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In Sachsen ist dieses Rankenwerk dagegen zu einer meisterhaften Vollendung gebracht worden; das schönste Ornament dieser Art ziert neben dem Dom zu Naumburg die romanischen Teile des Domes zu Magdeburg. Dort ist es zu wahrhaft klassischer Voll­endung gediehen. Will man das romanische Orna­ment wieder pflegen, so sind dort die vornehmsten und meisterhaftesten Beispiele zu finden, hart vor dem Ende romanischer Kunstübung in Deutschland, zwischen 1208 und 1210. Dazwischen tauchen auch damals in Deutschland die vollendeten Akanthusblätter französischer Schulung auf, wie am Aeusseren des Chores der Klosterkirche von Königslutter bei Magdeburg.

     Wenn man diesen sich so verändernden Schatz der nordfranzösischen romanischen Kunstformen,

 

Frühgotik (Fig. 5). Der Baumeister, welcher diese Teile gezeichnet hat, war ein fertiger Gotiker. Die Vorhalle, durch welche wir in die Kirche eingetreten sind, mit ihrem schönen frühgotischen Thor, rührt von derselben Hand her, ebenso das letzte (westlichste) Gewölbe des nördlichen Seitenschiffes. Diese Teile also scheiden für den romanischen Bau aus.

     Sie ruhen aber auf grossen romanischen Rund­bogenstellungen, welche von rechteckigen Pfeilern getragen werden. Auch die Fenster oben unter dem Gewölbe sind romanisch. Der frühgotische Baumeister hat also in vorhandene Hochschiffmauern Kragsteine und Säulenbündel eingebunden, um auf diese seine neuen Gewölbe aufsetzen zu können. Dabei hat er auch das Triforium in die starke Mauer eingebrochen, wahrscheinlich unter Beseiti-

Fig. 5. Kirche Gross St. Martin, Längenschnitt. (Nach Dehio u. v. Bezold.)

wie den des Uebergangsstiles vor dem Auge vor­überziehen lässt, dann taucht ganz von selbst die Frage auf, welche Formen sind denn nun in Deutsch­land die rein romanischen, die ohne französischen Einfluss diesem Stile eigentümlich sind.

     Dafür bieten sich zwei Bauten zu Köln als klassische Zeugen dar, die Chorbauten der Kirchen Gross S. Martin und S. Aposteln (Taf. II u. V). Betrachten wir sie eingehend im Einzelnen:

Gross S. Martin.

     Eine Wanderung durch das Innere belehrt uns am klarsten über die Entstehung des Baues. Man findet deutlich dreierlei verschiedene Bauformen. Gleich bei dem Eintritt fällt der Blick auf die Ge­wölbe des Mittelschiffes, welche frühgotisch sind, ihre Gurtbögen und Rippen weisen die bekannten Formen dieser Kunst auf (Taf. III). Die Säulenbündel, auf welchen sie ruhen, sind ebenfalls frühgotisch, die Kragsteine sind mit dem Laub des französischen Ueberganges geschmückt. Das Triforium (der Lauf­gang unter den Oberfenstern) ist ebenfalls ausgebildete

 

gung vorhandener Blendarkaden, die zu romanischer Zeit schon am Rhein üblich und gewöhnlich noch mit flachbogigen Nischen ausgetieft waren. Solch romanisches, ausgenischtes Triforium hat sich z. B. in St. Andreas zu Köln erhalten.

     Schreiten wir jedoch weiter auf den Hochaltar zu, so sehen wir uns auf einmal in rein romanischer Umgebung, die aus einem Guss entstanden ist. Die drei Conchen sind mit romanischen Halbkuppeln überwölbt, kurze Tonnengewölbe schliessen die Kreuzarme an die Vierung an, und diese selbst weist eine Kuppel auf. Hier begegnen wir also keinerlei Formen der Frühgotik oder des französischen Uebergangstiles. Eine Hand hat Alles geschaffen; ein Stil tritt uns entgegen. Auch das Konstruktions­system ist romanisch, durchaus nicht gotisch. Es ist ein hochinteressantes System, dessen genauere Untersuchung sich wohl verlohnt und besonders jenen zur Beachtung empfohlen werden soll, welche die romanische Kunst wieder aufnehmen möchten, aber bei dem Ueberwölben ihrer Kirchen in der Not zu den gotischen Strebepfeilern greifen, um die

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Max Hasak: Die Baukunst, 11. Heft. , 1899, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Baukunst_-_11._Heft_-_08.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)