Die Erdpyramiden des Finsterbachthales

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Titel: Die Erdpyramiden des Finsterbachthales
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 599
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[589]

Die Erdpyramiden des Finsterbachthales in Tirol.
Originalzeichnung von H. Heubner.

[599] Die Erdpyramiden des Finsterbachthales. (Mit Abbildung Seite 589.) Im südlichen Tirol zwischen Bozen, dem rhätischen Florenz, und Kastelrut, der einstigen römischen Burg, liegt die eigentümliche Landschaft, welche unser heutiges Bild dem Leser vorführt. Dort, wo der Finsterbach seine schäumenden Wellen dem Eisack zutreibt, erhebt sich an seinem rechten User der große Wald der Erdpyramiden: mächtige Säulen aus thonigem Porphyr, welche, in buntem Gewirr an einander gereiht, dastehen. Jeder dieser thönernen Kolosse trägt einen Felsblock als riesigen Steinhelm auf seinem Haupte, und manchen von ihnen krönt eine einsame Fichte, einem gewaltigen Federbusch vergleichbar. So lange nun ein solcher Riese mit dieser steinernen Sturmhaube geschützt ist, kann er sicher dem tobenden Unwetter trotzen. Gelingt es aber der Macht der Elemente, den Felsblock von der Spitze der Erdpyramide herunterzuwälzen, so erliegt sie bald dem zerstörenden Einflusse der Gewitter und stürzt krachend zusammen. Also besteht auch hier unaufhörlich seit Jahrtausenden der großartige Kampf, welchen Berge und Wolken gegen einander führen, und mächtiges, wild zerklüftetes Gerölle bezeichnet den fortschreitenden Sieg der „himmlischen Mächte“.

Dieser steinerne, stille Wald, der unsere Bewunderung erregt, sproß indessen nicht aus der Erde hervor, wie sein grüner, rauschender Nachbar; er wuchs vielmehr von oben nach unten. Einfach ist seine Entstehungsgeschichte. Die Wasser des schmelzenden Gebirgsschnees und der brausenden Gewitter lösen das thonige Gestein, aus dem hier die Hauptmasse des Berges besteht, allmählich auf, und nur dort, wo zerstreut feste Felsblöcke daliegen, wird die Unterlage derselben vor dem zerbröckelnden Einfluß der Witterung bewahrt. Jahraus jahrein wiederholt sich dieses Schauspiel, und der unermüdlich herabfallende Wassertropfen durchwühlt den Berg, bis all der Stelle desselben nur ein Wald der felsgekrönten Erdpyramiden in die Lüfte ragt.

Aehnliche Wundergestalten zaubert ja in höheren Alpenregionen der sengende Strahl der Sonne vor unsere Augen. Auch auf den Eisfeldern der Gletscher liegen zerstreut gewaltige Felsblöcke, welche dem Tagesgestirn wehren, daß es die unter ihnen liegenden Eismassen schmelze, und ehe der Sommer vergeht, entstehen dort oben die bekannten Gletschertische, die zu ihren Schwestern, den Erdpyramiden im Thale, grüßend hinabschauen.

Aber lassen wir unsern Blick weiter über die Landschaft des Finsterbaches schweifen! Hinter dem kleinen Dorfe auf der Höhe, mit dem schlanken Kirchthurm – es ist Mittelberg, ein beliebter Ausflugsort der Bozener – ragen gewaltige Felsmassen empor, die berühmte Dolomitgruppe des Schlern. Wüst und öde erscheint uns das steinige Hochplateau, einen grellen Gegensatz zu der benachbarten grünenden, von zahlreichen Heerden und munterem Sennervolke belebten Seisseralpe bildend. Und doch, wie oft weiß sich der nackte Berg in erhabene Schönheit zu kleiden! Wenn auf seine gegen Bozen steil abstürzende, zackig zerklüftete Wand die rothen Strahlen der Abendsonne fallen, dann entrollt sich ein purpurfarbenes, zauberhaftes Bild vor unseren Augen, und wir sehen entzückt, wovon wir in der Jugend gehört nunmehr in Wirklichkeit – „König Laurin's wunderbaren Rosengarten“. Da wird es lebendig in dem kahlen Berge; die alte deutsche Sage webt buntfarbig da drinnen. Wunderbare Bilder ziehen an unserem geistigen Auge vorüber. Aus den Spalten der glühenden Alpe tritt der Zwergkönig Laurin hervor und raubt die ritterliche Jungfrau. Da ziehen die Helden gegen den Berg, und die Rosen des Zwerges werden zertreten. Streit und Kampf, List und Verrath, Rache und Versöhnung klingen schließlich in gewaltigen Accorden zu einem epischen Gesange zusammen.

Glücklich, wer diese Wunder der heimischen Berge, wer diese sagenumwobenen Stätten sehen kann! Das Bild des Künstlers ist der schönen Wirklichkeit nicht ähnlicher als das Echo dem über den Bergen rollenden Donner; niemals vermag der Stift des Zeichners die Majestät der Alpenwelt vollständig wiederzugeben.