Der Redacteur im fernen Westen

Textdaten
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Titel: Der Redacteur im fernen Westen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 760–763
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Redacteur im fernen Westen.

Eine Stadt auf dem Grund und Boden der Vereinigten Staaten – möge sie vorläufig auch aus nichts weiter bestehen als einem paar Kaufläden „für Alles“, einigen Schenkstätten, einem Schulhause und zwei oder drei Dissentercapellen – ohne Tages- und Wochenblatt, oder vielmehr ein Organ, welches die Interessen der amerikanischen Demokratie, und ein anderes, das die der Republikaner vertritt und verficht – verficht oft genug in der buchstäblichen Bedeutung des Wortes – ist geradezu undenkbar, undenkbar in den eben erst zur Civilisation geweckten neuen Colonien des fernen Westens wie in den ihr seit Jahrhunderten erschlossenen „alten“ Staaten Neuenglands.

Es ist ein originelles Gewächs diese fernwestliche Presse, ein nicht minder originelles Subject aber der Herausgeber und Redacteur des fernen Westens. Begleite uns also der Leser einmal auf einem Sommerausfluge nach einer jener stillen kleinen Städte am Rande der Prairie, einem jener Orte ohne klingenden Namen, von denen es schwer ist zu bestimmen, wo das Land aufhört und die Stadt anfängt, und wo die Bewohner in ihrem dolce far niente sich vor dem Specereiladen auf der Schattenseite der Straße in ihren Schaukelstühlen wiegen, Tabak kauen und um die Wette – spucken.

Noch haben wir uns kaum unserer kolossalen mexicanischen Pfundsporen entledigt, noch ist am Schenktisch der Bude, die sich „Hotel“ titulirt, unsere erste Herzstärkung nicht völlig hinabgespült, noch haben wir die frische Havanna nicht in Brand gesteckt, so tritt ein mit schäbiger Eleganz gekleidetes Individuum geschäftig zu uns heran und beginnt mit jenem Gemisch von vorsichtiger Verschlagenheit und unverschämter Zudringlichkeit, wie sich in gleicher Vollkommenheit nur der Amerikaner seiner rühmen darf, ein Kreuzfeuer von Fragen über uns auszugießen. Einigermaßen verdutzt, betrachten wir uns die seltsame Erscheinung mit den listig funkelnden kleinen Augen, die währenddem auf die gegenüberliegende Wand des Zimmers eine unaufhaltsame Fluth von braunem Tabakssaft ausgesprudelt hat, etwas näher, um, nicht mehr grün in den Verhältnissen und Gestalten des Landes, sofort zu wissen, daß wir einen der Zeitungsherausgeber und -Redacteure des Ortes vor uns zu sehen das Vergnügen haben.

Eben ist die Neuigkeitspumpe im schwunghaftesten Gang; mit einem Male fährt unser Preßmann auf, als sähe er einen Alligator auf sich losrudern, schiebt hastig und geschwind den Tabaksknäuel von der rechten nach der linken Wange, schleudert einen noch energischeren Strahl als die bisherigen nach dem erkorenen Ziele und eilt mit dem Ausdruck supremster Verachtung im Gesicht durch die offene Thür von dannen. Von der jenseitigen Seite der Straße aber nähert sich mit den langen Schritten der langen Beine eine Figur in Hemdärmeln, – der Besitzer und Herausgeber des gegnerischen Blattes. Zufällig ist dies von der Farbe, zu welcher sich unser Wirth bekennt; es ermangelt derselbe daher nicht, uns den „Doctor“ oder „Richter“ oder „Capitän“ So und So – ohne Titel geht es bekanntlich in dem republicanischen Amerika noch viel weniger als bei uns im monarchischen Deutschland; die Capitäne, Obersten und Generale sind zahllos in den Vereinigten Staaten – „den Herausgeber des ‚Freiheitspaniers‘ und einen der ausgezeichnetsten Bürger dieser Stadt“, in aller Form vorzustellen.

Capitän So und So ist, wie uns nähere Bekanntschaft lehrt, durchaus nicht das wilde, blutschnaubende, grausame Geschöpf, als welches es sich in seinen Leitartikeln und namentlich in seinen „persönlichen Notizen“ darstellt. Es ist vielmehr ein Mann von wohlwollender Gesinnung, der uns auf das Gastfreundlichste einladet, ihn auf seinem Bureau zu besuchen, welches, wie wir finden, Setzer- und Drucksaal, Wohnstube und Redactionsbureau, kurz Alles in Allem ist, obschon es außer einem mit Tabakssaft gesprenkelten Ofen, einem Tisch und einem abgenutzten Schaukelstuhl der wohlfeilsten Art blos die zu Leben und Geschäft allerunentbehrlichsten Möbeln und Geräthe enthält. Zugleich aber scheint das vielseitige Gemach der Hauptversammlungsort aller Politiker und Bummler der Stadt zu sein, die sich um das „Freiheitspanier“ schaaren.

Der Herr Redacteur selbst entschlüpft, wenn er gerade nichts Dringendes zu verrichten hat, dann und wann diesem Tempel der Literatur, um einen vorübergehenden Bekannten zu fragen, „ob er nicht etwa Stoff zu einer kleinen Notiz bei sich hat,“ oder eilt hinüber einen Goldgräber „auszupumpen“, welchen er gerade auf der Straße erblickt und der soeben erst in der Stadt angelangt ist, seinen Wochenbedarf an Bohnen und Schweinefleisch gegen Goldstaub einzuhandeln. [761] Kurz darauf sehen wir das würdige Paar sich in ein Schenkhaus verlieren; sind die Nachrichten aus den Minen, dem Gegenstande, worauf sich in diesen Bezirken des fernen Westens vor allem Andern das Interesse concentrirt, besonders pikanter Natur, so beehrt der ungeschlachte Goldgräber, mit dem Redacteur Arm in Arm wandelnd, wohl auch das Office selbst mit seinem Besuche. Hier werden seine Mittheilungen sonder Verzug Schwarz auf Weiß festgenommen; mit aller ihm möglichen Cordialität bittet der jetzt höchst emsige Herausgeber seinen Gast, sich’s bei ihm bequem zu machen, weniger aus Gastfreundschaft, als um ihn dem „Oppositionsblatte“ aus dem Wege zu schaffen, denn in diesen öden, abgeschiedenen Orten in den Bergen und Wüsten des fernen Westens ist jeder Mensch, der Neues zu berichten weiß, eine Persönlichkeit von allergrößter Bedeutung, ein gefundener Schatz und verdient demgemäß ungewöhnliche Rücksicht und Aufmerksamkeit.

In der Regel hat der amerikanische Redacteur, speciell der Redacteur des fernen Westens, seine Laufbahn als Setzerjunge eröffnet, hat alle Staffeln dieser Carriere erklommen und ist schließlich Besitzer einer Druckerei und Herausgeber eines Blattes, sehr oft Leitartikelschreiber, Redacteur, Hauptmitarbeiter, Setzer und Drucker derselben in einer und derselben Person geworden. Manchmal ist er früher auch wohl Omnibuskutscher oder Gasthofsportier gewesen, bis ihn die speculative Richtung seines Geistes auf die höhere Laufbahn geführt hat. Am häufigsten indeß pflegt er zugleich Sachwalter und Winkeladvocat zu sein, der seine Mußestunden mit Politik und Literatur ausfüllt und sich dergestalt allmählich bis zu einem Sitze in der Legislatur seines Staates oder Territoriums aufschwingt. Wohl giebt es nur wenige Staatsmänner des fernen Westens, die nicht, ihren Weg als Setzer oder Buchdrucker beginnend, sich zum Redacteur und Rechtskundigen emporgearbeitet und schließlich ihren Platz unter den Gesetzgebern des Landes gefunden hätten. Auch ist es ein Wunder, wenn ein Redacteur einmal Zeit seines Lebens dem Redactionspulte treu bleibt; mit der Beweglichkeit, wie sie diese Männer des Westens kennzeichnet, legt er vielmehr Stahlfeder und Rothstift, Scheere und Kleisterpinsel unbedenklich nieder und ergreift ohne Weiteres das erste beste Geschäft, welches ihm größere materielle Vortheile verspricht, als die Einnahme seiner Zeitung; geht unter die Goldgräber, errichtet einen Kleiderhandel, wird Locomotivenführer oder Dampfschiffcapitän, je nachdem sich die Chancen darbieten. –

Ein Merkmal haben alle diese auf schlechtem Papiere gedruckten, im Ganzen ziemlich ärmlich aussehenden Tages- und Wochenblätter des fernen Westens mit einander gemein, Etwas, was vor allen ihren sonstigen Besonderheiten dem Fremden zunächst auffällt – es ist das persönliche Moment, die persönliche Polemik und persönliche Ruhmredigkeit, die persönliche Mittheilung und Benachrichtigung, welche den Grundton des Ganzen ausmachen. Unsere deutschen Parteiblätter, zumal gewisse Organe jenseit des Maines, commandiren nachgerade ein recht nettes Register von freundschaftlichen Ausdrücken und Apostrophen, wenn es sich darum handelt, den Blättern einer Gegenfraction kleine Artigkeiten zu sagen, allein was wollen ihre bittersten Ergüsse, ihre schärfsten Stiche, ihre plumpsten Hiebe bedeuten gegen die desfälligen Leistungen ihrer transatlantischen, speciell ihrer Collegen im fernen Westen! Es ist eitel Honigseim, eitel Liebkosung und Sammethandschuhstreicheln im Vergleich zu den amerikanischen Attaken. Das Lexikon der amerikanischen Redacteure ist unerschöpflich für dergleichen Ausfälle und Scharmützel, der gesammte Wortschatz der englischen Sprache nebst dem ansehnlichen Zuwachs von Yankeeursprung reicht oftmals nicht aus, der politischen Feindschaft und Gehässigkeit Ausdruck zu verleihen, die schöpferische Einbildungskraft des Herausgebers erfindet vielmehr noch die ungeheuerlichsten Substantiva und Adjectiva, die ungeheuerlichsten Wortbildungen, um dem Grimme Luft zu machen, der seine für das Wohl des Vaterlands glühende Brust erfüllt. Merkwürdig aber, diese Ausfälle richten sich immer weniger wider das feindliche Lager oder das ihm dienende Blatt, sondern speciell und wiederum ganz persönlich wider den gegnerischen Redacteur selbst, „den gemeinen Hund Capitän E. Taylor, der das lumpige Zweibitblatt[1] drüben über der Straße herausgiebt.“ Um jedem etwa aufsteigenden Argwohn, daß wir übertreiben, von vornherein zu begegnen, bemerken wir ausdrücklich, daß die eben angezogene redactionelle Herzerleichterung keineswegs eine poetische Licenz, sondern buchstäblich einer Zeitung des Westens entlehnt ist, ebenso wie die gesammte Blüthenlese gewählter Höflichkeiten und interessanter Anzeigen, mit denen wir im Nachstehenden unsere Leser zu unterhalten denken, Wort für Wort, ohne eine Silbe schmückender Zuthat, in verschiedenen westamerikanischen Blättern zu lesen sind, welche wir uns zum Zwecke dieser Mittheilungen gesammelt haben.

Der Herausgeber eines in San José in Californien erscheinenden Organs liegt mit einem andern dortigen Redacteur im Streite; man höre nun, welches anmuthige Bild er von seinem Collegen entwirft. „Der Kerl ist seines Zeichens nichts als ein Bummler und gewöhnlich nur in Trink- und Branntweinstuben anzutreffen, nicht etwa blos in den Wahlperioden, sondern Jahr aus Jahr ein. Er spielt mit der Politik, gerade wie er mit falschen Karten spielt oder Jemandem die Kehle abschneiden würde, um im Monte (einem bekannten mexicanischen Hazardspiele) zu gewinnen. Sein Haar trägt er kurz abgeschnitten wie die Raufbolde und Boxer von Profession, damit ihn in der Hitze des Gefechts Niemand etwa am Schopfe packen und so ihm einen Vortheil abgewinnen könne. Sein Gehirn sitzt ihm hinter den Ohren und sein Gesicht ist blos ein convexer Fleischklumpen, in welchem stets wenigstens das eine Auge von der letzten Balgerei her noch das schwarze Trauerkleid trägt. Frömmigkeit und Gottesfurcht liegen völlig außer seinem Wege, dagegen ist Fluchen und Lästern seine Force. Mit verbundenen Augen kann er einen Whiskypunsch von einem Genevergrog unterscheiden und verbraucht alle Tage ein Pfund Kautabak. Sein Geld vergeudet er mit zweideutigen Weibern und macht es sich zur besondern Ehre, niemals seine Schulden zu bezahlen. Oeffentliche Aemter nimmt er nur an, um Staat und Publicum zu bestehlen, und ist ehrlich blos so lange, wie es besser lohnt, als die Schurkerei.“

Welche Rolle das persönliche Element in der amerikanischen Tagespresse spielt, erhellt vielleicht noch deutlicher aus einer Zeitung Nevada’s, die gleichfalls ein Stück unserer interessanten Sammlung bildet. Es ist die „Virginia Enterprise“, und darin steht unter andern classischen Stellen auch die folgende: „Wir nehmen soeben wahr, daß Herr Brier (der Redacteur der am selben Ort publicirten „News“ – Nachrichten) einen neuen Rock anhat. Entsinnen wir uns recht, so ist vor Kurzem ein Kleider- und Schnittwaarenmagazin ausgebrannt, bei welchem Anlaß ein paar Röcke vermißt worden sind, die, wie man bestimmt weiß, vor den Flammen geborgen wurden. Selbstverständlich enthalten wir uns aller Betrachtungen hierüber, auch fällt es uns nicht im Allerentferntesten ein, zu behaupten, daß Herr Brier sich etwa eines dieser Kleidungsstücke angeeignet habe. Behüte Gott! Wir constatiren nur die eine und die andere Thatsache.“ –

Der Herausgeber eines andern Blattes ruft mit Entrüstung aus: „Wahrhaftig, eine gekochte Mohrrübe wird eher die Alpen durchbohren, als ein einziger Funke gesunden Menschenverstandes durch den dicken Hirnkasten eines gewissen Redacteurs zu dringen vermag.“ – In San Leandro – ebenfalls jenseit des Felsengebirges – bittet der Herausgeber der „Oakland News“ den Redacteur einer andern Zeitung höflichst um Entschuldigung wegen eines Druckfehlers, welcher in der letzten Nummer seines Blattes stehen geblieben sei; er habe seinen Collegen nicht Affen, sondern Esel nennen wollen. (Die eigentliche Pointe dieser eleganten Redewendung ist unübersetzbar: monkey“ heißt nämlich Affe und donkey“ Esel.) Manchmal nehmen dergleichen Federplänkeleien einen etwas minder harmlosen Charakter an. So schreibt der vielgenannte Herausgeber eines weit verbreiteten westamerikanischen Blattes vom Hauptcorrespondenten einer gegnerischen Zeitung: „Mr. Prentice ist ein Erzlügner, und wir werden ihm dies in’s Gesicht sagen, wann und wo wir ihm immer begegnen.“ Hierauf erwidert der also Angegriffene in der nächsten Nummer seines Organs: „So meinen Sie, Mr. Smith? Zur selben Zeit, wo Sie Ihren Vorsatz ausführen, wird ein Leichenbegängniß nothwendig werden und die Familie Smith als Hauptleidtragende dabei fungiren.“ Das läßt wenigstens von Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Vor einigen Jahren brachten wir einen Abend in den Dalles zu. Die Dalles sind eine rasch emporblühende kleine Stadt unweit [762] der großen Katarakten des Columbiastromes, jenseit des Felsengebirges an der Straße nach den Goldminen von Idaho, und unsern Lesern vielleicht bekannt durch den umfänglichen Lachsfang, welchen die Indianer in der Nähe der erwähnten Stromschnellen betreiben. Der Ort wimmelte gerade von Fremden und Reisenden. Unter der bunten Menge derselben befand sich auch eine Anzahl von Mitgliedern der Presse, welche nach den Minen gehen wollten, um von dort aus ihren verschiedenen Blättern detaillirte Berichte einzusenden. Einer dieser Herren, ein Mr. Samuel Bowers, dem ich vorgestellt wurde, machte mir den Eindruck eines wohlunterrichteten und liebenswürdigen Mannes, so daß ich mich sofort zu ihm hingezogen fühlte und, nach Brauch und Sitte des Landes, manches Glas Branntwein und Wasser, manchen Sherry-Cobler und Whiskey-Toddy (beliebte amerikanische Getränke) mit ihm leerte, ja, wenn ich mich nicht ganz irre, einen regelmäßigen Briefwechsel mit ihm verabredete. Wie sehr war ich daher erstaunt, als ich am nächsten Morgen in einem in den Dalles erscheinenden Wochenblatts die nachfolgende Schilderung meines Freundes vom gestrigen Abend las: „Goldgräber und Bergleute, paßt auf! Unter anderen Hallunken, Dieben, Räubern, Kehlabschneidern und Lumpen im Allgemeinen war auch Samuel Bowers hier, der seither als Zeitungsredacteur, Schulfondsdieb und in mehreren ähnlichen Rollen thätig gewesen ist. Wir glauben, daß er sich auf der Reise nach den Minen befindet, in welchem Falle jeder rechtschaffene Goldgräber und Bergmann sich doppelt und dreifach in Acht nehmen möge, sonst wird Sam ihn ‚machen‘, das ist klar wie der Tag.“

Natürlich konnte ich nicht umhin, dem Bekannten, welcher mich mit Bowers in Verkehr gebracht, meine Verwunderung darüber auszusprechen, daß er mir zur Gesellschaft einer so anrüchigen Persönlichkeit geholfen hatte. „Ach,“ antwortete er, „was will denn das weiter sagen! Bowers ist vielleicht nicht gerade ein Tugendausbund, doch so schlecht nicht, wie ihn das Blatt hier machen will; er bekennt sich eben zu einer anderen politischen Meinung als die Leute hier herum, das ist der Kern der Geschichte. Wollen einmal abwarten, was die Blätter weiter stromaufwärts sagen.“

Und diese Blätter zögerten nicht sich vernehmen zu lassen. Eine im nächsten Dorfe herauskommende Wochenschrift druckte die ganze oben erwähnte Stelle ab und setzte als Commentar hinzu: „Sam hat unsern Ort passirt, ohne daß hier irgend etwas vermißt wird.“ Eine andere Zeitschrift fügte weiter bei: „Sam ist am Donnerstage auch bei uns gewesen, doch, soviel wir in Erfahrung bringen konnten, ohne daß der beweglichen Habe unserer Mitbürger Schaden geschehen wäre. Zwar munkelte man von einer Kinderklapper und einer rothglühenden Ofenplatte, welche fehlen sollten, allein es hat sich herausgestellt, daß dies nur leeres Gerede war.“

Der Redacteur der „Solano-Preß“ titulirt seinen Collegen vom „Herald“ einen einfältigen Esel, einen verächtlichen Köter, einen schmutzigen Hund und einen nichtswürdigen Lügner. Einer ähnlichen parlamentarischen Sprache befleißigt sich „der Staatsmann von Oregon“ mit Bezug auf einen andern Redacteur: „Wir drucken weiter unten eine niederträchtige, verruchte, fluchwürdige Lüge aus den Spalten des ,Oregon-Tageblattes’ ab. Nächste Woche, wenn wir Zeit und Raum dazu haben, wollen wir darauf entgegnen; für heute genüge dem ordinären, stinkmäuligen, ungebildeten Hunde zu wissen, daß wir ihn fortwährend im Auge behalten und daß er uns nicht entwischen kann.“

Es ist leicht begreiflich, wie dergleichen Persönlichkeiten gelegentlich zu sehr fühlbaren Handgreiflichkeiten ausarten; nicht nur zählen derartige Begegnungen zwischen den Redacteuren der rivalisirenden Blätter selbst zu den tagtäglichen Vorkommnissen, sondern finden oft genug auch zwischen Herausgebern und Publicum statt. Meistens bleibt es bei einfachen Prügeleien, und ich glaube, kein Zeitungsredacteur des fernen Westens darf sich rühmen, bei passender Gelegenheit nicht seine Tracht Hiebe davon getragen zu haben. Indeß auch ernstliche Ehrenhändel und blutige Angriffe, die leider häufig einen traurigen Ausgang nehmen, gehören zu den gewöhnlichen Abwechselungen des Westamerikanischen Redacteurs. So war der uns bekannte Herausgeber eines texanischen Blattes in der kurzen Zeit von sechs Monaten zweimal von Kugeln, ebenso oft durch Messerstiche verwundet, einmal mit einem „Todtschläger“ bearbeitet und einmal in einen liefen Teich geworfen worden, allen diesen Fährlichkeiten jedoch glücklich entkommen. In demselben Zeitraume erschoß er selbst zwei seiner Gegner im Zweikampf. Ein anderer Redacteur, Namens John King, der Herausgeber des „San Francisco-Herald“, wurde von einer Bande von Strolchen umgebracht, gegen deren ruchloses Treiben er in seinem Organe zu Felde gezogen war. Sein Tod gab den nächsten Anlaß zur Gründung jenes Vigilanz-Comité’s in Montana, welches ein interessanter Artikel der Gartenlaube unsern Lesern bereits früher geschildert hat. Zwar eine ungesetzliche Behörde, nur ein Act der Selbsthülfe und lediglich Volksjustiz, hat dieses Comité doch binnen Kurzem verhältnißmäßige Ruhe und Ordnung geschafft in Gegenden, wo vorher die wildeste Anarchie herrschte und Raub und Plünderung, Mord und Todtschlag an der Tagesordnung waren.

In einen Ort dieses gefährlichen Gebietes, der sich einer besonders zahlreichen Schaar jenes wüsten Gesindels zu erfreuen hatte, war ein neuer Zeitungsredacteur gekommen. Ein entschlossener Charakter, warf sich derselbe alsbald tüchtig in’s Zeug und ging in seinem Blatte dem Unwesen, welches die Schaar stiftete, nachdrücklichst zu Leibe, noch ehe das große Publicum ihn von Angesicht zu Angesicht kannte. Eines Morgens, nachdem er Tags zuvor einen besonders scharfen Artikel gegen die Bande losgelassen hat, sitzt er ruhig in seinem Büreau, als ein verdächtig aussehender vierschrötiger Gesell hereintritt und, die schwere Reitpeitsche schwingend, nach dem Redacteur fragt. Nichts Gutes ahnend, bittet der letztere seinen Gast, einstweilen Platz zu nehmen während er hinunter gehen wolle, um den Redacteur herbeizurufen, der auf einen Augenblick sich zum Nachbar hinüberbegeben habe. Auf der Treppe begegnet er einem zweiten unheimlichen Individuum, das, einen dicken Knüttel in der Hand, gleichfalls gebieterisch nach dem Redacteur verlangt.

„Der Herr Redacteur sitzt oben in seinem Bureau,“ antwortet er mit Geistesgegenwart; „belieben Sie sich nur hinaufzubemühen, Sir.“

Er läßt ein paar Minuten verstreichen, dann lugt er vorsichtig in das Zimmer und sieht, wie die beiden Strauchdiebe einer über den andern auf der Diele liegen und sich mit ihren Waffen nach Herzenslust bearbeiten. Jeder hatte den Andern für den verhaßten Redacteur gehalten, und bei der Wuth, welche in beiden kochte, war alle Verständigung unmöglich gewesen. –

Wer jemals eine amerikanische Zeitung in die Hand genommen hat, der weiß, welcher Raum in jeder Nummer dem Inseraten- und Reclamewesen gewidmet ist und daß dieses letztere, wie im amerikanischen Verkehrsleben überhaupt, so in der amerikanischen Tagespresse ganz besonders einen mächtigen Factor abgiebt. In der Presse des fernen Westens haben Anzeige und Reclame ihre vollkommenste Entwicklung gefunden. Hier annoncirt alle Welt; hier macht Jedermann und muß Jedermann Reclame machen, der Gelehrte und Künstler, der Pfarrer und Advocat so gut wie der Handels- und Gewerbsmann; hier ist ohne Klappern und zwar tüchtiges Klappern kein Handwerk denkbar, und dies wiederum wird die Ursache, daß eine so ungeheure Anzahl von Zeitungen und Zeitschriften existiren kann. Jeder Anzeigende erwartet nun aber vom Redacteur des Blattes, dem er seine Ankündigungen zuwendet, daß derselbe, bei der erstmaligen Insertion einer Annonce, im redactionellen Theile der Zeitung mit kräftiger Lobposaune auf das bezügliche Inserat hinweist. „Unsere Leser werden bemerken,“ heißt es dann z. B., „daß die Herren Caleb Johnson & Co., Ecke der A- und der B-Straße (in vielen Städten Californiens werden die Straßen nur durch Buchstaben oder Zahlen von einander unterschieden) eine Restauration eröffnet haben, wo die reichlichsten Portionen von Speisen jeglicher Art zu den allermäßigsten Preisen zu haben sind. Wir rathen unsern Freunden auf das Angelegentlichste, dem neuen Etablissement ihren Besuch zu machen.“ Vorherrschend unter den Ankündigungen sind Empfehlungen von Hôtels, von Maulthierhändlern und Pferdeverleihern, nach unserm Geschmack in der Regel höchst wundersam gefaßt. „Concurrenz ist die Seele des Geschäfts!“ äußert sich ein Gastwirth im „Staatsmann von Idaho“. „Aber wenn ich Dich unter die Fäuste bekomme, Du bettelhafter, alter Schuft“ – das Compliment ist auf den Besitzer eines concurrirenden Hôtels gemünzt – „so schlag ich dir den Schädel ein; verlaß Dich darauf. Eine neue Aera ist angebrochen! Kommt nach dem … Hôtel und seht selbst. Alle Bequemlichkeit, die der Mensch [763] sich wünschen kann, sind in unserm Hause zu erhalten, wie nur irgendwo auf der Sonnenseite der Blauen Berge.

Seid Ihr hungrig? So kommt in unser Haus.
Durstig? Trinkt bei uns.
Seid Ihr müde? Schlaft bei uns.
Seid Ihr traurig? Wir werden Euch trösten.
Seid Ihr fröhlich? Wir werden uns mit Euch freuen.
Seid Ihr verrückt? Kommt, wir werden Euch in Sicherheit bringen.
Kommt, kommt Alle und besucht uns!“

Heirathsanzeigen werden stets mit einem Geschenk an die Druckerei zur Aufnahme in die Zeitung geschickt. Am Schluß dieser Annoncen pflegt dann die Druckerei meist wie folgt das Wort zu ergreifen: „Unser Personal dankt bestens für das Präsent und hat die Gesundheit des glücklichen Paares in strömendem Champagner getrunken.“ Die Spende besteht gewöhnlich in einem Viertel- bis einem halben Dutzend Flaschen Champagner[2]; dagegen werden in der Regel keine oder nur sehr geringe Insertionsgebühren bezahlt. –

Ohne Zweifel würden die Leser dieser Blätter höchlichst verwundert sein, wenn eines schönen Freitags unsere Zeitschrift einmal anstatt auf das gewohnte stattliche weiße Papier auf ordinäres braunes Papier gedruckt ihnen zukäme, weil „der Vorrath ausgegangen ist und die Verlagshandlung augenblicklich kein anderes Papier hat auftreiben können.“ Solche kleine Zwischenspiele mit der angeführten Entschuldigung haben wir jedoch im Westen Amerikas selbst mehrmals erlebt. Desgleichen lasen wir in einem auf Vancouver Island, im britischen Nordamerika, erscheinenden Blatte wörtlich folgende Benachrichtigung: „Das Papier von der gewöhnlichen Größe unserer Zeitung ist gegenwärtig nicht zu haben, wir werden mithin in kleinerem Formate erscheinen, bis uns der nächste Dampfer neuen Papiervorrath zuführt.“ Das nämliche Organ wurde eines Tages mit einer ganz unbedruckten Seite ausgegeben und dieser Mißstand folgendermaßen erklärt: „Ein unglücklicher Zufall hat die Satzform zerstört, zum nochmaligen Satze der Columne war keine Zeit, unsere Leser werden also die leere Seite entschuldigen.“

Eine nicht unbeträchtliche Zahl der im fernen Westen publicirten Blätter werden von Frauen redigirt, und diese Redactricen thun es in Kraftausdrücken und wuthschnaubenden Invectiven den Männern womöglich noch zuvor, namentlich, wie unlängst, in den Zeiten der großen politischen Wahlen, wo alle Leidenschaften aufgestachelt zu werden pflegen. Einer dieser weiblichen Redacteure läßt sich in seinem politischen Ingrimm also aus: „Ich bin eine Frau und kann folglich den jämmerlichen Hund, welcher die Zeitung jenseit des Weges herausgiebt, nicht selber durchbläuen, aber ich habe einen Sohn, der ihm in weniger als zwei Minuten den Standpunkt gründlich klar machen wird.“ Vor diesen großen Wahlen zeigt sich die Westamerikanische Presse immer in ihrer vollsten Glorie; dann ist jedes Blatt ein brüllender Löwe, der die Tatzen hebt und Alles, Groß und Klein, niederzuschlagen und zu verschlingen droht, was sich unterfängt, anderer Meinung zu sein als er.

Gewöhnlich haben Herausgeber und Redacteure der westamerikanischen Blätter freie Fahrt auf Eisenbahnen, Dampfbooten und Postkutschen und wohl auch freie Zeche und freies Quartier in Gasthöfen und Hôtels; dafür aber müssen sie die betreffenden Gesellschaften und Directionen wie die Wirthe und Hôteliers in ihren Zeitungen mit allen Prädicamenten herausstreichen. Dies ist entschieden ein sehr fauler Fleck der amerikanischen Presse und als solcher von den besseren Organen auch anerkannt und zu beseitigen versucht worden. Indeß ist es bis heute nur zum Theile gelungen, und obschon die Gesetzgebung des Staates New-York ausdrücklich ein Verbot gegen dieses Reclameunwesen erlassen, so blüht es doch in den meisten Blättern des Westens noch auf das Lustigste fort. Eines dagegen gereicht der Presse in den fernen Prairien und Bergen des nördlichen Amerika zur hohen Ehre: sie hält sich durchaus rein von Zweideutigkeit und Frivolität, wie sie leider in der populären Literatur auch unserer deutschen Städte immer mehr überhand nehmen. Sie ist ein ungeleckter Bär, roh und ungeschlacht, leidenschaftlich und gewaltthätig, ihre Redacteure und Leiter sind oft eben so ungeschliffen, abenteuer- und händelsüchtig, wie ihre Leser, aber sie meint es ehrlich, ehrlich im Haß wie in der Liebe, und ohne sie dürfte noch lange Zeit verrinnen, ehe in jenen weltentlegenen Wildnissen die brutale Barbarei der menschlichen Gesittung das Feld räumte.




  1. Ein Bit, etwa vier Neugroschen, oder zwei Bit ist westlich des Felsengebirges der gewöhnliche Preis für die einzelne Nummer einer Zeitung. Das Einbitstück ist zugleich die kleinste der dort coursirenden Scheidemünzen.
  2. Würde sich auch bei uns in Deutschland zur Nachahmung empfehlen!
    Der Setzer.