Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Peter Panter
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Titel: Die Dicken
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. Jahrgang 17, Nummer 50, Seite 611-612
Herausgeber: Siegfried Jacobsohn
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 15. Dezember 1921
Verlag: Verlag der Weltbühne
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933. Athenäum Verlag, Königstein/Ts. 1978. Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Dicken

Die Generation, mit der ich groß geworden bin, wird jetzt dick.

Von mir sehe ich ganz ab. Ich bin hager, mäßig rasiert, schwärzlich und etwas hornbrillig anzuschaun. Aber die Andern werden, weiß Gott, dick.

Das ist keine physiologische Erscheinung. Das ist etwas Andres. Diese sanft ansteigenden Kinnterrassen, dieser zufrieden volle Mund, dieser leicht gerundete Bauch – all das sagt: „So. Nun haben wir genug herumgewirtschaftet und angegeben – nun wollen wir uns einmal den Freuden des Lebens zuwenden. Was heißt hier Ideale –!“ Und dann gründen sie Familien, und an der Wand hängt eine Gruppenaufnahme, und der Zweite in der hintersten Reihe: das ist Papa. Auf dem etwas verblaßten Bild kannst du sein Gesicht erkennen; es sind schon die vertrauten Züge, aber das Gesicht ist dünner, es ist, als ob sich die fertige Physiognomie noch nicht recht herausgetraut hat, etwas Fremdes ist darin … Und vielleicht war grade dieses Fremde das Beste an Papa … Jetzt hat er jedenfalls eine schöne Stellung, über die man nie etwas Genaues erfährt – aber sie muß doch ihren Mann ernähren; wie man sieht … Die radikalsten Denker, also Menschen, die gradezu verpflichtet sind, mager und abgerissen dahinzuschlurchen, sind heute in saubre, dicke Röcke eingewickelt und essen viel und ausgiebig. Es ist nicht die sanfte Hügeldicke der reifenden Frauen, die sich nur noch vorsichtig auf einen Stuhl setzen, damit nichts abbricht … Es ist etwas Andres.

Es ist die Abkehr vom Olymp, die Fett ansetzt. Es muß einen [612] Gott geben – ich weiß nicht genau, wie er heißt, aber es gibt ihn, und er ist klein und rund und hat einen Hundekopf – einen Gott, der mit den Menschen eng liiert ist, wenn sie es aufgegeben haben, den Ossa auf den Pelion, oder wie diese israelitischen Götter heißen, zu türmen … „Wie gefällt Ihnen Reinhardt?“ „Er ist dick geworden.“

Früher sahen die Künstler alle aus, als ob sie grade frisch aus der Hölle kämen – mit schweren Kummerfalten im Gesicht, den verbeulten Calabreser auf dem Kopf und in den Augen einen Ausdruck wie: „Verruchter Casca!“ Heute haben sie fast sämtlich einen satten, zufriedenen Blinzler, diese Lippen haben schon so manchen Cointreau genippt – Sie kennen diesen herrlichsten aller Liqueure nicht? Sie sollten ihn nicht versäumen! – und in ihren Augen sagt es: „Das war mal ein schönes Abendessen! Nun noch einen Mokka und eine dicke Zigarre und ach, Königin …!“

Meine Mama hat mir immer gesagt: „Peter!“ hat sie gesagt, „du mit deinen Theorien! Du wirst auch noch mal vernünftig werden!“ Meine Generation ist auf dem besten Wege dazu. Sie hat heimgefunden. Ich sehe Keinen an – aber so sieht man nicht aus, wie die aussieht.

Laßt uns warten, Freunde! Ueber ein kleines – und auch unsre Kammer ist voll Sonne. Und vor uns stehen drei zum Platzen Dicke, drei Trudeldicke: Friedrich Kühne, Conrad Veidt und

Peter Panter