Textdaten
Autor: Unbekannt
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Titel: Der erwürgte Bürge
Untertitel:
aus: Sagen aus Lübeck. In: Wünschelruthe, Nr. 20, S. 79–80
Herausgeber: Heinrich Straube, Johann Peter von Hornthal
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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1.
Der erwürgte Bürge.

In der reichen Handelsstadt Lübeck begab es ich einst, daß in des Andreas Geverds Hause aus dem Klingenberg eine Brustnadel mit Perlen geziert verloren ging. Der Verdacht fiel mehr auf einheimische als auf fremde Diebe, und der Bestohlene war sehr begierig, den Entwender zu erfahren, ging auch deßhalb viel nach Zaubermitteln aus.

In dem Hause arbeitete zur selben Zeit ein Taglöhner, des Herrn Geverds Gevatter; auf diesen kam der Verdacht. Er wurde darüber zur Rede gestellt und geradezu gefragt, ob er nicht der Hausdieb, der die Perlennadel gestohlen. Diese Frage kam dem unschuldigen Mann so unerwartet, daß er darauf erblaßte und ganz verstummte. Der Bestohlene nahm dies für ein stillschweigendes Bekenntniß, ließ ihn alsbald in Verhaft bringen und auf die Marterbank werfen, wo er zulezt sich als Thäter bekannte, aber flehentlich um sein Leben bat, weil er des Richters Gevatter sey. Der Richter aber, der hier zugleich Ankläger war, sagte, daß er keinen Dieben für seinen Gevatter erkenne, er müsse hängen, da helfe keine Freundschaft. Hierüber betrübte sich der Handwerksmann sehr und sagte, daß er unschuldig, und seinem Gevatter nichts veruntreut habe. Das Urtheil war jedoch schon fertig, und als es ihm vorgelesen wurde und er keine menschliche Rettung mehr sah, sprach er zum Richter: „Herr Gevatter, weil ich ja sterben soll, so fordere ich euch in vierzehn Tagen vor das strenge Gericht Gottes, da sollt ihr mir wegen meines unschuldigen Todes zu Recht stehn.“ Darauf wurde er fortgeführt und an den Galgen gehängt.

Wenige Tage nachher fand sich die Nadel hinter einer Bank. Darüber ging dem Bürgermeister das Unrecht sehr zu [80] Herzen, und er betrübte sich sehr wegen des Herannahens der Zeit, da er geladen war, vor Gottes Richterstuhl zu erscheinen. In dieser Traurigkeit fand ihn sein Diener, der in Geschäften verreis’t gewesen, und von dem Vorgang nichts wußte. Dieser fragte seinen Herrn, was er für ein Anliegen habe, und ob er ihn wieder fröhlich machen könne. „Ach nein, sagte der Herr tiefseufzend, du kannst mir nicht helfen, denn ich bin von einem Dieben vor Gottes Gericht geladen, da muß ich selber kommen, und schwere Rechenschaft geben.“ Der Diener meinte, das sey Einbildung, und er wolle sich selbst für ihn zum Bürgen stellen und die Gefahr auf sich nehmen, gegen einen neuen Rock von Niederländer Tuch. Hocherfreut hieß ihm der Herr vom besten Tuch seines Lagers nehmen, und wurden sie also einig.

Wie dieser Vertrag gemacht war, ließ Herr Geverds seine Freunde und Nachbarn zu Gaste laden, sich zu freuen, weil er einen Anwald gefunden, der ihn in so gefährlichem Stande vertreten wolle. Der Diener war mit lustig, und ging dann gleich den Andern zur Ruhe, seiner Bürgschaft sich wenig erinnernd.

Um Mitternacht aber wurde in dessen Kammer ein großes Gepolter und Getümmel gehört, davon Alle im Hause erwachten, aus Furcht ging aber keiner hin, dem nachzusehn. Mit Tagesanbruch wagten sich endlich Einige daran und sprengten die Kammerthür auf; da fanden sie den Diener am Boden mit umgedrehtem Hals und zerquetschten Gliedern. Sie erschracken sehr, und wollten das an die Wand gesprüzte Blut abwischen, aber das blieb unverlöschlich daran.

Lange Jahre nachher wohnte in diesem Hause Andreas Tünte; dessen Mutter wollte den Blutflecken übertünchen lassen, aber das Blut schlug wieder durch, und es war noch zu sehen im Jahre 1608, als Gerhard Reuter daselbst gewohnt.