Der verliebte Reisende (Eichendorff)

Textdaten
Autor: Joseph von Eichendorff
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Titel: Der verliebte Reisende
Untertitel:
aus: Gedichte von Joseph Freiherrn von Eichendorff. Berlin. Verlag von Duncker und Humblot. 1837.
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1810/1812
Erscheinungsdatum: 1970
Verlag:
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Originalherkunft:
Quelle: Joseph von Eichendorff: Werke 1. Winkler Verlag München o. J. (1970), S. 59-63 Scans.
Kurzbeschreibung:
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[59]
Der verliebte Reisende

1

Da fahr ich still im Wagen,
Du bist so weit von mir,
Wohin er mich mag tragen,
Ich bleibe doch bei dir.

[60]

5
Da fliegen Wälder, Klüfte

Und schöne Täler tief,
Und Lerchen hoch in Lüften,
Als ob dein' Stimme rief.

Die Sonne lustig scheinet

10
Weit über das Revier,

Ich bin so froh verweinet
Und singe still in mir.

Vom Berge geht's hinunter,
Das Posthorn schallt im Grund,

15
Mein' Seel wird mir so munter,

Grüß dich aus Herzensgrund.

2

Ich geh durch die dunklen Gassen
Und wandre von Haus zu Haus,
Ich kann mich noch immer nicht fassen,

20
Sieht alles so trübe aus.


Da gehen viel Männer und Frauen,
Die alle so lustig sehn,
Die fahren und lachen und bauen,
Daß mir die Sinne vergehn.

25
Oft wenn ich bläuliche Streifen

Seh über die Dächer fliehn,
Sonnenschein draußen schweifen,
Wolken am Himmel ziehn:

Da treten mitten im Scherze

30
Die Tränen ins Auge mir,

Denn die mich so lieben von Herzen
Sind alle so weit von hier.

3

Lied, mit Tränen halb geschrieben,
Dorthin über Berg und Kluft,

35
[61] Wo die Liebste mein geblieben,

Schwing dich durch die blaue Luft!

Ist sie rot und lustig, sage:
Ich sei krank von Herzensgrund;

40
Weint sie nachts, sinnt still bei Tage,

Ja, dann sag: ich sei gesund!

Ist vorbei ihr treues Lieben,
Nun, so end auch Lust und Not,
Und zu allen, die mich lieben,

45
Flieg und sage: ich sei tot!


4

Ach Liebchen, dich ließ ich zurücke,
Mein liebes, herziges Kind,
Da lauern viel Menschen voll Tücke,
Die sind dir so feindlich gesinnt.

50
Die möchten so gerne zerstören

Auf Erden das schöne Fest,
Ach, könnte das Lieben aufhören,
So mögen sie nehmen den Rest.

Und alle die grünen Orte,

55
Wo wir gegangen im Wald,

Die sind nun wohl anders geworden,
Da ist's nun so still und kalt.

Da sind nun am kalten Himmel
Viel tausend Sterne gestellt,

60
Es scheint ihr goldnes Gewimmel

Weit übers beschneite Feld.

Mein' Seele ist so beklommen,
Die Gassen sind leer und tot,
Da hab ich die Laute genommen

65
Und singe in meiner Not.


Ach, wär ich im stillen Hafen!
Kalte Winde am Fenster gehn,
[62] Schlaf ruhig, mein Liebchen, schlafe,
Treu' Liebe wird ewig bestehn!

5

70
Grün war die Weide,

Der Himmel blau,
Wir saßen beide
Auf glänzender Au.

Sind's Nachtigallen

75
Wieder, was ruft,

Lerchen, die schallen
Aus warmer Luft?

Ich hör die Lieder,
Fern, ohne dich,

80
Lenz ist's wohl wieder,

Doch nicht für mich.

6

Wolken, wälderwärts gegangen,
Wolken, fliegend übers Haus,
Könnt ich an euch fest mich hangen,

85
Mit euch fliegen weit hinaus!


Tag'lang durch die Wälder schweif ich,
Voll Gedanken sitz ich still,
In die Saiten flüchtig greif ich,
Wieder dann auf einmal still.

90
Schöne, rührende Geschichten

Fallen ein mir, wo ich steh,
Lustig muß ich schreiben, dichten,
Ist mir selber gleich so weh.

Manches Lied, das ich geschrieben

95
Wohl vor manchem langen Lahr,

Da die Welt vom treuen Lieben
Schön mir überglänzet war;

[63] Find ich's wieder jetzt voll Bangen:
Wer ich wunderbar gerührt,

100
Denn so lang ist das vergangen,

Was mich zu dem Lied verführt.

Diese Wolken ziehen weiter,
Alle Vögel sind erweckt,
Und die Gegend glänzet heiter,

105
Weit und fröhlich aufgedeckt.


Regen flüchtig abwärts gehen,
Scheint die Sonne zwischendrein,
Und dein Haus, dein Garten stehen
Überm Wald im stillen Schein.

110
Doch du harrst nicht mehr mit Schmerzen,

Wo so lang dein Liebster sei –
Und mich tötet noch im Herzen
Dieser Schmerzen Zauberei.