Der schwarze Hund vom Treibholz
In einer warmen Sommernacht saß eine
Bergmannsfrau in ihrem Häuschen im
Sperrentale bei St. Andreasberg mit dem
Strickzeug am Fenster und wartete auf
ihren Eheherrn, der um 1 Uhr nachts von
der Spätschicht nach Hause kommen mußte.
Heller Mondschein lag über Wald und Feld, und
der Duft von frischgemähtem Gras drang durch das
offene Fenster ins Zimmer. Kein Laut ringsum,
nichts störte die heilige Stille. Des Mondes Silberlicht
war so stark, daß die Frau auf eine weite Entfernung
hin alles klar zu überblicken vermochte.
Sie stand auf von ihrem Stuhl, beugte sich aus dem
Fenster und spähte die Straße entlang, auf der ihr
Mann immer heimkam. Da schlug es 12 Uhr vom
Glockenturm, – die Mitternachtsstunde. Es war
noch zu früh, jetzt konnte ihr Heinrich, so hieß ihr
Mann, noch nicht heimkehren. So ging sie an ein
anderes Fenster, das an der Rückseite des Hauses,
nach der Bergseite zu, lag. Ein schmaler Weg
führte dort vorbei, den Berg hinan und dem Treibholze
zu. Als sie nun ein Weilchen aus diesem Fenster
hinaus geschaut hatte, sah sie plötzlich vom
Treibholze her einen großen, schwarzen Hund kommen.
Sie wunderte sich darüber, und ihr Erstaunen
wurde zum Entsetzen, als sie den Hund näher betrachtete.
Es war ein gräuliches, struppiges Tier
mit Augen, die wie Feuer leuchteten, mit einem rotglühenden,
feuerspeihenden Rachen, aus dem eine
lange Zunge hing. In ihrer Todesangst bekreuzigte
sie sich und stammelte ein Vaterunser. Da war der
Hund auch schon an ihrem Häuschen vorüber, lief
über die Brücke der Sperrlutter und von da weiter
die Straße entlang, die ihr Heinrich kommen mußte.
Nun packte sie eine heiße Angst, laut und hart pochte
ihr Herz, und am liebsten wäre sie ihrem Manne
entgegengeeilt, wenn die lähmende Furcht sie nicht
zurückgehalten hätte[WS 1]. Sie wartete von Schrecken und
Grauen geschüttelt, doch ihr Heinrich kam nicht, und
als die Glocken die zweite Stunde des neuen Tages
verkündeten, war er immer noch nicht da. Jetzt
weinte sie bitterlich und schluchzte: „Was mag ihm
nur passiert sein, der Hund hat ihm sicher etwas
Böses angetan!“ Eine große Unruhe trieb sie hin
und her. Endlich gegen 3 Uhr morgens kam der sehnlichst
Erwartete heim und war erstaunt, seine Frau
noch wachend anzutreffen. Weinend warf sie sich an
ihres Mannes Brust und frug: „Heinrich, wo warst
Du, ich habe mich ja so sehr gefürchtet und mich um
Dich gebangt.“ Dieser beruhigte nun seine Frau,
schalt mit ihr und sagte, sie sei eine kleine Närrin,
die in Zukunft rechtzeitig schlafen gehen sollte. Doch
auf ihre nochmalige Frage nach seinem Verbleib, erzählte
er ihr: „Denk Dir einmal, was mir passiert
ist. Als ich auf dem Heimweg von der Grube bin,
sehe ich vor dem Hause des Hufschmiedes, dort, wo
die beiden hohen Bäume stehen, den Kameraden Sch.
liegen. Ich stoße ihn an, er regt sich aber nicht.
Ich rüttele ihn und denke, hat der aber einen über
den Durst getrunken. Als er jedoch gar kein Lebenszeichen
von sich gibt, glaube ich, daß ihm doch
wohl etwas Ernsteres fehlen müsse. Ich lade ihn
mir also auf den Rücken und trage ihn nach seinem
Hause. Als dieses nun geöffnet wird und die Frau
des Kameraden und ich den Bewustlosen aufs Bett
gelegt haben, bittet mich die Frau, doch den Herrn
Oberbergchirurg A. zu holen. Ich eile fort und der
Arzt kommt gleich mit. Bald nun hat er den Kameraden
so weit, daß er ein paar Worte spricht. Er
redet wirre Sachen von einem großen, schwarzen
Hund mit feurigen Augen, schaurig anzuschauen, dem
aus einem Feuerspeienden Rachen eine lange Zunge
hängt. Als das Tier auf ihn losgesprungen wäre,
sei alles Leben aus ihm gewichen. Unser Herr
Oberbergchirurg schüttelte den Kopf, untersuchte den
Kranken, konnte aber keine Verletzung feststellen. Er
blieb dann noch bei ihm und sprach beruhigend auf
ihn ein. Ich bin dann heingegangen.“ – Darauf
[51] erzählte ihm seine Frau: „Auch ich habe den Hund
gesehen, genau so, wie ihn Dein Kamerad geschildert
hat. Dort hinten vom Treibholze ist er gekommen,
über die Brücke und die Straße gelaufen, von
woher Du kommen mußtest. Deinem armen Kameraden
ist er begegnet, und der hat sich erschreckt, daß
ihm das Blut erstarrte. Wie leicht hätte es Dir
ebenso ergehen können. O, was habe ich für eine
Angst um Dich ausgestanden.“ Ihr Mann schwieg
lange Zeit und hub dann an: „Als ich noch ein Kind
war, hat mein Großvater mir erzählt, daß es auf
dem Treibholz nicht ganz geheuer sei. Dort soll vor
langen, langen Zeiten ein Schloß gestanden haben,
dessen Bewohner sehr böse Menschen waren. Nichts
war ihnen heilig, sie nahmen, was ihnen nicht gehörte,
und was ihnen in den Weg trat, mußte sein
Leben lassen. Schon lange hatte das himmlische
Strafgericht gedroht. Sie trieben es jedoch immer
ärger, und als sie einmal wieder von einem Raubzug
zurückgekehrt waren und ein höllisches Fest
feierten, brach es, als ihre Bosheit reif geworden
war, plötzlich über sie herein. Schreckliche Blitze
zuckten hernieder, und mit furchtbarem Krachen barst
der Berg auseinander. In Feuer und Rauch versanken
das Schloß und seine Bewohner. Die unermeßlichen
Schätze aber, die sie angesammelt, werden
da unten, tief im Innern des Berges, von einem
feurigen Hunde bewacht, der jeden zerrreißt, den es
nach den Schätzen gelüstet. Nur einmal alle hundert
Jahre verläßt dieser den Ort, kommt an die Erdoberfläche,
und wem es dann glückt, während seiner
Abwesenheit an den Schatz heranzukommen, kann sich
so viel davon nehmen, daß er genug für sein ganzes
Leben hat. – Heute waren gewiß wieder einmal hundert
Jahre um, und wenn Du den Hund so genau
gesehen hast, muß es wahr sein, was mir mein alter
Großvater immer von dem großen Schatz
im Treibholze zu erzählen wußte.“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ fehlendes Wort eingefügt