Die Fettleibigkeit und ihre Folgen

Textdaten
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Autor: Enoch Heinrich Kisch
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Titel: Die Fettleibigkeit und ihre Folgen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 262, 263
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Fettleibigkeit und ihre Folgen.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch in Prag-Marienbad.

Welch unerwarteter Schicksalsschlag! Ein so kräftig und wohl aussehender Mann im besten Lebensalter!“ So mag wohl schon mancher Leser ausgerufen haben, wenn ihm die Traueranzeige geworden, daß der Tod plötzlich einen seiner Bekannten hingerafft hat, welcher, auf der Höhe des Lebens stehend, sich eines ungetrübten Wohlbefindens zu erfreuen schien und an dem Nichts auffiel, als daß er seit Jahren sehr – stark fettleibig geworden. Ist doch der Laie gewohnt, Fettleibigkeit für ein Zeichen von Gesundheitsfülle anzusehen, und freut sich mancher Mann, der sich im Laufe der Jahre ein Fettbäuchlein angemästet hat, wie stattlich wohl er nun aussehe!

Allerdings, in gewissen Grenzen ist die Ansammlung von Fett im Organismus für diesen von unbestreitbarem Nutzen. Das Fett verleiht dem Körper die nöthige Geschmeidigkeit, es giebt den Formen die den Schönheitsbegriffen entsprechende Füllung und Rundung, es schützt durch seine elastische Beschaffenheit die von ihm umhüllten Organe vor Stoß und Druck von außen; es wahrt endlich als schlechter Wärmeleiter wichtige innere Körpertheile vor Abkühlung. Hat jedoch die Fettansammlung einen die Norm bedeutend überschreitenden Punkt erreicht, dann wird sie zu einem krankhaften Zustande, welcher nicht nur die Schönheit beeinträchtigt, sondern das Leben in mehrfacher Richtung geradezu gefährdet. Dann kommt es nicht selten zu dem oben angedeuteten traurigen Ausgange, wie dies schon vor mehr als 2300 Jahren der berühmteste Arzt des Alterthums Hippokrates in dem Ausspruche betonte: „Hochgradig fettleibige Personen sind mehr geneigt, eines plötzlichen Todes zu sterben.“

Das Fett ist im menschlichen Organismus in den Fettzellen enthalten, welche zwischen dem Bindegewebe abgelagert sind. Jede Fettzelle besteht aus einer äußerst zarten, durchsichtigen Hülle, in der sich das Fetttröpfchen befindet, welches im lebenden Organismus flüssig ist, nach dem Tode aber bei einer Temperatur von 17° R. erstarrt. Nach Liebig hat Menschenfett dieselbe Zusammensetzung wie Olivenöl. Unter normalen Verhältnissen beträgt das Fett bei einem Erwachsenen von mittlerer Größe den zwanzigsten Gewichtstheil des ganzen Körpers. Im Alter von 40 Jahren hat der Mann durchschnittlich ein Gewicht von 64 Kilo und demnach eine normale Fettmenge von 31/5 Kilo. Das weibliche Geschlecht ist selbst im gesunden Zustande zu stärkerer Fettbildung geneigt als das männliche; das Fett beträgt bei jenem den sechzehnten Theil des Körpergewichtes.

Am zahlreichsten und massenhaftesten finden sich die Fettzellen in dem unter der äußeren Haut vorhandenen Bindegewebe, dann zwischen den Därmen am Dünndarmgekröse, im Bindegewebe des Bauchfelles, ferner um die Nieren herum und am Herzbeutel. Diese Stellen, wo sich also normaler Weise viel Fettgewebe findet, sind es auch, an denen sich zuerst die krankhaft gesteigerte Fettzunahme geltend macht und von hier aus über fast alle Körpertheile verbreitet, die Harmonie derselben störend, ihre Funktionen beeinträchtigend.

Die übermäßige Fettleibigkeit erreicht oft sehr hohe Grade, wie ja Jedermann auf den Jahrmärkten sich zu überzeugen Gelegenheit hat, wo es nie an Schaubuden fehlt, in denen „Fettkinder“ zarten Alters mit 200 Pfund Körpergewicht und in Fett schwimmende „Riesendamen“, wie Heine sich ausdrückt: von „kolossaler Weiblichkeit“, dem verehrten Publikum zur zweifelhaften Augenweide vorgeführt werden.

Es ist leicht begreiflich, daß hochgradig Fettleibige schon in ihrem Aeußeren ganz wesentliche Veränderungen bieten. Durch das starke Fettpolster, welches die einzelnen Muskeln schwierig hervortreten läßt, verliert das Gesicht den charakteristischen Ausdruck und erhält durch das Verschwinden der Gesichtsfalten ein verschwommenes Aussehen, sodaß, wie Lichtenberg sagt, fette Gesichter unter dem Specke lachen können, ohne daß man davon Etwas gewahr wird. Die Haut erscheint glatt und von der fettigen Absonderung stark glänzend, dabei leicht zu Transpiration geneigt. Bei der geringsten Anstrengung wird das Gesicht stark geröthet, durch die Fettablagerung am Kinne ist dieses wulstig und reicht bis an den Brustkasten, den Hals fast ganz deckend.

Solche arme unter ihrem Fettgewichte seufzende Personen müssen, um das Gleichgewicht zu erhalten, bedächtig mit auswärts gerichteten Beinen einherschreiten, den Kopf hochhalten und den Körper stramm nach rückwärts ziehen – eine Haltung, welche die Lachmuskeln des unbefangenen Beschauers mächtig anzuregen geeignet ist, wie dies jeder Darsteller des Falstaff auf der Bühne wohl weiß.

Worüber aber nicht zu lachen ist, das sind die ernsten Veränderungen, welche die wichtigsten inneren Organe durch die höheren Grade der Fettleibigkeit erfahren und die unter Anderm dazu führen, daß der Kreislauf des Blutes und die Athmung der Lungen wesentlich beeinträchtigt werden. Die Fettmassen, welche an der Herzoberfläche abgelagert sind, können schon an und für sich die Bewegungsfreiheit des Herzens beengen, sie überwuchern aber im weiteren Verlaufe in das Herzfleisch selbst, zwischen die Muskelfasern und bewirken, daß diese fettig entarten. Während bei geringeren Veränderungen des „Fettherzens“ dieses seine Aufgabe, die Organe mit dem belebenden Blute zu versehen, noch recht gut, wenn auch etwas beschwerlich zu erfüllen vermag, erweist sich das Herz, sobald die Muskulatur desselben fettig entartet ist, als unzulänglich, und die „Herzschwäche“ tritt ein, ein verhängnißvoller Zustand, der sich durch schwachen, unregelmäßigen, leicht aussetzenden Pulsschlag, Stockungen des Blutes im Gefäßsysteme, Schwindelanfälle und jene schweren Athembeklemmungen kund giebt, welche als „Herzasthma“ periodisch, namentlich des Nachts, auftreten. Aufgabe des Arztes ist es darum, bei jedem Fettleibigen den Zustand des Herzens genau zu kontrolliren, um rechtzeitig den Gefahren zu begegnen, welche die „Herzschwäche“ mit sich bringt. Denn diese Gefahren sind groß und für das Leben höchst bedrohlich. Wenn das Herz, von Fett umwuchert und durch Fett in seiner Struktur verändert, geschwächt ist, dann kann durch Ueberanstrengung und Uebermüdung desselben, zuweilen in Folge eines geringen Anlasses, plötzlich Herzlähmung eintreten, ein rascher Tod ohne jeden Kampf und jegliche Qual, wie ihn das Geschick nur wenigen Begünstigten gewährt.

In langsamerer, aber weit qualvollerer Weise wird das Ende in jenen Fällen von Fettsucht herbeigeführt, in denen durch längere Zeit Blutstauungen bestehen, welche mit örtlicher und allgemeiner Wassersucht ihren traurigen Abschluß finden. Am häufigsten ist dies bei Personen der Fall, die dem Alkoholgenusse ergeben sind und dadurch eine starke Neigung zu Erkrankungen der Nieren besitzen.

Was ist denn der Anlaß, daß sich die Fettentwickelung im menschlichen Körper zu so extremen Graden steigert und eine ernste Erkrankung darzubieten vermag? In manchen Fällen – und gerade diese gestalten sich häufig so bedrohlich – besteht eine erbliche Anlage zur Fettleibigkeit, die nicht immer gleich in den ersten Lebensjahren, sondern zuweilen erst in einem bestimmten Alter zu Tage tritt. In gewissen derart „erblich belasteten Familien“, wie der medicinische Ausdruck lautet, werden alle Mitglieder, unbeeinflußt von ihrer Lebensweise, unabhängig von ihrem Aufenthaltsorte, unter allen Umständen abnorm fettleibig, und leider ist hiermit auch oft eine erbliche Anlage zur Kurzlebigkeit oder zu bestimmten Erkrankungen gegeben. Besonders häufig finden sich in solchen Familien Fettsucht und Zuckerharnruhr oder Fettsucht und Gicht innig vergesellschaftet. Gewisse Nationalitäten, so die Orientalen, Ungarn, Rumänen, Süditaliener, Holländer, zeichnen sich durch besondere Neigung zur starken Fettentwickelung aus. Ein Gleiches läßt sich auch von bestimmten körperlichen Konstitutionen annehmen; so sind Menschen von phlegmatischem Temperamente mehr geneigt, recht viel Fett anzusetzen, als reizbare, zu heftiger Erregung geneigte Personen cholerischen Temperamentes. „Diese Beiden fürchte ich nicht, sie sind fettleibig,“ sagte Cäsar, als man ihm Dolabella und Antonius als Verschwörer verdächtigte.

Eine der häufigsten Ursachen der Fettleibigkeit liegt jedoch in ungeeigneter Lebensweise, in der systematischen, wenn auch oft unbewußten Mästung des Fettes durch übermäßige Zufuhr von Nahrungsmitteln, reichlichen Genuß von Spirituosen, ungenügende körperliche Bewegung und beschränkte Aufnahme von Sauerstoff in der Luft.

Was den Einfluß der Nahrungsmittel auf die Fettbildung beim Menschen betrifft, so haben sich die physiologischen Anschauungen [263]