Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Der Rosengarten
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 439–448
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
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[439]
Der Rosengarten.
(Erzählung nach der Volkssage.)

Gleich außerhalb der Festung Mannheim, am diesseitigen Neckarufer, stand eine Hütte auf einer kleinen Anhöhe, die das Hochwasser nicht überfluthete. Um die Hütte zog sich ein freundliches Gärtchen. Hier wohnte der alte Fischer Hamm mit seinem Weib und seinem Sohne, einem starken gesunden Burschen von neunzehn Jahren, der seinem Vater im Geschäfte treulich beistand. Der Junge hieß Bastian, die Fischer aber nannten ihn nur den Singbastel, denn er johlte den ganzen Tag und war voll durchtriebener Einfälle, jedoch ein ehrlicher [440] Kauz, der wohl den Muth gehabt hätte, dem lieben Herrgott selber frei ins Antlitz zu schauen. Jetzt war er Bräutigam, oder stand im Begriffe, sich nach Ostern einen eigenen Haushalt zu gründen, das heißt, die Hütte seines Vaters etwas zu vergrößern und die stille Familie zum Anfang um ein Glied zu vermehren. Seine Braut Liesbeth war ein frisches braves Mädchen, deren ganze Ausstattung jedoch nur in ihrem guten Muthe und einem Paar fleißiger Hände bestand. Ihre Aeltern hatte sie früh verloren, daher sie dann im Dienste fremder Leute sich spärlich durchbrachte. Auch Bastian besaß nur wenige Gulden, die er sich mit rastlosem Fleiße zusammengespart hatte, um, was die Hochzeit und die Einrichtung etwa kosten möchten, damit zu bestreiten; deßungeachtet sah das Brautpaar den Himmel voller Geigen und hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als wenn nur erst Ostern vorüber wäre. Das Vierteljahr, das noch dazwischen lag, glaubten sie kaum erleben zu können.

Es war ein kalter später Winterabend; der alte Hamm saß bei seiner Frau, die Krankheitshalber darniederlag, am Bette und plauderte mit ihr vom künftigen Hausstande ihres Sohnes. Dieser war heute ungewöhnlich lange auf dem Fischfange ausgeblieben und eben wollte die Mutter ihre Besorgnisse darüber äußern, als dessen schon von fern ertönendes fröhliches Gejol dieselben auf einmal zerstreute. Gleich darauf trat Bastian in besonders lustiger Stimmung zur Kammer herein und erzählte lachend, welch ein Glück ihm heute begegnet sey. „Hört nur,“ – hub er an – „in der Stadt ist ein Leben, so etwas hab’ ich mein Lebtage nicht gesehn! Um die Friedrichsburg und am Sand hin ist Alles voll Buden und Ständen, und zwei Kegelbahnen nebeneinander, und Zelte zum Tanzen – das muß ja Morgen eine Lust geben, wie im Paradies; denkt nur! all’ meine Fische hab’ ich an den Durlacherhof-Wirth verkauft und ihm selbst ins Haus bringen müssen. So viel Geld sollten wir alle Tag lösen, da seht einmal her, Vater!“ Mit diesen Worten schüttete Bastian seine Tasche voll blanker Münze auf den Tisch auf; der Vater strich schmunzelnd ein und überreichte das Geld der Mutter, die es auf dem Deckbette behaglich nachzählte. „Als ich die Fische hinbrachte“ – fuhr Bastian [441] indessen fort,“ – sagte der Wirth zu mir: Da, Bastian, setz’ dich her und iss und trink’, so lang’s dir gut schmeckt! – Ich ließ mir das natürlich nicht zweimal sagen. Da saß auch der Jäger des Grafen – den Namen hab’ ich vergessen – der ist ein Tyroler, ein kreuzlustiger Kerl; wir haben miteinander gesungen und angestoßen, nun, da konnt’ ich nicht so leicht fortkommen; die Gäste saßen um uns herum, horchten zu und schenkten uns immer die Gläser wieder voll; sonst wär’ ich schon lange zu Hause! Ich weiß auch jetzt, was die Jubelmesse morgen bedeutet; es hat’s mir Einer erzählt: der Churfürst hätte vor dreizehn Jahren die Gerechtigkeiten der Stadt bewilligt, und zum Andenken an diesen Freudentag wären eben diese Festlichkeiten zur alljährigen Feier festgesetzt worden.“

„Ja, so verhält es sich wirklich!“ – bemerkte der alte Hamm – „aber Bastian, Junge, du hast, scheint’s mir, ein wenig zu tief in’s Glas geguckt, ich denke, du thust nun am besten, du legst dich zu Bette und schläfst aus.“ – „Ja, aber der Tyroler“ – begann Bastian wieder mit Lachen – „der kann’s! Trinkt der doch den Wein hinab, wie wenn’s Neckarwasser wäre; und der Wirth hat gesagt, ich sollte nur zutrinken, es koste nichts, und sollte morgen in sein Zelt kommen, da könnt’ ich tanzen, so lang’ ich wollte, – die Musikanten wären frei. Gelt, Vater, da darf ich hin mit meiner Liese? – und doch tanz’ ich – und da tanzen wir – und –“ Der Vater wurde jetzt etwas verdrießlich und sagte: „ja, ja! geh’ nur jetzt und leg’ dich schlafen!“ was denn auch gleich geschah.

„Froh bin ich,“ – sprach der Vater, als er nun wieder mit seinem Weib allein war – „wenn der Junge einmal verheurathet ist; ich fürchte sonst, er wird mir noch lüderlich!“ Das wollte die Mutter aber nicht aufkommen lassen. „O geh!“ – versetzte sie – „was ist denn Arges daran, wenn er nun einmal ein Glas über den Durst getrunken! Er ist das nicht gewohnt – du weißt, wie ordentlich er sonst ist!“ In solchen Fällen hat eine Mutter immer tausend Entschuldigungen für den einzigen Sohn.

Am andern Tage ging Bastian wirklich mit seiner Verlobten zum Tanze. Die Mutter drückte ihm verstohlen noch ein Geldstück [442] in die Hand, machte ihm aber zur strengen Pflicht, ja nicht so spät heimzukommen, weil sie sonst in tausend Sorgen leben müsse. Bastian versprach Alles, was sie wollte, steckte noch all sein erspartes Geld in die Tasche und als Liese ihm darüber schüchtern Vorstellungen machte, warf er ihr hin: „Pah! wenn man’s auch nicht ausgibt, so steht’s dem Bräutigam doch wohl an, wenn ihm beim Tanz die blanken Thaler in der Tasche klingen!“

Jubelnder Frohsinn erfüllte die Straßen Mannheims; unter freiem Himmel wurde gesotten und gebraten, getrunken und geschmaußt; reihenweise saßen die lustigen Zecher, fröhliche Lieder schallten durch das Getümmel des Volks, dazwischen tönten nah’ und fern die Pfeifen und Geigen der Musikanten, die allerlei schöne Tanzweisen aufspielten. Bastian und seine Liese wähnten sich im Himmel; beide tanzten heute zum Erstenmale, so gut es eben ging, aber die Neuheit dieses Vergnügens wirkte auf sie mit ihrem ganzen Reize. Minuten erst schienen vorübergeflogen, da war der Abend schon da, da war die Stunde gekommen, die Liesen nach Hause rief. Mit blutendem Herzen verließ sie das herrliche Zelt, doch wollte sie dem Gebot ihrer Dienstherrschaft nicht ungehorsam seyn und Bastian begleitete sie bis an ihre Wohnung, wo er ihr auf der Schwelle feierlich versprach, sich gleichfalls unverzüglich nach Hause zu begeben. In der That war dies auch Bastians fester Wille und Vorsatz. Der Rückweg nach seines Vaters Hütte führte ihn wieder über den „Sand.“ Ein neues Vergnügen wär’ es ihm jetzt gewesen, das Fest als Zuschauer zu überblicken, doch, seines Versprechens eingedenk, ging er mit schnellen Schritten vorüber, nur zuweilen sich noch nach dem lockenden Schauplatze umsehend.

Um einen großen Tisch, auf dem mehrere Lichter brannten, drängten sich viele Menschen, meistens Soldaten; ihr oft wiederholtes Gejubel und Beifallsklatschen reizte Bastians Neugier, und als er näher trat, erkannte er den Tyroler, mit dem er Tags zuvor im Durlacher Hofe gesungen und gezecht hatte. Der Tyroler würfelte mit einem Juden um Geld und gewann fast immer. Nebenbei wetteten viele der Umstehenden, theils auf den Juden, theils auf den Tyroler, und das Alles ging [443] ungemein lebhaft zu. Der Tyroler hatte alle Taschen voll Geld. Indessen war Bastian bis zum Tische vorgedrungen. Kaum erblickte ihn der Tyroler, so rief er ihm freudig zu: „Grüß dich Gott, Bruderherz, komm her, versuche dein Glück ebenfalls! Da, der Wurf soll für dich gelten!“ – „Gilts?“ – fragte der Jude. – „Meinetwegen!“ – rief Bastian, selbst nicht wissend, wie ihm geschah. Die Würfel rollten, Bastian hatte gewonnen; der Jude zahlte mit verbissenem Grimme und warf von Neuem. Zum zweitenmale gewann Bastian und spielte nun weiter. Der Tyroler war verschwunden. Bastian gewann noch einigemale, dann aber wendete sich das Glück, das Spiel schwankte herüber, hinüber, und auf einmal verlor Bastian hintereinander nicht nur sein bereits gewonnenes, sondern auch den größten Theil seines mitgebrachten Geldes. Da zitterte seine Hand; er wollte den Würfelbecher niederlegen, doch ein alter bärtiger Wachtmeister, mit ernstem grämlichem Gesichte, der hinter ihm stand, brummte ihm in die Ohren: „Nicht nachgelassen! Das Glück dreht sich wieder; doppelt gesetzt!“ Bastian wagte, verlor, und stand wie vernichtet. – „Da hast du Geld!“ – raunte ihm der Wachtmeister wieder zu, ihm einen Beutel in die Hand schiebend – „setz’ nur frisch zu, das Glück dreht sich doch noch!“ Bastian war in der größten Beklommenheit; er wollte wegen des Geldes seine Besorgniß äußern, er möchte unvermögend seyn, es je wieder zurückzuerstatten, allein der Wachtmeister ließ ihn nicht zu Worte kommen und sagte immerfort: „Spiel nur, spiel’!“ Bastian griff abermals nach dem verhängnißvollen Becher. Aber auch nicht ein einzigesmal mehr gewannen seine Würfel und nicht lange, so war auch der geliehene Beutel in des Juden Händen. „Jetzt bist du mir fünfzehn Gulden schuldig!“ – flüsterte ihm der Wachtmeister zu und folgte dem vor Entsetzen Wankenden aus dem Gedränge, führte ihn in ein abgelegenes Zelt, ließ Wein kommen und sprach dem betäubten unglücklichen Bastian so lange zu, bis dieser aus lauter Verzweiflung mehrere Gläser rasch nacheinander leerte. Sein ohnehin aufgeregtes Blut gerieth durch das Feuer des Weines in noch heftigere Bewegung. Sein letztes klares Bewußtseyn schwand, noch zwei Soldaten setzten sich an den Tisch; Bastian trank mit [444] Allen, wurde vertrauter, nannte sie Kameraden, Freunde und Brüder, versprach, bei ihnen zu bleiben, nahm Handgeld und ward die Beute der Werber. Er wußte nichts mehr von sich und, sank in einen tiefen Schlaf.

Als er am andern Tage spät erwachte, fand er sich auf einem Wagen liegend, mit einem alten Mantel bedeckt; vor ihm saßen ein Offizier und zwei Soldaten, hinter dem Wagen her kam noch ein ganzer Trupp Angeworbener, in den verschiedensten Trachten. Den Zug schloß eine Anzahl Bewaffneter und so gings langsam fort der Heerstraße nach, dem schwäbischen Kreise zu. Bastian war in stummer Verzweiflung und biß sich in die Lippen, um sie nicht laut werden zu lassen; ihm bot sich keine Aussicht auf Hülfe, auf Rettung. Heiße Thränen strömten über seine Wangen bei dem Gedanken an seine Braut, seine Aeltern. Der Zug wälzte sich ohne Aufenthalt langsam fort. Bald mußte auch Bastian den Wagen verlassen, um sich den übrigen Gefährten hinten anzuschließen. Welchen Trost hätte ihm jetzt der Anblick eines Freundes gewährt! Aber unter Allen sah er keinen einzigen Bekannten.

Bastian’s Mutter hatte jene unglückliche Nacht qualvoll durchwacht, der Vater kein Auge geschlossen, nur Liesbeth ahnte nichts Schlimmes. Fröhlich hatte sie sich zu Bette gelegt, das Fest im Traume noch einmal durchlebt und ihr erster Gedanke beim Erwachen war der Wunsch, den Geliebten heute recht bald wiederzusehn. So trat sie munter ihre Tagwerk an. Statt Bastians kam aber dessen Vater mit sorgenvoller Miene zu ihr und als auch Liesbeth ihm keine weitere Auskunft über seinen Sohn geben konnte, als daß er sie gestern Abends heimbegleitet und ihr versprochen habe, sich ebenfalls gleich nach Hause zu begeben, da stieg seine Angst noch weit höher. Er ging von Straße zu Straße und forschte bei all seinen Bekannten nach, auch Liesbeth gab sich alle Mühe, doch vergebens. Erst nach einigen Tagen verbreitete sich das Gerücht, Bastian habe sich, vom Weine bethört, anwerben lassen, die näheren Umstände aber wußte Niemand anzugeben.

Für Bastians kranke Mutter war diese Nachricht ein Todesstoß, den sie nicht lange überlebte; noch vor Ostern ward sie zu Grabe getragen.

[445] Der alte Hamm sah sich nun allein, verlassen von aller Welt, ein hülfloser Greis, und wünschte gleichfalls zu sterben. Da kam Liesbeth in der Tiefe ihres eigenen Schmerzes zu ihm, versuchte ihn zu trösten, entschloß sich bei ihm zu wohnen, ihm bei seiner Arbeit zu helfen und nach ihren Kräften die verlorene Stütze zu ersetzen. Ihre fleißigen Hände schafften bald eine bessere Ordnung in die Hütte und in den kleinen Haushalt; sie pflegte den alten Hamm mit der kindlichsten Sorgfalt, nannte ihn Vater, verkaufte die Fische, die er fing, spann nebenher zierliches Garn, flocht Netze zum Verkaufe und den Sommer über prangten im Gärtchen die herrlichsten Rosen auf weit und breit, aus welchen sie manchen schönen Batzen auf dem Markte löste. Ueberhaupt schien Gottes Segen ihren Fleiß zu lohnen; die Dürftigkeit schwand immer mehr aus der Hütte, Zufriedenheit wohnte unter dem stillen Dache, nur dem Andenken des verschollenen Bastians floßen zuweilen stille Thränen. Ob er noch lebe oder den Tod gefunden, darüber kam nirgendsher Kunde; nur so viel verlautete, daß er mit nach Böhmen habe ziehen müssen. Die Nachrichten aus diesem Lande klangen für die Pfälzer nichts weniger als erfreulich; die Schlacht am weißen Berge war bereits verloren, Friedrichs Heer zerstreut, der Kurfürst ein Flüchtling geworden. Ereignisse von der höchsten Wichtigkeit stunden in drohender Aussicht. So verstrich ein trübseliger Winter. Mit dem ersten Frühlingshauch aber grünte Hamms Gärtchen wieder, die Rosen trieben hoffnungsvolle Knospen, Liesbeth wartete der zarten Erstlinge mit emsiger Sorgfalt und dankbar lohnte ihr diese mit dem reichsten Blüthenflore.

Eines Morgens weckte den alten Hamm verworrenes Getümmel aus der Ferne. Erschrocken stund er auf und trat vor die Hüttenthüre: die ganze Gegend wimmelte von Soldaten. Die Bayern hatten in jener Nacht unter Tilly’s Anführung die Festung Mannheim eingeschlossen und die Landstraße war bedeckt mit Geschützen und Fouragewagen, die noch nachkamen. Da stand der Greis wie vor einem unvermeidlichen Abgrunde und dachte: nun ist Alles verloren; es ist zu spät, noch in die Stadt zu flüchten; die wilden Kriegsschaaren werden auch diese Stelle nicht verschonen und mir Alles zerstören – ach! und [446] was wird aus meiner guten Liese werden! – In diesem Augenblick kam ihm die treue Pflegerin, die er eben wecken und auf das Aergste vorbereiten wollte, gefaßt und ruhigen Antlitzes entgegen. „Wir stehen ja in der Hand des lieben Gottes;“ – sagte sie, bereits unterrichtet von der drohenden Gefahr – „Fürchtet Euch nicht, Väterchen! Das Schlimmste, was uns etwa treffen mag, ist der Tod, und all’ unsre Lieben sind uns bereits vorausgegangen in den Himmel!“ – Nach diesen Worten kleidete sie sich sorgfältig an und verrichtete mit dem Vater ein herzliches Gebet. Kaum aber war dies zu Ende, als an der Hüttenthüre ein heftiges Pochen erscholl. Der Alte öffnete mit bangem Zagen. Ein Hauptmann trat herein, gefolgt von zwei Soldaten und viele andere blieben zur Bewachung draußen zurück. Der Hauptmann fragte nach des Fischers Namen, sprach ihm Muth ein und versicherte ihm, daß ihm kein Leid widerfahren solle, jedoch nur unter der Bedingung, daß er sich ruhig verhalte und keinen Schritt außerhalb der Hütte thue. Denselben Befehl gab er auch dem Mädchen, stellte hierauf zwei Mann als Wache vor die Thüre, entfernte sich wieder und ließ nahe bei der Hütte sein Zelt aufschlagen. Rings herum lagerte seine Mannschaft.

Fortwährend mehrte sich das Kriegsgetümmel. So weit das Auge reichte, blinkten Rüstungen und Waffen; Wagengerassel, Trommetengeschmetter lärmten durcheinander und in der Ferne rauschte die Feldmusik. Nicht minder lebhaft ging es in der Stadt zu; die Wachen wurden vermehrt; die Thore verrammelt, beim Geschütze standen die Kanoniere mit brennenden Lunten; mit allen Glocken wurde geläutet. Hamm und Liese konnten von ihrem Fenster aus Alles übersehen. Ihre Herzen pochten allmälig ruhiger, je mehr sich ihre Augen an den betrübenden Anblick gewöhnten; als aber plötzlich, an der Spitze seines Gefolges, der Städteverwüster Tilly vorbeiritt, da fühlte sich Liese von einer solchen Angst überfallen, daß sie mit dem Schrei „Gott sey uns gnädig!“ in die Arme des nicht minder bebenden Greises sank.

Bald darauf begann der Donner des Geschützes, die Trommeln wirbelten zum Sturme, dazwischen hallte das Geschrei der Krieger und der erste Angriff auf die Stadt erfolgte. Verzweifelte [447] Gegenwehr vermehrte die Wuth der Feinde. Jeder Tag gebar neues Entsetzen. Der mörderische Kampf dauerte drei volle Wochen – endlich fiel die unglückliche Festung in die Hände der Bayern, und Tilly’s Augenweide, der rothe Hahn, schwang seine Flügel über die Dächer Mannheims.

Liesbeth stand wieder am Fenster, die Züge mit Leichenblässe übergossen. Eben brachten die Soldaten einen Verwundeten in das Zelt, das nächst der Hütte aufgeschlagen war. Auf dem Angesichte der Krieger lag Trauer um den geliebten Hauptmann; eine Kugel hatte ihm das rechte Bein zerschmettert. Wenige Stunden nachher wurden Hamm und Liese in das Zelt gerufen. Der Hauptmann lag noch angekleidet auf einem Schragen, um ihn standen einige Freunde, sein Diener saß am Untertheil des Bettes und barg das verweinte Antlitz in die faltigen Decken.

„Tretet näher, gute Leute!“ – sprach der Hauptmann mit matter Stimme, – „der Unfall, der mich heute betroffen hat, ruft mir die alte Lehre in’s Gedächtniß, daß man nichts zu lang aufschieben solle, denn ungewiß ist uns die nächste Stunde. Hört, was ich euch erzählen will.

Die nächste Woche wird’s gerad’ zwei Jahre, daß wir bei Prag den weißen Berg erstürmten, auf dem sich die Böhmen mit den Pfälzern gelagert hatten. Die Schlacht war kurz, doch sank ich im Gedränge, von einem Kolbenschlag auf’s Haupt getroffen. Dicht an meiner Seite fiel ein Pfälzer, von meiner Hand verwundet. Wir wurden Beide, als die Schlacht gewonnen war, in’s Hospital getragen und kamen durch ein Spiel des Zufalls nebeneinander zu liegen. Der Pfälzer genaß in wenigen Wochen, auch meine Wunde war bald geheilt, aber nun überfielen mich plötzlich die fürchterlichsten Kopfschmerzen. Mein Zustand glich dem eines Wahnsinnigen. In einem Anfall solcher Raserei sprang ich an’s Fenster, mich hinauszustürzen. Schon hatte ich mich auf das Gesims geschwungen und war des Todes sicher, hätte nicht der Pfälzer, der mir nachgeschlichen, mich gepackt und zurückgerissen. Von diesem Augenblick an hielt er an meinem Krankenlager beständig Wache, er pflegte mich wie der wackerste Kamerad; bald war ich genesen, und weil ich ihm das Leben dankte, behielt ich ihn als treuen [448] Gefährten bei mir. Er diente mir mit seltener Anhänglichkeit, begleitete mich auf diesem Zuge hieher und als wir nun erfuhren, daß seine Braut noch lebe und sein Vater, da wünschte ich das freudige Wiedersehen als Zeuge mitzugenießen. Damit mir diese Wonne ganz ungestört zu Theil werde, wollte ich warten, bis es mit der Stadt in’s Reine gekommen seyn würde. Jetzt darf ich aber nicht länger säumen. Komm, Mädchen, komm!“

Mit diesen Worten ergriff er Liesbeths Hand, – sein am Bette knieender Diener richtete sich auf – „Bastian!“ schrie Liese – die Liebenden flogen sich in die Arme, der alte Hamm weinte laut vor Freude, die Hand des Hauptmanns mit Küssen bedeckend, und selbst in den Augen der umstehenden bärtigen Krieger perlten Thränen der Rührung.

Bastian und Liesbeth wichen von nun an nicht mehr vom Krankenlager des edeln Hauptmanns, aber ihrer Pflege gelang die erwünschte Rettung nicht, der Brand kam an die Wunde und der großherzige Mann starb wenige Tage darauf, nachdem er noch das Brautpaar zu Erben seiner bedeutenden Baarschaft eingesetzt hatte.

Hinter der Hütte in dem Gärtchen, in einem üppigwuchernden Rosenbeete, ward er begraben, und zwar mit allen Feierlichkeiten, womit man tapfere Krieger ehrt. Das ganze Regiment betrauerte den Verlust eines milden Führers, eines väterlichen Freundes.

Aber die heißesten Thränen um ihren Beschützer vergoßen Bastian und Liese. Das dankbare Pärchen, das kurz darauf seine Hochzeit feierte, unterhielt die Rosen auf seinem Grabhügel mit sorgsamster Pflege noch viele Jahre eines glücklichen Ehestandes hindurch.

Noch heißt jene Stelle bei Mannheim der Rosengarten. Den Lustwandelnden umspielen dort süße Wehmuthsgefühle und verstohlene Liebespärchen lenken gerne dahin auf dem einsamen Fußpfade.