Die Fliege vor dem Fenster
Die Fliege vor dem Fenster.
Paulus Diaconus VI. 6. |
Als der Lombardenkönig Cunibert mit seinem Marpahis (Stallmeister) Rath pflog, wie er Aldo und Grauso umbringen möchte, siehe da saß an dem Fenster, vor dem sie standen, eine große Schmeißfliege. Cunibert nahm sein Messer und hieb nach ihr; aber er traf nicht recht, und schnitt ihr blos einen Fuß ab. Die Fliege flog fort. Aldo und Grauso, nichts ahnend von dem bösen Rathschlag, der gegen sie geschmiedet worden war, wollten eben in die königliche Burg gehen, und nahe bei der Romanuskirche kam ihnen entgegen ein Hinkender, dem ein Fuß abgehauen war, und sprach: „gehet nicht zu König Cunibert, sonst werdet ihr umgebracht.“ Erschrocken flohen jene in die Kirche, und bargen sich hinter dem Altar. Es wurde aber bald dem König hinterbracht, daß sich Aldo und Grauso in die Kirche geflüchtet hätten. Da warf Cunibert Verdacht auf seinen Marpahis, er möchte den Anschlag verrathen haben; der antwortete: „mein Herr und König, wie vermag ich das, der ich [54] nicht aus deinen Augen gewichen bin, seit wir das rathschlagten.“ Der König sandte nach Aldo und Grauso, und ließ fragen: „aus was Ursache sie zu dem heiligen Ort geflüchtet wären?“ Sie versetzten: „weil uns gesagt worden ist, der König wolle uns umbringen.“ Und von neuem sandte der König und ließ sagen: „wer ihnen das gesagt hätte? und nimmermehr würden sie Gnade finden, wo sie nicht den Verräther offenbaren wollten.“ Da erzählten jene, wie es sich zugetragen hatte, nämlich: „es sey ihnen ein hinkender Mann begegnet, dem ein Bein bis ans Knie gefehlt, und der an dessen Stelle ein hölzernes gehabt hätte: „der habe ihnen das bevorstehende Unheil voraus verkündigt.“ Da erkannte der König, daß die Fliege, der er das Bein abgehauen, ein böser Geist gewesen war, und seinen geheimen Anschlag hernach verrathen hatte. Er gab dem Aldo und Grauso darauf sein Wort, daß sie aus der Kirche gehen könnten, und ihre Schuld verziehen seyn sollte, und zählte sie von der Zeit an unter seine getreuen Diener.