Der Rabe (Übersetzung Vivanti)

Textdaten
Autor: Edgar Allan Poe
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Rabe
Untertitel:
aus: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft. Band I, 1878, Seite 355–357
Herausgeber: Franz Kirsch
Auflage:
Entstehungsdatum: ca. 1844
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: A. H. Payne
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: Anna Vivanti-Lindau
Originaltitel: The Raven
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
Andere Übersetzungen siehe Der Rabe
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[355]

 Der Rabe.
 Von Edgar Poe. Deutsch von A. Vivanti.

Einst, zu mitternächt’ger Stunde, saß ich bei der Lampe Schein,
Und in alten Schriften blätternd, schlief ich müde beinah’ ein.
Horch! Da drang ein leises Klopfen sacht doch deutlich an mein Ohr.
Ueber das Geräusch verwundert, fuhr voll Staunen ich empor.

5
„Welcher Gast“, ich sprach es flüsternd, „kommt so spät noch zu mir her?

 ’S ist ein Gast, und sonst nichts mehr.“

Winter war’s; der Sturmwind brauste, und der Kohlen düst’re Gluth
War fast im Kamin verglommen. Ich erinnere mich’s noch gut.
Heiß ersehnte ich den Morgen, denn in keinem Buche fand

10
Lind’rung ich des heißen Schmerzes, daß Lenore mir entschwand.

Leonore, die Verklärte, die nun über’m Sternenheer
 Weilt, – auf Erden ach, nicht mehr! –

In den seidenen Gardinen rauschte es geheimnißvoll;
Mich durchrieselte ein Schauer, und vor Furcht das Herz mir schwoll.

15
Um des Herzens banges Pochen zu beschwicht’gen, sagt’ ich mir:

„’S ist ein Gast, der Einlaß fordernd, leise klopft an meine Thür.
Nein, von keiner andern Ursach’ rührt das leise Klopfen her,
 ’S ist ein Gast, und sonst nichts mehr.“

Und ich raffte mich zusammen, öffnete die Thür und rief:

20
„Werther Herr, verehrte Dame, o! verzeih’n Sie mir, ich schlief.

Deshalb glaubt’ ich kaum, es käme Jemand noch so spät zu mir,
Denn Sie klopften gar so leise, gar so leis’ an meine Thür.“
Suchend blickt’ ich in das Dunkel, aber Alles öd’ und leer, –
 Tiefe Stille – sonst nichts mehr.

25
Furchtbewegt und voll Erstaunen starrt’ ich lauschend in die Nacht;

Träume träumend, die zu träumen nie ein Sterblicher gewagt.
Doch die Dunkelheit erfüllte banges Schweigen grauenvoll;
Bis der Name „Leonore“ wie ein leiser Hauch erscholl;
Selber hatt’ ich ihn geflüstert, und ein Echo dumpf und schwer

30
 Tönt: „Lenore“, sonst nichts mehr.


Voller Schreck schloß ich die Thüre; horch! Da dringet an mein Ohr
Wiederum das leise Klopfen, etwas lauter als zuvor.
„Diesmal war es keine Täuschung; an das Fenster pocht es sacht“,
Rief ich, „will doch einmal sehen, wer noch kommt in später Nacht.

35
Wer noch kommt zu nächt’ger Stunde. Still, mein Herz, klopf’ nicht so sehr!

 ’S ist der Wind, und sonst nichts mehr.“

Und ich öffnete die Laden; sieh! Da schreitet in’s Gemach
Mit bedächt’gem Schritt ein Rabe und mit lautem Flügelschlag.

[356]
Würdigt stolz mich keines Grußes und verweilet nicht bei mir;
40
Fliegt, als wär’ er hier zu Hause, über meine Stubenthür;

Auf den Helm der Göttin Pallas, auf das Haupt Minerva’s hehr
 Setzt er sich, und sonst nichts mehr.

Ungeachtet meines Kummers mußt’ ich lächeln, denn das Thier
Blickte mit so ernster Miene und so feierlich nach mir.

45
„Ob dir gleich der Kamm geschoren, kannst du doch kein Feigling sein,

Geisterhafter, alter Rabe, denn du kamst gar kühn herein.
Nenne dich, der du aus Pluto’s dunklem Schattenreich kamst her“,
 Sprach der Rabe: „Nimmermehr.“

Sehr erstaunt’ ich, als ich hörte, daß das Thier so deutlich sprach,

50
Wenn gleich wenig Sinn in seiner wunderlichen Antwort lag.

Denn ein Jeder wird gestehen, daß noch nie solch’ seltsam Thier
Ueber einer Thür gesessen, wie der alte Rabe hier,
Der bedächtig niederblickte von der Büste zu mir her,
 Und sich nannte: „Nimmermehr.“

55
Doch der Rabe, ruhig weilend auf Minerva’s Büste dort,

Schwieg, als hätt’ er seine Seele ausgehaucht in jenem Wort.
Stumm und regungslos erschien er. Da sprach leis’ ich vor mich hin:
„Viele Freunde sind geschieden; morgen wird auch er entflieh’n.
Wie die Hoffnung mir entschwunden, so verläßt mich wohl auch er.“

60
 Sprach der Rabe: „Nimmermehr.“


Ganz erstaunt fuhr ich zusammen, als die Antwort ich vernahm.
„Sicherlich, das Wort ist“, dacht’ ich, „Alles was er sprechen kann.
Und er hat es ohne Zweifel oft von seinem Herrn gehört,
Der entschwund’nes Glück beweinte, das sich von ihm abgekehrt.

65
Bis gleich einer Todtenklage dieses Wort, so kummerschwer,

 Tönte: „Nimmer, nimmermehr.“

Wieder mußt’ ich leise lächeln, war mir gleich nicht froh zu Sinn,
Und ich schob mir einen Sessel nahe vor den Raben hin.
Auf das samm’tne Polster sinkend, dachte ich darüber nach,

70
Warum dieser Unglücksvogel stets das eine Wort nur sprach,

Das so trostlos klang und trübe, seltsam, schaurig, unheilschwer,
 Dieses: „Nimmer, nimmermehr.“

Doch ich ließ kein Wort verlauten; stille, sinnend blickt ich bang
Nach dem Raben, dessen Auge sengend bis in’s Herz mir drang.

75
Auf dem weichen Polster ruhend, saß ich da gedankenvoll,

Und der Lampe Silberschimmer milden Scheines mich umquoll.
„Ach, auf diesen samm’tnen Kissen“, dacht’ ich und ich seufzte schwer,
 „Ruht sie nimmer, nimmermehr!“

Plötzlich war’s, als ob das Zimmer süßer Weihrauchduft durchdrang,

80
Und wie eines Engels Fußtritt, leis’ es auf dem Teppich klang.

„Armer! – Gott hat dir gesendet Lind’rung für dein krankes Herz“,
Rief ich, „schlürf’ die süße Labe und vergiß den herben Schmerz
Um Lenoren, die Verlorne. Gräm dich länger nicht so sehr.“
 Krächzt der Rabe: „Nimmermehr!“

85
[357]
„Unhold“, rief ich, „Unheilkünder! Hat der Böse dich gesandt?

Sag’ mir Rabe oder Dämon, warf der Sturm dich an dies Land?
Elend und verlassen weil’ ich an dem Ort des Schreckens hier,
Aber unverzagten Muthes; darum, Rabe, sage mir:
Heilt das Jenseits uns’re Wunden? Dessen nur gieb mir Gewähr.“

90
 Krächzt der Rabe: „Nimmermehr.“


„Unhold“, rief ich, „Unheilkünder! Bei dem Himmel droben sprich;
Bei dem Gotte, dem wir Beide Ehrfurcht weihen, du und ich
Werd’ ich die verklärte Heil’ge, die so früh der Erd’ entschwand,
In elysischen Gefilden einst in einem bessern Land

95
Wiedersehen, wieder grüßen, selig über’m Sternenheer?“

 Krächzt der Rabe: „Nimmermehr!“

„Sei dies Wort das Trennungszeichen“, rief ich zorn- und schreckensbleich.
„Fort, hinaus in Sturmesbrausen! Fort in Pluto’s Schattenreich!
Laß als Merkmal deiner Lügen keine schwarze Feder mir;

100
Laß mich Einsamen in Frieden; fort, du Unhold, fort von hier!

Zieh’ zurück den scharfen Schnabel aus der Brust mir, kummerschwer.“
 Krächzt der Rabe: „Nimmermehr.“

Und der Rabe rührt sich nimmer, stille sitzt er immer, immer
Auf der stillen Büste droben, überströmt vom Lampenschimmer.

105
Und sein Aug’ ist von dämonisch-träumerischer Gluth erhellt;

Von der Lampe Licht umflossen auf den Flur sein Schatten fällt.
Und auf meine Seele lagert sich der Schatten düster, schwer. –
 Ach, und weichet nimmermehr!