Die Aebtissin von Lindau
Im Heidenturm zu Lindau ein Ritter schmachtet lang,
Er ist verurteilt worden „zum Tode durch den Strang“
Dieweil er stürmend, raubend, frech durch das Land gezogen,
Wild, wie sich oftmals heben des Bodans grüne Wogen.
Dem stolzen edlen Ritter, dem wilden Kunibert.
Und wie zu seinen Füßen des Seees Fluten branden,
So denkt er an die Stürme, die er einst selbst bestanden.
Er liebte eine Jungfrau, Mechthild ward sie genannt,
Da wollte sie der Ritter sich mit Gewalt erringen,
Den Widerstand des Vaters im eignen Schloß bezwingen.
Warf gier’ge Feuerbrände mit eigner Hand hinein,
Doch sie entfloh ins Kloster und nahm den Nonnenschleier.
Und nun im wilden Grimme, verzweifelnd sonder Rast,
Erliegend seiner Thaten und seines Jammers Last,
Sucht Kunibert Betäubung im Kämpfen, Rauben, Morden –
Jetzt führt man ihn zum Richtplatz – der Henker steht bereit –
Da naht Lindaus Aebtissin im weißen Feierkleid.
Die Menge sieht es staunend – „Das ist der Gnade Zeichen!“
Ein donnernd „Hoch!“ dann wieder, ein ehrfurchtsvolles Schweigen.
Als ihren Dolch, den blanken, die hohe Nonne schwang.
Ich darf es jetzt auch üben, ich weihe dich dem Leben!“ –
„O wißt Ihr, hohe Fraue, wie Schweres er verbrach?“
Sie lächelt stolz und ruhig und hat den Strang zerschnitten:
„Ich hab für ihn gebüßet, ich hab für ihn gelitten!“
„Ein Zeichen, daß der Himmel dir Deine Schuld vergiebt,
Daß ich Dir darf vergeben, was Böses Du verübt“ –
Zum ersten mal im Leben sich seine Wangen feuchten.
„Mechthilde!“ ruft er bebend und hat die Maid erkannt,
Zu der in Liebesflammen er glühend einst entbrannt.
Und ihre Hand ruht segnend auf des Verbrechers Stirne –
So wie das Mondlicht scheinet, auf wüste Felsenbahn.
Er ruft zu ihren Füßen: „Jetzt fühl ich meine Sünden,
Da eine Heil’ge nahte, mir Gnade zu verkünden.“ –
Das Kunibert erbaute und sich zur Wohnung kor. –
Die Liebe, die ihn einstens den Pfad der Schuld getrieben
Die hat ihn auch erlöset, durch eines Weibes Lieben.