Die Ermordung des Herzogs von Enghien durch Napoleon I.
Keine That hat auf das Leben Napoleon’s I. einen so schwarzen Flecken geworfen, als die Ermordung des Herzogs von Enghien. Kein Grund der Milderung und zur Entschuldigung läßt sich für sie auffinden. Keine That in seinem Leben hat vielleicht aber auch sein Gewissen schwerer belastet, denn keine seiner Handlungen hat er eifriger zü motiviren und in einem günstigeren Lichte darzustellen gesucht, als diese Ermordung. Daß er Palm und Hofer erschießen ließ, läßt sich von seinem Standpunkte aus vielleicht rechtfertigen, denn Palm starb nach Gesetzen, die wirklich existirten, wenn auch nur der äußere Sinn eines Tyrannen dieselben in der Weise zur Ausführung bringen konnte, und Hofer’s Tod wurde, zum Wenigsten durch den Spruch eines der Form nach regelrechten Kriegsgerichts bestimmt. Es lassen sich Rechtfertigungsgründe auffinden, daß er auf seinem Rückzuge aus Rußland die Beresinabrücken und nach der Schlacht bei Leipzig die Elsterbrücke hinter sich sprengen ließ und dadurch Tausende seiner Soldaten wehrlos den Händen des Feindes überlieferte; die Rettung seines eigenen Lebens ließ diese Thaten vielleicht nothwendig erscheinen. Es lassen sich vielleicht Milderungsgründe aufsuchen dafür, daß er Hunderttausende nur seinem grenzenlosen Ehrgeize opferte; ähnliche Fälle sind in der Geschichte leider zu oft vorgekommen – der Ueberfall, die Verhaftung und der Tod des Herzogs von Enghien bleiben immer ein brutaler, gemeiner Act roher Gewalt, die echte That eines Corsen, dessen glühendes Rachegefühl sich nicht darum kümmert, ob er das Völkerrecht mit Füßen tritt, ob er, jedem Rechtsbegriffe eines civilisirten Volkes höhnend in’s Gesicht schlägt, ob er noch etwas voraus hat vor einem Banditen, der mit dem Dolche in der Hand in einem Versteck am Wege lauert.
Der Herzog von Enghien ist durch Napoleon nicht hingerichtet, er ist gemordet, auf schmachvolle Weise gemordet, um den Rachekitzel eines Tyrannen zu befriedigen. Sein Tod ist eine Infamie jedem Rechtsbegriffe gegenüber, ein noch ungesühnter Hohn gegen Deutschland. – Deshalb hallte, als des Herzogs Blut im Schloßgraben von Vincennes geflossen war, ein Schrei des Entsetzens über ganz Europa hin. Aber dieser Schrei, der in jedes Menschen Brust Entrüstung hervorrief, verhallte in Deutschland, wo so Vieles verhallt ist, ungehört, und den Mörder an der Seine traf nichts als ein schwaches, schnell verwehtes Echo!
Louis Antoine Henri von Bourbon, Herzog von Enghien, der am 2. August 1772 geborene Sohn des Herzogs von Bourbon, der Enkel des Prinzen Ludwig Joseph von Condé, war, wie die ganze bourbonische Linie, durch die Revolution aus Frankreich vertrieben, für einen Fremdling erklärt und für immer vom französischen Boden verbannt. Mit einem ritterlich tapferen, kühn entschlossenen Sinne verband er ein edles Herz und eine Menge Tugenden, so daß das Haus Bourbon seine meisten Hoffnungen auf diesen Prinzen und dessen entschlossene Thätigkeit baute. Er würde vielleicht diese Hoffnungen wirklich gerechtfertigt haben, wäre er nicht durch die verrätherische Gewalt des Corsen getödtet worden.
Schon das Aeußere dieses Prinzen war ein gewinnendes und sofort seinen ganzen Charakter verrathendes. Er galt mit Recht für einen schönen Mann. Eine hohe, schlanke und doch kräftige Gestalt; das hellblonde, leicht gelockte Haar umschloß eine freie und hohe Stirn, die großen Augen blickten ehrlich und zugleich entschlossen, der Mund war fein geschnitten. Dazu stand er in der vollen Fülle seiner Kraft, noch nicht ganz zweiunddreißig Jahre alt, als sein Blut durch Napoleon vergossen wurde.
Unter seinem Großvater Condé hatte er gegen Frankreich die Waffen geführt, um die seinem Hause entrissenen angeerbten Rechte wieder zu erringen. Mit dem Jahre 1801 lebte er still, nur dem Vergnügen der Jagd, welche er leidenschaftlich liebte, sich hingebend, auf dem badischen Schlosse Ettenheim, welches ihm der Kurfürst von Baden nach vorhergegangener Verständigung mit dem französischen Gouverneur und dem Cardinal von Rohan eingeräumt hatte.
Er mochte absichtlich diesen Ort gewählt haben, um bei einem Umsturze der Verhältnisse in Frankreich sobald als möglich auf französischem Boden und in Paris sein zu können. Jedenfalls konnte er hier ohne Besorgniß leben, er befand sich in einem neutralen Lande und stand unter dem Schutze des allgemeinen Völkerrechtes. Eine Pension, welche er von England bezog, sicherte sein äußeres Leben, und freigebig theilte er davon noch armen französischen Emigranten mit, von denen er wiederholt einige auf dem Schlosse sah und bewirthete. Ihr Loos war ja mit dem seinigen eng verknüpft.
So still der Herzog auch auf Ettenheim lebte, so war er doch dem Hasse des ersten französischen Consuls, der das ganze Haus Bourbon umfaßte, nicht entgangen, und ihn hatte die Rache des Corsen sich zum Opfer ausersehen. Er war der entschlossenste und thätigste von allen bourbonischen Prinzen, deshalb am meisten zu fürchten; sein Tod sollte alle mit Entsetzen erfüllen und abschrecken, Hoffnungen auf Frankreichs Thron zu nähren. Der Herzog ahnte nichts von dem, was im Stillen gegen ihn vorbereitet wurde.
Schon ehe der brutale Gewaltstreich gegen den Herzog ausgeführt wurde, war ein geheimer Polizeiofficiant nach Ettenheim gesandt worden, um über die Lage der Dinge, die Bewachung des Schlosses und die Zahl der herzoglichen Diener genaue Erkundigungen einzuziehen und diese dem ersten Consul direct zu überbringen. Alles schien zur Ausführung des frechen Unternehmens günstig zu sein.
[553] Am Abend des 14. März 1804 überschritt ein Corps französischer Soldaten und Gensd’armen, vom Oberst Ordener commandirt, unter der Leitung des Generals Canlaincourt, des späteren Herzogs von Vicenza, Frankreichs Grenze und betrat das neutrale, nach dem Völkerrechte unverletzbare Gebiet Badens. Die Soldaten besetzten Kehl, die Gensd’armen schritten weiter nach dem Schloß Ettenheim. Die Nacht war vollständig hereingebrochen, als sie dasselbe erreichten. Unbemerkt besetzten sie alle Ausgänge. Im Schlosse war es still. Alle hatten sich bereits dem Schlaf übergeben, denn der Herzog führte ein einfaches Leben und hatte den Tag auf der Jagd verbracht.
Da drangen die Gensd’armen unter Charlot in das Schloß vor. Sobald der Herzog von dem unerwarteten und unerhörten Ueberfall Kunde erhielt, sprang er nur im Hemde vom Lager auf und griff nach seinen Waffen. Er riß das Fenster auf und rief: „Wer da?“ – Charlot antwortete ihm. Er war entschlossen, als Enkel Condé’s seine Freiheit und sein Leben theuer zu verkaufen. Sein geringes Gefolge und einige Emigranten, welche sich zufällig im Schlosse befanden, sammelten sich um ihn. Einer seiner Officiere – vielleicht hatte französisches Gold ihn bestochen – stellte dem entschlossenen Fürsten vor, wie vergeblich ein Widerstand sein werde gegen die vielfach überlegenen Gensd’armen. Die Meisten von dem Gefolge waren nicht ohne Waffen, dennoch gab der Herzog dieser Vorstellung nach, weil er überhaupt noch nicht mit den Absichten der das Schloß Besetzenden bekannt war. In Eile warf der Herzog einen kurzen Jagdrock über und zog Beinkleider an.
In diesem Augenblicke stürzten die Gensd’armen in das Zimmer und hielten dem Herzog und seinen Begleitern gespannte Pistolen entgegen. Unerschrocken trat der Prinz vor und verlangte zu wissen, weshalb sie in das Schloß gedrungen wären.
Die Gensd’armen kannten ihn nicht, und Charlot verlangte zu wissen, wer der Herzog von Enghien sei.
„Wenn Ihr ihn verhaften wollt,“ rief der Herzog, ohne seine Fassung zu verlieren, „so müßt Ihr seinen Steckbrief bei Euch haben.“
„So müssen wir Alle hier verhaften,“ erwiderte der Oberst Ordener, und Alle, welche sich in dem Zimmer befanden, wurden von den Gensd’armen festgenommen.
Der Herzog, noch immer unerkannt, fügte sich mit ruhiger Würde der Uebermacht der rohen Gewalt. Von allen Seiten von Gensd’armen umringt, wurden die Gefangenen nach einer nahegelegenen Mühle geschleppt, nachdem des Herzogs sämmtliche Papiere mit Beschlag belegt waren. Hier erst wurde der Prinz erkannt, und es wurde ihm gestattet, sich vom Schlosse einige Kleidungsstücke und nöthige Bedürfnisse nachkommen zu lassen. Ohne Aufenthalt wurden die Gefangenen nun nach Kehl und von dort auf die Citadelle von Straßburg gebracht. Hier wurde der Herzog von seinen Dienern getrennt, und nur seinem Adjutanten, dem Baron de St. Jacques, wurde gestattet bei ihm zu bleiben.
Noch immer wußte der Prinz nicht, weshalb er verhaftet war. Er hatte zwar gegen Frankreich die Waffen geführt, indeß als offener Feind, er wußte, daß der erste Consul seine ganze Familie haßte, allein in der letzten Zeit hatte er sich nichts gegen Frankreich zu Schulden kommen lassen. Und dennoch mußte schon die außerordentliche Strenge, mit welcher er bewacht wurde, in ihm Besorgnis; erwecken. Niemand erhielt Zutritt zu ihm, Niemand wurde es gestattet, mit ihm zu reden. Drei Tage lang blieb er auf der Citadelle.
Kurz nach Mitternacht zwischen ein und zwei Uhr am 18. März trat wieder ein Gensd’arm in des Herzogs Gefängniß, nöthigte ihn aufzustehen, sich anzukleiden und kündigte ihm an, daß er sich zu einer Reise bereit halten möge, ohne hinzuzufügen, wohin er gebracht werden solle.
Der Prinz wünschte von seinem Kammerdiener begleitet zu sein; er erhielt zur Antwort, daß er keinen Kammerdiener mehr bedürfe. Nur zwei Hemden durfte er mit sich nehmen.
So geheim als möglich und mit größter Eile wurde er, fortwährend auf das Schärfste bewacht, in festverschlossener Kutsche nach Paris transportirt, wo er am 20. März 41/2 Uhr Nachmittags ankam. Er wurde zuerst in dem Tempel eingesperrt, allein schon nach wenigen Stunden wurde er auf’s Neue, von Gensd’armen umringt, fortgeführt und zwar nach dem ungefähr eine halbe Meile von der Stadt entfernt gelegenen alten gothischen Schlosse Vincennes, welches als Staatsgefängniß diente. Absichtlich schien man ihm keine Ruhe gönnen zu wollen, die er während der Reise nach Paris seit drei Nächten gänzlich entbehrt hatte. Um 8 Uhr war der Prinz bereits in seinem Gefängnisse. Erschöpft nahm er ein einfaches Abendessen und warf sich auf ein schlechtes Bett in einem Entresol.
Der Tod des Herzogs war von dem ersten Consul Bonaparte längst beschlossen und bestimmt; er hatte den gehaßten Mann jetzt sicher in seiner Gewalt, er hätte ihn in einem der Kerker von Vincennes ermorden lassen können, allein er wollte diesen Mord mit einem Scheine des Rechtes umgeben, und wie er sich nicht gescheut hatte, bei der Verhaftung des Herzogs das Völkerrecht, das geheiligte Recht eines neutralen Landes, mit dem Frankreich in freundlicher Beziehung stand, mit Füßen zu treten, so trug er jetzt auch kein Bedenken, die Gesetze des Landes, welche er selbst zum Theil gegeben hatte, als eine Farce zu gebrauchen, sie nach seinem Willen zu drehen und ihnen höhnend in’s Gesicht zu schlagen.
Nach des Consuls Befehl sollte der Herzog die Sonne des folgenden Morgens nicht wieder erblicken, die Zeit drängte deshalb, um die Posse eines Gerichtes noch in Scene zu setzen. Nachdem der gänzlich erschöpfte Prinz kaum in den ersten Schlaf gesunken war, wurde er kurz vor Mitternacht von Gensd’armen wieder wach gerüttelt und zu einem Verhöre geführt, von welchem sein Leben abhing. Die Militärcommission, vor welche er gestellt wurde, bestand aus acht Officieren unter dem Vorsitze des Generals Hullin, des Bastillenerstürmers. Sie war von Mürat, dem Gouverneur von Paris und Schwager Bonaparte’s, ernannt, also ließ sich erwarten, daß sie dem Willen des Consuls ganz ergeben war, und doch schlug dem Präsidenten dieses Gerichtes, Hullin, als er alt und erblindet war, das Gewissen, und er suchte sich zu rechtfertigen und einen Theil der Schuld von diesem Gaukelspiele und Morde von sich abzuwälzen. Außer dieser Commission war noch der Chef der Polizei, der verachtungswürdige Savary, bei dem Verhöre zugegen und Gensd’armen, welche zur Sicherheit den Saal füllten.
Obgleich erschöpft und aus dem ersten Schlafe gerissen, bewahrte der Prinz bei dem Verhör seine volle Würde und beantwortete alle an ihn gerichteten Fragen mit ruhiger Festigkeit. Das Verhör war bald beendet. Nach den französischen Gesetzen hätten ihm seine Antworten nochmals vorgelesen werden müssen, um die Richtigkeit des Protokolls zu bestätigen. Dies geschah nicht. Das Gesetz bestimmte ferner, daß nach Abschluß des Verhörs sich jeder Angeklagte einen Freund zur Vertheidigung zu wählen habe – auch dies unterblieb, der Herzog hätte sonst unter den Gensd’armen sich einen Vertheidiger wählen müssen. Nicht einmal der vom Gesetz bestimmte gesetzliche Beistand wurde ihm gestattet.
Noch in derselben Stunde, also kurz nach Mitternacht, wurde der Herzog schon vor den Gerichtshof, welcher aus der bereits erwähnten Militärcommission bestand, geführt. Auch dies war ungesetzlich, denn nach dem Gesetze sollte das Gericht am Tage und öffentlich stattfinden. Dieses Gaukelspiel hatte freilich das Licht des Tages zu scheuen, seine ganze Aufgabe bestand auch nur darin, irgend einen Grund zum Todesurtheil aufzufinden. Schon wurde im Schloßgraben ein Grab für den unglücklichen Herzog gegraben, lange bevor das Urtheil über ihn gesprochen war. Savary hat dies zu leugnen versucht, indeß nicht zu widerlegen vermocht. Die gerichtliche Untersuchung bestand im Wesentlichen nur aus einer Wiederholung des oberflächlichen Verhöres. Kein Zeuge für oder gegen den Herzog war vorhanden. Die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen konnten ohne Zeugen keine beweisende Kraft haben, sobald der Prinz sie leugnete – bei dieser Gerichtsposse war Alles möglich, weil der Tod des Prinzen schon bestimmt war. Der Herzog benahm sich vor diesem Gerichtshofe mit derselben Ruhe und Würde wie beim Verhöre. Seine Antworten waren ruhig, offen und gefaßt.
Die Anklagen gegen den Prinzen bestanden in Folgendem: 1) gegen Frankreich gefochten zu haben, 2) im Solde Englands zu stehen, 3) mit England Complote gegen die innere und äußere Sicherheit der Republik geschmiedet zu haben. Keines von den damals in Frankreich bestehenden Gesetzen konnte über die beiden ersten Punkte entscheiden, denn der Herzog gehörte nicht zu den Emigranten und war nicht mit den Waffen auf französischem Boden angetroffen, sondern aus einem neutralen Lande nächtlich geraubt worden. Für die dritte Anklage war die Militärcommission nicht competent. Dies angeschuldigte Verbrechen gehörte durchaus vor [554] einen Civilgerichtshof. Der Herzog stellte nicht in Abrede, gegen Frankreich die Waffen geführt zu haben, und nannte die Feldzüge, die er als Commandant des Vortrabes und später als Oberst mit der Emigrantenarmee unter seinem Großvater, dem Prinzen von Condé, gemacht habe. Er räumte ein, von Englands Großmuth eine Pension zu seinem Unterhalte erhalten zu haben, wies aber entschieden zurück, in englischem Solde zu stehen. Ebenso entschieden wies er den dritten Punkt der Anklage als durchaus unwahr und unbegründet zurück.
Der folgende Theil der Untersuchung bestand nun darin, den Herzog in die Verschwörungen des Pichegru, Georges Cadondal und Moreau zu verwickeln. Der früher nach Cayenne verbannte und heimlich von dort zurückgekehrte General Pichegru, ein unternehmender, entschlossener Mann, der kühne, wilde Georges Cadondal, früher Anführer der Chouans, und der tapfere Moreau hatten sich vereint, um den übermüthigen, mit gewaltthätiger Hand immer weiter um sich greifenden Bonaparte zu stürzen, und Pichegru wie Georges Cadondal waren heimlich mit einer Anzahl Verschworener nach Paris gereist, um den Consul durch Mord aus dem Wege zu räumen. Der edlere Moreau wollte von einem solchen Meuchelmorde nichts wissen und noch weniger mit ihm etwas zu schaffen haben. An dieser auf das Leben des ersten Consuls, der gegen Meuchelmord außerordentlich empfindlich war, gerichteten Verschwörung wurde auch der Herzog beschuldigt, Theil genommen zu haben. Man mußte einen Grund haben, das Todesunheil über ihn auszusprechen. Natürlich stellte der Herzog jede Theilnahme an dieser Verschwörung in Abrede. Er hatte nicht einmal darum gewußt. Er kannte weder Pichegru noch Georges Cadondal, noch hatte er je mit ihnen in Verbindung gestanden und gab dieses natürlich an. Es fehlte immer noch an scheinbar genügenden Gründen, um mit einiger Wahrung des Rechtes das Todesurtheil über den Angeklagten auszusprechen, und doch forderte dies der Befehl des ersten Consuls. Der Präsident dieses Gerichtes, der General Hullin, hat später selbst gestanden, daß die Festigkeit, die Offenheit und Ruhe in des Herzogs Antworten die Richter zur Verzweiflung gebracht habe. Sie schienen selbst Mitleid mit ihm zu fühlen und für einen Augenblick Bonaparte’s Befehl zu vergessen.
Schon in dem Verhöre hatte der Herzog unumwunden eingestanden, daß er die Waffen gegen Frankreich geführt habe, und freimüthig hinzugefügt, daß er, sobald die Gelegenheit dies ermögliche, auf’s Neue den Krieg gegen Frankreich beginnen werde, er kämpfe nur für die Rechte seiner Familie, und ein Condé könne nie anders als mit den Waffen in der Hand sein Vaterland betreten. Dies wiederholte er auch vor dem Gerichte. Wohl zehnmal boten die Richter ihm an, diese Aeußerung zurück zu nehmen. Fest und ruhig erwiderte er: „Ich sehe die ehrenwerthe Absicht des Kriegsgerichts ein, allein ich kann meine Zuflucht nicht zu den Sicherstellungsmitteln nehmen, auf welche dasselbe hindeutet.“
Als der Präsident ihm erwiderte, daß die Kriegscommission keine Appellation gestatten dürfe, entgegnete er: „Ich weiß es und verhehle mir die Gefahr nicht, in der ich schwebe. Meine Bitte umfaßt nichts, als eine Unterredung mit dem ersten Consul zu haben. Mein Name, mein Rang, meine Gesinnungen (sowohl der Herzog wie sein Großvater Condé hatten sich früher in einem Briefe sehr bestimmt und mit Abscheu gegen jeden Meuchelmord ausgesprochen) und die besondere Bedrängnis;, in der ich mich befinde, geben mir die Hoffnung, daß man meine Bitte nicht verweigern werde.“ Bereits am Schlusse seines Verhörs hatte er diese Bitte vergebens ausgesprochen. Die Richter schienen selbst die Billigkeit dieses Verlangens einzusehen und beriethen darüber, da schnitt der von Bonaparte gleichsam als Aufseher gesandte Polizeichef die Frage mit der Bemerkung durch, daß solches nicht geschehen könnte. Die Richter mußten sich fügen. Sie schritten nun zu der Abfassung des Verdictes selbst, die ihnen in der That viele Schwierigkeiten machen mußte. Etwas ausführlicher müssen wir, streng auf die Acten des Protokolls gestützt, diesen Theil dieser Gerichtsposse berühren.
Bei den französischen Kriegsgerichten war es ausdrückliche Gesetzform, in Protokollen die genaue Thatsache anzuführen, für welche die Todesstrafe verhängt wurde, ferner mußte der Gesetzartikel genannt werden, nach welchem die Sentenz erfolgte. Sodann mußte natürlich das Verdict der Anklage angepaßt werden. Dies Alles machte in diesem Falle die größte Schwierigkeit. Der Herzog sollte sterben; seinen Tod nach dem Gesetze zu rechtfertigen, machte der Commission außerordentlich viel Mühe und wurde doch nur äußerst mangelhaft erreicht. Das Verdict lautete nach dem Protokolle :
„Nachdem die Stimmen über jede der unten angefügten Fragepunkte durch Anfangen bei dem jüngsten Richter und durch Aufhören bei dem Präsidenten gesammelt sind, erklärt das Kriegsgericht Louis Antoine von Bourbon, Herzog von Enghien,
1) einstimmig für schuldig, die Waffen gegen die französische Republik getragen zu haben;
2) einstimmig für schuldig, seine Dienste der englischen Regierung, also dem Feinde der französischen Republik, angeboten zu haben;
3) einstimmig für schuldig, von besagter englischer Regierung Agenten aufgenommen und accreditirt, ihnen Mittel zum Verkehr in Frankreich an die Hand gegeben und sich mit ihnen gegen die innere und äußere Sicherheit der Republik verschworen zu haben;
4) einstimmig für schuldig, sich an die Spitze einer namhaften Schaar französischer Emigranten und Anderer gestellt zu haben, die sich an Frankreichs Grenze in Freiburg und in Baden sammelten und von England besoldet wurden;
5) einstimmig für schuldig, Communicationen mit der Stadt Straßburg in der Absicht gepflogen zu haben, Aufruhr in den benachbarten Departements zu erregen, um eine Diversion zu Gunsten Englands zu machen;
6) einstimmig für schuldig, einer der Begünstiger und Mitschuldigen der von den Engländern gegen des ersten Consuls Leben gerichteten Verschwörung zu sein und die Absicht gehegt zu haben, durch den Erfolg solcher Verschwörung in Frankreich einzudringen.“
Also auf drei Anklagen ein Verdict über sechs Anschuldigungspunkte, von denen nur der erste den Herzog berührte (die fünf übrigen waren absichtlich erfunden) und nach den damaligen französischen Gesetzen nicht strafbar war! Dieses Verdict wurde in Abschrift an Bonaparte gesandt, und die Commission empfing unverzüglich von ihm ihr eigenes Schreiben zurück mit der Bemerkung: „Zum Tode verurtheilt!“
Das Protokoll des Kriegsgerichtes trug das Datum 20. März mit dem Beisätze: „zwei Uhr Morgens“. Diese Worte wurden wieder wegradirt, indeß nicht fein genug, so daß sie noch lesbar blieben. Zwei Stunden waren also schon mit dem Verhör und der Gerichtssitzung verflossen, und ehe der Morgen graute, sollte der Herzog, dessen Grab bereits vollendet war, todt sein; es blieb also nur wenig Zeit übrig, und noch war der Urtheilsspruch in rechtsgemäßer Form mit Hinzufügung der betreffenden Gesetzesartikel aufzusetzen. Man glaubte hierzu Zeit genug zu haben, wenn der Herzog hingerichtet sei, da ja nicht das Urtheil, sondern der Tod des Prinzen der eigentliche Zweck des Kriegsgerichts war. Man ließ Lücken in dem Urtheil, um diese später mit mehr Ruhe und Genauigkeit auszufüllen. Wir können uns nicht enthalten, dies Meisterstück französischer und Bonaparte’scher Justiz hier wiederzu geben. Es lautet:
„Nachdem der Gefangene sich entfernt, die Gerichtssitzung sich isolirt und hinter verschlossenen Thüren deliberirt hatte, sammelte der Präsident die Stimmen, und indem er bei dem jüngsten Beisitzer anfing und selbst zuletzt stimmte, ward der Gefangene einstimmig für schuldig erkannt; und gemäß des … ten Artikels des Gesetzes von … , des Inhaltes wie folgt … verurtheilte das Gericht den Gefangenen zum Tode. Der Gerichtsanwalt ist beordert, gegenwärtige Sentenz unverzüglich vollziehen zu lassen.“
Diesem in der Hast ausgesetzten Urtheilsspruche fehlte sogar die Unterschrift des Gerichtsschreibers, ohne welche er keine Gültigkeit haben konnte. Die Richter selbst zweifelten an der Richtigkeit dieses Spruches, und der Präsident Hullin hat sich später selbst darüber folgendermaßen ausgesprochen: „Noch mehrere Entwürfe dieser Sentenz wurden gemacht, bis eine endlich beibehalten ward; allein als wir sie unterzeichnet hatten, bezweifelten wir, daß sie regelrecht wäre, und gaben deshalb dem Gerichtssecretair die Weisung, einen neuen Entwurf zu machen. Dieser zweite Entwurf war der rechte.“
Dieser zweite Urtheilsspruch stimmte mit dem ersten im Wesentlichen überein; nur zum Schlusse wich er ab. Der Befehl zu unverzüglicher Hinrichtung war weggelassen, statt dessen folgende Erklärung hinzugefügt: „Dem Berichterstatter ist hiermit die Weisung gegeben, gegenwärtiges Urtheil augenblicklich in Gegenwart der unter Gewehr getretenen Wache vorzulesen. – Es ist befohlen, daß der Präsident und der Berichterstatter, gemäß der gesetzlichen Form, [555] sofort Copien dieser Procedur an den Kriegsminister, den Oberrichter, den Justizminister und den General en Chef, Gouverneur von Paris, befördern.“
Die Richter selbst wollten durch diese gesetzlichen Formalitäten Zeit gewinnen, den unversöhnlichen Bonaparte vielleicht milder zu stimmen. Noch einmal kam des Herzogs Bitte um Audienz beim ersten Consul zur Sprache. Zum zweiten Male hinderte Savary, der sich beobachtend auf des Präsidenten Stuhlrücken lehnte, dies mit den Worten: „Das wird zu ungelegener Zeit kommen.“
Der Präsident entschloß sich nun an Bonaparte zu schreiben, um ihm die Bitte des Verurteilten mitzutheilen und ihn zu beschwören, die Strafe zu verschieben. Als er schrieb, trat Savary zu ihm und fragte: „Was machen Sie da?“ – „Ich schreibe an den ersten Consul, um ihm den Wunsch des Gefangenen und die Anempfehlung des Gerichtshofes vorzutragen,“ entgegnete Hullin. – „Sie haben Ihr Geschäft beendigt; was nun noch zu thun ist, liegt mir ob,“ erwiderte der Polizeichef und nahm dem Präsidenten die Feder aus der Hand. Er verließ das Zimmer und schloß die Richter ein. Kurze Zeit darauf, während diese nichts ahnend auf ihre Wagen warteten, vernahmen sie einen lauten Knall – der Mord war ausgeführt!
Hullin hat später, in seinem und seiner Collegen Namen, gegen diesen Mord protestirt, da ihr Urtheil nur angeordnet habe, daß Abschriften desselben an den Kriegsminister, den Oberrichter und General-Gouverneur von Paris, der allein die Hinrichtung befehlen konnte, geschickt werden sollten, und die Copien waren noch nicht gemacht, als der Herzog bereits eine Leiche war. Freilich den Befehl der Hinrichtung hatte Savary längst von Bonaparte erhalten. Doch kehren wir zu dem Herzoge selbst zurück.
Mit derselben Ruhe und Würde, welche er von Anfang an bewahrt hatte, hörte er die Vorlesung seines Urtheils an. Er wußte, daß er in der Hand des rachgierigen Corsen war und es keine Rettung mehr für ihn gab. Nur um den Beistand eines Geistlichen bat er. „Wollen Sie wie ein Capuziner sterben?“ wurde ihm höhnend erwidert. Der Herzog kniete still nieder und betete einige Augenblicke lang. „Allons donc!“ sprach er, als er sich wieder erhob. Bei Fackelschein wurde er eine Wendeltreppe hinabgeführt, welche in die Verließe des alten Schlosses zu führen schien.
„Soll ich etwa in einem unterirdischen Kerker verschmachten?“ fragte der Herzog still stehend.
„Nein, gnädiger Herr,“ erwiderte der Soldat, an den er diese Frage gerichtet hatte, schluchzend, „darüber seien Sie ganz ruhig.“
Der Prinz wurde weiter geführt, die Treppe hinab zu einem geheimen Pförtchen, welches in den Schloßgraben führte. Hier standen schon einige Elitegensd’armen in Reihe und Glied neben dem offnen Grabe zu der entsetzlichen That bereit. Der Morgen fing bereits an schwach zu dämmern, denn es war ungefähr sechs Uhr, allein ein dichter Nebel schien diesen Mord verbergen zu wollen. Fackeln und Lampen mußten den Raum erhellen. Ja, dem Herzoge soll sogar eine Laterne an einem Knopfe auf der Brust befestigt worden sein, um das Ziel nicht zu verfehlen. Auf einer Brustwehr, um dem Mordschauspiele beizuwohnen, stand Savary.
Ruhig ließ sich der Herzog an den Ort führen, wo er sterben sollte. Ohne Zittern stand er da. Er zog aus seiner Tasche eine Haarflechte und einen Ring und wandte sich an einen der Soldaten, welche ihn erschießen sollten, mit der Bitte, diese beiden Andenken der Prinzessin von Rohan, seiner Geliebten, die auf Schloß Ettenheim mit ihm gewohnt hatte, zu überbringen. Schon streckte der Soldat den Arm darnach aus, als ein Officier rief: „Niemand hier darf Aufträge eines Verräthers übernehmen!“ Der Herzog blieb ruhig. Da gab der spätere Herzog von Rovigo das Zeichen zum Feuern, dumpf hallten die Schüsse in dem Schloßgraben wieder – leblos sank der Herzog von Enghien nieder. Eine der brutalsten Gewaltthaten war vollbracht. Doch noch nicht genug der Rache, selbst der Tod halte noch nicht versöhnt. Ohne irgend welchen Anstand, wie der Körper des gemeinsten Verbrechers wurde der Leichnam des Gemordeten, bekleidet wie er war, in das offene Grab gekollert. –
Vergebens hat Savary sich später zu rechtfertigen gesucht. Ebenso hat Napoleon, als er wahrnahm, welche allgemeine Entrüstung diese That hervorrief, sich wiederholt und angelegentlichst bemüht, den Tod des Herzogs von Enghien als eine gesetzliche Handlung darzustellen und die Schuld dem Minister Talleyrand aufzubürden, der an dem Tode dieses Prinzen kein Interesse haben konnte. Er schildert diese Hinrichtung als eine Handlung der Selbstvertheidigung. „Von allen Seiten,“ sprach er, „ward ich durch die Feinde bestürmt, welche die Bourbons gegen mich hetzten, ward bedroht von Windbüchsen, Höllenmaschinen und verderblicher Kriegslist jeglicher Art. Auf Erden hatte ich keinen Gerichtshof, bei welchem ich Schutz hätte fordern können; also hatte ich ein Recht, mich selbst zu beschützen, und indem ich einen von jenen tödtete, deren Anhänger mein Leben bedrohten, ward ich befugt, den übrigen einen heilsamen Schrecken einzuflößen.“ Seine Anhänger haben diesen Mord sogar für ein Versehen erklärt, indem der Herzog mit dem General Pichegru verwechselt sei – was ebenso unwahr wie unmöglich war. Fouché nannte diese That ärger als ein moralisches Verbrechen – sie sei ein politischer Schnitzer.
Wir brauchen die Leser nicht noch ausführlicher auf die brutale Gewaltthätigkeit von Anfang an aufmerksam zu machen, auf die Lächerlichkeit und die Hast des Gerichtshofes. Wie schon im Anfange erwähnt, hallte ein Schrei der Entrüstung und des Entsetzens über ganz Europa. Das Blut des unschuldig Gemordeten rief laut um Rache, und nicht sein Blut allein, sondern das mit Füßen getretene Völkerrecht, das verhöhnte Gesetz. Und was geschah? Der Hof von St. Petersburg legte für den gemordeten Herzog Trauer an, und der russische Minister überreichte in Paris dem Minister Talleyrand eine Note, worin Rußland sich über die Verletzung des badenschen Gebietes beklagte. Gleichzeitig mußte der russische Gesandte zu Regensburg dem deutschen Reichstage eine Vorstellung über die Gebietsverletzung machen. Der schwedische Minister that ein Gleiches. Und was that Deutschland der frechen, unerhörten Gebietsverletzung gegenüber? Was that es, um den brutalen Mord eines Mannes zu rächen, der sich vertrauend dem Schutze deutscher Erde und Gesetze übergeben hatte? Was that das deutsche Reich? – es existirte ja damals noch – Nichts – nichts, wie in so vielen anderen Fällen! – Der Kurfürst von Baden bat, die Sache mit Schweigen und Vergessen zu übergehen, Oesterreich fühlte sich zu geschwächt, und Preußen mochte seine freundliche Beziehung mit Frankreich nicht gefährden. Wer sollte da noch etwas thun?
Aber schwer hat diese schlechte Wahrung deutscher Rechte an Deutschland selbst sich gerächt. War es nicht natürlich, daß des Corsen Verachtung und Uebermuth gegen Deutschland und deutsche Fürsten dadurch nur noch gesteigert werden mußte? Er halte ungestraft das deutsche Gebiet verletzen dürfen – ungestraft benahm er sich 1806 mit allem Uebermuthe gegen Preußens gebeugten Herrscher, ungestraft behandelte er deutsche Fürsten auf dem Congresse zu Erfurt 1808 en bagatelle und kam jedem seiner Generäle mit mehr Artigkeit entgegen, ungestraft setzte er seine frechen Gewaltthaten in Deutschland fort – die deutschen Fürsten hatten ja noch nicht einmal die alte Schuld an ihm gerächt – bis endlich im deutschen Volke das Bewußtsein seiner Kraft und Würde erwachte und es auch einen großen Theil der alten Schuld abtrug. Mag diese Gewaltthat jetzt gesühnt sein oder nicht, für uns, für Deutschland liegt jedenfalls eine ernste, ernste Mahnung und Warnung darin. Dies wollen wir zum Wenigsten beherzigen!
Im Jahre 1816, als Napoleon bereits auf St. Helena war, ließ Ludwig XVIII. durch eine dazu niedergesetzte Commission den Körper des Herzogs von Enghien in den Gräben von Vincennes aufsuchen. Die Commission fand alle Reste desselben. Der Kopf war durch die Kugeln gänzlich zerschmettert. Auch die Ueberreste der Kleider zeigten mehrere Löcher, welche durch die Kugeln verursacht waren. Man fand ferner eine goldene Kette mit Ring, welche der Herzog gewöhnlich zu tragen pflegte, einen Ohrring, eine Geldtasche mit dem Wappen der Condé’s nebst einem kleinen Schlüssel, eine Börse von Maroquin, worin 11 Gold und 5 Silberstücke, endlich noch 70 Goldstücke in Ducaten und Florenzen in einer Papierrolle, welche ihm sein Adjutant, der Baron de St. Jacques, bei seiner Trennung von dem Prinzen überreicht hatte.
Die Ueberreste des so schmachvoll Gemordeten, von dem die Königin Karoline von Neapel, als sie seinen Tod erfuhr, ausrief: „Welches Unglück! Er war der einzige Mann von Herz in der Familie!“ wurden in einem bleiernen Sarge gesammelt und mit den ihnen zukommenden Ehren beigesetzt.