hatte zu schnell sich mit dem Kopfe gebückt, denn Walke behielt zur Ergötzlichkeit der Umsitzenden plötzlich die Perrücke Falkens in der Hand, während dieser rasch sich umdrehte, und ehe Walke ausweichen konnte, diesen ebenfalls in die Haare gerieth, und mit einem Ruck nun auch dessen Perrücke erobert hatte.

Ein fürchterliches Gelächter erschallte längs den Bänken der Gallerie, als beide Gegner stumm vor Wuth und Schreck, jeder die Perrücke des Andern in der Hand haltend sich grimmig anblickten, aber ehe Falke und Walke Worte fanden ihren Zorn auszuschütten, erschienen Polizeibeamte Ruhe gebietend, denn das übrige Theaterpublikum im Parterre und in den Rängen, welche das Lächerliche dieses Auftritts nicht bemerkt hatten, verlangten entrüstet Beseitigung dieser Störung.

Ohne ein Wort zu wechseln, warfen sich Beide ihre Perrücken zu und nahmen ihre Plätze wieder ein, die Ruhe kehrte zurück, das Gelächter der Umsitzenden verstummte und unter rauschendem Beifall der Menge endete der erste Theil des Ballets.

Falke, welcher nun ohne öfterer aufzustehen sitzen blieb, so wie Walke, sprachen kein Wort, nur von Zeit zu Zeit während des zweiten Lustspiels, welches dem letzten Theile des Ballets vorher ging, begegneten sich beider Blicke voll Groll und boshaften Lächeln, aber auch dieses unterblieb beim Wiederbeginn des Ballets, und bald hatten die an’s Wunderbare grenzenden Leistungen der berühmten Tänzerin die letzten Ueberreste des Grolls aus den Herzen der beiden Feinde verweht, denn Beide fingen an Beifall zu klatschen und sich in Acclamationen zu ergehen.

Wahrhaftig, bemerkte Herr Falke, zu einem seiner Nachbarn. Diese Grahn ist doch unerreichbar und eine wirkliche Königin des Ballets.

[23] Ja! entgegnete dieser. Sie leistet das fast Unmögliche, das non plus ultra der Balletkunst. Ich zähle diesen Abend zu einem der amüssantesten während der Wintersaison.

Das wäre bei mir auch der Fall, wenn meine Gicht im linken Fuße mich nicht so gequält hätte und die dumme Scene mit den Perrücken nicht vorgekommen wäre, brummte Falke. Meinetwegen kann die ganze Welt wissen, daß ich eine Haartour trage, aber nur so mitspielen laß ich mir nicht.

Es ging aber dem andern Herrn auch nicht besser, tröstete begütigend der Nachbar und bot Falken eine Priese.

Mir ist es ganz gleich, bemerkte jetzt Herr Walke, dem keines dieser Worte entgangen war. Mir ist es ganz gleich, ob ganz Dresden es weiß oder nicht, daß ich eine Perrücke trage, und meinetwegen kann die ganze Geschichte morgen im Anzeiger stehen; hätte ich aber gewußt, daß der Herr vor mir, eben wie ich, eine Perrücke trägt, ich hätte ihn gewiß nicht angerührt.

Darum ist es auch um so leichter zu vergessen, tröstete eine junge neben Herrn Walke sitzende Frau, welche jedoch bei der Erinnerung an die Scene selbst ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

Aber das Gelächter, der Scandal, die Polizeieinmischung, brummte Walke ärgerlich.

Hm, das ist morgen alles längst vergessen, bemerkte ein anderer Nachbar, während Herr Falke, der dies alles mit angehört, ungläubig den Kopf schüttelte. –

Der zweite Theil des Ballets endete, der Vorhang fiel unter dem rauschendsten Applaus und dem Herausrufen der Lucie Grahn, welche als der Vorhang wieder aufging mit einem Regen von Bouquetts und Kränzen überschüttet wurde. Dann fiel der Vorhang wieder und die Zuschauer entfernten sich.

Auch Falke und Walke traten ihren Rückweg an, und doch wollte es der Zufall, daß, als die nach allen Seiten der Treppe sich zudrängende Menge das Weitervorwärtsschreiten hemmte, beide neben einander zu stehen kamen.

Ich habe von dieser Lucie Grahn viel gehört, was ich aber heute gesehen, übertrifft alle meine Erwartungen, fing Herr Walke etwas verlegen an.

So geht es auch mir, entgegnete Herr Falke, und hätte die Gicht mir in meinem linken Fuße nicht so fürchterlich zu schaffen gemacht, und wäre die fatale Geschichte mit unserer Kopfbedeckung nicht dazu gekommen, so wäre mir dieser Abend einer der genußreichsten gewesen.

Ich bedaure, daß ich so ungeschickt war, betheuerte Walke treuherzig, aber ich konnte nicht ahnen, daß Ihr immerwährendes Aufstehen von Gichtschmerzen herrührte.

Nun ich trage eben so viel Schuld, rief Falke. Doch lassen wir das.

Vergeben und vergessen, bat Walke gutmüthig.

Vergeben und vergessen, rief Falke und schlug herzlich in Walkens dargebotene Hand. – Gehen Sie direct nach Hause? frug er nach einer Pause, während der Menschenknäul sich zu entwickeln begann und Beide langsam die Treppe hinabstiegen.

Nein, ich kehre noch im italienischen Dörfchen ein, entgegnete Walke, denn zu Hause, setzte er komisch hinzu, da wartet meiner Niemand als eine alte Haushälterin.

Just wie bei mir, bemerkte Falke.

Auch nicht verheirathet? frug Walke.

Ich bin ein alter Junggesell, und werde es nun wohl auch bleiben, lächelte Falke.

Just wie bei mir, rief nun Walke lachend. Wahrlich, wir haben manches Aehnliche mit einander.

Sogar die Perrücken, scherzte Falke, und unter traulichem Gespräch wandelten Beide dem italienischen Dörfchen zu, um den Abend in einer der dortigen Restaurationen zu beschließen. Nach 11 Uhr Nachts trennten sich Beide mit dem Versprechen, sich des nächsten Abends hier wieder zu treffen, und hielten auch Wort.

Kein Tag verging später, ohne daß die neuen Freunde sich nicht gefunden, denn diese beiden allein stehenden Männer waren sich bald unentbehrlich geworden und gewannen sich mit jedem Tage lieber. –

Zwei Jahre nach jenem Theaterabend saß Walke am Bette seines Freundes, bei welchem er bereits drei Nächte, mit einem jungen Mediciner abwechselnd gewacht, und tröstete ihn mit baldiger Genesung, denn Falke war plötzlich schwer erkrankt und lag seit Wochen schon darnieder.

Aber Falke schüttelte ungläubig den Kopf und seufzte bang aufathmend: Diesmal wird’s nicht wieder, diesmal geht die Reise fort. – Aber Walke eine Bitte noch!

Und welche, sprich!? frug theilnehmend Walke.

Nimm Dich meiner alten Haushälterin und meines Pudels an, und laß mich ganz in der Stille begraben, flüsterte Falke, dem das Sprechen schwerer zu werden schien.

O sprich nicht so, rief der Freund wehmüthig, während seine Thränen auf die abgezehrten Hände des Kranken herabtropfen, die Walke festhielt, und erschrocken fühlte, wie kalter Schweiß dieselben bedeckte.

Ich fühle es, Bruderherz – es wird bald alle sein, stöhnte Falke, und sank wie erschöpft auf sein Lager zurück, auf welchem er zu seinem Freunde aufblickend sich mit der äußersten Anstrengung all’ seiner Kräfte erhoben hatte.

Wir wollen zum Doctor schicken, begann jetzt leise der junge Mediciner, der zur Nachtwache mit bestellt worden war, indeß Walke voll stummen Schmerzes sich an des Kranken Seite setzte. Seit einer halben Stunde hatte der Patient sich offenbar verändert.

Walke nickte beistimmend, und die Haushälterin lief schluchzend fort, den Arzt zu holen, welcher vor einer Stunde erst den Kranken verlassen, aber es war zu spät; einmal noch versuchte mit Hülfe Walkens der Sterbende sich aufzurichten, sein gebrochenes Auge auf den Freund richtend, als habe er ihm noch etwas anzuvertrauen, aber plötzlich zuckte er das Gesicht krampfhaft verziehend zusammen und starb.

Weinend drückte Walkens Freundes Hand ihm die Augen zu.


Wenige Tage nach Falkens Tode erklärte das Gericht nach Eröffnung des Testaments, welches der Verstorbene hinterlassen, Walken zum Universalerben, welcher die alte Haushälterin, so wie den Pudel des Freundes, treu seinem Versprechen zu sich nahm und bis an deren Ende sorgsam pflegte.

Falkens Perrücke aber lies er, als die Begründung der Freundschaft, welche Beide so herzlich umschlossen, unter Glas einrahmen und unter Falkens Bild, Beides an der Wand seinem Bett gegenüber, befestigen.

[24]

Montenegro und die Montenegriner.



So streng wir uns auch in der Gartenlaube von aller raisonnirenden Politik fern halten werden, so glauben wir doch den Dank unserer Leser zu verdienen, wenn wir sie mit den Verhältnissen und augenblicklichen Zuständen eines Landes bekannt machen, dessen Name neuerer Zeit vielfach genannt und das jedenfalls in den nächsten Tagen eine große Rolle in der politischen Welt spielen wird. Wir meinen das kleine Bergländchen Montenegro. Dieses kleine Stück Erde oder vielmehr Felsen scheint dazu berufen zu sein, eine wichtige Rolle bei den Ereignissen zu spielen, die sich nach und nach vorbereiten, um die Herrschaft der Türken in Europa zu erschüttern, wenn nicht ganz über den Haufen zu werfen. Unter unsern Freunden sind unzweifelhaft viele eifrige Zeitungsleser, und diesen besonders glauben wir mit dieser kurzen Darstellung zur richtigen Beurtheilung der kommenden Ereignisse einen Dienst zu erweisen.

Montenegro, welches auf deutsch schwarzes Gebirge heißt, von den Eingebornen selbst Tscherna Gora, von den Albanesen Mal Iris und von den Türken Karadaph genannt wird, stößt in südwestlicher Richtung an das adriatische Meer und wird westlich von dem schmalen Küstenlande des österreichischen Dalmatien, nördlich, östlich und südlich aber von der Herzogewina und Albanien begränzt und umfaßt einen Flächenraum von etwa 60 Quadratmeilen. Durch seine Berge vollständig in sich abgeschlossen und eben deshalb schwer zugänglich, ist Montenegro, obgleich in nächster Nähe des, von allen civilisirten Völkern besuchten adriatischen Meeres, lange Zeit hindurch der übrigen Welt wenig bekannt gewesen und erst in unsern Tagen hat man über das interessante Bergland und seine Bewohner nähere Kunde erhalten. Es ist nur ein kleines Völkchen von etwa 120,000 Seelen, das seit Jahrhunderten mit Muth und Entschlossenheit seine Unabhängigkeit gegen die Türken behauptet und seine Sitten und Gebräuche, seine Sprache und Religion rein erhalten hat. Die Montenegriner sind ohne Zweifel von allen südslavischen Stämmen diejenigen, die ihre ursprüngliche Abkunft am treuesten bewahrt und alle diejenigen Elemente fern von sich gehalten haben, die bei [25] den übrigen südslavischen Stämmen, ja bei ihren nächsten Nachbarn, den Bosniern und Albanesen, theils in Folge der türkischen Unterjochung, theils in Folge des Verkehrs mit den Griechen und Italienern Eingang fanden.

Der Montenegriner ist noch bis zur Stunde der einfachste Naturmensch, der als Hirt oder Jäger auf seinen wildromantischen Bergen umherschweift, und entweder nur zu räuberischen Streifzügen oder um sich mit seinen geringen Bedürfnissen zu versehen in die Ebenen der benachbarten Länder herabsteigt. Mit hoher, kräftiger und schöner Körperbildung vereinigen sich bei dem Montenegriner edle und stolze Gesichtszüge, die jedoch von jener Wildheit nicht frei sind, die als das Charakteristische bei allen Naturvölkern erscheint. Sein von Jugend auf an Strapazen aller Art gewöhnter Körper erträgt jede Anstrengung mit Leichtigkeit; er tritt überall mit Kühnheit und Sicherheit auf und zeigt in allen seinen Bewegungen eine kaum zu übertreffende Gewandtheit. Dieser äußeren körperlichen Ausstattung entspricht vollkommen der Charakter des Montenegriners. Wild und leidenschaftlich, schlau und hinterlistig, so wie in hohem Grade rachsüchtig ist er stets bereit, sich selbst Recht und Hülfe zu verschaffen, zeichnet sich dabei aber auch durch bewunderungswürdige Tapferkeit und eine glühende Liebe zur Freiheit aus. Diesen männlichen Tugenden stehen, was sonst bei rohen Natursöhnen nicht immer der Fall ist, eine große Mäßigkeit, Genügsamkeit und Sittenreinheit zur Seite.

In einem einfachen patriarchalischen Verhältnisse lebend, sind die Familien im engeren und der Stamm im weiteren Sinne diejenigen Bande, die den Montenegriner unauflöslich fesseln; jede Verletzung seiner Familie, so wie jede Antastung der Ehre seines Stammes fordern ihn zur Rache heraus, und weit häufiger als auf der Insel Korsika, fallen in Montenegro der Blutrache oft zahlreiche Opfer. Familie kämpft gegen Familie, Stamm gegen Stamm, bis das erlittene Unrecht gesühnt ist.

Leicht erkennt man aus dieser kurzen Charakterdarstellung des Montenegriners, daß derselbe alle Eigenschaften in sich vereinigt, die ihn zu einem tapfern, jeder Gefahr trotzenden Krieger machen, ja dieser kriegerische Muth treibt ihn zu den kühnsten und verwegensten Thaten hin, wenn seinem Heiligsten, seinem Vaterlande oder seinem Glauben Gefahr droht. Stolz auf seine Freiheit und Unabhängigkeit und als treuer Sohn der griechisch-katholischen Kirche ist der Montenegriner ein unversöhnlicher Feind der Türken, die sich seit Jahrhunderten vergebens bemüht haben, das tapfere Bergvolk unter ihr Joch zu beugen. Die Republik Venedig wußte die Tapferkeit der Bewohner der schwarzen Berge wohl zu schätzen, und in ihren blutigen Kriegen mit den Türken im 16., 17. und 18. Jahrhundert hatte sie an den Montenegrinern die treuesten Verbündeten, die auch später als Venedig seine Besitzungen auf der östlichen Seite des adriatischen Meeres aufgeben mußte, den Kampf fortsetzten und sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit errangen, die jedoch von der Pforte[WS 3] niemals anerkannt wurde.

Bis gegen das Ende des 14. Jahrhunderts gehörte Montenegro zu Serbien, riß sich dann davon los und war bis zu Anfang des 16. Jahrhunderts ein für sich bestehendes Fürstenthum unter eigenen Fürsten, von denen der letzte im J. 1516 abdankte. Von da ab bildete sich eine Verfassung aus, die ohne wesentliche Abänderungen bis auf die neueste Zeit bestanden hat und als eine priesterlich-republikanische bezeichnet werden kann. Dieser Verfassung gemäß leiteten ein Wladika (Anführer) und ein Erzbischof die Angelegenheiten, und ihnen zur Seite stand ein Senat, den das Volk aus den Aeltesten der Familien wählte. Dieses weltliche und geistliche Regiment wurde im Laufe der Zeit in einer Hand vereinigt, so daß der Wladika zugleich auch die erzbischöfliche Würde übernahm. In dieser doppelten Stellung als weltliches und geistliches Oberhaupt verwaltete er alle öffentlichen Angelegenheiten und die Gerechtigkeitspflege. In neuester Zeit ging diese vereinigte Würde auf die Familie Petrowitsch über, welcher auch der vorletzte Wladika Petro Petrowitsch II. angehörte, der am 31. October 1851 zu Cettinje, dem Hauptplatze Montenegro's und der Residenz des jeweiligen Oberhauptes, verstarb. Petro Petrowitsch II. gebührt der Ruhm, daß er unablässig bemüht war, sein Volk zu civilisiren, und wie gering auch immer die Anfänge in dieser Beziehung genannt werden mögen, so ist es ihm doch gelungen, durch strenge Handhabung der Gerechtigkeit einen sicherern Rechtszustand zu begründen und hierdurch der grausamen Blutrache Einhalt zu thun. Von besonderer Wichtigkeit ist das Verhältniß, in das Montenegro schon gegen das Ende des 18. Jahrhunderts zu Rußland trat. Das Verhältniß, das wohl zunächst durch das religiöse Interesse begründet ward und hierin seinen stärksten Anhaltpunkt hat, wurde unter Petro Petrowitsch II. ein immer innigeres, und es ist eine seit Jahren bekannte Thatsache, daß Rußland die Montenegriner unter seinen Schutz genommen und den Wladika mit Geld und allen den Mitteln unterstützt, die dem armen und spärlich angebauten Berglande fehlen. Trotz dieses Schutzverhältnisses, in welchem Montenegro zu dem mächtigen Rußland steht, dauerten auch unter Petrowitsch II. die Händel mit den Türken fort, ja diese führten im Jahre 1844 einen förmlichen Krieg gegen die Montenegriner und entrissen ihnen mehrere kleine Inseln im See von Scutari. Schon vorher war der Wladika auch in Streitigkeiten mit Oesterreich gerathen, die jedoch, wiewohl sie durch die raublustigen Montenegriner herbeigeführt waren, unter Vermittelung Rußlands in gütlichem Wege ausgeglichen wurden.

Von dieser Zeit ab, bis zum Tode Petrowitsch's II. am 31. October 1851 trugen sich keine Ereignisse zu, welche die Aufmerksamkeit der übrigen Welt auf Montenegro gelenkt hätten. Erst nach dem Ableben des letzten Wladika sind die Montenegriner wieder Gegenstand eines allgemeinen Interesses geworden; sie sind von Neuem in einen ernsten Kampf mit den Türken verwickelt und scheinen, begünstigt durch die außerordentlichen Sympathien, welche die übrigen südslavischen Stämme so wie überhaupt die christliche Bevölkerung in den türkischen Provinzen, namentlich in Bosnien, theils im Geheimen, theils offen für sie an den Tag legen, auf größere und nachhaltigere Erfolge rechnen zu können. Es handelt sich aber auch in dem neuerlichst ausgebrochenen Kampfe nicht etwa um die Besitznahme eines einzelnen streitigen Grenzortes, sondern vielmehr um die thatsächliche Unabhängigkeit [26] Montenegros und seines jungen Fürsten Danilo (Daniel), die dieser um so mehr zu erringen und von Seiten der türkischen Regierung anerkannt zu sehen bestrebt ist, da er sich unter dem Schutze Rußlands zum unabhängigen Fürsten von Montenegro erhoben hat und als solcher von eben dieser Schutzmacht anerkannt worden ist.

Danilo, ein Sprößling aus der bei den Montenegrinern gleichsam für heilig gehaltenen Familie Petrowitsch, war ursprünglich von seinem Vorgänger nicht zum Nachfolger bestimmt worden; vielmehr hatte dieser die Herrschaft über Montenegro dem Sohn seines älteren Bruders zugedacht und ihn nach Petersburg gesandt, um sich für seinen hohen Beruf auszubilden. Der Tod dieses Neffen Petrowitsch II. erfolgte während seines Aufenthalts in der russischen Residenz, und nun lenkte der schon bejahrte Wladika seine Aufmerksamkeit auf den jungen Danilo, der gerade zu dieser Zeit die Schule in dem benachbarten Cattaro (im österreichischen Dalmatien) besuchte. Danilo ward von dort zurückberufen und bald darauf nach Petersburg gesandt. Auf der Reise dorthin begriffen, ereilte ihn die Nachricht von dem Tode seines Oheims, und sofort kehrte Danilo nach Montenegro zurück. Hier hatten sich unterdessen verschiedene Parteien gebildet und es schien, als sollte es wegen der Nachfolge Danilo’s zu inneren Streitigkeiten kommen, die um so gefährlicher für Montenegro hätten werden können, da Pero, der Präsident des Senats, in dem Verdachte stand, daß er darauf ausgehe, die Herrschaft an sich zu reißen. Rußland wandte diesen Parteiungen die größte Aufmerksamkeit zu, schickte einen besonderen Abgeordneten nach Montenegro ab, ließ sich durch diesen über die Verhältnisse desselben genau unterrichten und begünstigte den jungen Danilo, der sich überdies durch sein kluges und entschiedenes Benehmen in kurzer Zeit die Zuneigung seines Volkes erworben hatte, so sehr, daß die Bemühungen seiner Gegner erfolglos blieben, und diese sich endlich für ihn erklärten.

Dem Willen seines Vorgängers gemäß sollte Danilo seine Ausbildung in Petersburg vollenden und dort zu seiner kirchlichen Würde eingeweiht werden. Der junge Fürst reiste demzufolge nach Petersburg ab, doch kaum war dies geschehen, so traten die Häupter der Montenegriner zu Cettinje zusammen und berathschlagten, wie einer längeren Abwesenheit Danilo’s vorgebeugt werden könne. Nur in der Trennung der weltlichen Würde von der geistlichen sah man die Möglichkeit, den jungen Fürsten in kürzester Zeit seinem Volke wieder zuzuführen. Alsbald schritt man zur Ausführung dieses Planes. Man wandte sich zu diesem Ende in einer Bittschrift an den Kaiser von Rußland und entwickelte in dieser die Gründe, die eine Trennung der weltlichen von der geistlichen Würde nothwendig machten, so schlagend, daß sich der russische Kaiser, der sich überdies noch durch seinen Abgeordneten Bericht erstatten ließ, dem Gesuche des montenegrinischen Senates willfährig zeigte und dem jungen Danilo in einem eigends hierzu ausgefertigten Diplome den Titel "erlauchter Fürst des montenegrinischen Volkes" beilegte.

Mit dem Orden des heil. Stanislaus erster Klasse geschmückt, kehrte Fürst Danilo zu seinem Volke zurück, dem er in einer großen Versammlung das feierliche Versprechen gab, mit unermüdeter Anstrengung nur für sein Wohl zu sorgen. Der junge Fürst, der, wenn auch keine gebietende Heldengestalt, wie die meisten seiner Vorgänger, doch mit einer einnehmenden Persönlichkeit, einen seltenen Scharfblick, Entschlossenheit und Neigung zu nützlicher Thätigkeit verbindet, hat bereits während seines kurzen Regiments Beweise dafür gegeben, daß es ihm mit seinen dem Volke zugesagten Verheißungen Ernst sei, und namentlich ist er bemüht, durch Gründung von Schulen und Kirchen, durch eine bessere Gerechtigkeitspflege und durch Anlage von Straßen die Montenegriner für Kultur und Civilisation empfänglich zu machen. Zum geistlichen Oberhaupte hat er den Archimandriten Nikodem Rajcevic ernannt, der sich bereits nach Petersburg begeben hat, um sich dort als Erzbischof weihen zu lassen.

Für den Augenblick ist freilich die Aufmerksamkeit des jungen Fürsten und seines Volkes auf den Kampf gegen die Türken gerichtet. Der Sultan ist weit entfernt, Danilo als unabhängigen Fürsten von Montenegro anzuerkennen, im Gegentheil hat er ein ansehnliches Heer gegen die Montenegriner gesandt, und sogar einen ansehnlichen Küstenstrich Albaniens in Blokadezustand erklärt. Ihrerseits haben sich die Montenegriner stärker gerüstet als je; Danilo selbst steht an ihrer Spitze, und durch die Ueberrumpelung der, am See von Scutari belegenen Feste Czabljak hat er bereits einen festen Operationspunkt gewonnen. Ob es indeß die Montenegriner wagen werden, weiter in die Ebenen vorzudringen und den Türken in offener Feldschlacht entgegenzutreten, läßt sich kaum erwarten, es sei denn, daß unter den übrigen slavischen Stämmen eine entschiedene Bewegung zu ihren Gunsten einträte. In diesem Falle würde sich der kaum begonnene Kampf weit hin über die westlichen Provinzen der europäischen Türkei ausbreiten, und, welchen Ausgang er auch nehmen möchte, zur Kräftigung der türkischen Herrschaft gewiß nicht beitragen. Gerade die Möglichkeit eines solchen Ereignisses ist es, die dem kräftigen Auftreten der Montenegriner eine so hohe Bedeutung giebt.




Ein großer Mann im niedern Stande.

Mögen Andere, wenn sie es nicht lassen können, von Verbrechern erzählen, von deren Thaten man ohne Grauen und Hautschauern nicht hören kann; ich meines Theils will Ihnen gelegentlich von Männern oder Frauen berichten, von welchen unseres Bürger’s Worte auch gelten:

Hoch klingt das Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang.

Ich will Ihnen von solchen Edeln aus unsern Tagen erzählen, wäre es auch nur, damit die Leser erkennen und bekennen: es giebt doch noch brave, ja große Menschen! [27] Man hört leider so oft die traurigen Worte: die Welt wird schlimmer, die Menschen werden schlechter.

Die Reihe eröffne ein armer Mann, der zwölf Stunden täglich arbeiten, schwer arbeiten muß, um für sich und die Seinigen Brot zu verdienen, trotzdem aber seit vierzehn Jahren Zeit gefunden hat, für das Wohl seiner Mitmenschen so viel zu thun wie selten Einer. Dieser Mann ist Thomas Wright in Manchester. (Ausgesprochen wird der Name: Reit.)

„Von dem haben wir noch niemals etwas gehört.“

Das glaube ich wohl; die Welt spricht von ihren besten Bürgern am wenigsten.

Dieser Thomas Wright ist ein Mann von dreiundsechszig Jahren; er hat siebenundvierzig davon in einer großen Eisengießerei gearbeitet, in welcher er jetzt Werkführer ist. Täglich beginnt seine Arbeit früh um fünf Uhr und dauert bis sechs Uhr Abends, und so anstrengend hat er siebenundvierzig Jahre gearbeitet, um sich und seine Angehörigen zu erhalten. Dieser Angehörigen sind nicht Wenige; er hat neunzehn Kinder gehabt und bisweilen erwarteten auch Enkel ihr Brot von ihm. Wie groß sein Verdienst sein mag, kann man sich leicht denken.

Ein Mann, der so arbeitet und dabei in seinem Hause ein exemplarisches Leben führt, hat wohl Anspruch, nach der Anstrengung an Ruhe und Schlaf zu denken. Was kann er auch noch thun, dem so wenig freie Stunden übrig bleiben? Nun, Thomas Wright, der arme Mann, der Mann der harten Arbeit, der bescheidene stille Mann von niederer Herkunft, der nichts besaß als die wunderbare Kraft des ernsten Willens und ein Herz voll ächter Menschenliebe, hat es in seinen wenigen freien Stunden möglich gemacht, dreihundert verurtheilte Verbrecher zur Tugend zurückzuführen, die Schande von ihren Namen zu tilgen und ihnen ein ehrliches Auskommen unter ehrlichen Menschen zu geben.

Wer neigt vor einem solchen Manne nicht ehrfurchtsvoll sein Haupt?

Vor vierzehn Jahren besuchte Wright einmal an einem Sonntage ein Gefängniß in Manchester und was er da sah, machte einen tiefen Eindruck auf ihn. Er wußte recht wohl, daß die Gefangenen, wenn sie entlassen worden, mit dem Zuchthausflecken an sich überall vergeblich Beschäftigung suchen, daß die Menschen ihnen die Möglichkeit der Besserung entziehen und sie zwingen würden, den Weg des Verbrechens wiederum zu betreten, – um nicht zu verhungern. Lange beschäftigten sich seine Gedanken mit diesem Unglück, bis er endlich sich entschloß, so viel er vermöchte, ein Freund derer zu werden, die keinen Helfer hätten.

Der Hausgeistliche erkannte sehr bald, wen er in dem einfachen Manne vor sich habe und nach einiger Zeit wurde demselben ein Verurtheilter überwiesen, an welchem er einen Versuch machen durfte. Wright ergriff mit Ernst die ihm gegebene Gelegenheit. Er hatte allerdings den Vortheil, als Arbeiter mit dem Arbeiter sprechen zu können. Er stellte ihm den Vorzug eines ehrlichen Lebens vor und sagte ihm, daß der Himmel bereuete Schuld aus der Rechnung streiche. Warm kamen seine Worte aus warmen Herzen und der Verurtheilte mußte fühlen, daß sie nicht bloße Lippentheilnahme waren, er mußte in dem Arbeitsmanne, der zu ihm in den Kerker kam und also mit ihm sprach, einen ungewöhnlichen Menschen erkennen. Als Wright sich überzeugt hatte, daß seine Worte Eindruck gemacht, verpflichtete er sich, seinem Freund beizustehn, ihm Arbeit zu verschaffen und im Nothfalle für seine gute Aufführung Bürgschaft zu leisten. Er hielt sein Versprechen und der ehemalige Gefangene ist seitdem ein fleißiger Arbeiter und redlicher Staatsbürger gewesen.

So begann die Arbeit, in so bescheidener Stille, mit so redlichem Ernst und gleich jedem bescheidenen ernsten Mühen mit dem Segen des Gedeihens. Und so sind durch diesen einzigen Mann in einer Zeit von vierzehn Jahren Hunderte dem Frieden ihres Gewissens wiedergegeben und zu braven Bürgern gemacht worden. Wright führte reuige Ehemänner ihren Frauen, gebesserte Väter den verlassenen Kindern zu. Ohne sich in Schulden zu stecken, obwohl er eine große Familie von kleinem Verdienst zu erhalten hatte, vermochte er von dem Wenigen zu ersparen, indem er sich mit dem Allerunentbehrlichsten begnügte, damit er da, wo ein Ausgestoßener in die Gesellschaft wieder einzuführen war, Kleider und etwas Geld für den Anfang zu geben habe.

Wright gehört nicht der englischen Hochkirche an, ist also nicht bigott; mit so ächter allgemeiner Menschenliebe kann auch Frömmelei nicht bestehen. Er bemüht sich in dem Verurtheilten im Kerker nur das religiöse Gefühl wieder zu wecken; er spricht nur von den einfachsten Lehren des Christenthums – keiner besondern Kirche – er verlangt nichts weiter, als daß die, welche ihm vertrauen, einmal in der Woche irgend eine Kirche besuchen. In der Kirche, in welche er selbst geht, erblickt er überall, wohin sein Auge sich wendet, Familien, die durch ihn da sind, Männer, die er von den schlimmsten Wegen mit sanfter Hand zurück geführt und die nun andächtig neben ihren Kindern und Frauen knien. Sind diese Familien nicht lebendig und sichtbar gewordene Gebete?

Alles dies ist ganz in der Stille geschehen. Wegen eines jeden Ausgestoßenen hatte Wright mit seinem Arbeitsherrn oder mit andern besonders zu unterhandeln; viele arbeiten jetzt unter ihm und sein Wort ist nun überall eine Empfehlung selbst für entlassene Zuchthäusler. Sonst wurde er wohl oft abgewiesen, aber er ging unverdrossen von Einem zu dem Andern, er gab seinen eigenen Wochenlohn als Bürgschaft, er unterstützte die Unbeschäftigten so weit als möglich aus eigenen Mitteln und bestrebte sich mit unermüdlichem Eifer, durch Wort und Brief sie mit verletzten Verwandten oder Freunden wieder auszusöhnen. Freilich sieht man es dem Mann an, der noch täglich zwölf Stunden für seine Familie, sechs oder acht für unglückliche Mitmenschen arbeitet, daß er seinem eigenen Körper nur die nöthigste Nahrung und vier Stunden Schlaf nach schwerer Arbeit gönnt. Dreiundsechszig Jahre ist er alt geworden und unverdrossen, unermüdet geht er seinen Weg weiter.

Kein öffentlicher lauter Beifall hat sein Ohr erfreut und er suchte keinen. Das Gelingen seiner Mühen war sein Lohn. Einige Frauen nur sind zusammengetreten und haben ihm eine kleine Summe zur Verfügung gestellt, von der er gelegentlich für seine Armen Gebrauch macht. Gefängnißaufseher erwähnten ihn allmälig in ihren Berichten an die Regierung; endlich haben sie anerkannt, daß die Arbeiten des einfachen Mannes „über alles Lob erhaben sind“. Sie sammelten Aussagen von solchen, die durch [28] ihn gerettet wurden. „Vor fünf Jahren,“ sagte Einer, „wurde ich verurtheilt. Als ich meine Strafe gelitten hatte, konnte ich keine Arbeit finden. Ich ging zu meinem früheren Principal, um ihn zu bitten, mich wieder anzunehmen. Vergebens. Da lernte mich Wright kennen; er sah, daß ich ernstlich mich bessern wollte und er verschaffte mir Arbeit. Jetzt habe ich eine Frau und vier Kinder; ohne Wright wäre ich verloren gewesen.“

Ein anderer schließt seine traurige Geschichte mit den Worten: „ich befinde mich jetzt so, daß ich jedem Armen ein ähnliches Loos wünsche; ich trinke nicht und fluche nicht; ich habe Ruhe in meinem Gewissen und Frieden in meinem Hause. Sonst war ich so schlecht als der Schlechteste in Manchester. Mein Weib kann ihr Glück kaum begreifen; meine Jungen geben in die Schule, meine Mädchen auch. Das Alles verdanke ich Wright. Gott segne ihn!“

Wäre der Geist eines Wright allgemeiner verbreitet, so würde die Zahl der Gefallenen um vieles geringer sein; wir Alle tragen durch unsere Trägheit die Schuld, daß die Zuchthäuser so reichlich gefüllt sind; denn was ein Mensch mit ernstem Willen vermag, lehrt uns der edle Wright.

Aber, fragen die Leser, thut denn das reiche England gar nichts für einen Mann, der für dasselbe so viel gethan? Hm! Zu solchen Zwecken hat es auch kein Geld; es muß ja eine Million für den Begräbnißpomp Wellington’s geben, es muß Leuten, die ein halbes Jahr Minister waren, für ihr ganzes übriges Leben eine jährliche Pension von 5000 Pfd. St. zahlen. Manchester, das reiche, indeß fängt an sich zu schämen. Es sind einige Männer dort zusammengetreten, die dem armen Wright für die wenigen Jahre, welche er noch zu leben haben mag, die Summe zahlen wollen, die er jetzt mit schwerer Arbeit verdiente, damit er ausruhe und sich allein seinen Unglücklichen widme. Was man aber auch thun möge, vergelten kann man dem Manne nicht was er gethan und doch – nicht wahr?

Hoch klingt das Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang.




Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Dritter Brief. Die Vulkane.

Ich darf wohl voraussetzen, mein lieber Freund, daß Du in den Zeitungen von dem Spektakel gelesen hast, den seit einiger Zeit der feuerspeiende Berg Aetna auf der Insel Sicilien gemacht hat und vielleicht bis diesen Augenblick noch macht. Das bringt mich auf die Idee, Dir über die feuerspeienden Berge, oder wie man sie mit dem, wenn auch fremdländischen Worte richtiger und bezeichnender nennt, die Vulkane etwas zu schreiben. Es kann nicht leicht einen gewaltigeren Gegenstand auf der Erde für unsere kleinen Unterhaltungen geben. Du wirst sehen, daß sich daran auch außerordentlich wichtige Betrachtungen über die Entstehung unserer Erdkugel knüpfen; denn sie sind die Ueberreste einer früheren grausenhaften Thätigkeit der Erde, gegen welche die jetzige, so gewaltig ihre Erscheinung auch sein mag, Kinderspiel genannt werden kann.

[29] Ich sagte eben, daß es richtiger sei, die feuerspeienden Berge Vulkane zu nennen. Manche Berge oder andere Stellen des Erdbodens speien auch Wasser, oder Schlamm, oder Gas, d. h. besondere von unserer gewöhnlichen Luft verschiedene Luftarten aus. Daher müßte man solche zum Unterschied wasserspeiende, oder schlamm- oder luftspeiende Berge nennen. Darum ist besser, wir nennen sie alle zusammen Vulkane, und unterscheiden sie in Schlammvulkane, Wasservulkane und verstehen unter Vulkanen schlechthin die feuerspeienden.

Alle zusammen deuten bestimmt darauf hin, daß die Erde noch die Eigenschaft besitzt, geschmolzene, oder schlammige, oder wässrige, oder luftartige Massen mehr oder weniger gewaltsam aus geringer oder beträchtlicher Tiefe auf ihre Oberfläche emporzutreiben. Diese Eigenschaft und die dadurch hervorgebrachten Erscheinungen nennt man Vulkanismus. Wir wollen uns dieses Wort merken, weil es kürzer ist, als wenn wir es deutsch umschreiben wollten. Der Vulkanismus unserer Erde bringt also alle vorher bezeichneten Erscheinungen hervor. Daß auch die Erdbeben dazu gehören, wirst Du Dir leicht selbst sagen.

Ohne Zweifel hast Du schon einmal etwas von einem sogenannten Centralfeuer gehört. Von ihm muß ich Dir erst Einiges erzählen, ehe wir uns von den Vulkanen selbst unterhalten können.

Einer der wichtigsten, man möchte sagen der ehrwürdigsten und ernstesten Zweige der Naturwissenschaft beschäftigt sich mit der Frage: wie ist unsere Erde entstanden, und was hat sie seit ihrer ersten Entstehung bis jetzt für Umänderungen und Umwälzungen erfahren? Diesen Zweig der Naturwissenschaft nennt man Geologie, zu deutsch etwa Lehre von der Erdbildung. Diese Wissenschaft darf sich nun freilich nicht einbilden, und thut es auch nicht, daß sie einstmals über diese Frage unumstößliche Gewißheit erlangen werde. Aber soweit sie darüber in’s Klare kommen kann, thut sie es; denn es ist Grundsatz der Naturforschung, über die natürlichen Dinge ohne Unterlaß zu forschen, bis sie die Wahrheit erforscht hat.

Die Geologie, die mit der Chemie und Physik natürlich Hand in Hand geht, ist darüber jetzt vollkommen gewiß, daß die feste Erdrinde, so weit sie bisher an hohen Bergen und in tiefen Schachten zu untersuchen gewesen ist, theils durch Schmelzung, theils durch Absetzen aus großen Wasserfluthen entstanden ist.

Es würde uns jetzt zu weit von unserem Ziele abführen, wenn ich hierauf näher eingehen wollte. Davon einmal später. Jetzt genüge uns, zu wissen, daß unter den Geologen beinahe Einstimmigkeit darüber herrscht, daß die Erde in ihrem Innern jetzt noch in feurigem Fluß ist. Du darfst wohl glauben, daß das nicht blos so eine aus der Luft gegriffene Vermuthung ist. Dieses Centralfeuer, so nennt man bekanntlich das noch feuerflüssige Erdinnere, ist mit vielem Scharfsinn fast bis zur Gewißheit erwiesen. Da ich Dir heute natürlich nicht alle dafür vorgebrachten Gründe mittheilen kann, so nenne ich Dir nur die Vulkane und die heißen Quellen als zwei der hauptsächlichsten Beweismittel. Nur das will ich hier noch einschalten, daß man Grund hat, zu vermuthen, daß bei weitem der größte Theil der Masse unserer Erde noch feuerflüssig ist. Die Erde mißt von der Oberfläche bis in den Mittelpunkt, also im Halbmesser, ungefähr 860 Meilen; davon ist nach den neuesten, auf großer Wahrscheinlichkeit beruhenden Vermuthungen der Naturforscher erst der siebzehnte Theil, etwa 50 Meilen, fest. Wenn wir also einen funfzig Meilen tiefen Schacht niedertreiben könnten, so würden wir auf den furchtbaren Schmelzheerd des Erdinnern kommen. Wenn Du Dir dies Verhältniß recht deutlich machen willst, so vergleiche unsere Erde mit einer Citrone. Das Fleisch der Citrone ist das feuerflüssige Erdinnere und die Citronenschale ist die feste Erdrinde. Das kommt Dir vielleicht unglaublich vor, und Du glaubst, da müßten Dir ja am Ende die Schuhsohlen warm werden. Aber bedenke, daß eine Schicht von 50 Meilen Dicke zwischen Dir und dem Centralfeuer liegt! Brenne ganz Deutschland an und dann ziehe eine 50 Meilen dicke Mauer darum, ich wette, man wird sie auswendig auch nicht warm finden. Du meinst vielleicht, daß es also in unsern tiefen Schachten wohl schon bedeutend wärmer sein müsse, als oben. Allerdings nimmt in denselben um jede 100 Fuß die Wärme um einen Grad zu. Du mußt aber bedenken, daß unsere tiefsten Schachten sich zu dem 800 Meilen betragenden Erdhalbmesser sehr winzig verhalten. Wenn Du mit der Stecknadel durch den Papierüberzug eines Erd-Globus von acht Fuß Durchmesser stichst, so kommt die Tiefe dieses Stiches den tiefsten Schachten unseres Bergbaus ungefähr gleich!

Obgleich nun Erdbeben schon fast überall auf der Erde wahrgenommen worden sind, so sind verhältnißmäßig die noch thätigen Vulkane, mit denen die Erdbeben doch ohne Zweifel in ursächlicher Verwandtschaft stehen müssen, nicht eben sehr zahlreich, und auf großen Strecken der Erdoberfläche finden sich gar keine. Dennoch ist die Zahl derselben nicht so gering, da man bereits über 160 zählt. Noch viel größer ist die Zahl der erloschenen Vulkane, von denen manche erst seit der geschichtlichen Zeit ausgetobt haben. Das sogenannte Mittelgebirge Böhmens, zwischen Teplitz und Lobositz, ist eine große Gruppe erloschener Vulkane. Die Unterscheidung zwischen erloschenen und noch thätigen Vulkanen ist aber sehr trügerisch. Im Jahre 79 n. Chr. galt der Vesuv für einen erloschenen Vulkan. Sein ehemaliger Krater bildete einen mit wildem Wein bewachsenen Thalkessel; an den Seiten seines Gipfels grünten üppige Getreidefelder und unmittelbar an seinem Fuße lagen die beiden blühenden Städte Herculanum und Pompeji in sorgloser Ruhe. Da lebte in dem genannten Jahre der für abgestorben gehaltene von Neuem wieder auf und begrub jene beiden Städte so spurlos unter seinem Auswurfe, daß man sie erst in wenigen Jahrhunderten zufällig beim Brunnengraben wiederfand. Der Epomeo auf der, Neapel gegenüberliegenden, Insel Ischia hat seinen letzten Ausbruch im Jahre 1302 gehabt und scheint vor diesem 17 Jahrhunderte lang ruhig gewesen zu sein. Vielleicht treibt ihn einstmals eine innere Macht wieder zu neuer Thätigkeit.

Um es glaublich zu finden, daß die Vulkane nichts anderes sind, als Ausführungskanäle des feuerflüssigen Erdinnern, müßte ich Dir hier eigentlich aus der Geologie nachweisen, daß die meisten unserer höchsten Berge nichts anderes sein können, als ungeheure geschmolzene Massen, welche in den früheren Zeiten der Erdbildung, wo die sogenannte Erstarrungsrinde jedenfalls noch viel dünner, als 50 Meilen war, emporgetrieben worden sind und dann zu Felsenbergen erstarrten. Dies gilt namentlich von alten [30] Granitbergen, zu denen z. B. die Berge des thüringer Waldes gehören. Unsere höchsten Gebirgszüge, die Alpen, die Anden, das Himalaja-Gebirge, sind nicht nur in ihrer Gesteinsmasse ebenfalls dieses Ursprungs, sondern sie sind, nachdem sie Millionen von Jahren als niedrigere Gebirge bestanden hatten, später durch neue Kampfbewegungen des Erdinnern zu ihrer gegenwärtigen Höhe emporgehoben worden. Daß man Ereignisse, die vor so unendlich langer Zeit stattgefunden haben, heute noch nachweisen kann, das ist eben das Verdienst und der Triumph der Geologie.

Eine wichtige Erscheinung in der Vertheilung der Vulkane auf der Erdoberfläche ist die, daß in mehreren Erdtheilen dieselben reihenweise geordnet sind. Man nennt dies Vulkan-Reihen. Zwischen Yanteles und dem Aconcagua[WS 4] in Chile sind 24 Vulkane in einer fast ganz geraden 165 Meilen langen Reihe geordnet, so daß eins in’s andere gerechnet zwischen je 2 Vulkanen ein Zwischenraum von 7 Meilen liegt. Diese Reihe folgt genau dem Zuge der Anden. Längs der Westküste von Nordamerika, von den Costarica-Staaten beginnend bis an das nordöstliche Ende von Guatemala, folgt den Biegungen der Küste in dem Zuge der Cordilleras eine Reihe von 40 noch thätigen Vulkanen, auf welcher die einzelnen Vulkane allerdings in sehr ungleichen Abständen liegen und an einigen Stellen gruppenweise gehäuft sind. Solche Vulkangruppen kommen anderwärts auch für sich vor, und zwar meist aus haufenförmigen Inselgruppen. Dahin gehören unter anderm die Galapagos-, die Sandwich- und die Societäts-Inseln.

Wenn nun diesen Thatsachen gegenüber anderwärts auf großer Ausdehnung gar keine thätigen Vulkane zu finden sind, wie z. B. in dem Centrum von Europa, so liegt die Vermuthung wohl nahe genug, daß jene Vulkanreihen und Vulkangruppen unter sich in Verbindung stehen; und es gewinnt die Erklärungsweise sehr viele Wahrscheinlichkeit, daß die zu einer Reihe gehörenden Vulkane alle zusammen mit einem Spalte in Verbindung stehen, welcher unter ihnen die feste Erdrinde auf ihrer innern Seite hat. Durch diesen Spalt mag die Verbindung des Centralfeuers mit der Oberfläche der Erde erleichtert sein und ihr überhaupt dadurch näher als anderwärts liegen. Einstmals mochten die Spalten mehr oder weniger durchgehends bis herauf gehen, wodurch eben z. B. jene genannten Bergketten emporgethürmt wurden. Mehrere zwischen den noch thätigen Vulkanen liegende erloschene beweisen, daß die Verbindung zwischen dem Erdinneren und der Oberfläche früher beträchtlich war. Heute ist nur die genannte Zahl übrig geblieben. Für diese Erklärungsweise der Vulkanthätigkeit und der reihenweisen Anordnung derselben spricht auch noch der Umstand, daß sich auf dem Punkte, wo sich zwei Vulkanreihen durchkreuzen, gewöhnlich eine Vulkangruppe befindet. Denn es ist leicht zu begreifen, daß auf dem Durchkreuzungspunkte zweier Spalten in der Erstarrungsrinde die vulkanische Thätigkeit sich am erfolgreichsten entfalten konnte.

Nun bitte ich Dich, mein kleines Bildchen zur Hand zu nehmen. Ich brauche wohl kaum vorauszuschicken, daß das Dargestellte keines Menschen Auge gesehen hat, noch jemals sehen wird. Es ist eben eine Veranschaulichung des in Uebereinstimmung mit den Naturgesetzen und andern ähnlichen Erscheinungen übereinstimmend Gedachten. Eine solche Darstellung nennt man deshalb ein Schema. Das vorliegende stellt Dir den senkrechten Durchschnitt eines Stückes der Erstarrungsrinde unserer Erde dar, von der Oberfläche derselben, a, bis an ihre innere Grenze, b, über dem Heerde des Centralfeuers e, e, e. Die Entfernung von a bis b beträgt also 50 Meilen, die angenommene Dicke der Erstarrungsrinde. Was über der Linie a, a, liegt ist also ein Stück Erdoberfläche. Auf demselben siehst Du rechts das Meer, dicht daneben einen Vulkan, von dem sich in einer etwas gekrümmten Linie nach links eine Bergkette, d, d, d, hinzieht. Auf dieser zeichnen sich noch 3 andere Vulkane aus. Mein in Gedanken gemachter senkrechter Durchschnitt geht von der Spitze des ersten Vulkans durch dessen Eruptionskanal abwärts; dieser wird unten immer weiter und mündet unten in einen weiten Spalt c, der einen innern Seite der Erstarrungsrinde aus. Darunter liegt nun der furchtbare Heerd des Centralfeuers, e, e, e, der in der Wirklichkeit freilich nicht so schwarz aussehen wird, wie auf meinem Schema. Du wirst Dich nach meiner Zeichnung leicht hinein finden, wenn ich nur hinzufüge, daß wie oben die Bergkette sich unten in derselben Richtung, wie es die Punktlinie c, c, andeutet, der Spalt fortsetzt, dessen Querschnitt wir bei c sehen. Von dem 2. 3. und 4. Vulkane ausgehende senkrechten Punktlinien, die auf die Punktlinie c, c, fallen, zeigen Dir den Zusammenhang dieser Vulkane mit demselben Spalte der Erdrinde, mit dem wir bei c den ersten Vulkan zusammenhängen sehen.

Wo der Eruptionskanal des ersten Vulkans die verschiedenen Schichten der Erdrinde durchbrochen hat, zeigen sie sich geklüftet und gehoben, und namentlich die oberen weithin von Spalten durchzogen. Diese Spalten sind ohne Zweifel die Fortpflanzungsorgane, durch welche sich heftige Ausbrüche von Vulkanen zuweilen auf weiten Umkreis erdbebenartig ausbreiten.

Doch von diesen, wie von einigen näheren Beziehungen der Vulkane ein andermal.




Etwas zum Nachdenken

von
einem Menschenfreund.
I. Sendung.

Das soll die Gartenlaube den lieben Lesern jede Woche bringen. Etwas zum Nachdenken über das Menschen-Gemüth, über das Innere des Menschen, über seinen Charakter; vor Allem über die Fehler und Schwächen, die wir in uns tragen und von denen wir oft gar nichts wissen. – Der größte Betrüger und Heuchler betrügt uns nicht so sehr, als wir täglich uns selbst betrügen und uns selbst verheucheln. – Erkenne [31] dich selbst! das war eine ernste Mahnung, die die alten Griechen über die Thüren ihrer Tempel schrieben und diese Mahnung sollten wir Alle in großen Buchstaben in unserem Zimmer aufhängen; wie z. B. unser Freund Keil den goldenen Spruch in seinem Zimmer aufgehängt hat. „Zeit ist Geld!“

Erkenne Dich selbst! Ja, das ist wohl ebenso nothwendig, als daß man die große, schöne Natur kennen lernt. Kennt man die Natur und sich selbst, ach, dann ist man gescheidter als mancher Gelehrte und kann für sich und Andere nützlicher sein, als hundert Professoren und Geheimräthe. Wie nun ein wackrer Mann hier in der Gartenlaube Euch die Geheimnisse der Natur erkennen lehrt, so möchte ich Euch die Geheimnisse im Menschengemüth erkennen lehren. Freilich, jene sind viel schöner, viel heiterer und viel angenehmer als diese; deshalb auch werdet Ihr wohl lieber ihm als mir zuhören, und wenn Ihr Euch bei ihm oft verwundert, so werdet Ihr Euch bei mir oft ärgern, denn ich muß oft recht herbe Wahrheit sagen, und die will nie so recht gut schmecken; aber sie ist heilsam, wie eine gute Arznei für den Körper und dann geht sie auch wieder Hand in Hand mit der Lehre aus der Natur. Ist der Körper und die Seele des Menschen gesund, dann wird ihm die Natur immer schöner und immer näher sein, bis er ganz und gar darin lebt, wie in seiner wirklichen Heimath. Und je besser ein Mensch ist, desto gebildeter ist er, denn die schönste Bildung ist doch immer die: ein tüchtiger, braver Mensch zu sein. Die gelehrte Bildung thut's nicht und auch nicht die vornehme: ich kenne sehr viele gelehrt und vornehm gebildete Menschen, die eigentlich gar keine wahre Bildung haben. Und diese wahre Bildung macht den Menschen auch innerlich frei, so daß er sich als ein freier Mann fühlen kann, wenn er auch in Deutschland lebt, und ist so eine innere Freiheit erst einmal durch Alle gedrungen, nun, dann bringt sie auch die äußere Freiheit für Alle, „trotz Alledem und Alledem. –“

So lauscht denn nun recht wacker auf das, was Euch von der Natur erzählt wird und dann haltet Euch bei mir still und horcht, was ich Euch vom Menschen sage. Und seid nicht bös, wenn es weh thut. Es hat hier auch Keiner was voraus; ein Jeder kriegt sein Theil. – Alte und Junge, Frauen und Mädchen, Vornehm und Gering: Alle können hier was finden, was sie für sich brauchen können. Ich will nun nicht geradezu so sagen: das ist so und so, sondern ich will immer vorher Euer eigenes Nachdenken anreden; Euch jede Woche einige Fragen aufstellen, die mögt Ihr dann die Woche mit Euch herumtragen und sie Euch selbst und Euch unter einander beantworten. Die Woche darauf hört Ihr dann auch meine Meinung darüber und die könnt Ihr dann vergleichen mit der Euern, und dann sehen, wer es getroffen hat. –

Es würde mich nun auch gar sehr freuen, wenn da der Eine oder der Andere von Euch sich hinsetzte und so eine Frage nach seiner Ansicht beantwortete und mir die Antwort, durch den Verleger dieses Blattes zusendete. Ich würde sie aufmerksam durchlesen und gewiß manch Gutes für mich selbst und für uns Alle herausfinden und das Beste davon müßte dann auch wieder in die Gartenlaube kommen. – Nun will ich einmal anfangen zu fragen.

1. Frage: Was thun wir gewöhnlich mit Dem, was wir nicht verstehen? Und warum?

2. Frage: Gegen Wen sind wir gewöhnlich am dankbarsten? Und warum?

3. Frage: Warum loben wir oft so gern einen Menschen oder eine gute Handlung?

4. Frage: Warum sind wir oft rauh und streng gegen Jemand, den wir eigentlich hoch schätzen?

5. Frage: Warum loben wir meist so gerne und so leicht die Todten?

6. Frage: Was wird wohl am häufigsten mit der sogenannten Humanität oder Duldung verwechselt? Und warum?

7. Frage: Was ist oft der wahre Grund zu einer muthigen That?

8. Frage: Wer erscheint in einer Gesellschaft oft am geistreichsten? Und warum?

9. Frage: Wem bieten wir am liebsten unsere Wohlthaten an?

10. Frage: Warum fühlen wir es so rasch, wenn ein Anderer uns langweilt? und so spät, wenn wir einen Andern langweilen?

Nun will ich es aber vor der Hand mit diesen 10 Fragen bewenden lassen, damit ich Euch selbst nicht langweilig werde, und nun denkt hübsch nach bis zur nächsten Woche.




Blätter und Blüthen.

Ein Märchen und die Natur. Gleich mir wird Mancher in seiner Jugend das Märchen gelesen haben, das erzählt, ein König habe einst die drei Prinzen, seine Söhne, ausgesandt, damit sie ihm das Merkwürdigste aus den fernen Ländern brächten. Der, welcher ihm das Außerordentlichste vorlegte, solle sein Nachfolger auf dem Throne sein. Dieser Glückliche war der Jüngste, denn er brachte - eine Nuß. Eine Nuß? Ja. Seine Brüder lächelten auch verächtlich. In der Nuß befand sich aber eine Erbse, in der Erbse ein Hanfkorn, in dem Hanfkorn ein Hirsekorn und aus dem Hirsekorn zieht man - ein Stück Zeug von zwanzig Ellen.

Wie staunte ich damals! Allmälig aber lernte ich erkennen, daß das wirkliche Leben hundert Mal mehr Wunder enthalte als die wunderreichsten Märchen und daß die Wunder der Märchen Kinderspiele gegen die Wunder der Natur sind. Bleiben wir einmal bei dem Hirsekorn mit den zwanzig Ellen Zeug darin, über das ich als Knabe so sehr gestaunt. Was ist Außerordentliches dabei?

Da habe ich ein Samenkorn, das viel kleiner ist als ein Hirsekorn, ein Samenkörnchen von der Nachtkerze (Oenothera). Stecke ich dies in die Erde, so kommt eine große schöne Pflanze mit Blättern und Blumen von lieblichem Geruch aus ihm hervor, dann fünf, sechs, hundert Pflanzen. Dieses kleine Samenkorn enthält für alle Zeiten endlose Geschlechter ähnlicher Pflanzen mit ihren Blättern, ihren Blüthen und ihrem Duft. Stecke ich es in die Erde, so werden aus ihm lange noch, nachdem alle Menschen gestorben sind, die jetzt die Erde bedecken, andere Blüthen und andere Körner hervorgehen, die wieder andere Blüthen erzeugen.

[32] Warum zwanzig Ellen Zeug in dem Hirsekorn? Es enthielt viel mehr als das; es enthielt für alle Zeiten schöne Stengel mit langen hängenden schweren Trauben, es enthielt in sich den Stoff, in weniger als zehn Jahren die ganze Erde mit Hirse zu bedecken. – Und giebt es einen Grashalm, der nicht ein weit größeres Wunder wäre als alle Wunder aller Fabeln und Märchen aller Zeiten und aller Völker? Herr Gott, wie groß bist Du!


Eine alte Jungfer. .... Neulich begegnete sie mir wieder, die ich einst unter andern Verhältnissen gekannt hatte. Damals war sie jung, schön und geistreich, die Königin aller Feste, die vielfach Beneidete, nach der sich alle Lorgnetten des Theaters richteten. Der Stern glänzte lange so schön und strahlend, bis er mit der Zeit von Tag zu Tag matter leuchtete, bis er endlich ganz verblich und eines Tages an dem Himmel der Feste für immer unterging. Das schöne Mädchen war alt geworden. Wo sonst die Rosen in voller Blüthe standen, hatten eine Zeitlang noch falsche Blumen einen Frühling hingezaubert, die schönen Locken glänzten noch eine Weile um die sonst so strahlenden Augen, ihr Lächeln war freundlicher, hingebender, weniger stolz als früher, aber der Schmelz der Jugend fehlte, die Frische der aufblühenden Jungfrau, und jetzt war sie eine – alte Jungfer!

Ihr zuckt die Achseln! Ihr lacht, und um Eure Mundwinkel blitzt es auf wie garstiger Hohn! Seid nicht lieblos! Ihr wißt nicht, wie viele Thränen, wie viele weinend durchwachte Nächte, wie viele begrabene Hoffnungen an diesem Titel: alte Jungfer, hängen! Was sie gehofft und aufgegeben, was ihr verhießen und unerfüllt blieb, wie sie mit jedem Tage die furchtbare Gewißheit näher heranrücken sah, und wie sie sich angeklammert an die letzte Hoffnung, und wie auch diese zertreten und nur der Spott geblieben über das „Vergessenwerden“ und „Sitzenbleiben“ .... Ihr wißt es nicht! Und auf der andern Seite kennt Ihr das still beschauliche Leben nicht, was diesen begrabenen Hoffnungen folgt, und ahnet nicht, wie viel Liebe oft und stille Tugend noch in der eingefallenen Gestalt leben. Euer Spott würde Euch gereuen.

Ich sehe sie noch vor mir, das Jungfer Riekchen, wie sie genannt wurde in der Stadt, das alte Mädchen mit dem ewig freundlichen Lächeln und dem redseligen Munde. Es konnte sich Niemand mehr auf die Zeit besinnen, wo ihr Herz jung gewesen, Niemand hat gewußt, ob sie auch einmal geliebt, gehofft und geträumt, ob sie als ein vergessen Blümlein stehen geblieben, oder ob die Schuld eines Ungetreuen sie betrogen um des Weibes schönstes Lebensziel. Trotzdem mußte in dem Schachte ihrer Erinnerungen wohl manche liebeschwere Geschichte ruhen, wie denn in der altmodischen messingbeschlagenen Kommode, die in ihrem Stübchen stand, seit langen Jahren ein Kästchen ruhte mit zwei Ringen und einigen vergilbten Papieren, dazwischen ein verwelktes Sträußchen. Wem die Ringe und die Papiere gehörten, ob das Sträußchen einst an ihrer eigenen Brust geblüht, von ihren eigenen Lippen geküßt oder unter den Thränen einer fremden Liebe verwelkt war – sie hat niemals darüber gesprochen und selbst die alte Magd hat es nie erfahren. An einem bestimmten Tage im Jahre stäubte sie das Kästchen säuberlich ab, schloß sich in das kleine Stübchen ein und wie die alte Magd versichert, die neugierig durch das Schlüsselloch gelauscht, hat sie dann die Ringe unter Thränen an die welken Lippen gedrückt und die vergilbten Blätter immer und immer wieder gelesen, bis ihr die Augen schmerzten und sie still das Kästchen wieder zu den übrigen Erinnerungen aus früherer Zeit setzte. Der alten Magd sagte sie dann andern Tages, sie habe am Altare ihrer Erinnerungen das Liebesmahl genossen.

Obwohl sie verschiedene Möpse, Katzen und eine alte sehr häßliche Magd besaß, so hatten sie doch Alle lieb im Städtchen. Wo Einem etwas Freudiges begegnete, da war sie auch die Erste, die gratulirte, und wo das Unglück eingekehrt, da fehlte sie wiederum nicht mit ihrer Hülfe. Wie oft in kalten Wintertagen holte sie arme Kinder von der Straße herauf und wärmte sie auf ihrem Stübchen so lange, bis sie ein gefüttertes Jäckchen oder Westchen für sie zusammen geflickt hatte. Es war ihr Bedürfniß wohlzuthun und Liebe zu erwecken. Dabei hatte sie nur eine kleine Rente, die just zureichte das Nöthigste zu decken. Aber sie war immer thätig, immer beschäftigt und wenn sie nicht lachte mit den Glücklichen oder weinte mit den Trauernden, da arbeitete sie rastlos für Andere, flickte und nähte für die Armen, das alte Mädchen mit dem ewigfreundlichen Lächeln. Als sie endlich starb, vermachte sie all’ ihre Habe den Armen und der alten Magd, die sie Jahre lang treu gepflegt. Nur die beiden Ringe nahm sie mit in’s Grab und die vergilbten Papiere und das Sträußchen. Das halbe Städtchen folgte dem Sarge der „alten Jungfer“. Was ihr versagt war vom Schicksal, ein Liebeleben an der Seite eines Mannes, sie hatte es sich selbst geschaffen in anderer Weise – ein Liebeleben für die Armuth und das Unglück!

Deshalb zuckt nicht mit den Achseln, wenn von einer „alten Jungfer“ die Rede ist. Ihr wißt nicht, wie viel Liebe in diesem Herzen unbefriedigt zertreten ward, welche große und menschlich-schöne Gefühle oft in die verödete Brust gezogen sind an die Stelle einstiger Leidenschaften, und schließlich nochmals, Ihr ahnet nicht, wie viel Kummer und Thränen und begrabene Hoffnungen an dem lieblosen Titel hängen: eine alte Jungfer!


Onkel Tom’s Hütte, das Buch, das so unendlich viele Thränen und gute Vorsätze hervorgelockt, hat auch in Deutschland eine enorme Verbreitung gefunden. Den Lesern von 7 Monatsschriften wird es in monatlichen Portionen aufgetischt, außerdem sind bereits zwanzig bis dreißig Uebersetzungen mit und ohne Illustrationen erschienen, woran bereits mehrere in neuen Auflagen gedruckt wurden. Die in Leipzig bei Friedlein erschienene allerdings wohlfeilste Ausgabe dieses Buches (sie kostet nur 10 Ngr.), ist allein bereits in 20,000 Ex. verbreitet und noch gehen täglich so viel Bestellungen ein, daß der Verleger nicht Hände genug in Bewegung setzen kann, den Anforderungen des Publikums nachzukommen. – Wir wollen wünschen, daß das Buch im Interesse der Humanität Früchte trägt. Nicht nur in Amerika giebt es Sclaven, auch Deutschland hat deren genug, nur daß sie bei uns unter andern Namen existiren. Ein Sclave in Amerika wird oft menschlicher und freundlicher behandelt, als in Deutschland ein armes Dienstmädchen.

E. K.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Lebensjahre ab dem vierzigsten Geburtstag eines Schwaben (Quelle: Wikipedia)
  2. dänische Tänzerin und Ballerina (1819-1907) (Quelle: Wikipedia)
  3. zwischen 1718 und 1922 Synonym für den Sitz der osmanischen Regierung (Quelle: Wikipedia)
  4. Vorlage: Aconcagna