Des Knaben Berglied (Die Gartenlaube 1898/27)
[868] Des Knaben Berglied. (Zu dem Bilde S. 857.) Hoch oben auf freier Bergeshöh’ steht der Hirtenknabe, wie ihn Ludwig Uhland besungen hat, und jauchzt hinab ins Thal. Im frohen Genuß seiner Freiheit sieht er Schlösser und Dörfer unter sich liegen, grüßt er die Sonne, die ihm freundlich noch scheint, wenn unter ihm die Gewitterwolken sich ballen. Er möchte mit niemand tauschen, der kräftige gesnnde Gesell, der sich glücklich fühlt in seinem Berufe: „Ich bin vom Berg der Hirtenknab!“ – was könnte es Schöneres geben? Wie in kraftvoller Jugendlichkeit ihn Meister Knaus vor uns hingestellt hat, so hat ihn ähnlich gewiß die Dichterphantasie des jungen Uhland geschaut, als ihm auf einem seiner Heimatberge „Des Knaben Berglied“ in der Seele erklang. In der neuen kritischen Ausgabe, die soeben J. Hartmann und Erich Schmidt herausgaben, findet sich die Entstehungszeit auch dieses Gedichts bis auf den Tag festgestellt. Uhland schrieb es noch als Student in seiner Vaterstadt Tübingen im Sommer 1806, in dem Jahre von Deutschlands tiefster Erniedrigung unter dem Joche Napoleons. Und in dem nach des Dichters Tod von seiner Witwe zusammengestellten Buch „Ludwig Uhlands Leben“ lesen wir, daß es auf der Höhe des heimatlichen Oesterbergs entstand, wo der Dichter schon als Knabe gern weilte, lesend und sinnend, oder die Natur beobachtend, die ziehenden Wolken, das Herannahen der Gewitter. Wie die meisten seiner Jugendgedichte, entkeimte auch das Berglied bestimmten Eindrücken der Wirklichkeit, die er in der schönen Welt seiner Heimatberge empfing. Ein Gewitter, das sich über einem Thal entlud, während er selbst auf einer seiner Wanderungen noch auf freier Höh’ sich befand, war hier die Anregung. In seinem patriotischen Gemüte verschwisterte sich das Bild des Gewitters mit dem Gedanken an die der Heimat drohende Kriegsgefahr, an den von ihm ersehnten Kampf fürs Vaterland im Donner und Blitz der Schlachten.
„Sind Blitz und Donner unter mir
So steh’ ich hoch im Blauen hier;
Ich kenne sie und rufe zu:
Laßt meines Vaters Haus in Ruh!
Ich bin der Knab vom Berge!
Und wenn die Sturmglock’ einst erschallt,
Manch Feuer auf den Bergen wallt,
Dann steig’ich nieder, tret’ ins Glied
Und schwing’ mein Schwert und sing’ mein Lied:
Ich bin der Knab vom Berge!“