Deutschlands Colonialbestrebungen/Die Marshall-Inseln

Textdaten
<<< >>>
Autor: O. Finsch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Marshall-Inseln
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 37–38
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Reihe: Deutschlands Kolonialbestrebungen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[37]

Deutschlands Kolonialbestrebungen.

Die Marshall-Inseln.
Von Dr. O. Finsch (Bremen).

Neben den Karolinen sind die Marshalls, auf welchen vor Kurzem die deutsche Flagge gehißt wurde, die bedeutendste Inselgruppe des westlichen Stillen Oceans. Sie erstrecken sich, zwischen dem 5. und 12. Grade nördlicher Breite, über einen ungeheuren Flächenraum von nahezu sieben Breiten- und zwölf Längengraden und zerfallen in eine westliche und eine östliche Inselkette. Erstere, Ralik genannt, zählt elf, letztere, Ratak, dreizehn Atolle, Ring- oder Lagunen-Inseln. Der Gesammtflächeninhalt dieses Archipels wird auf etwa 2000 Quadratkilometer berechnet, die Bevölkerung auf etwa 10000 Seelen, was jedenfalls viel zu hoch gegriffen ist.

Ein Atoll, das bekanntlich mikroskopisch winzigen Korallthierchen seine Entstehung verdankt, besteht aus einer größeren oder geringeren Anzahl von Inseln, die meist ring- oder eiförmig eine ruhige Wasserfläche, die Lagune, umschließen. So wird die an 27 Seemeilen lange und circa 17 Seemeilen breite Lagune des Atoll Jaluit (Dschaluit) oder Bonham von nicht weniger als 58 Inseln und Inselchen umrahmt. Die Gesammtzahl des ganzen Inselreiches ist eine noch ungezählte. Die Inseln, von denen keine eine hervorragendere Größe erreicht, bestehen meist aus länglichen, aber schmalen Streifen Land, die sich nur wenige Fuß über die höchste Fluthmarke erheben und selbst vom Deck eines größeren Schiffes selten weiter als 10 bis 14 Seemeilen erkennbar sind.

Pantomime auf den Marshall-Inseln.
Nach Skizzen von Dr. O. Finsch für die „Gartenlaube“ auf Holz gezeichnet von A. von Roeßler.

Der vielen Riffe halber, welche die Inseln umgeben und die zum Theil bei Ebbe trocken laufen, hat die Schifffahrt mehr Fährlichkeiten als anderwärts. Denn auch die Lagunen sind nicht frei von „Patches“, wie Korallenuntiefen genannt werden, und die oft sehr schmalen Passagen, welche die Lagune mit dem Ocean verbinden, zuweilen gefährlich. Ihre Einsegelung erheischt daher große Vorsicht und Lokalkenntniß, schon der herrschenden Strömungen wegen, die je nach Ebbe und Fluth sehr wechseln. Manche Atolle besitzen mehrere praktikable Passagen, andere gar keine; das Landen ist daher selbst für Boote zuweilen nicht ganz gefahrlos.

So sehr auch der Anblick von Land mit grünen Bäumen nach langer ermüdender Seereise das Auge erfreut, bald lernt man einen der Hauptcharaktere der Atolle, ihre Einförmigkeit, kennen. In der That gehören sie zu den armen Gebieten unseres Planeten, wie dies bei einer vorherrschend steinigen, mit Korall- und Muscheltrümmern bedeckten Erdoberfläche nicht anders sein kann. Nur an wenigen Plätzen hat sich so viel Humus gebildet, daß Brotfrucht und andere Bäume gedeihen, oder daß die Eingeborenen in beschränkter Weise Arrowroot bauen können und so die einzige Landwirtschaft betreiben, soweit von solcher überhaupt die Rede sein kann. An Viehzucht ist natürlich nicht zu denken; nur Schweine und Hühner finden sich in beschränkter Anzahl. Aber das Thierreich entfaltet im Meere einen wunderbaren Reichthum, namentlich an buntfarbigen Fischen, vor deren Genuß übrigens ernstlich zu warnen ist, denn viele sind, wenigstens zu gewissen Zeiten, giftig, und ich habe selbst Eingeborene in Folge einer Fischmahlzeit sterben sehen.

Diese in groben Zügen gegebene Schilderung eines Atolls, die ich sowohl in der Südsee als im Indischen Ocean kennen lernte, paßt im Wesentlichen auf alle. Sie alle verdanken die Möglichkeit, Menschen überhaupt ernähren zu können, einem Baume, der unter diesen bescheidenen Bodenverhältnissen gerade sehr gut gedeiht und wohl mit zu den nützlichsten zählt, welche die Natur hervorbrachte: der Kokospalme! Sie ist es, welche wiederum den weißen Mann veranlaßte, sich auf diesen einsamen Inseln niederzulassen. Denn Kopra, das heißt der in Stücke geschnittene, getrocknete Kern, das Fleisch der Kokosnuß bildet für die Atolle, wie fast für die ganze Südsee überhaupt, den einzigen bedeutungsvollen Ausfuhrartikel nach Europa. Hier wird sie in Fabriken, von denen in Deutschland Harburg und Magdeburg solche besitzen, zu Oel und Seifen verarbeitet, während die Preßrückstände der Viehzucht werthvolle Oelkuchen liefern. Der Preis der Kopra ist stetigen Schwankungen unterworfen. Er betrug vor mehreren Jahren noch 400 Mark pro Tonne, ist aber auf 200 bis 260 herabgegangen. Die Gesammtausfuhr der Marshall-Inseln mag, je nach dem Ausfall der Ernte, zwischen 1000 bis 1500 Tonnen betragen und wird, wie der ganze Handel, fast ausschließlich von zwei deutschen Firmen: der Handels- und Plantagen-Gesellschaft und Robertson und Hernsheim in Hamburg betrieben. Beide Häuser haben ihre wohleingerichteten Etablissements auf der Insel Dschabwor des Atoll Jaluit, welches somit nicht allein fur die Marshalls, sondern für ganz Mikronesien den Centralpunkt des Verkehrs bildet. Auf Jaluit kann man nicht nur ungefähr Alles kaufen, was der civilisirte Mensch zum Leben bedarf, von der Segelnadel bis zur Nähmaschine und vom Schiffsbrot bis zur Straßburger Gänseleber-Pastete, sondern auch in einem regelrecht eingerichteten Hôtel Unterkommen finden.

[38] „Black Tom“, der schwarze Thomas, ein Neger aus Süd-Karolina oder daherum, der, wie er selbst sagt, „der erste Weiße“ war, der sich auf Samoa niederließ, hat endlich auf Jaluit ein ruhiges Plätzchen gefunden, nachdem er Samoa wegen Einbruchs schleunigst verlassen mußte und später auf Madjuru von den Eingeborenen fast erschlagen wurde, weil er ihre Kopra für die seinige hielt. Black Tom ist jetzt ein wohlsituirter Mann und eine jener Südsee-Typen, die hoffentlich immer seltener werden. Und dazu wird das neue deutsche Protektorat jedenfalls das Seinige beitragen, damit auch hier Jene unlauteren Elemente verschwinden, welche bisher in der Südsee eine oft nur allzu große Rolle der Willkür spielten und den Eingeborenen in keiner Weise als Vorbild dienten.

Außer Jaluit besitzen nur noch Ebon, Namerik, Milli, Madjuru und Arno Stationen von Kleinhändlern, welche für die genannten Firmen oder auf eigene Rechnung Kopra von den Eingeborenen tauschen oder kaufen, denn in den Marshalls ist vielfach bereits Geld und zwar der chilenische Dollar eingeführt. Auf Ebon verlangen die Eingeborenen bereits einen solchen als Tagelohn! Die Mission, welche schon an 25 Jahre und mehr in den Marshalls thätig ist, über die vorher genannten Inseln aber bisher nicht hinauskam, hat die Eingeborenen eben klug gemacht, im Ganzen aber keine großen Erfolge zu verzeichnen. Die Gesammtzahl der Getauften geht über mehr als 300 wenig hinaus; auf Jaluit mit angeblich an 1400 Einwohnern giebt es kaum 20 Kirchengänger.

Marshall-Insulanerin (Jaluit).
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. O. Finsch.

Marshall-Insulaner (Jaluit).
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. O. Finsch.

Von Plantagenwirthschaft kann auf den Marshalls nur die der Kokospalme in Betracht kommen. Adolf Capelle, ein Braunschweiger, der Erste, welcher sich vor mehr als 20 Jahren als Kaufmann in der Gruppe niederließ und die Eingeborenen Kopra machen lehrte, hat eine solche Kokospflanzung auf der ihm gehörigen Insel Liekip angelegt.

Ueber die Eingeborenen, welche der braunen, schlichthaarigen Südsee-Rasse, den eigentlichen Polynesiern angehören, da eine Absonderung in „Mikronesier“ ganz unhaltbar ist, läßt sich im Ganzen wenig sagen. Ich habe schon früher in diesem Blatte (Jahrg. 1881, Nr. 42, S. 700) ein anschauliches Bild ihres Lebens, ihrer Sitten, socialen Zustände und ihres Charakters entworfen, das noch heute zutreffend ist, nur daß die Eingeborenen noch mehr an Originalität verloren haben. Auch Konig Lebon Kabua hat die Regierungssorgen aufgegeben und sich seinen Gläubigern auf eine der nördlicheren Inseln entzogen. Loiak, sein damaliger Gegner, führt gegenwärtig die schattenhafte Macht eines „Iroidsch-lablab“ oder „Ober-Häuptlings“, welche hauptsächlich in der Oberaufsicht der heirathsfähigen Mädchen besteht, die einen erheblichen Theil seiner Revenuen bilden.

Auf den nördlichen Inseln der Gruppe mag noch heutigen Tages mehr Originalität herrschen, wie ich sie vor fünf Jahren fand. Hier kleidet man sich zum Theil noch in die schönen Matten, deren Rand mit zierlichen Mustern in aufgenähter Arbeit versehen ist. Oder der Mann und Krieger schreitet in dem charakteristischen „Ihu“, einem langen, aus Pflanzenbast verfertigten Rocke einher, das lange Haar auf dem Wirbel in einen Knoten geschürzt. Tätowirung und Blumenschmuck sind zur Verschönerung noch im Schwange, wozu auch die oft enorme Ausdehnung des Ohrlappens gehört, wie ihn unsere Abbildung nach einer von mir gefertigten Photographie zeigt. Hier konnte man noch originelle und lebensvolle Bilder des Volkslebens sehen, Scenen, wie die auf unserem Hauptbilde (S. 37) dargestellte. Sie betrifft eine jener mimischen Vorstellungen, wie sie gerade für die Marshall-Insulaner charakteristisch sind. Der Hauptacteur, gewöhnlich ein Häuptling oder Vornehmer, sitzt fein geschmückt in der Mitte und giebt seine Künste zum Besten, die in nichts bestehen als zitternden Armbewegungen, Kopf- und Augenverdrehungen! Die Frauen und Mädchen singen dazu eine einfache Strophe, welche mit ohrenzerreißendem Gellen endet und bei der mächtige hölzerne, mit Haifischhaut überzogene Trommeln die wirksame Begleitung und den Takt abgeben. Ein solches Musikfest, dessen Schönheit zu begreifen man geborener Kanaker sein muß, dauert oft eine ganze Nacht.

Im Anschluß an meine frühere Schilderung des Krieges von 1880 will ich ergänzend noch bemerken, daß derselbe auf Jaluit zwar keine Opfer, dagegen im Norden der Ralikkette einen blutigen Abschluß fand. Die beiden kleinen Inseln Ronelap und Ronerik, je mit etwa 100 Einwohnern, hatten kaum erfahren, daß ihre beiderseitigen Herren Kabua und Loiak in Fehde lagen, als sie über einander herfielen. Dabei wurden die Bewohner der einen Insel fast sämmtlich erschlagen und zwar nur mit den landesüblichen Waffen, denn Gewehre besaßen diese Insulaner noch nicht.