Textdaten
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Titel: Der chinesische Damenfuß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 636
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[636] Der chinesische Damenfuß. Endlich wissen wir von Wingrove Cooke, dem Times-Correspondenten, der seine Briefe in einem besonderen Buche („China in 1857–58“) veröffentlichte, ganz genau, wie der chinesische Damenfuß gebildet wird und aussieht. Er ließ sich Mädchenfüße in allen Stadien der Kunst zeigen. „Die älteste dieser 8 Mädchen hatte schon den vollendet schönen Fuß, einen formlosen Klumpen. Der Rist oder die Fußbiege nimmt die Stelle des Knöchels ein und Alles, was blieb, um darauf zu gehen, war der Ballen der großen Zehe und die Ferse. Das ist der kleine Fuß der Chinesinnen, ein Stückchen Zehe und ein Stückchen Ferse mit einem großen Rist dazwischen. Zwei der andern Mädchen, zweites und drittes Stadium der Vervollkommnung, litten noch große Schmerzen in den heißen, entzündeten Füßen. Die nächste war noch im Anfange des zweiten Stadiums, von welchem schwache Kinder oft sterben. Die Fußsohle war zu einem Bogen zusammengepreßt, Ferse und große Zehe möglichst nahe aneinander geschroben. Diese Folter wird nach und nach immer enger geschroben, Monat nach Monat. Der Fuß schwillt und entzündet sich, die Schmerzen sind oft furchtbar, aber die zärtliche Mutter harrt aus. Die vier jüngsten Mädchen waren noch im Vorbereitungsstadium, in welchem die große Zehe freigelassen, die vier andern aber fest unter den Fuß gebunden werden, bis sie dem Auge ganz verschwinden, ihre Articulation verlieren und mit der Fußsohle unten verwachsen. Hernach erst kommen die verschiedenen anderen Folter-Pressen, bis die Dame auf großer Zehe und Ferse, dicht neben einander, frei, aber stets wackelig, einherstelzen kann.“

Dies klingt so häßlich, so grausam, so empörend, daß man geneigt sein möchte, anzunehmen, schon wegen der Damenfüße müßten diese gräßlichen Barbaren niederkartätscht und mit westlicher Civilisation bekannt gemacht werden. Aber von diesem Standpunkte bekämen die Chinesen ein größeres Recht, uns niederzukartätschen, da wir Frauen, Töchter und Schwestern haben, die mit ihrem Leibe, mit ihrer Lunge, mit ihrem Schooße – die alle edler und wichtiger sind, als die Füße – eben so gräßliche Torturen vornehmen, wie die Chinesen mit ihren Mädchenfüßen. Und dazu der frech hintensitzende Spott eines Hutes, der wie Herausforderung zu allen Liederlichkeiten und Frechheiten aussieht! (Wie züchtig und sittsam war dagegen die alte „Eierkiepe!“) Und dazu die eisernen Reifen (eine englische Fabrik in Birmingham verarbeitet jede Woche 400 Centner Eisen zu Damenrockreifen) und die luftballonartig bauschenden Falbeln! Sehen diese alle menschliche Form – nicht zu reden von weiblicher Grazie, Schönheit und Sittsamkeit – zu Carricaturen aufbauschenden Ungeheuer nicht aus, als hätte jede Frau und Jungfrau einen Zustand zu verbergen, den die erste (obgleich verheirathete) Erfinderin dieser Monstrosität thatsächlich damlt beschönigen und verstecken wollte? Die englischen Damen (ich weiß nicht, wie’s andere machen) geben dieser Frechheit und Häßlichkeit noch einen schamloseren Charakter. Sie tragen alle weiße, gestickte Unterröcke, welche die Welt bewundern soll. Das Erste, was sie daher thun, sobald sie auf die Straße kommen, besteht darin, mit beiden Händen auf beiden Seiten die äußere, aufgeschwollene Schabracke aufzuraffen, sie über dem Bauche festzuhalten und dann mit großen, frechen, runden Augen und hinten angeklebtem Hute wie kundenbegierige Prostituirte auf der Straße hinzusegeln. Ist das nicht eine schandbare, scandalöse Wirthschaft? Hätte sie die scham-, geschmack- und gehirnlose Mode nicht geheiligt und unsere Sinne unter unserem scandalösen Filzthurme (genannt auch „Angströhre“ für uns Helden) dagegen abgestumpft, wir würden unsere Frauen, Töchter und Schwestern mit Gewalt zurückhalten, wenn sie Mine machten, in solcher Verhunzung und Verfrechung ihrer Schönheit und Sittsamkeit auf die Straße zu gehen. Wir westliche Civilisaion verbreiten! Wir Chinesen und andere Heiden bekehren wollen! Um bei den zerfolterten Füßen und unseren verdorbenen Jungfrauen-Taillen zu bleiben, bemerken wir, daß nur vornehme Chinesinnen (und das auch abnehmend) so zerfoltert werden, während bei uns jedes arme Bürgermädchen sich in einen eisernreifigen Luftballon Steckt, die Taille und die edelsten innern Theile zerschnürt und ein Stück Zeug auf den Hinterkopf kleben möchte. Selbst Rieke und Lotte rauschen zuweilen in eisernen Reifen aus der Küche hervor. Wie graziös sieht dagegen die Chinesin in ihrer naiven, gestickten Blouse und in den Höschen aus trotz ihrer Klumpfüße! Also lasset uns erst noch ein Weilchen westliche (und auch ein bischen chinesische) Civilisation unter uns selbst verbreiten und die Damenkleider einschränken.