Der Wolfsbrunnen bei Heidelberg
Sinnend unter Buchenbäumen
Jetta saß, die Seherin,
Saß vertieft in ihren Träumen,
Blickte traurig vor sich hin.
Kieselklar ein frischer Quell;
Jutta, warum du so düster,
Und die Quelle doch so hell?
Fraget nicht, sie hat gelesen
Heiter war sie einst gewesen;
Ach, zerstört nun ist ihr Glück!
Fluch dem Blick in künft’ge Tage!
Unglücksel’ge Seherin!
Deine Ruhe ist dahin!
So, in Träume hingesunken,
Hörte sie den Jüngling nicht,
Der, die Aeste vor sich theilend.
Sah nicht, wie er, tief erschüttert,
Stille steht vor ihrem Bild,
Wie vom Götterstrahl getroffen,
Wie von Himmelslust erfüllt!
Bis sie, aus dem tiefen Traum
Aufgewacht, nach Oben schaute
Zu dem blauen Himmelsraum.
Da, geheimnißvoll durchschauert,
Und von höh’rer Lust ergriffen
Fuhr er gluthentbrannt zurück:
„Seherin, ich bin gekommen
Aus dem fernen Frankenland,
Wie sich’s in den Runen fand.“
Und er wollte weiter reden,
Doch im Herzen blieb das Wort,
Nur die Röthe seiner Wangen
Und, wie von der Abendröthe
Rosenscheine überstrahlt,
Glühend roth die Wolken glänzen,
Feurig sich der Himmel malt,
Jutta hier am Quellenrand:
„Morgen sollst du Alles hören,
Wie ich’s in den Runen fand!“
Als der Morgen war gekommen,
Und die Seherin verkündet,
Was sie in den Runen sah:
„Fremdling, deines Lebens Loose
Knüpfen sich an meine an;
Zu Walhalla’s Burg hinan!“
Da, im Uebermaß der Wonne,
Daß nicht Wahnsinn sey sein Traum,
Wirft er sich zu ihren Füßen
Und wie einem Heil’genbilde
Küßt er zagend ihre Hand;
Und die Herzen sind vereinet,
Und geschlungen ist das Band.
Ferne von des Vaters Haus,
Hat er Jetta sich verschworen,
Bis ihm lösch’ das Auge aus.
Hier, beim Schein der stillen Sterne,
In dem heil’gen Buchenhaine
Trinken süße Liebeslust.
So von Sehnsucht heiß erglühet,
Bis die Sonne wieder sinkt,
Abendstern ihm freundlich winkt,
Irrt er auf den grünen Hügeln,
Auf den Schlössern rings umher;
Denket nur der Sternenstunden,
Aber, ach! als er so glühend
Bei dem nächsten Sternenschein
Zu der Quelle wieder eilet,
Hin zu Jetta’s heil’gem Hain;
Vor dem schrecklichen Gesicht,
Das sich gräßlich ihm enthüllet,
Als er durch die Zweige bricht.
Die er wähnte zu begrüßen,
Jetta liegt im Todesblute
An der kühlen Felsenwand!
Wo ihr himmelblaues Auge
Lächelte ihn freundlich an,
Blutgefärbt zu ihm heran!
Von Verzweifelung ergriffen
Streckt er schnell das Unthier hin,
Wirft sich auf die schöne Leiche –
Und, von wilden Zahn zerfleischet,
Liegen Glieder rings herum!
Eine freche Mördergrube
Ist das stille Heiligthum!
Doch die Quelle rieselt fort;
Und die Buchenbäume flüstern
Immer noch von Jetta’s Mord;
Selbst die Goldforellen unten
Lauschend auf der Blätter Säuseln,
Tragen ihn von Mund zu Mund!