Textdaten
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Autor: Gtz
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Titel: Die Adlerfeder
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 315–316
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[315] Die Adlerfeder. Fort Snelling, am Zusammenfluß des Minnesota und Mississippi gelegen, ist eine ziemlich stattliche kleine Feste. Sie bildet eine viereckige Redoute, deren Wälle mit solider Steinbekleidung versehen sind, und ist auf eine Besatzung von circa tausend Mann Infanterie mit vier Feldgeschützen berechnet, und wurde erbaut, um den damals spärlich angesiedelten Bewohnern der Umgegend nöthigen Falles Raum und Schutz gegen die unruhigen Indianerstämme zu gewähren. Jetzt findet man bereits 100 englische Meilen darüber hinaus Städte von 12–1500 Einwohnern, zwischen denen sich die legitimen Besitzer des Bodens nur noch in einzelnen Banden, wie Zigeuner, herumtreiben, um bald den weiten Weg nach dem Felsengebirge einzuschlagen. Ihre Grabhügel am Minnesota und an den Ufern der zahlreichen Landseen im Innern des Territoriums sind mit Pfeilen und Adlerfedern, den Emblemen des Krieges, geschmückt. Die Winnebagoes waren Krieger!

An einem milden Abend jenes wunderbaren Spätherbstes, der die amerikanischen Wälder in ihren schönsten Schmuck kleidet – der indianische Sommer genannt, etwa zwölf Jahre zurück – meldete sich ein junges Mädchen vom Stamme der Winnebagoes beim Wachtposten des Forts an, und begehrte dringend, sogleich eingelassen zu werden, da sie mit dem Commandanten sprechen müsse. Die Indianerin war schon einige Male im Fort gewesen, und die Schildwache kannte dieselbe persönlich. Aber die Einlaßstunde war für heute vorbei, und die Schildwache wies sie daher ab. Sie wiederholte ihr Anliegen jedoch so ungestüm und mit so dringendem Ernste, dabei bald in Thränen, bald in dunkle Drohungen ausbrechend, daß der Mann sich endlich entschloß, den Vorfall seinem Officiere zu melden. Dieser – glücklicherweise vernünftig genug erstattete sogleich dem Commandanten davon Anzeige, der – obgleich fieberkrank und schon zu Bette liegend – dennoch befahl, das Mädchen augenblicklich zu ihm zu bringen. Er kleidete sich hastig an, und als das junge Mädchen einige Minuten später bei ihm eintrat, fand sie ihn auf seinem Feldstuhl sitzend, den von Fieberhitze glühenden Kopf in die Hand gestützt, bereit, sie aufmerksam anzuhören. Aber sei es, daß die Indianerin plötzlich anderen Sinnes geworden, oder daß ihr die Aufregung den Gebrauch der Sprache geraubt, der Officier wartete wohl eine Viertelstunde lang vergeblich auf ihre Mittheilung; – das Mädchen weinte nur leise, blieb aber sonst völlig stumm.

Major Dean hatte lange mit Indianern verkehrt, und kannte ihre Eigenheiten. Er sah sogleich, daß es sich hier um etwas sehr Wichtiges handele, und war deshalb doppelt auf der Hut. Die kleinste Uebereilung von seiner Seite konnte Alles verderben.

„Die weiße Lilie vom Okano-See ist müde und traurig,“ sagte er endlich aufstehend im gütigen Tone zu dem weinenden Mädchen, ihre Hand ergreifend und sie sanft in das anstoßende Zimmer seiner Frau führend, fuhr er zu dieser gewendet fort: „Hier, Mary, unsere junge Freundin hat Dir etwas zu sagen.“

Die Indianerin schien die verlorene Sprache allmählich wieder zu erlangen, und obgleich anfänglich nur dunkel und zweideutig, waren ihre Mittheilungen doch zuletzt hinreichend, um dem Officier ein klares Bild zu verschaffen.

[316] Diese Mittheilungen waren aber in der Kürze folgende: 1200 Krieger vom Stamme der Winnebagoes lagerten wenig Meilen vom Fort entfernt am Minne-ha-ha-Falle. Sie würden noch in der Nacht geräuschlos den Fluß überschreiten und Morgen vor Tagesanbruch in den Wäldern zunächst dem Fort versteckt sein. Der Häuptling – Wiando-te – werde sodann mit 30 auserwählten Kriegern des Stammes Einlaß im Fort begehren, und sich dabei nebst seinen Begleitern ohne Anstand der üblichen Form des Ablegens der Waffen unterwerfen. Dann würde er dem Commandanten anzeigen, daß der ganze Stamm im Begriff sei, einen fernen Kriegszug gegen die Omaha’s zu unternehmen, und daß er deshalb von dem weißen Häuptling Abschied nehmen wollte. Hierauf würde er die schwarze Adlerfeder vom Haupte nehmen, und sie ihm zum Zeichen der Hochachtung überreichen. Dies sei aber das verabredete Signal für seine Begleiter, die unter ihren weiten Decken noch überdies heimlich verborgen gehaltenen Waffen zu ergreifen und den Commandanten, die Officiere und die etwa noch bei der Conferenz Anwesenden plötzlich zu ermorden. Hierauf wollten sie über die also überrumpelte Besatzung herfallen, und mit Hülfe der in der Nähe versteckten und jetzt durch das Kriegsgeschrei des Stammes Herbeigerufenen dieselbe vollends niedermachen. Die Blockhäuser in Brand stecken, die Wälle der Erde gleich machen, alle Ansiedlungen am rechten Ufer des Mississippi bis an den Pepin-See herab, zerstören, und die Bewohner derselben – Weiber und Kinder natürlich mit – ermorden, war dann leichte Arbeit und ein bloßes Nachspiel des blutigen Drama’s.

Soweit die Mittheilung des Indianermädchens.

„Ob ihre Abwesenheit bemerkt worden?“ fragte der Major.

„Nein. – Die zurückgebliebenen Frauen seien mit der Maisernte beschäftigt, und sie habe ihre Zeit danach gewählt; auch wisse außer ihr keine um das eigentliche Ziel der Unternehmung. Sie allein habe die Berathung der Männer belauscht; der große Geist habe sie dabei beschützt, sie und die Weißen, die ihr so freundlich gewesen.“

Das arme Mädchen war ein paar Mal nach dem Fort gekommen, und man hatte ihr daselbst den feilgebotenen Vorrath von Mocassins und ähnlichen selbstgearbeiteten Kleinigkeiten bereitwillig abgekauft. Aber Indianer vergessen und – verzeihen nie!

„Seit wann die Männer des Stammes aufgebrochen seien?“ fragte der Major weiter.

„Sie seien schon seit mehreren Wochen unterwegs. Einzeln und auf großen Umwegen habe man sich nach dem Sammelplatze begeben, um die Ansiedler nicht vor der Zeit zu allarmiren.“ „Wann die Scheibe des Mondes das nächste Mal ganz verdunkelt ist, sind die Krieger der Winnebagoes am Falle des Minne-ha-ha,“ waren Wiando-te’s letzte Worte in jener Berathung gewesen. Und die heutige Nacht war Neumond.

Der ganze teuflische Plan lag jetzt dem Officier klar vor Augen. – Er strich mit der Hand gedankenvoll über die jetzt wieder eiskalte Stirn und kämpfte mit der ganzen Energie, deren er fähig war, gegen das Fieber an, das seinen Körper durchschüttelte. Das Leben seiner Untergebenen, seiner Familie, das von ein Paar Hundert Ansiedlern mit ihren Frauen und Kindern – an sein eigenes dachte er kaum – hing an einem einzigen Haare.

Er öffnete das Fenster und blickte lange in die schweigende Finsterniß hinaus. Die Runde trat eben unter Gewehr. Sie rief die Außenposten an. – „All right!“ lautete die gewöhnliche Antwort. Es war zehn Uhr. – All right! Die 1200 blutgierigen Teufel waren vermuthlich schon auf ihrem Posten.

So gut er sie auch kannte, diesmal hatte er sich völlig von ihnen einschläfern lassen. War das Mädchen nicht – mußte er sich gestehen – so erlebte Niemand zwischen dem Minnesota - Fluß und Pepin-See den kommenden Abend. Aber auch jetzt noch – gewarnt wie er war – war die Lage von furchtbarem Ernste. Den Häuptling mit seinen 30 Genossen bekam er freilich in seine Gewalt, aber vermochte er dann den wüthenden Anfällen von 1200 rachgierigen Dämonen, bewaffnet, wie seine eigenen Leute, mit Aussicht auf Erfolg Widerstand zu leisten? – Thorheit. – Die Blockhäuser waren von Holz mit schwacher Erdverkleidung, die Wälle an vielen Stellen schadhaft, – die Besatzung 180 Mann. Konnte er – sich bis auf den letzten Mann schlagend – die Indianer so lange aufhalten, bis die südlich wohnenden Ansiedler der Gegend – von ihm gewarnt – sich über den Mississippi zurückgezogen hatten? – Er hoffte es. Eine Weile lang schritt er nachdenklich im Zimmer auf und ab, dann ließ er die drei Officiere der Besatzung rufen und es war bereits tief in der Nacht, als diese sich von ihm trennten.

Als die Octobersonne am andern Morgen über den Wipfeln der Bäume aufging, zählte die Schildwache von Fort Snelling 31 indianische Reiter, die, einer hinter dem andern hervorbrechend, langsam den freien Raum bis zum Fort durchritten. Hier sprangen sie von ihren Pferden und der Vornehmste unter ihnen begehrte eine Unterredung mit dem Commandanten. Sie wurde bewilligt. Die Zugbrücke rasselte herab und die Männer traten einzeln in’s Innere, daselbst sogleich ihre Flinten, ihre Tomahawks und ihre langen Messer der Wache übergebend. – Es waren wilde und trotzige Gestalten. Ueber die bis zur Hälfte nackten Oberkörper war die bunte wollene Decke geworfen, die, am Halse befestigt, ihnen bis an die Fersen reichte. Die langen, schwarzen Haare hingen ihnen in einem dicken Zopfe bis über den Nacken herab; da, wo sie am Wirbel zusammengebunden waren, ragte die Adlerfeder empor, die des Häuptlings hoch über die andern heraus. Ihre Gesichter waren roth bemalt, mit schwarzen Rändern um Mund und Augen – die Farben des Krieges. Sie sahen in der That mehr gestreiften Hyänen als Menschen ähnlich. – Ein Officier führte sie in den untern Raum des zur Caserne eingerichteten großen Blockhauses, hieß sie hier Platz nehmen und den Commandanten erwarten,

Als die Thür sich einige Minuten später öffnete, sahen die Indianer eine halbe Compagnie Infanterie in den Raum rücken und ihnen gegenüber mit aufgenommenem Gewehre Posto fassen. – Wenige Augenblicke später trat Major Dean mit seinen Officieren ein. Er sah noch sehr bleich aus und litt augenscheinlich, aber sein Gang war rüstig, seine Haltung aufrecht.

Wiando-te erhob sich bei seinem Eintritte.

Sein Name war vormals der Schrecken aller Ansiedler gewesen; er hatte Jahre lang einen systematischen Vernichtungskrieg gegen sie geführt und zahllos waren die Beispiele wilder Grausamkeit, die man sich von ihm erzählte. – Seit länger als zwei Jahren war er indeß fast vergessen. Die übereinstimmenden Berichte der kanadischen Pelzhändler schilderten ihn als einen völlig veränderten Mann, der nichts mehr wünsche, als freundliche Beziehungen zwischen seinem Stamme und den Weißen. Niemand hatte zeither über ihn zu klagen gehabt. Bereitwillig hatte er den Tauschhandel mit den vom Superior-See herabkommenden Kaufleuten begünstigt. Der Major hatte ihn lange beobachten lassen und wiederholt die beruhigendsten Berichte über seine Bekehrung nach Washington gesendet.

„Die Krieger der Winnebagoes sind nur ihren Feinden auch ohne Waffen furchtbar,“ sagte der Häuptling mit Hohn, während sein dunkeles Auge zornige Blicke schoß. „Mein Bruder gehört nicht unter ihre Feinde. Warum fürchtet er sich?“

„Die Krieger meiner Farbe tragen ihre Waffen offen,“ war die trockene Antwort; „meine Brüder halten die ihrigen unter ihren Decken verborgen.“

Das Gesicht des Indianers verrieth nicht die mindeste Bewegung, auch die Männer seines Gefolges blieben stumm und theilnahmlos, wie die Bildsäulen.

„Mein Bruder sieht die Männer meines Stammes mit den Zeichen des Krieges geschmückt,“ fuhr der Häuptling nach einer Pause fort; „aber sie leben in Frieden mit den bleichen Gesichtern.“

Major Dean war dicht an ihn herangetreten. Mit einem plötzlichen Griffe, der, schnell wie der Gedanke, den Indianer völlig überraschte, riß er ihm die Adlerfeder vom Haupt und warf sie vor ihm auf den Boden,

„Fertig!“ commandirte der Officier an die anwesende Mannschaft. Die Gewehre klirrten, die Hähne knackten fast gleichzeitig zwei Mal kurz hinter einander. Dann hätte man eine Fliege summen gehört, so still war es plötzlich in dem geräumigen Blockhause.

In den wilden Gesichtern der anwesenden Winnebagoes bewegte sich auch nicht eine Muskel; keine Augenwimper zuckte, – und dennoch war unter ihnen allen auch nicht einer, der nur einen Augenblick daran gezweifelt hätte, daß seine letzte Stunde gekommen sei.

„Wiando-te,“ sagte der Major, „ich weiß, weshalb Du gekommen bist. Ich habe Freundschaft und Frieden geübt und Du bringst Verrath und Meuterei. Doch der große Geist ist mit den weißen Männern, die großmüthiger sind, als ihr. Geh und sage Deinen 1200 Kriegern, daß ich gerüstet bin, sie zu empfangen.“

Der Häuptling wandte sich der Thür zu und schritt, ohne ein Wort zu erwidern, von seinen Begleitern gefolgt, langsam durch die Reihen der vor dem Blockhause aufmarschirten Soldaten. Die Wache hatte Befehl, ihnen die Waffen wieder auszuliefern. Dann setzten sie sich zu Pferde und ritten eben so langsam dem nahen Walde zu.

Die nächsten Stunden waren bange Stunden für die Besatzung. Nur Major Dean war seiner Sache gewiß. Er wußte, daß die Indianer, selbst unter sonst günstigen Chancen, nur mit dem größten Widerwillen dann angreifen, wenn sie ihren Feind in Bereitschaft wissen. Auf alle Fälle hatte er Zeit gewonnen und die noch in der Nacht von ihm benachrichtigten Ansiedler südlich des Forts hatten Muße, ihre Frauen und Kinder über den Strom hinüber und in Sicherheit zu bringen. Den nördlich und westlich von ihm Wohnenden konnte er aber ohnedies keine Hülfe mehr gewähren. Er hatte richtig gerechnet. Die Indianer griffen nicht an und die Tags darauf abgeschickten Patrouillen brachten einstimmig Meldung von ihrem Abzüge.

Es gab Viele, die den Major bitter tadelten. Selbst seine eigenen Behörden haben das eine unzeitige Großmuth genannt, was – bei aller Großmuth – nichts als kluge Berechnung war. Der Erfolg rechtfertigte den Mann. Der vereitelte Schlag Wiando-te’s, des Winnebagoe-Häuptling’s, war die letzte, großartig angelegte Bewegung der Indianer in Minnesota. Alle späteren Feindseligkeiten derselben, die neuesten erst recht, die vor zehn Monaten die Runde durch alle Zeitungen machten, sind bloßes Kinderspiel dagegen.


In Lessoueur County liegt ein großer Landsee, mehrere Stunden breit. Die Ansiedler der Gegend haben ihn „Clear Lake“ getauft, wegen der durchsichtigen Klarheit seines Wassers. Am östlichsten Ende des Sees steht noch und stand schon Hunderte von Jahren vor Christoph Columbus ein mächtiger Hickory-Baum, weit die umstehenden Stämme des Urwaldes überragend, die – Riesen, wie sie sind – wie Kinder neben ihm aussehen. Am Fuße des Baumes, von seinen gewaltigen Zweigen beschattet und von den Wellen des Sees bespült, ist ein Indianergrab, nur erst wenige Jahre alt und mit dem Pfeile und der Adlerfeder versehen. An schönen Frühlings- und Herbstmorgen finden die dortigen Hinterwäldler häufig den Hügel mit Blumen geschmückt und wissen dann, daß eine von den einzeln noch herumstreichenden Indianerbanden in der Nähe ist. Das Grab aber ist das Wiando-te’s, des ehemaligen Häuptlings vom Stamme der Winnebagoes, der dort im Lande seiner Väter ruht. – Nur gehört die östliche Ecke des Sees – das Grab also mit – zur Zeit einem deutschen Ansiedler, der früher als k. k. Gensd’arm an der sächsisch-böhmischen Grenze stand und sich seit achtzehn Monaten dort angesiedelt hat.

Die weiße Lilie vom Okano-See kehrte nicht wieder zu ihrem Stamme zurück. Sie blieb in der Familie des Major Dean, bei dem sie augenblicklich noch ist.

Gtz.