Deutsches Schauspiel zu Venedig (Deutsches Museum)

Textdaten
Autor: August Gottlieb Meißner
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Titel: Deutsches Schauspiel zu Venedig
Untertitel:
aus: Deutsches Museum. 2. Jahrgang, 2. Band, S. 33-40
Herausgeber: Heinrich Christian Boie, Christian Wilhelm von Dohm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1777
Verlag:
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
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Quelle: UB Bielefeld
Kurzbeschreibung:
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Deutsches Schauspiel zu Venedig.
Eine Anekdote.[1]

Alexander, Erbprinz von W–g, hatte den Einfall, den schon mancher deutscher Prinz gehabt, Italien zu durchreisen; ob aus Begierde, sich umzusehen, oder selbst gesehen zu werden; ob um allda die väterlichen Schäze auszustreuen, oder neue Kenntnisse zu sammlen; das weis ich nicht. Genug! er reiste; und das einzige, was ihn von dem grösten Theil seiner Vorgänger unterschied, war die Gesellschaft eines der einsichtsvollsten Deutschen, des Kammerherrn von E–l.

[34] Es ist leicht zu errathen, daß auch Venedig auf dieser Reise nicht unbesehen blieb; und diese prächtige, in so manchem Betracht einzige Stadt, gefiel dem Prinzen so wohl, daß er über die bestimmte Zeit in ihr zu verweilen beschloß. Seine Freygebigkeit und Sanftmut machten ihn überall beliebt, und binnen kurzer Frist befand er sich mit den vornehmsten Häusern in einem gesellschaftlichen Zirkel, der manche Annehmlichkeit bey sich führte.

Nur etwas war kränkend für ihn. So oft er sich zu einem der ersten Nobili eingeladen sah, machte auch allezeit ein kleines italienisches Schauspiel den Beschluß des Festes, und fast ohne Ausnahme ward in diesem eine oder die andere deutsche Sitte lächerlich gemacht. – Der Prinz, der sich hier nicht der Gewalt erfreuen konnte, die er in seinem Vaterland hatte, ertrug es mit Unwillen, aber stillschweigend, und alle seine Begleiter folgten diesem Beyspiel, den einzige Kammerherrn ausgenommen.

Dieser, der zu gut seine eigene Erhabenheit, und die Erhabenheit seines Volkes fühlte, versicherte oft unter seinen Bekannten, daß er sich für diesen Schimpf zu rächen gedenke, und bloß der Gedanke an die heimtückische Gemütsart der Landeseinwohner machte, daß er sich in fremder Gegenwart mässigte.

Indeß nahte sich der Augenblick des Abschiedes, und der Prinz lud noch den Abend vor seiner Abreise alle seine bisherige Gastfreunde zu sich, nur ihnen den Dank für ihre Geselligkeit abzustatten. —

Sie fanden sich zahlreich ein, der ganze Tag floß in Wohlleben dahin, die Abendtafel war schon geendigt, und man war nun eben im Begriff sich zu den Kartentischen zu lagern, als der Kammerherr von E–l die ganze Gesellschaft aufs höflichste anredete:

„Sie hätten,“ sagt’ er, „so oft das Aug und Ohr des Prinzen, seines Herrn, durch Schauspiele ergözt, die nichts anders als sehr gut, hätten seyn können, da sie italienisch gewesen wären. Es wäre ihm zwar unmöglich mit [35] gleich guter Münze Zahlung zu leisten; gleichwol würd’ es ihm schmeicheln, wenn sie heut’ ein deutsches Stück, so gut, als es hier möglich zu machen gewesen sey, auch auf einige Augenblicke ihrer Aufmerksamkeit zu würdigen geruhten.“

Alle und selbst der Prinz staunten. Zwar errieth dieser leztre etwas von dem, was da folgen könnte; aber er ging wenigstens gleich den übrigen voll Neubegier seinem Kammerherrn nach, der die Gesellschaft in den Hof des Hauses herunter führte.

Ganz in der äussersten Ecke desselben sahen sie eine Art von elender Breterbude zusammengefügt, vor welcher rings umher Stühle gesezt waren. Man ließ sich nieder, und steckt schon höhnisch lachend die Köpfe zusammen; der Vorhang ging auf; und das spöttische Flüstern mehrte sich; denn der Schauplaz stellte eine ziemlich elende Strasse vor, in welcher einige wenige hin und wieder zerstreute Lampen, die Nacht mehr erleuchten sollten, als wirklich erleuchteten.

Endlich erschien ein deutscher Reisender, einfach, aber gut gekleidet, und seinen Leib mit einem Gurt umschnallt, in welchem zwey Pistolen steckten; er sah sich überall, neugiervoll, als ein Mann um, der sich an einem ihm ganz fremden Orte befindet, und ein kleiner Monolog bewies es bald noch mehr.

„Er komme,“ sagt’ er, „in tiefer Nacht zu Siena ein, und sey ungewiß, ob er noch irgendwo eingelassen werden dürfte. Müde von der weiten Reise verlange freylich sein Körper nach Ruhe, aber kaum würde sie dießmal ihm zu Theil werden. Je nun! besser sey freylich besser; aber ein kleines Uebel ertrüge man leicht, zumal wenn man ein Deutscher sey. Denn was sey wol diesem Volke furchtbar?“ „Ha! geirrt! (strafte er sich selbst) Es ist wahr, wir ertragen ziemlich viel. Hunger und Durst; Hiz und Kälte; Gefährlichkeiten des Krieges und der Reise; nur etwas nicht, was doch sonst die Wollust mancher weiblichen Völkerschaft ausmacht; – ein Leben ohne Beschäftigung. – Mag doch die Nacht noch einmal so lang seyn! Mag doch der [36] Schlaf mein Auge noch einmal so heftig drücken! Beschäftigung her, und ich wache gern. – – – Und ich hätte gar keine? Ist nicht hier Licht? Hab ich nicht hier ein Buch? Freylich ist der Ort nicht der bequemste; doch was thut der zur Sache?“

Mit Endigung dieser Worte zog er ein Buch aus der Tasche, trat unter die nächste daseyende Laterne, und fing an zu lesen. – Er hatte kaum angefangen, so zog ein andres, aus einem Quergäßchen hervorkommendes Wesen die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Es war eine lange, weisse, gleichsam lüftige menschliche Figur, die den Deutschen sorgfältig von allen Seiten betrachtete, aber noch sorgfältiger es vermied von ihm gesehn zu werden, und die endlich, da sie ihn sehr emsig in sein Lesen vertieft zu seyn achtete, sich von hintenzu so nah an ihn wagte, daß sie über seine Achsel mit in das Buch blickte, und ihr Erstauenen über dasselbe durch Mienen an den Tag legte.

Der Deutsche seines Orts fand bald, daß Lesen eine Beschäftigung sey, die sich nicht leicht unter freyem Himmel, in einer so schwülen Nacht, und nach den Beschwerlichkeiten einer weiten Reise unternehmen liesse; seine Augen wurden immer schlaftrunkner, und er steckte mißvergnügt sein Buch wieder ein.

„Ist es denn wirklich so spät? Sollt’ ich denn gar niemanden mehr zu ermuntern verhoffen?“ brach er endlich aus, zog seine Repetiruhr hervor, ließ sie schlagen, und es schlug 12 Uhr.

Mit jedem neuen Schlage wuchs das Erstauenen des dahinter stehenden Geschöpfes, und in seinem Blick sprach die dringendste Neugierde.

„Zwölf Uhr erst?“ fing der Deutsche wieder an: „das ist so spät eben noch nicht, zumal in einem Lande, wo man nur allzugern den Tag zur Nacht, und die Nacht zum Tage macht. Vielleicht erweck ich noch irgendwo eine mitleidige oder eigennüzige Seele.“ – Er schlug an alle Hausthüren an, aber vergebens.

[37] „Nun denn!“ rief er verdrießlich aus: „Wenn euch Klopfen nicht weckt, vielleicht ermuntert euch das!“ Bey diesen Worten zog er eine seiner Pistolen heraus und drückte sie ab. Die Todtenstille der Nacht verstärkte den Schall; das arme weisse Ding fuhr erschrocken zurück, und sein lauter Schrey machte, daß der Reisende sich umsah.

Allerdings zeigte seine erste Miene, daß ihm eine Figur, wie diese da kein alltäglicher Anblick sey; aber er faste sich bald, winkte sie zu sich, und fragte: Wer sie sey?

„Laß das jezt noch:“ erwiederte die Erscheinung, und kam näher: „Du sollst es bald hören; genug, daß ich dir nicht schaden werde.“

„Und wer besorgt das?“ antwortete der Deutsche lächelnd: „Dein furchtsamer Ausruf hat deine Zaghaftigkeit deutlich genug karakterisirt; ich wette du bist nicht weit von hier zu Hause.“

„Getroffen, wenn du von ehemals, und gefehlt, wenn du von jezt sprichst! Aber wenn du anders mit mir reden und erfahren willst, wer ich sey: so must du auch mir einige Fragen beantworten.“

„Warum das nicht! Sag’ an!“

„Du lasest vorhin in einem Heft, voller so krausen sonderbaren Figuren, als ich sie noch nie sah; geschrieben konnte das doch nicht seyn?“

„Nein das war es auch nicht; du wirst doch gedrucktes kennen?“

„Gedrucktes? Gedrucktes? Nein; der Begrif ist mir ganz fremd. Sag mir doch, wodurch unterscheidet es sich von dem Geschriebenen? Dadurch, daß 150 Menschen nicht die Hälfte von dem in einem Tag schreiben, was ein einziger binnen eben dieser Zeit druckt; daß es netter, sich gleicher und dauerhafter ist, als jenes; und daß der Preis von ihm, noch kaum den sechsten Theil des Erstern beträgt.“

„Wichtige Vortheile! in der That sehr wichtige!“ rief das fragende Ding, und legte bedächtig den Spizfinger der [38] linken Hand über die gebogene Nase. – Eine Erfindung, durch welche Litteratur und Mittheilbarkeit der Künst’ und Wissenschaften viel gewonnen haben muß!“

„Allerdings!“

„Und der Erfinder dieser nüzlichen Sache? Ich hab’ alle mögliche Hochachtung für ihn. Wer war er?“

„Ein Landsmann von mir; ein Deutscher.“

„Er macht dir Ehre, Freund. Es muß ein treflicher Kopf gewesen seyn. Ich wollte viel darum schuldig seyn, wenn er der meinige wäre. – Aber hiemit ist meine Neugier noch nicht gestillt. Du hattest da noch ein andres Ding, das zum Erstaunen richtig die Stunde angab; was war denn das?“

„Was sonst, als eine Taschenuhr.“

„Taschenuhr? hm! zu meiner Zeit kannte man nur Wasser- Sand- und Sonnenuhren; aber troz ihrer Grösse, Unbequemlichkeit und Kostbarkeit waren sie ungewiß und mangelhaft oben drein. – Ich dächte, ich dächte, ein Ding so in der Tasche bey sich herumzuführen, und so zuverlässig in seiner Anzeige müste ein trefliches Hülfsmittel auf weiten Reisen abgeben, müsse dem Wanderer und dem Handelsmann gleich nüzlich seyn.“

„Es freut mich, daß du so schnell den Nuzen von Dingen erräthst, die du zu meiner Verwunderung noch nicht kennst. – Wer bist du denn? Aus welcher Zeit stammst du her?“

„Ey was! Wer wird so neugierig seyn. Sage mir vorher, wer erfand das?“

„Auch ein Deutscher.“

„Das brave Volk! Es verdient mein Lob. Ein Deutscher! – Wer sollte das in diesen blauäugigen Barbaren gesucht haben! – Doch es sey! – Nun da ich einmal nachzuforschen angefangen habe, so besinn ich mich auf meinen alten Wahlspruch: Nie im halben Wege umzukehren. – Du hattest da noch ein Ding, das Donner und Bliz im Kleinen nachmachte, und, der Himmel weis, wie? sogar [39] in jene Thüre troz der weiten Entfernung eingeschlagen hat. Wie nennt ihr denn das?“

„Eine Pistole.“

„Und seine Natur? Die Art, wie es diese Wirkung hervorbringt?“

Der Deutsche, der einmal mit ins Reden gekommen war, nahm hier das andre Pistol hervor, wies ihm alles, erklärte seinen Bau, die Art des Pulvers, seine Macht im Grossen und im Kleinen, und kurz – verschafte ihm auch hierinn, so viel es sich in wenigen Worten thun ließ, einen hinlänglichen Begriff.

Das Erstaunen des Forschbegierigen stieg hier aufs höchste. „Wie nuzbar dieß im Kriege seyn muß! brach er aus: Wie dienlich zur Eroberung fester Städte! Wie schnell entscheidend in Schlachten! O, ich bitte dich, sage mir: Wer erfand das?“

„Wer sonst, als ein Deutscher!“

Der Geist, – denn was leugnen wir es länger, daß es ein Geist war? – bebte hier, drey Schritte zurück.

„Immer Deutscher, und wieder Deutscher!

Woher in aller Welt ist euch die Weisheit zu Theil worden? – Wisse! so wie ich hier vorstehe, so war ich einst, ohne Ruhm zu melden, der Geist des Cicero, des weisesten Mannes seiner Zeit, des Vaters seines Vaterlandes, des Siegers im Frieden, des – – doch wer kennte mich nicht? Erlaube lieber, daß ich noch, als ein Geist, die Bescheidenheit beybehalte, die mich im Leben zierte. Aber zu meiner Zeit, waren, um aufrichtig zu reden, deine Landsleute eines der dümmsten Völker, das je die Sonne beschien; rauh, wild, ohne Ackerbau und Künste, ganz den Wissenschaften fremd, ewige Jäger, ewige Krieger, in Thierhäute eingehüllt, und selbst beynahe ungezähmte Thiere. – Doch allem Ansehn nach müst ihr euch indeß treflich verändert haben. – Wenn ich mir nun izt meine damaligen Mitbürger denke, nach dem grossen Vorsprunge, den sie vor euch hatten; in Krieg und Frieden groß; Redner, Dichter, Geschichtschreiber, Herren der halben Welt, und das erste Volk [40] unter der Sonne. – – O gewiß! sie müssen izt nah an die Gottheit gränzen. – Daß ich sie sehn könnte! Nur wenige Minuten noch, und das Daseyn der ersten Stunde nöthigt mich wieder zur Unterwelt hinab, von der ich vielleicht in den nächsten 1800 Jahren mich nicht entfernen, und nur in einer weiten Einöde mit mir selbst plaudern darf, weil es dem Murrkopf Minos scheint, als hätt’ ich hier oben ehmals dann und wann zu viel gesprochen.“

Der Deutsche lächelte: „So, sagte er, wie ich bin, sind alle meine Landsleute, oder könnten es wenigstens seyn. – Gefallen wir dir doch also, so wie wir zu euch kommen?“

„Allerdings!“

„Und du mögtest gern sehen, wie die Deinigen, oder wenigstens der gröste Theil davon, zu uns kömmt?“

„O für mein Leben gern!“

„Nun, so wart’ einige Augenblicke. – Ich versteh ein wenig von der schwarzen Kunst; ich will sie izt, dir zu gefallen nüzen.“

Er winkte, und sogleich erschein auf jeder Seite der Gasse ein Savoyard.

„Kauft Hecheln! Kauft! Schöne Schattenspiel an der Wand! Schöne Margaretha! Wer schaut!?“ So erscholl es von beyden Ecken.

„Sieh,“ fuhr der Deutsche fort: „Sieh, Cicero, so kommen deine Nachkommen, die ehmaligen Herrscher der Welt, die ersten unter den Menschen, das Volk mit dem mächtigen Vorsprung, so kömmt es gröstentheils zu uns. Gefallen sie dir?“

Der Geist verstummte; Es schlug Eins, und er schien mit Unwillen von dannen zu fliehn.

Aber mit noch grösserm standen die edlen Venezianer auf; beurlaubten sich mit kaltem Lächeln, und hätten sich mit Meuchelmörderlist gerochen, wäre nicht den nächsten Tag Prinz und Kammerherr verschwunden.

A. G. Meißner.

  1. Bey Mittheilung dieses Geschichtchens müssen mir meine Leser ein paar Worte Vorerinnerung erlauben. – Ich bin so wenig dessen Erfinder, daß ich noch in Ungewißheit schwebe, ob es nicht schon irgendwo gedruckt sey. Die Quelle aus der ich schöpfte, gab mir deshalb keine Gewißheit. Gleichwohl bewog mich die Simplizität der Erfindung, das Ueberraschende des Schlusses, das Sonderbare in der Rache selbst, einst in einer müssigen Stunde gegenwärtiges aufzusetzen, und erst dann emsig zu suchen, ob sie bereits in einer von den unzähligen Anekdoten und Historiensammlungen befindlich sey. – Ich fand sie nirgends, und keiner meiner Freunde kannte sie; indeß beweist schon das oben mit Recht gebrauchte Beywort unzählig, wie trügerisch ein solches Nachsuchen sey. Wenigstens gehören mir Stil der Erzählung, zehn bis zwölf Uebergänge, und eben so viele kleine Abänderungen; daß ich sie hingegen nicht als Volkssatire, sondern nur als wiziger Einfall billige, und eben so wenig Bürge wegen der Richtigkeit der dritten deutschen Erfindung seyn mag, ergibt sich von selbst.