Textdaten
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Autor: Johann Karl Christoph Nachtigal
unter dem Pseudonym Otmar
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Titel: Die Daneels-Höle
Untertitel:
aus: Volcks-Sagen, S. 279-292
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1800
Verlag: Wilmans
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Erscheinungsort: Bremen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Daneels-Höle.

Am mitternächtlichen Abhang des Berges, auf dessen Gipfel das Kloster Huyseburg, eine Meile vorwärts von Halberstadt, liegt, zeigt sich eine künstlich ausgehaune Felsenhöle, von ziemlich beträchtlichem Umfang, die jetzt, da der Wald an dieser Stelle stark ausgehauen ist, dem suchenden Auge leicht sich darbietet, einst aber von dickbelaubten Eichen und Buchen völlig versteckt war. Jetzt sieht man nur noch die nackten ofnen Felsenwände, und unterscheidet zwei Gemächer, deren eins zu einem Auffenthalt für Menschen, das andere zum Pferdestall bereitet war. Noch bemerkt man an der obern Decke eine durch die Kunst gemachte Oefnung, welche den starken Fels durchdringt. Das Volk erzählt davon folgende Sage.


„In dieser Höle wohnte einst ein Räuber, der viele Jahre die ganze Gegend umher unsicher machte. Sein Name war Daneel, oder, Daneil. Sein Bruder, ein Sternseher, hatte ihm diesen Schlupfwinkel aufgesucht, und für seine Absichten eingerichtet. Der Undankbare ermordete ihn, damit sein verborgener Auffenthalt desto weniger verrathen werden könnte.

Lange Zeit hindurch trieb Daneel seine Räubereien, in mehreren Theilen des Harzgebirges von seiner Felsenhöle aus. – Er hatte sie außerdem, in einem großen Umkreise, mit verborgenen Schlingen von Draht umgeben, die mit einigen kleinen Glocken in seiner Höle in Verbindung standen, deren Geklirr ihm die Gegend bezeichnete, in die er hineilte, um auch die einzeln vorbeigehenden Wanderer zu berauben.

Diese List verschaffte ihm auch eine Frau und Wirthschafterin. Suse, ein schönes Bauermädchen aus einem benachbarten Dorfe, verirrte sich, beim Haselnußpflücken, bis in die verwachsene Wildnis, die des Räubers Höle verdeckte. Kaum aber hatte sie den verrätherischen Draht berührt, so sprang Daneel heraus, und haschte und schleppte sie, nach vergebnem Kampf, in seine Höle. Hier zwang er sie, sein Weib zu werden, und ihm feierlich zu schwören: „ihn nie böslich zu verlassen, und seinen Auffenthalt keinem lebenden Menschen zu verrathen.“

Lange blieb auch der Schlupfwinkel des Räubers unentdeckt. Denn, da er größtentheils in entferntern Gegenden raubte, und sich dann im Dunkel der Nacht in die nicht bemerkbare Höle schlich; so vermuthete man mehrere Jahre hindurch seinen Auffenthalt in dem Huy-Walde nicht. Und da endlich die Obrigkeiten der benachbarten Orte durch häufige Klagen aufmerksam gemacht wurden, so täuschte sie Daneel durch mannichfache List. So hatte er, unter andern, seinem Pferde die Hufeisen verkehrt aufgeschlagen, so daß die Spur, wenn er zuweilen auf demselben heimkehrte, abwärts von seinem Wege führten. Die letzten Spuren verdeckte der Rasen, welcher den Abhang des Berges, in dessen Mitte die Höle lag, überkleidete. Doch, nicht immer schlief die Rache!

Fünf Kinder hatte ihm Suse geboren; und alle fünf Kinder hatte der Unmensch gleich nach der Geburt erstickt, um durch ihr Geschrei nicht verrathen zu werden. – Jetzt endlich gab der Räuber den tausendmal schon versagten Bitten seines Weibes nach, da er von ihrer Treue überzeugt war, und sie nun längst schon vergessen und unkenntlich glaubte, nur einmal in die benachbarte Stadt gehen zu dürfen, um sich einige Kleidungsstücke zu kaufen, die sie schon lange sich gewünscht hatte. – Nach sechs kummervollen Jahren öfnete sich ihr zum erstenmal ihr Kerker, und sie sahe bebaute Fluren wieder. Doch mußte sie vorher ihren Schwur mit den stärksten Betheurungen wiederholen, auch ihm eidlich versprechen, aus der Stadt heimzukehren, ehe das Getümmel in derselben lebhaft würde.

Noch vor Aufgang der Sonne verließ sie die Raubhöle, von tausend Empfindungen bestürmt. Einen Monat vorher hatte sie die klägliche Ermordung ihres fünften ebengebornen Kindes, eines schönen gesunden Knabens, gesehen, und sein Geschrei durchbebte noch immer ihr Ohr; seit dieser Zeit war ihr der Räuber, den sie immer mit finstern Unmuth heimkehren sah, und dessen Erzählungen von seinen Räubereien sie mit Abscheu hörte, völlig unerträglich geworden. Sie zitterte vor dem Gedanken, in einigen Stunden wieder in die Höle zurückzukehren, und hier, vielleicht auf immer, eingeschlossen zu werden. Und doch – sie band der furchtbarste Eid: und „Seele verloren, alles verloren!“ hallte es immer in ihrem Herzen wieder. So fühlte sie sich jetzt frei, und zugleich an die Höle und den Räuber gekettet.

Als sie an dem Kloster Huyseburg vorbei ging, hoffte sie, ein Engel sollte ihr einen Priester entgegen führen, der sie, ohne daß sie ihm das Geheimniß vorher entdeckte, von ihrem Eide entbände. Aber, kein Priester erschien. Dämmerung und Schlaf deckte noch das Kloster und seine Bewohner. – Sie ging weiter, stand jetzt vor dem Walde, und sahe die Stadt noch im Nebel gehüllt vor sich liegen. Die Stille um sie her war ihr graunvoll; sie fühlte sich einsam und von der ganzen Welt verlassen. – Jetzt ging die Sonne auf, und die ganze schöne Landschaft lag frei vor ihr. Aber, ihre Brust war beklommen; es war ihr, als wenn die Morgenluft auf dem freien Berge, die sie sich so oft nur einmal einathmen zu können gewünscht hatte, ihr das Herz zerdrücken wollte. Die Angst beflügelte ihre Schritte; sie kam, ohne einem menschlichen Wesen zu begegnen, zur Stadt, fand die Häuser der Juden, die nahe am Thor wohnten, von denen sie die Kleider kaufen wollte, noch verschlossen, und wollte wieder zu ihrem Kerker zurückkehren.

Aber, der Taumel ihrer Gedanken machte sie schwindeln. Sie verfehlte den Weg in der Stadt, und, halb besinnungslos stand sie mit einemmal auf dem Marktplatz in der Mitte derselben. Es war noch so früh am Tage, daß sie auch hier keinen Menschen sah. Sie richtete ihren niedergesenkten Blick in die Höhe, und sahe die Rolands-Säule an der Ecke des Rathhauses. Ueberwältigt von ihrem Jammer und von dem Drang ihrem vollen Herzen Luft zu machen, warf sie sich vor dem steinernen Bilde auf die Knie, und erzählte diesem, unter Strömen von Thränen und lautschluchzend ihre Leiden, und die Abscheulichkeiten, die sie in der Raubhöle gesehen und gehört hatte.

Ein vorbeigehender Gerichtsdiener hörte einen Theil ihrer Beichte, und nötigte sie, mit ihm zu dem Schöffen zu gehen. Hier, da sie ihr Geheimniß schon verrathen sahe, und von drei Priestern feierlich ihres Eides entbunden wurde, erzählte sie ohne Rückhalt, was sie wußte, und versprach auch, den listigen Räuber den Richtern zu überliefern. Dann eilte sie, so schnell sie konnte, nach der Höle zurück, und bestreute den Pfad, der durch das Gebüsch sich zu derselben hinauf wand, mit einzelnen Erbsen, welche ihr die Richter zu dem Behuf mitgegeben hatten.

Der Verabredung gemäß erschienen den folgenden Tag die Schöffen mit zehn wohlgerüsteten Lanzknechten, an dem bezeichneten Abhang des Berges, in dem die Höle des Räubers lag, und vertheilten sich in dem Gebüsch. Bald spähten sie auch den bestreuten Pfad aus. Da sie aber nicht hoffen konnten, mit offenbarer Gewalt in die Höle einzudringen, welche eine starke eiserne Thür und große Schlösser und Riegel verschlossen; so warteten sie versteckt den Augenblick ab, den ihnen Suse als den einzigen genannt hatte, wo sie hoffen konnten den Räuber zu überraschen.

Jetzt war es Mittag, und warm schien die Sonne. Da hören sie über sich den Schall einer kleinen Glocke, womit ihnen Suse ein Zeichen gab, und bald nachher das Knarren der Riegel und Schlösser an der eisernen Thür der Höle, die jetzt geöfnet wurde. Sie sehen auf, und heraus tritt Suse, und ihr folgt der furchtbare Räuber. Suse setzt auf einen kleinen, freien, sonnebeglänzten Vorplatz am Abhang des Berges sich hin, neben ihr lagert sich Daneel in das hohe Gras, und legt seinen Kopf auf ihren Schooß, wie er alle Tage bei heiterm Wetter zu thun pflegte, um so des Mittagsschlafes zu genießen. Die neue Delila streichelte ihm Wangen und Kopf, bis er einschlief.

Als sie ihn fest schlafen glaubte, gab sie den versteckten Lanzknechten, durch ein leises Pfeifen mit dem Munde, das verabredete Zeichen, über den Räuber herzufallen. Diese arbeiteten sich den Abhang heran. Doch Daneel, den das ungewohnte Pfeifen schon halb geweckt hatte, fuhr, als er das Rauschen der Büsche um sich her hörte, plötzlich auf, blickt’ umher, und sahe bewafnete Männer, die von mehreren Seiten sich ihm nahten. Augenblicklich sprang er auf, und wollte Suse mit sich in die Höle reißen. Da diese sich aber aus allen Kräften sträubte, so stürzte er allein in die Höle, warf die eiserne Thür hinter sich zu, und verrammelte sie mit Riegeln und Felstrümmern und Baumstämmen.

Da standen nun die Lanzknechte und ihre Anführer vor der langgesuchten Höle, hatten den Räuber, der ihnen so oft entgangen war, umringt gehabt, und sahen sich von neuem getäuscht. Vergebens bestürmten sie den Eingang mit ihren Waffen, und mit Stangen, die ihnen der Wald darbot; die feste Thür wankte nicht unter ihren Schlägen. Auch wünschte keiner der erste zu seyn, der auf den Räuber in der ofnen Höle träfe; und so hoben sie für jetzt den stürmenden Angriff auf, und hielten Kriegsrath.

Schöffen und Lanzknechte stimmten, nach langer Berathung, als das sicherste, darauf, den Räuber in seiner Felsenburg auszuhungern. Ein Eilbote sollte die glückliche Verhaftung des Unholds in der Stadt verkünden, und Lebensmittel für die Belagernden, und noch Verstärkung, wegen eines zu befürchtenden Ausfalls, herbeiholen. Aber Suse sagte den Berathenden: Daneel habe schon seit mehreren Jahren auf solche erwartete Fälle sich in Bereitschaft gesetzt; er sey immer auf mehrere Wochen mit Lebensmitteln und mit Wasser versehen. Diese Frist schien den Kriegern zu lange; sie gaben also jenen Entwurf der Aushungerung auf, und jeder that einen neuen Vorschlag wegen der Bestürmung, Untergrabung und Sprengung des Felsens, der den andern immer noch unthunlicher erschien, als der erste.

So stritten und zankten sich die Belagerer vor der Höle, bis die Sonne sank. Daneel lachte ihres Zanks und Streits in seiner Felsenburg, und machte schon Entwürfe, um Mitternacht, wenn die Lanzknechte sich zerstreut hätten, oder eingeschlafen wären, sich aus der Höle wegzuschleichen, und sie am folgenden Morgen das leere Nest erobern zu lassen, oder, wenn sie wachen sollten, als brüllender Teufel durchzubrechen. Er wollte sich zunächst in dem benachbarten Gehölz, der Elm genannt, verstecken, und von da tiefer in das Harzgebirge gehen, um dort sein Wesen zu treiben. Aber, auch seine Entwürfe wurden vereitelt.

Einer der Lanzknechte, dem der Streit zu lange dauerte, hatte sich unbemerkt aus dem Kriegesrath weggezogen, und verkündete auf dem Rückwege zur Stadt und in der Stadt, die Nachricht, mit allen Vergrößerungen und Zusätzen, die ihm Schrecken und die Begierde, seine Verdienste zu heben, eingaben. Und so strömte, ehe noch die Nacht einbrach, eine solche Menge Volks aus der umliegenden Gegend herzu, daß die Belagerer mit vollem Muthe blieben, und Daneel jetzt nicht entkommen konnte.

„Guter Rath kommt über Nacht,“ sagt das Sprüchwort. Und so hatte man sich auch endlich zu dem Entschluß vereinigt, den Räuber in seiner Höle auszusäufen, oder durch den Dampf des kochenden Wassers zu ersticken. Bald nach Anbruch des Tages sahe man Hunderte von Armen mit Beilen und Aexten bewafnet, um alle Bäume und das Gesträuch rings um die Höle her niederzuhauen; und in wenigen Stunden stand der ganze Abhang des Berges so kahl da, wie wir ihn noch jetzt sehen. Dann wurde von allen umliegenden Dörfern Wasser herzugetragen und herbeigefahren. Unterdeß hatten Maurer und Steinbrecher eine ziemlich beträchtliche Oefnung durch den Felsen, der die Höle von oben bedeckt, durchgearbeitet. Endlich brachte man auch vom Kloster Huyseburg eine große Braupfanne, um in ihr auf einem hoch auflodernden Feuer das Wasser zu kochen.

Nun wurde der eingeschloßne Räuber durch Ströme kochenden Wassers, die man unaufhörlich durch die Oefnung hineingoß, indem das in Reihe gestellte Volk die gefüllten Eimer von Hand zu Hand reichte, bestürmt und geängstet. Nach einigen Stunden hörte man ihn unruhig bald aus seinem Gemach in den Pferdestall, bald aus diesem in jenes herüberlaufen. Aber nun bemerkte man auch, daß das Wasser, durch eine Menge kleiner nicht zu verstopfenden Ritzen, fast eben so schnell wieder ablaufe, als es hineingegossen werde. Endlich fiel man darauf, das Wasser durch beigemischtes Mehl zu verdicken. Die benachbarten Mühlen und Dörfer mußten ihre Vorräthe liefern; und nun wurde stundenlang unaufhörlich heißer Brei in die Höle hineingeschüttet. Endlich wurde es ganz still in der Höle. Da lange keine Spur vom Leben des Räubers mehr bemerkt war, wurde endlich die eiserne Pforte durch Brecheisen aufgesprengt. Und, gleich am Eingang fand man den zusammen gekrümmten Leichnam des Unholds.“