Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Der Weg nach Moskau
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 8, S. 233–234
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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Quelle: Commons
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[233] Der Weg nach Moskau. – Am 30. Juni 1812, kurz vor dem endgültigen Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Napoleon und Rußland, schickte Kaiser Alexander den General Balaschew zu Napoleon, der damals im Wilnaer Schlosse wohnte, um einen letzten Vermittlungsversuch zu unternehmen. Gleich hinter den französischen Vorposten stieß Balaschew auf den Schwager Napoleons, Joachim Murat, den König von Neapel. Murat, der ein entschiedener Gegner des gegen Rußland geplanten Feldzuges war, bei Napoleon aber in dieser Beziehung nichts auszurichten vermochte, begrüßte Balaschew sehr freundlich, riet ihm aber auch gleichzeitig, einen neuen [234] Vermittlungsversuch zu unterlassen. „Der Kaiser ist in schlechtester Laune. Sie werden nicht das geringste erreichen.“

Wenig hoffnungsfreudig setzte der russische Abgesandte seinen Weg fort. Napoleon empfing ihn in einem großen Saal des Schlosses, den er sich als Arbeitszimmer eingerichtet hatte. In der Mitte dieses weiten Raumes waren mehrere Tische zusammengeschoben, und auf diesem Podium lag eine Karte von Westrußland, die Napoleon in besonders großem Maßstabe hatte anfertigen lassen. Er stand auf der einen Seite dieses improvisierten Kartentisches, neben ihm zwei seiner Generäle und sein Leibstallmeister Caulaincourt, auf der anderen der russische Abgesandte.

Nachdem Balaschew sich seines Auftrages entledigt hatte, sagte Napoleon kurz: „Ich bedaure, auf die Vorschläge Seiner Majestät des Zaren nicht mehr eingehen zu können.“ Dann trat er ganz dicht an die Karte heran und fragte den russischen General, indem er mit dem Finger auf Moskau wies: „Welches ist der beste Weg nach Moskau, General?“

Der Russe richtete sich bei dieser offenbar beabsichtigten Beleidigung höher auf, und mit einer Schlagfertigkeit, die der Korse sicher nicht erwartet hatte, erwiderte er: „Nach Moskau führen viele Wege. Karl XII. von Schweden wollte über Poltawa dorthin.“

Bekanntlich erlitt der kriegerische Schwedenkönig bei Poltawa eine vernichtende Niederlage.

Napoleons blasses Gesicht rötete sich bei dieser versteckten Drohung vor Zorn. „Caulaincourt,“ wandte er sich an seinen Stallmeister, „lassen Sie die Pferde des Herrn vorführen.“

Damit war der letzte Versuch, den drohenden Krieg abzuwenden, gescheitert.

W. K.