Der Rhabarber
Der Rhabarber.
Diese höchst interessante und sehr nützliche Pflanze wird entweder zur Zierde im Parkgarten oder als Gemüse im Küchengarten oder wegen ihrer als Heilmittel unentbehrlichen Wurzel auf dem Felde gezogen. Sie ist vieljährig oder ausdauernd und durchaus winterhart, besitzt einen herrlichen gelblichweißen Blüthenstand, mächtig große Blätter und einen starken Wurzelstock, der einen gelben Farbstoff enthält; das Ganze bildet im Sommer bis zum Abschlusse des Wachsthums eine wahrhaft imponirende Pyramide.
Der Name Rhabarber (Rheum L.) wird von dem des Flusses Rha (die Wolga) abgeleitet, an dessen Ufern der sogenannte pontische Rhabarber (Rh. rhaponticum L.) häufig wildwachsend vorkommt, oder auch von dem asiatischen Worte Rha, das die Wurzel gewisser Knöterichgewächse (Polygonum L.) bezeichnet, die dem Rhabarber botanisch sehr nahe stehen. – Das Vaterland der Pflanze ist, je nach der Art, das Himalayagebirge, China, das Tafelland der Tatarei (Rh. Emodi Wall.), oder das südöstliche Europa, die Strände der Wolga am pontischen Meer, oder der nördliche Abhang der Tibeter Alpen in der Provinz Kansu (Rh. tanguticum E. Rgl.).
Als den wirklichen und allein echten medicinischen Rhabarber hat man bis vor Kurzem den bereits genannten Emodi- oder Nepal-Rhabarber angesehen, der nach dem Deutschen Calau, welcher lange Zeit der „Rhabarberbracke“ in Kiachta vorgestanden hat, vorzüglich aus der Provinz Gansul, zwischen dem 35. und 40. Grad nördlicher Breite kommen sollte. Nach den langwierigen und mühsamen Untersuchungen, welche die verflossene Ostindische Kompagnie und auch die Kaiserin Katharina von Rußland anstellen ließen, und besonders nach Dr. Wallich, dem Direktor des botanischen Gartens in Kalkutta, war er die Mutterpflanze der allein echten und besten russischen Rhabarberwurzel (Radix rhei moscoviti), deren Vaterland absichtlich von den Bucharen verheimlicht wurde. Man gräbt dort im April und Mai die Wurzeln der vier- bis sechsjährigen Pflanzen aus, schält sie und hängt sie in zerschnittenen, etwa faustgroßen Stücken zum Trocknen auf, weil sie sonst leicht faulen würden. Die verhältnißmäßig leichte Wurzel riecht eigenthümlich, schmeckt widrig-bitter und etwas zusammenziehend, knirscht beim Kauen zwischen den Zähnen wegen der kleesauren Kalkerde, welche sie enthält, und färbt den Speichel safrangelb.
Die Regierungen Rußlands und Chinas hatten gewisse Verträge für den Handel mit Rhabarberwurzeln abgeschlossen, denen sich die beiderseitigen Kaufleute unbedingt unterwerfen mußten, und wir erhielten die Wurzeln entweder zur See von Kanton aus, den sogenannten chinesischen oder indischen Rhabarber, oder durch die Russen, denen sie durch die Bucharen über Kiachta in Sibirien gebracht wurden; kaiserliche Kommissarien mußten sie untersnchen und ließen fehlerhafte Waare verbrennen. – Uebrigens ist die Rhabarberwurzel, die den Arabern schon länger als Heilmittel bekannt war, erst vor etwa 275 Jahren durch einen gewissen Adolph Occa in unseren Apotheken eingeführt worden.
Aber vor ungefähr 10 Jahren gelang es dem berühmten Reisenden Oberst Przewalski, in der Provinz Kansu die echte Rhabarberpflanze zu entdecken, von ihr Samen zu sammeln und dem kaiserlichen botanischen Garten in Petersburg beziehungsweise dessen Direktor Wirklichen Geheimrath Dr. E. von Regel einzusenden. Hier hat sich nach dem Anbau des Samens und der Kultur der Pflanze bis zur Blüthe herausgestellt, daß dies Rheum palmatum L. var. tanguticum E. Rgl., eine Varietät des palmenartigen Rhabarbers sei. Diese Varietät allein liefert die wirksamen Stoffe: Chrysophansäure und Emodin, von denen die bisher als officinell geltenden Arten Rh. Emodi Wall. und australe Don nicht mehr als die Hälfte enthalten, wie das durch die Untersuchungen der Professoren Beilstein und Dr. von Mercklin in Petersburg bewiesen wurde.
Was uns aber nach dieser Entdeckung am meisten interessirt, ist die Thatsache, daß dieser Rhabarber auch bei uns auf dem Felde gezogen werden kann, wenn man einen trocken gelegten (drainirten) Moorboden auf Sand zur Verfügung hat. Beide Erdschichten sind dann beim Tiefgraben (Rigolen) zu vermischen und mit etwas Rosenlehm und Dünger zu überziehen. Ein solcher sonst wenig brauchbarer Boden läßt sich durch den Anbau von Rhabarber zu einem hohe Zinsen tragenden Kapital verwandeln. Die Pflanzen zieht man aus Samen, der u. A. bei Haage und Schmidt in Erfurt vorräthig ist.
Der Rhabarber ist auch eine ausgezeichnete Pflanze des Küchengartens, deren Blätter im gebleichten Zustande als Salat verwendet und deren Blattstiele, die Apfelsäure enthalten, im Frühjahr ein wohlschmeckendes Kompot geben, das in England, Dänemark, Schweden, Nordamerika etc. mehr als in Deutschland in allen Kreisen der Bevölkerung gern gegessen wird. In London und New-York kommen ganze Wagenladungen von Blattstielen auf den Markt. Der Blüthenstand wird im Sommer, noch ehe er sich voll entwickelt hat, mit dem etwa 25 Centimeter hoch gewordenen Stengel abgeschnitten, zubereitet und als Blumenkohl gegessen. Darüber wird jedoch wohl jedes Kochbuch nähere Auskunft geben. Was aber von unseren Kochbüchern nur wenige zu wissen scheinen, das ist die Bereitung des Saftes aus den Blattstielen mit Hilfe von Wasser, Zucker und etwas Traubenwein zu einem berauschenden „Champagner“ oder zu einem angenehmen Tischwein. Für Letzteren nimmt man zu je zwei Kilo dünngeschnittener Blattstiele zwei Liter Wasser, bringt die Mischung in ein reines Holzgefäß, das man bedeckt, und rührt sie während einer Woche täglich dreimal mit einem reinen Holzstab um. Nach dieser Zeit läßt man die Flüssigkeit durch ein großmaschiges Sieb gehen und setzt zu je drei Litern zwei Kilo weißen Zucker, den Saft von zwei Citronen und die auf Zucker abgeriebene Schale einer Citrone hinzu; in einem Fasse, das durch Auffüllen von Zuckerwasser voll erhalten wird, läßt man die Flüssigkeit gähren, klärt und füllt sie in Flaschen. Heinrich Semler in San Francisko behauptet in seinem ausgezeichneten Buche „Obstverwerthung und Obstbau“, daß von den zahlreichen Abarten des kultivirten Rhabarbers die „Victoria“ genannte die beste sei zu dieser Art von Weinbereitung, die auch nach folgender Vorschrift erfolgen kann: Man zerschneidet die Blattstengel fein, preßt sie durch eine Handpresse aus, giebt dem Saft das gleiche Maß weiches Wasser und auf vier Liter Saft 31/2 Kilo braunen Zucker bei und läßt ihn gähren, wie oben gesagt wurde.
Ein delikates Gelee erhält man, wenn die Blattstiele des Rhabarbers in Stücke geschnitten, mit spärlichem Wasserüberguß schnell gekocht und ausgepreßt werden, wonach man jedem Liter des Breis 1/2 Kilo Zucker zusetzt, wobei zu bemerken, daß nach langsamem Kochen das Produkt trübe wird. Eine erfrischende Limonade erhält man, wenn sechs fein zerschnittene Blattstiele vom Rhabarber zugleich mit einem Kilo Zucker und 30 Gramm gestoßenem Ingwer in zwei Liter Wasser eine Stunde lang gekocht werden, denen man nach und nach noch ein Liter Wasser zugießt. Nun läßt man die Flüssigkeit stehen, bis sie die Temperatur kuhwarmer Milch hat, seiht sie dann durch Filtrirpapier, rührt sie zu Schaum und füllt sie in Flaschen, in denen sie sich mehrere Tage hält. Die Rhabarberstengel können auch zu künftigem Gebrauch wie das Obst gedörrt werden, wozu die dem „Alden-Apparat“ nachgebildeten deutschen Einrichtungen besonders zu empfehlen sind.
Der Rhabarber ist, wie oben bereits angedeutet wurde, eine Dekorations-Blattpflanze ersten Ranges, die, einzeln oder zu dreien auf dem Rasen des Parkgartens stehend, von keiner andern übertroffen wird; doch muß man die Blüthe mit dem Stengel abschneiden, ehe der Same sich bildet; wenn dieser erscheint, werden beinahe immer die Blätter unscheinbar. Als Ziergewächse werden gewöhnlich die Arten Rh. Collinianum Baillou, Emodi Wall. und Officinale Baillou gebraucht, und namentlich Emodi zeichnet sich dadurch aus, daß die Blätter in der ersten Jugend kupferroth sind; Officinale und Officinale tanguticum haben ganz besonders große Blätter.
Aber seit wenigen Jahren sind im botanischen Garten der medicinischen Fakultät in Paris durch künstliche Befruchtung zwischen Collinianum und Officinale oder umgekehrt verschiedene Blendlinge entstanden, von denen drei so außergewöhnlich schön sind, daß sie auch hier erwähnt werden müssen, nämlich Florentin, Faguet und Carrière. Die erstere Varietät hat Blätter von einem Meter Durchmesser, der Blüthenschaft wird drei Meter hoch; die Blumen hängen elegant über und zeigen ein wunderschönes Karminroth, zwischen dem sich die viel dunkleren Knospen ganz wunderschön hervorheben. Faguet entwickelt Blätter von riesiger Ausdehnung; der Blattstiel wird 0,80 bis 1,0 Meter lang und das Blatt selbst größer als einen Meter im Durchmesser; die sehr schöne rosenrothe Blumenrispe erhebt sich beinahe drei Meter hoch und reicht mit den purpurrothen Samen selbst noch höher. Carrière, die dritte Varietät, hat 50 Centimeter lange Blattstiele und Blätter von 1,2 Meter Durchmesser; die beinahe aufrechtstehende Blüthenrispe hat eine schöne rosenrothe Fleischfarbe, die bei den Samen in Purpurroth übergeht. Sämmtliche drei Varietäten sind außerordentlich zierend und entwickeln sich auf dem Rasen um so vollkommener, je nahrhafter man ihnen den Boden bereitet, der aber keinenfalls trocken sein darf. Die Anzucht geschieht in bekannter Weise aus Samen, der aber vor nächstem Jahre in Deutschland, wie es scheint, „im Handel“ nicht vorräthig sein wird. O. Hüttig.