Der Schiffer von altem Schrot und Korn

Textdaten
<<< >>>
Autor: Eduard Mehl
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Schiffer von altem Schrot und Korn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 326–328
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[326]

Der Schiffer von altem Schrot und Korn.

Ein Lebensbild von Eduard Mehl.

Zu denjenigen Menschentypen, welche durch die fortschreitende Kultur und besonders durch den Nerv des Jahrhunderts, durch „Meister Dampf“, verdrängt werden, gehört auch der „alte Schiffskapitän“. Nicht als ob es künftig keine Schiffskapitäne und zwar tüchtige Schiffskapitäne geben werde! Aber der moderne Dampfschiffskapitän ist doch zu sehr das Kind der Alles nivellirenden Gegenwart, als daß er sich durch auffällige charakteristische Züge von andern Menschenkindern unterscheiden sollte. Anders der alte Segelschiffskapitän. Wer in unseren großen Hafenplätzen ist ihnen nicht begegnet, den wettergebräunten, breitschulterigen Gestalten mit dem selbstbewußten, derben, etwas schroffen Auftreten! Meist aus den einfachsten Verhältnissen hervorgegangen, ohne eine nennenswerthe Schulbildung aufgewachsen, ist der alte Schiffskapitän der richtige selbstgemachte Mann, der Alles, was er ist und besitzt, sich selber zu danken hat: eine Figur von so markirtem Gepräge, daß es sich wohl der Mühe verlohnt, dieselbe zu zeichnen und festzuhalten, bevor sie von der Bildfläche ganz verschwindet. Der geneigte Leser mag bei dieser Gelegenheit zugleich einen Blick thun in das eigenartige Leben und Treiben der Bewohner jener weltabgeschiedenen Küstenstriche, wohin sich bis noch vor einem Jahrzehnt nur höchst selten der Fuß eines Touristen verirrte. In jenen äußersten Vorlagerungen der Ostsee, auf der Insel Zingst, der Halbinsel Dars, dem mecklenburgischen Fischlande, ist der Schiffer von altem Schrot und Korn zu Hause. Dort findet ihn noch heute der jene Gegenden aufsuchende Badegast, meist freilich als einen Mann, der des Lebens Kämpfe bereits hinter sich hat und von seinen Renten lebt.

Schon bei der Geburt unterscheidet sich der künftige Weltumsegler von den meisten übrigen Sterblichen insofern, als bei derselben in der Regel nur die eine elterliche Hälfte, die Mutter, zugegen ist, während der Vater fern der Heimath seinem Berufe nachgeht. Erst nach Wochen, vielleicht erst nach Monden, findet derselbe bei seiner Ankunft im Bestimmungshafen die briefliche Nachricht von dem erfreulichen Familienereigniß vor. Der junge Weltbürger zu Hause muß sich ohne väterliche Pflege behelfen, gedeiht aber trotzdem in der Regel vortrefflich. Er durchschreitet alle Stadien der kindlichen Entwicklung unbeirrt, allein von mütterlicher Hand geleitet, und wenn der Vater, oft erst nach jahrelanger Abwesenheit, die Heimath und die Seinen wieder aufsucht, so findet er einen ganzen fertigen Burschen vor, dessen nähere Bekanntschaft er freilich erst zu machen hat. Auf ein Eingreifen in die Erziehung verzichtet der Vater, der vielleicht nach wenig Wochen die Seinigen wieder verläßt, grundsätzlich, da ihm das Nutz- und Erfolglose einer solchen Maßregel einleuchtet. Aber auch die Mutter beeilt sich durchaus nicht, die Natur zu verbessern; ihre Erziehungsprincipien sind die denkbar liberalsten. So wächst der Junge in einer Ungebundenheit und Naturwüchsigkeit heran, wie es anderswo bei den heutigen Kulturvölkern kaum noch vorkommen dürfte. Auch bei der körperlichen Pflege wird jeder Luxus vermieden. Hemd, Hose und Jacke sind diejenigen Bekleidungsstücke, welche trotz des rauhen Seeklimas für den größten Theil des Jahres ausreichen. Erst wenn der erste Schnee fällt, findet eine Bekleidung der Füße mit Strümpfen und Holzpantoffeln statt.

Der Spielplatz der heranwachsenden Jugend sind die großen freien Dorfplätze mit ihren Wassertümpeln, auf denen der Knabe seine selbstgebauten Schiffchen segeln läßt, und der Meeresstrand, wo er Muscheln und Bernstein sucht. So wird der Junge sechs, sieben Jahre alt, und es kommt für ihn die Zeit, wo mit dem Eintritt in die Schule die Lebensplage ihren Anfang nimmt. Die Mutter überweist ihn – einer alten Frau, die sich mit „Schulhalten“ abgiebt und an welche, was Kenntnisse und pädagagische Einsicht betrifft, keine besonderen Ansprüche gemacht werden. Mit neun Jahren hat der Schüler es bis zu einiger Uebung im Buchstabiren und Zusammenzählen gebracht; die Lesefertigkeit und die Kenntniß des Einmaleins sollen in der eigentlichen Dorfschule, der er nun überwiesen wird, erworben werden. – Diese Klasse wird von [327] hundert und mehr Kindern beiderlei Geschlechts besucht und begnügt sich mit den allerbescheidensten Leistungen.[1] Unser Freund zeichnet sich vor seinen Altersgenossen keineswegs aus, wie er denn überhaupt wenig geneigt ist, den Werth von Schulkenntnissen hoch anzuschlagen. Er hält es für ersprießlicher und unterhaltender, sich durch praktische Uebungen auf seinen künftigen Beruf vorzubereiten. Er benutzt alle freie Zeit, um Schiffe zu schnitzen, dieselben mit Takelage, deren Bestandtheile und Zusammensetzung ihm bereits genau bekannt sind, zu versehen und mit diesen Fahrzeugen zu manövriren. Er unternimmt auch wohl auf den Böten der Fischer und Fährleute mit seinen Kameraden selbständige Segelpartien, bei denen Unglücksfälle selten sind. So kommt der Zeitpunkt der Einsegnung heran, mit welchem er die Schule verläßt. Die Wahl eines Berufs macht ihn nicht verlegen. Daß der Junge zur See geht, ist selbstverständlich. Eines guten Tages kommt er nach Hause mit der gleichmüthigen Mittheilung, daß er sich bei dem Schiffer N. N. „festgemacht“, d. h., daß er sich bei demselben als Schiffsjunge verheuert habe. Was anderswo Sache des Vaters oder des Vormundes ist, nämlich die Aufsuchung eines geeigneten Lehrherrn, das besorgt unser angehender Seemann allein, schon frühzeitig stellt er sich auf eigene Füße. Die Mutter hat nun für eine passende See-Ausrüstung zu sorgen, welche aus einigen derben wollenen Anzügen, je einem Paar starken Stiefeln und Schuhen und dem „Oelzeug“ (einem in Oel getränkten Leinenanzug zum Ueberziehen bei Regenwetter und stürmischer See) besteht und je nach den vorhandenen Mitteln mehr oder weniger komplet ausfällt.

Endlich ist Alles „klar“ (in Ordnung); der Schiffer „mustert“ (nimmt kontraktlich in Dienst) bei der zu diesem Zwecke in jedem Hafenorte eingesetzten Musterungsbehörde seine Besatzung, als deren letztes Mitglied unser Schiffsjunge aufgeführt ist. Dieser bekommt eine „Monatsheuer“ (Lohn) im Betrage von 9 bis 12 Mark vorausbezahlt und trinkt sich, um seine Mannhaftigkeit zu dokumentiren, den ersten Rausch. Im Hafenorte, wo das Schiff in Winterlage gelegen, angekommen, begiebt sich die ganze Besatzung sofort an Bord, um das Schiff in seefertigen Zustand zu setzen; unser Schiffsjunge erhält seine „Koje“ (Schlafstelle) angewiesen und wird vom Steuermann mit seinen Obliegenheiten bekannt gemacht.

Es beginnt nun für unsern Helden eine Zeit, während welcher er nicht gerade gut gebettet ist. Das Los eines Schiffsjungen ist kein beneidenswerthes. Jeder an Bord, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Kapitäns, glaubt das Recht zu haben, sein Müthchen an dem Jungen zu kühlen. Wo etwas nicht in Ordnung ist, der Junge hat die Schuld, wo etwas vermißt wird, der Junge hat’s verlegt. Da giebt es Knüffe und Püffe ungezählt, und leider liegen die „Enden“ (Schiffstaue) überall auf Deck bei der Hand, und mit einem solchen Ende läßt sich von geübter Hand ein recht empfindlicher Hieb austheilen. Dabei werden dem armen Kerl alle möglichen und unmöglichen Dienstleistungen und Handreichungen zugemuthet. Bald wird er „oben“ (im Mast), bald unten, bald vorne, bald „achter“ (hinten auf Deck) verlangt. „Viel Arbeit, viel Schläge,“ so lautet für ihn die Devise. Den Knaben aus dem Binnenlande dürfte eine solche Lage verzagt und muthlos machen; der Sohn der Küste läßt’s mit stoischem Gleichmuth über sich ergehen. Er ist aus anderem Holze geschnitzt, er kann schon einen Hieb, und zwar nicht bloß in figürlichem Sinne, vertragen. Der Trost, der nach einem bekannten lateinischen Ausspruch in dem Besitze von Leidensgefährten enthalten sein soll, erweist sich auch bei ihm wirksam. Er weiß, seinen Kameraden, den übrigen Schiffsjungen, ergeht es nicht besser. Er tröstet sich, wenn’s Hiebe hageldicht setzt, mit dem Vorsatz: du wirst es heimzahlen. Diese Drohung ist aber nicht an seine Peiniger adressirt. Keineswegs! Seine Rachegefühle sind mehr auf die Zukunft gerichtet. Er denkt dabei an seine Nachfolger, an die Jungen, die später unter seine Finger gerathen werden, und er hält Wort.

Aber wie überall im Leben, so gehen auch hier die guten wie schlechten Tage vorüber, und die Lehrzeit nimmt ein Ende. Das Schiff kehrt nach mehrjähriger Abwesenheit, während welcher unser Held Gelegenheit gehabt hat, eine Anzahl großer Hafenstädte in fernen Landen und fremden Erdtheilen zu sehen, in den Heimathshafen zurück. Die Besatzung wird „abgemustert“ (amtlich aus dem Schiffsdienst entlassen), bekommt ihre rückständige Heuer ausgezahlt und kehrt nach Hause zurück.

Was ist während dieser mehrjährigen Abwesenheit aus unserem Helden geworden?

Daß junge Leute in der Uebergangsperiode vom Knaben zum Jüngling, in den sogenannten Flegeljahren, sich durch Anmuth und liebenswürdiges Betragen in der Regel nicht auszeichnen, ist männiglich bekannt. Was du aber, verehrter Leser, an Unart und Tölpelhaftigkeit auch erlebt haben magst, unser Schiffsjunge läßt Alles weit hinter sich. Stelle dir einen strammen Jungen vor mit sonnverbranntem Gesicht, in dem einzelne Bartspuren den künftigen Mann verrathen, stelle ihn dir vor, wie er dir mit wiegendem Gange entgegenkommt, mit der Mütze auf einem Ohr, die kurze Thonpfeife im Munde, die von der Theerarbeit schmutzigen Hände tief in die Hosentaschen vergrabend, gelegentlich ausspuckend und den „Priem“ (Kantabak) in auffälligster Weise von einer Seite des Mundes nach der andern schiebend, und du hast das nicht gerade sympathische Bild unseres jungen Freundes. Geh’ ihm, ich rathe es dir, aus dem Wege! Er weiß, daß eine Kollision auf dem Lande bei Weitem weniger gefährlich ist als eine solche auf See; auch ist ihm nicht unbekannt, daß bei einer gelegentlichen Karambolage der rücksichtsvollere Theil den Kürzeren zieht. Er geht gerade aus und gerade durch. Seine Stimme ist rauh, seine Sprache das Plattdeutsche in abgerissener Form. Und was beginnt unser Freund? Womit vertreibt er sich die Zeit? Nun, er erholt sich von den Strapazen des Seelebens, er hat das Nichtsthun zu seiner vorläufigen Lebensaufgabe gemacht. Den auch in ihm liegenden Thätigkeitstrieb befriedigt er durch mehr oder weniger argen Unfug, den er mit seines Gleichen während der langen Winterabende auf der Straße anstiftet. An den sonntäglichen Tanzvergnügungen nimmt er, so lange die mitgebrachten Groschen reichen, regelmäßigen und lebhaften Antheil, und wenn bei einer solchen Gelegenheit, was in der Regel geschieht, eine kleine Prügelei in Scene gesetzt wird, so betheiligt er sich unfehlbar an derselben, und bekommt er dabei etwas ab, ein blaues Auge oder eine angeschwollene Nase, so ist er darauf andern Tages nicht weniger stolz als der Studiosus auf seinen Schmiß. Das ist unser Schiffsjunge; so sieht er aus, und an diesem Bilde ändern die nächsten Jahre nicht eben viel.

Da plötzlich – er ist wieder einige Jahre fortgewesen und unterdeß an die 20 Jahre und darüber alt geworden – geht eine merkwürdige Umwandlung mit ihm vor. Wir erblicken ihn nämlich eines guten Tages in sauberem seemännischen Anzuge mit einigen Büchern unter dem Arme. Am Halse stiehlt sich ein weißer Hemdkragen hervor, und die Mütze sitzt fast gerade auf dem Kopfe. Was ist geschehen? Hat er den Beruf gewechselt? O nein, der Ehrgeiz hat ihn gepackt; er will einmal Schiffskapitän oder doch wenigstens Steuermann werden. Die Sturm- und Drangperiode liegt hinter ihm.

Es dürfte auch in denjenigen Kreisen, welchen Seefahrt und Küstenleben fernab liegt, bekannt sein, daß der Staat sowohl vom Schiffer wie auch vom Steuermann den Nachweis der Qualifikation zur Ausübung seines Berufs verlangt. Die praktische Befähigung wird durch eine 45monatliche Fahrzeit als nachgewiesen angesehen, zum Nachweis der theoretischen Befähigung muß sich der junge Seemann einer Prüfung, der Steuermannsprüfung, und wenn er als Schiffer fahren will, einer zweiten Prüfung, der Schifferprüfung, unterziehen. Die verlangten Kenntnisse erwirbt er sich auf einer Navigationsschule. Da nun die in der Jugend erworbenen Kenntnisse den jungen Seemann nur in seltenen Fällen befähigen, an dem Unterricht in diesen Schulen, der zum Theil ganz komplicirte astronomische Rechnungen umfaßt, mit Aussicht auf Erfolg theilzunehmen, so muß er zunächst eine Vorschule, wie solche in den großen Küstendörfern eingerichtet sind, besuchen.

Es ist nun doch ein eigen Ding, wenn ein junger Mann in den Zwanzigern so ganz von vorn, so zu sagen mit dem ABC wieder anfangen soll. So geht’s nämlich unserem Freunde. Er ist genau in derselben Lage wie Hans Bendix im „Abt von St. Gallen“. Er kann weder lesen noch schreiben, ganz zu geschweigen vom Latein. Es wird ihm herzlich sauer. Bis spät in die Nacht brennt auf seinem Stübchen die Lampe, doch in seinem Kopfe will es nicht hell werden. Aber unser Freund ist zähe, und welche Schwierigkeiten lassen sich nicht durch ernsten [328] Willen überwinden! Die Vorschule wird absolvirt, eben so der Steuermannskursus, und es geht in die Prüfung. Wer kennt sie nicht, die Schrecknisse einer Prüfung? Auch unsern angehenden Steuermann ergreift das Prüfungsfieber. Wie viel wird verlangt, und wie wenig weiß er! Doch unser Steuermannskandidat und wir mit ihm haben uns umsonst geängstigt. Fleiß und gute Führung sind hei der Feststellung des Gesammtresultats mit in Anrechnung gebracht. „Bestanden“, so lautet der Ausspruch der Prüfungskommission. Er ist jetzt Steuermann. Da er sich „freigefahren“ hat[2], so braucht er nicht bei der Marine zu dienen, sondern kann sich nach einer Heuer (Stellung an Bord) umsehen. Dieselbe ist bald gefunden. Jeder Schiffer weiß, was er an ihm hat, einen ganzen Mann nämlich, auf den er sich in allen Lagen verlassen kann. Seine Heuer (hier Gehaltseinnahme), welche gleich der doppelten Matrosenheuer ist, setzt ihn in den Stand, in wenig Jahren nicht bloß die gemachten Schulden abzuzahlen, sondern auch eine Summe zu erübrigen, welche zur Bestreitung der durch den Besuch der Schifferschule entstandenen Kosten ausreicht. Unser Steuermann wird, nachdem er 24 Monate als solcher gefahren, zur Schifferprüfung zugelassen. Dieselbe wird ebenfalls glücklich bestanden, und die Lehrjahre überhaupt sind beendigt.

Doch welches Aussehen hat jetzt unser Freund? Ist es noch gerathen, ihm aus dem Wege zu gehen? Nun freilich, allzuviel Spaß versteht er auch heute nicht, und einige Vorsicht dürfte sich im Verkehr mit ihm immerhin empfehlen. Aber kaum etwas erinnert noch an den früheren Schiffsjungen. Du siehst vor dir einen jungen Mann, dessen kräftige Gestalt und gebräuntes Gesicht von Gesundheit strotzen, und der in seiner kleidsamen Schiffertracht einen fast eleganten Eindruck macht. Seine Manieren haben durch den längeren Aufenthalt in der Stadt gewonnen, und auch die Sprache hat sich zu ihrem Vortheil verändert. Wenn er sich auch mit Vorliebe des niederdeutschen Idioms bedient, so geschieht es doch in mehr gebildeter Weise. Die auffälligste Veränderung aber ist mit seiner gesellschaftlichen Stellung vor sich gegangen: er gehört jetzt dem Honoratiorenstande an, gleichviel welches Herkommens er ist. Auch der schöneren Hälfte der Bevölkerung gegenüber sind natürlich seine Aussichten und Ansprüche bedeutend gestiegen. Er darf überall anklopfen und ist in jeder Familie, auch der angesehensten, als Schwiegersohn willkommen. Unser Freund hat denn auch bald seine Wahl getroffen und sich mit der Tochter eines wohlhabenden Schiffers verlobt. Die Verwandtschaft der Schwiegereltern ist zahlreich und gut situirt, was für das schnelle Vorwärtskommen des angehenden Schiffskapitäns besonders ins Gewicht fällt.

Wir müssen bei dieser Gelegenheit einer eigenthümlichen Einrichtung gedenken, die vorzugsweise an demjenigen Theil der Küste, dem das vorstehende Lebensbild entnommen ist, angetroffen wird. Unsere Küstenleute haben nämlich schon früh die Vortheile der Association erkannt und praktisch verwerthet. Man baut die Schiffe auf Aktien, von denen jede in der Regel auf ein sechzigstel Antheil lautet und ein Schiffspart genannt wird. Sämmtliche Antheilbesitzer bilden die Rhederei, welche Eigenthümerin des Schiffes ist und die durch den Korrespondentrheder vertreten wird. (Diese Stellung wird in der Regel durch einen angesehenen Kaufmann der nächsten Hafenstadt bekleidet, der für seine Mühwaltung gewisse Procente der Frachteinnahme bezieht.) Da nun wohlhabende Verwandte sich selten weigern, ein Schiffspart zu zeichnen, so leuchtet ein, daß ein möglichst großer Kreis von Angehörigen dem jungen Mann sehr zu Statten kommt. Er wird eben die Parten des von ihm zu erbauenden Schiffes um so leichter und schneller an den Mann bringen. Mitunter gelingt es auch, einen Fremden zur Uebernahme eines Antheils zu bereden; denn das Rhedereigeschäft ist, oder richtiger war, ein gewinnbringendes. Was zuletzt noch an Parten übrig bleibt, übernimmt der junge Schiffer auf eigene Rechnung; an Kredit fehlt es jetzt nicht mehr. Nachdem so Alles vorbereitet ist, wird mit einem Schiffsbaumeister ein Kontrakt abgeschlossen und der „Kiel gestreckt“ (der Bau begonnen). Da es an den nöthigen Mitteln nicht fehlt, rückt der Bau munter vorwärts, und vielleicht schon nach Verlauf weniger Monate kann das Schiff vom Stapel laufen.

Bis dahin verlebt unser Freund die schönsten Tage seines Lebens, er theilt seine Zeit zwischen Schiff und Braut. Während er den Tag auf der Baustelle zubringt, um darauf zu sehen und darüber zu wachen, daß der Bau seinen Angaben und Wünschen entsprechend ausgeführt wird, widmet er den Abend der Liebsten und den Angehörigen. Des Sonntags macht er mit der Braut bei den Verwandten die üblichen Visiten, und bei dieser Gelegenheit sehen wir ihn zum ersten Mal mit dem ehrbaren Cylinder, der späteren ständigen Kopfbedeckung des verheiratheten Schiffers. Nachdem das Schiff unter großer Feierlichkeit und lebhafter Betheiligung des Publikums vom Stapel gelaufen ist, wird die letzte Arbeit an demselben, die Takelung, in Angriff genommen. Unterdessen ist die Mutter der Braut mit der Aussteuer fertig geworden, und die Hochzeit kann mit mehr oder weniger Pomp, je nach Geschmack und Vermögen, gefeiert werden. Das Schiff ist fertig, eine Fracht ist an- und eingenommen und fort geht’s einer ungewissen Zukunft, einem Leben voll Mühseligkeit und Gefahr entgegen. Sein junges Weib begleitet ihn. Für das Kind der Küste, für die Tochter des Seemanns hat das Meer keine Schrecken; sie ist bereit, Noth, Gefahr und Tod mit dem Mann zu theilen.

Wir dürfen in dem Leben unseres Helden einen Zeitraum von zwanzig und einigen Jahren überspringen. Er hat sich nur selten und immer nur auf kürzere Zeit in der Heimath sehen lassen. Dieselbe ist ihm und er ihr fast fremd geworden. Er hat den Ocean nach den verschiedensten Richtungen hin durchkreuzt und weit entlegene Hafenplätze aufgesucht. Er hat ein Leben geführt voll Mühe und Entbehrung und mehr als einmal dem Tode ins Auge geschaut. Aber sein Ringen ist nicht erfolglos geblieben. Er hat, von seiner wackeren Hausfrau unterstützt, die, als die Familie sich vergrößerte, zu Hause geblieben ist und des Hauswesens treulich gewaltet hat, etwas vor sich gebracht; er denkt daran, sich in Ruhestand zu begeben. Sobald der Sohn sein Schifferexamen gemacht hat, wird er sein Schiff demselben abtreten.

Sehen wir uns nun zum Schluß den in Ruhestand getretenen Schiffskapitän etwas näher an. O, er macht einen ganz respektablen Eindruck, unser alter Freund in seinem, wenn auch nicht modischen, so doch feinen schwarzen Anzug mit dem glänzend gebürsteten Cylinder und der schweren goldenen Uhrkette. Das Haar ist wohl ergraut, und Sturm und Unwetter haben ihre Spuren in seinem Antlitz hinterlassen, aber nichts sonst läßt auf Alter und Hinfälligkeit schließen. Im Gegentheil, die breite feste Gestalt mit der deutlichen Anlage zum Embonpoint deutet auf Kraft und Rüstigkeit hin. Aber womit beschäftigt er sich? Er hat ein Grundstück angekauft, sich ein hübsches Wohnhaus erbaut, einen Garten angelegt und später einige Aecker und Wiesen dazu erworben. In dieser kleinen Wirthschaft legt er Hand mit an, hier findest du ihn im einfachsten Anzuge Tag ein Tag aus beschäftigt. Des Abends begiebt er sich in den „Krug“ (Gasthof), um in der Zeitung nach Abgang und Ankunft der Schiffe sowie nach dem Stande der Frachten zu sehen und mit einem alten Kameraden zu plaudern. Des Sonntags besucht er mit seiner stattlichen Ehehälfte regelmäßig das Gotteshaus. Seine Lebensbedürfnisse sind, trotzdem es ihm seine Mittel erlauben, einen gewissen Aufwand zu treiben, höchst einfache geblieben. Von seinem elegant eingerichteten Wohnhause benutzt er meist nur ein Stübchen, und nur bei festlichen Gelegenheiten, wenn er seine Freunde und Verwandten bei sich sieht, werden auch die übrigen Räume geöffnet. Dann aber geht’s hoch her, dann wird nicht gespart, dann läßt er den reichen Mann sehen. Die alte deutsche Tugend der Gastfreundschaft wird überall und zu jeder Zeit gern geübt. Selbstredend hat mit dem zunehmenden Wohlstande auch die äußere Stellung unseres Freundes an Ansehen gewonnen. Er wird in die Gemeinde- und Kirchenvertretung gewählt, sein Rath wird von kleinen Leuten und Anfängern vielfach nachgesucht und materielle Unterstützung, wo es noth thut, von seiner Seite bereitwillig gewährt.

So steht er da, schlecht und recht in seinem Wesen, angesehen und geachtet bei seinen Mitbürgern, ein selbstgemachter Mann, eine Zierde jedes Gemeinwesens, der „Schiffer von altem Schrot und Korn“.





  1. Wir erinnern daran, daß unsere Schilderung die Verhältnisse früherer Zeiten wiedergiebt; die heutigen Schulverhältnisse an der Küste sind wohlgeordnete und stimmen mit den oben geschilderten nicht mehr überein.
  2. Früher waren diejenigen Seeleute, welche vor dem 20. Lebensjahre 36 Monate zur See gefahren waren, vom aktiven Dienst in der Marine befreit und wurden sofort der Seewehr überwiesen. Heute müssen alle dienstfähigen Seeleute dienen, sie haben aber, sobald sie die Steuermannsprüfung bestanden haben, das Recht, als Einjährig-Freiwillige einzutreten.