Die „stolzen Spanier“ als Ritter von der traurigen Gestalt

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Titel: Die „stolzen Spanier“ als Ritter von der traurigen Gestalt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 753–754
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[743]

Spanische Recruten in San Sebastian, Briefe schreibend. Nach der Natur aufgenommen von Rudolf Sprenger in San Sebastian.

[753] Die „stolzen Spanier“ als Ritter von der traurigen Gestalt. (Mit Abbildung, S. 743.) Der Zeichner unserer heutigen Skizze macht uns aus San Sebastian (Provinz Guipuzcoa) in den Pyrenäen interessante briefliche Mittheilungen über die neuesten Recrutenaushebungen in Spanien. Auf Grund dieser Mittheilungen geben wir im Folgenden einige Erläuterungen zu dem charakteristischen Bilde.

Es ist eine alte Geschichte, daß die Praxis selten mit der Theorie gleichen Schritt hält. Beide in Einklang zu bringen, ist auch der republikanischen Regierung in Spanien nicht gelungen. Nachdem Amadeo vom Schauplatze der Begebenheiten abgetreten, wurde als eine der größten Errungenschaften der „wieder erworbenen Freiheit“ dem Volke das neue Evangelium der Abschaffung der quintas oder Recrutenaushebungen gepredigt. Manche schöne Phrase ist über diesen Gegenstand, geschrieben und gesprochen, in die Welt geschickt worden. Die natürliche Folge davon war Mißtrauen, Ungehorsam, thätliche Auflehnung gegen die Vorgesetzten und theilweise gänzliche Auflösung der einzelnen Corps. Der Carlistenaufstand gedieh unter solchen Umständen auf das Trefflichste, und seine Parteigänger konnten sich ungestraft die größten Schandthaten zu Schulden kommen lassen. Im Süden halfen ihnen später die Communisten und anderes Gesindel. Der Einberufung der Reserven folgte eine Recrutenaushebung, wie sie in so absoluter Weise unter anderen Regierungen niemals in’s Leben getreten war. So fiel man, wie es häufig zu geschehen pflegt, von einem Extrem in’s andere.

Die auf dem gegenwärtigen Bilde dargestellten Recruten gehören zu der ungefähr zweihundert Mann starken Abtheilung, die nach San Sebastian zur Instruction geschickt wurde. Die theilweise noch blutjungen Leute kamen am Morgen des zweiten September mit dem Dampfer „Isla de Cuba“ von Santander auf der Rhede von San Sebastian an und wurden mittelst kleiner Dampfböte sogleich ausgeschifft. Noch halb seekrank, wahre Ritter von der traurigen Gestalt, wankten die armen Kerle über den Hafendamm, um sich nach und nach in Compagnien zu formiren. Eine solche Menge verkommener und verwahrloster Menschen ist wohl selten auf einem Haufen gesehen worden. Kein Wunder! Denn die Losung bei der Aushebung hieß:

„Und folgt ihr nicht willig, so braucht man Gewalt.“

Man hat eben Alles genommen, was nicht geradezu bucklig oder lahm war; denn über Einäugige und Taube hat man leicht hinweggesehen. Und dann ohne Weiteres auf die Reise!

Viele waren ohne jegliche Kopfbedeckung, Andere mit einem schmal zusammengelegten, oder auch den ganzen Haarwuchs fast bedeckenden, meist weißen, gelben oder rothen Kopftuche versehen, dessen Enden oft auf den Nacken herniederfielen. Hemdsärmel, eine Weste von eigenthümlichem Schnitt und oft aus den buntfarbigsten Zeugen zusammengesetzt, zerrissene Kniehosen von lederartigem grobem Tuche, einst weiß gewesene Strümpfe ohne Socken, Sandalen an den nur spärlich umhüllten Füßen – das sind die Bekleidungsstücke dieser „stolzen Spanier“. Es waren meistens Land-Leute [754] Leute aus den Provinzen Leon, Salamanca und Avila. Die aus den größeren Ortschaften trugen größtentheils Mützen und Filzhüte, braune Jacken, lange braune Beinkleider und lederne Schuhe.

In den ersten Tagen ihrer Anwesenheit in San Sebastian waren fast alle diese angehenden Soldaten unzertrennlich von einem kleinen weißleinenen Beutel, den jeder statt eines Tornisters an leinenem Tragriemen auf dem Rücken überall hin mit herumschleppte und in dem die Meisten einige Eßwaaren, vielleicht das letzte, was ihnen Mutter oder Schwester zugesteckt, aufbewahrten. Der Eindruck, den diese armen Kinder des stolzen Spaniens hervorriefen, war eher der von Zigeunerbanden, die in Strafanstalten geführt werden, als von angehenden Soldaten.

Man sieht, wie in Spanien Alles spanisch zugeht, so ging’s auch bei der Recrutenaushebung. Von der Regierung ist fast gar nicht oder doch sehr unvollkommen für die Bekeidung und Unterbringung der Wehrpflichtigen gesorgt worden. Viele Casernen im spanischen Reiche stehen leer, da Vorräthe an Betten und sonstigem Mobiliar fast gänzlich fehlen. In San Sebastian müssen die Bürger alle Lasten der Einquartierung tragen. Als echte Kinder des südlichen Himmels campiren die Recruten indessen meistens unter freiem Himmel.

Scenen, wie unser heutiges Bild eine darstellt, kann man täglich auf den Promenaden San Sebastians und besonders auf den Bänken der Kirchenvorplätze sehen. Da sitzen sie, diese zerlumpten und verhungerten Gestalten, die höchst primitive Feder in den ungelenken Händen, und berichten über ihre beklagenswerthe Lage in die Heimath, an Eltern und Geschwister, an die Geliebte und die Freunde. Diese armseligsten Briefsteller von der Welt, was werden sie den Ihrigen zu erzählen haben! Elend und Entbehrung, Noth und Drangsal. Die Sehnsucht nach besseren Zeiten wird wohl in allen diesen Briefen der immer wiederkehrende Refrain sein, ein Wunsch, der gewiß von allen Völkerschaften des schönen Spaniens getheilt werden wird.