Der ehemalige Eisensteins-Bergbau bei Lerbach
Das Bergdorf Lerbach verdankt seine Entstehung
der Gewinnung und Verhüttung
des Eisensteins, wie Grund, Riefensbeek-Kamschlacken,
Lonau und Sieber.
Wann hier die ersten Schürfversuche
aufgenommen sind, ist nicht bekannt,
doch muß der Bergbau schon sehr alt sein. Nach
mündlicher Überlieferung zogen sich im Lerbachtale
und im nahe gelegenen Bremketale in
alter Zeit verschiedene kleine Hüttenwerke hinauf,
die den in beiden Tälern unmittelbar anstehenden
Eisenstein zugute machten. Im Bremketale werden
deren drei angegeben, von denen eine nach der
Urkunde von 1460 die Zangerhütte hieß, und in
Lerbach sollen bei der Fundamentierung von
Wohnhäusern die Schlackenstätten von 4–6
Hütten gefunden sein. Da nun auch im Bremketale
nach dem Jahre 1460 eine „Lerbacher Eisensteinsgrube“
betrieben ist, so wird man annehmen
können, daß dieser Bergbau auch im Lerbachtale
schon im 15. Jahrhundert seinen Anfang genommen
hat.
Wenn nun auch die reichen und leicht abzubauenden Eisensteinslager des Lerbachtales schon früh bekannt waren, so scheint es zu festen Ansiedlungen doch erst im 16. Jahrhundert gekommen zu sein, denn im Jahre 1530, das als Gründungsjahr der Ortschaft angegeben wird, sollen hier nicht mehr als 10 Häuser gestanden haben, deren Zahl bis zum Jahre 1660 nur auf 28 gestiegen war. Es ist daraus zu schließen, daß die ersten Bergleute, die von Osterode, Freiheit und anderen Orten des Harzrandes kamen, ihre früheren Wohnsitze vielfach beibehielten und erst später sich in Lerbach seßhaft machten. Ein derartiges Berspiel haben wir in St. Andreasberg, wo die Berg-Beamten und Bergleute lange Zeit vor Erbauung der Stadt im Jahre 1528 in Lauterberg und den umliegenden Dörfern wohnten.
Im Jahre 1551 wird Lerbach als Hammerhütte erwähnt. Die kleine Ansiedlung gehörte kirchlich zu Osterode und wurde damals schon als Außendorf der St. Aegidienkirche bezeichnet. Aber der Eisensteinsbergbau entwickelte sich nur langsam und wurde durch den dreißigjährigen Krieg sehr gehemmt, wenn er nicht ganz zum Erliegen kam. Erst nach dem Kriege blühte er wieder auf und nahm im 18. Jahrhundert einen bemerkenswerten Aufschwung, der sich lange Zeit erhalten hat. Infolgedessen stieg die Zahl der Wohnhäuser im Jahre 1697 auf 45 und im Jahre 1728 auf 72 mit mehr als 500 Einwohnern.
Die Verhüttung des Lerbacher Eisensteins erfolgte zum größten Teil auf der Osteroder Eisenhütte, was den großen Vorteil hatte, daß die Transportkosten sehr gering waren. Als aber [46] diese Hütte im Jahre 1731 eingestellt wurde, geriet der in hoher Blüte stehende Lerbacher Eisensteinsbergbau ins Stocken und erlitt einen argen Rückschritt. Die Eisensteine mußten nun nach der entfernten Teichhütte bei Gittelde gebracht werden, was auf kleinen, von den Leuten selbst gezogenen Handwagen und im Winter auf Schlitten geschah. Zwar wuchs die Einwohnerzahl erheblich, von etwa 500 im Jahre 1728 auf mehr als 900 im Jahre 1784. Aber sehr bezeichnend ist, daß die Zahl der Wohnhäuser sich in derselben Zeit nur um 5, von 72 auf 77, vermehrte.
Im Jahre 1788/89 wurde in Lerbach eine fiskalische Eisenhütte gebaut, wozu die Sollinger Eisenhütte bei Uslar eigentlich die Veranlassung gegeben hatte. Bis dahin wurden nämlich die bei Lerbach in Menge vorkommenden und gewonnenen Eisensteine nach der 6 Meilen entfernten Sollinger Hütte gefahren und in den daselbst befindlichen beiden Hochöfen verblasen. Dieser weite Transport der Eisensteine machte aber die Produktion der Eisenwaren sehr teuer, zumal die Erze ziemlich arm waren und gewöhnlich nur 18–32 Prozent Eisengehalt hatten. Es war deshalb der Wunsch, sie in der Nähe ihrer Geburtsstätte verschmelzen zu können, was durch die Anlegung der Hütte zur Ausführung kam.
Die Lerbacher Hütte hatte anfangs nur einen Holzkohlenhochofen, der aus den zahlreichen kleinen Gruben mit Eisenerzen versorgt wurde. Diese lagen so nahe, daß bei der Abfuhr der Weg täglich zwei- bis fünfmal mit dem Fuhrwerk gemacht werden konnte. Auch auf kleinen Wagen und im Winter aus Schlitten brachten, die Lerbacher die Erze zur Hütte, welche eine bedeutende Hebung des Eisensteinbergbaues veranlaßte. Die Gruben lieferten jährlich über 3000 Fuder Eisenstein à 16 Zentner durchschnittlich. Das Arbeits- oder Langerlohn betrug für die Bergleute 1½–2 Taler für das Fuder.
Die Eisenerzgänge bei Lerbach liegen aus dem großen Diabas- oder Grünsteinzuge, der sich von Osterode über Lerbach und Buntenbock (Kehrzug, Polsterberg) etwa 20 Kilometer bis über Altenau hinaus erstreckt. Er wird auch „der Lerbacher Eisensteinszug“ genannt und enthält guten Eisenglanz und dichten Roteisenstein in einzelnen isolierten Lagern. Ja nach der Farbe wird er von den Bergleuten als roter oder blauer Stein bezeichnet. Interessant ist es, daß auf der Grube Karoline bei Lerbach sich auf Kalk- und Braunspattrümern, die das Roteisenerz durchqueren, Selenerze finden, namentlich Selenquecksilberblei, das nach seinem Fundorte den Namen „Lerbachit“ erhalten hat.
Die Gruben, welche für den Lerbacher Hochofen betrieben wurden, lagen meistens nördlich über den oberen Häusern des Dorfes und hatten zum Teil ein sehr hohes Alter. Es waren die Gruben Hoheblek, Weintraube und Jakob, ferner Blauer Busch und die Gruben am Rödenthale und Knöpelberge; zwischen Lerbach und Buntenbock lagen die Gruben erste, zweite und dritte Weinschenke, Neuer Weg und Ringe, Georg Christian, Dreibrüderzeche, Weißes Roß und Juliane. Von den letztgenannten beiden Gruben heißt es: „Dieser Gang ist, den Pingen und den in denselben schon mehr als einmal wiedergewachsenen starken Bäumen nach zu urteilen, in uralten Zeiten schon bebauet und wieder verlassen.“ An der Südseite des Dorfes wird die Grube Seegensberg und nach Osterode hin der „Breite Busch“ genannt.
Nach dem Jahre 1800 kam für die Harzer Eisenindustrie ein schwerer Schlag durch die napoleonischen Kriege, durch Aufhebung der bisher bestandenen staatlichen Besitzverhältnisse und durch die Einverleibung des ganzen Harzgebietes in das Königreich Westfalen. Der Fortfall jedweden Absatzes, der wirtschaftliche Niedergang ganz Deutschlands übten auch auf die Harzer Eisenindustrie den unheilvollsten Einfluß aus. So ist es denn kein Wunder, daß auch in Lerbach der Betrieb mit großen Schwierigkeiten und Hindernissen zu kämpfen hatte. Schon 1805 fanden Verhandlungen über die Schließung der Hütte statt, die denn auch 1812 erfolgte. Nun lag auch der Eisensteins-Bergbau völlig darnieder.
An Stelle dieser eingestellten alten Hütte wurde in den Jahren 1837 bis 1839 eine neue fiskalische Lerbacher Hütte mit 2 Holzkohlenhochöfen, 2 Kupolöfen, (Schachtöfen zum Umschmelzen des Roheisens) einer Gießerei und einer kleinen Maschinenfabrik erbaut und 1840 in Betrieb genommen. Später, nach Einstellung der Hochöfen betrieb die Hütte vorwiegend Gießerei mit drei Kupolöfen. Sie verarbeitete größtenteils schottisches Eisen bester Güte und daneben erforderlichen Falls auch Holzkohleneisen. Die Hauptaufgabe der Hütte war, die Oberharzer fiskalischen Berg- und Hüttenwerke mit Maschinenguß zu versorgen, doch brachte sie auch Öfen und andere Gußwaren in den Handel. Außer der Gießerei waren ein Emaillierwerk und eine Maschinenwerkstatt, in deren Schmiede auch Äxte, Beile und dergl. angefertigt wurden, im Betriebe. Seit 1894 stellte sie Vernickelungen, Vermessingungen und Verkupferungen von Eisenwaren auf galvanischem Wege her, auch wurden gußeiserne Kunstgegenstände und Kochgeschirre mit bunter Emaille überzogen.
Nach der Einstellung des Clausthal-Zellerfelder Bergbaues im Jahre 1930 wurde am 10. Oktober 1932 auch die Lerbacher Hütte endgültig stillgelegt.
Der Eisensteins-Bergbau bei Lerbach nahm im Jahre 1883 nochmals einen großen Aufschwung, nachdem die Gewerkschaft Mathildenhütte bei Harzburg, früher Harzer Union, die Eisensteinsgruben oberhalb des Ortes als Eigentum erworben hatte. Sie ließ für ihre Rechnung den Lerbacher Eisensteins-Bergbau stark betreiben, da sie kaum allen Aufträgen auf Roheisen nachkommen konnte. Mehrere Gruben (Kranich, Diana) standen wieder in gutem Betrieb. Es waren etwa [47] 70 Bergleute beschäftigt, die täglich 400 Zentner Eisensteine zu Tage förderten, welche per Achse nach der Bahn geschafft wurden.
Aber bald darauf, schon Ende des Jahres 1886, sah sich die Mathildenhütte durch die ungünstigen Konjunkturen der Eisenindustrie veranlaßt, den beträchtlichen Betrieb der Eisensteinsgruben bei Lerbach einzustellen, wodurch etwa 80 Bergleute brotlos wurden. Der Bergbau hörte nicht völlig auf, aber 1895 fand nur noch eine sehr geringe Gewinnung des Erzes statt. Dasselbe Schicksal teilten die Eisensteinsgruben im Bremketale, wo der Betrieb ebenfalls mit dem Schlusse des Jahres 1886 eingestellt wurde.