Der Rabe (Übersetzung Rombauer)

Textdaten
Autor: Edgar Allan Poe
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Titel: Der Rabe
Untertitel:
aus: Bunte Blätter. Seite 167–172
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: ca. 1844
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: A. Wiebusch & Son PRTG. Co
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Erscheinungsort: St. Louis, MO., U.S.A.
Übersetzer: Bertha Rombauer
Originaltitel: The Raven
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
Andere Übersetzungen siehe Der Rabe
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[167]
 Der Rabe.

 Von Edgar Allen Poe.

Einst in mitternächt’ger Stunde, müde, suchend Wissenskunde
Aus so manchem sonderbaren, alten Band vergeß’ner Zeit,
Als ich fast entschlummert nickte, hört’ ich plötzlich wie es pickte,
Als ob jemand höflich wollte klopfen an des Hauses Thor.

5
Ein Besuch, so dacht’ ich, ist es, klopfend an des Hauses Thor,

 So allein vernahm’s mein Ohr.

O ich hab’ es treu behalten, im Dezember war’s, dem kalten,
Und die Kohlen im Verglimmen warfen lange Schatten vor.
Eifrig wünschte ich den Morgen, denn vergebens wollt’ ich borgen

10
Von den Büchern End’ der Sorgen, Kummers Ende um Lenor,

Sie, die einst so heiter strahlte, Engel nennen sie Lenor,
 Hört nicht mehr den Ruf Lenor!

Und der rothen Seide Bauschen, der Gardinen wallend Rauschen,
Quälte, füllte mich mit Schrecken, wie ich nie gefühlt zuvor,

15
So daß meine Angst zu stillen, laut ich sprach mit festem Willen:

Ein Besuch, erbittend Einlaß, steht an meines Hauses Thor,
Ein Besuch, der sich verspätet, steht an meines Hauses Thor,
 So allein vernimmt’s mein Ohr.

[168]
Schnell verschwand der Seele Schaudern, und nicht länger wollt’ ich zaudern,
20
Herr, sagt’ ich, oder Madame, ihr Verzeihen mir zuvor,

Aber ich war fast entschlafen, als mein Ohr die Laute trafen,
Und so leise war ihr Klopfen, Klopfen an des Hauses Thor,
Daß ich kaum es hören konnte, – und hier öffnet’ ich das Thor,
 Finster war’s wie nie zuvor.

25
In das Dunkel stierend stand ich, Staunen, Zweifel, Furcht empfand ich,

Träumte Träume, wie geträumt sie nie ein Sterblicher zuvor.
Tiefes Schweigen ohne Gleichen, tiefe Stille, nicht ein Zeichen,
Nur das einz’ge Wort gesprochen, nur das leise Wort, Lenor,
Dieses flüstert’ ich, – das Echo gab zurück das Wort Lenor,

30
 Und sonst nichts vernahm mein Ohr.


Als ich mich ins Zimmer wandte, heiß mir’s in der Seele brannte,
Klopft es wieder, deutlich hört’ ich’s, aber lauter als zuvor,
Dort ist etwas, sagt’ ich schauernd, dort an meinem Fenster lauernd,
Laßt mich sehen das Geheimniß, zieh’n es an das Licht hervor,

35
Still, mein Herz, eine Sekunde, daß ich’s zieh’ ans Licht hervor,

 ’S ist der Wind, der klopft ans Thor.

[169]
Auf schlug ich das Fenster klirrend, als ein Rabe, flatternd, schwirrend

In mein Zimmer trat mit Würde, wie aus heil’ger alter Zeit.
Nicht den kleinsten Knix er machte, mit den Flügeln schlagend sachte,

40
Mit der Miene einer Herrin, eines Herrn flog er empor,

Flog auf eine Pallas Büste, von der Thüre schau’nd hervor,
 Flog und setzte sich davor.

Und verbergend meinen Schauer, lächelte ich trotz der Trauer,
Lächelt’ ob dem ernsten, strengen Anstand, den er kehrt hervor.

45
Ob dein Kopf geschor’n sich zeige, sagt’ ich, bist du doch nicht feige,

Grimm’ger, garst’ger alter Rabe, kommend von der Schatten Thor,
Sag’, was ist dein hoher Name, dort an Plutos düsterm Thor?
 Niemals mehr, – krächzt er hervor.

Wenn auch linkisch deine Weise, sprichst du klar doch, sagt’ ich leise,

50
Ob auch wenig Sinn und Aufschluß aus der Antwort geht hervor,

Möchte ich doch jeden fragen, und ein jeder sollte sagen,
Ob schon gleichen Schmuck getragen seines Zimmers Thür und Thor?
Vieh und Vogel, auf der Büste, an des Hauses Thür und Thor,
 Niemals mehr, – genannt zuvor.

55
[170]
Doch der Rab’ saß auf dem Steine, auf der stummen Büst’, alleine

Rief dies Wort, – als ob die Seele er mit diesem Wort verlor,
Weiter nichts, nicht für noch weder, er bewegte keine Feder,
Bis ich leise murmelnd sagte, and’re floh’n davon zuvor,
Morgen wird er mich verlassen, so spricht mir mein Hoffen vor.

60
 Niemals mehr! stieß er hervor.


Angstvoll daß die Still’ gebrochen, durch die Antwort rasch gesprochen,
Dacht’ ich, zweifellos sagt’ er nur, was er wußte lang’ zuvor,
Aufgefaßt von Meisters Munde, den des Unglücks harte Stunde
Hat verfolgt, weit, immer weiter, bis er sich das Wort erkor,

65
Und im Liede düster klagend, suchte sich das Wort hervor

 Niemals mehr, – als Schluß hervor.

So das Thier der Trauer wehrte, meinen Schmerz in Lächeln kehrte,
Schnell rollt’ ich die weichen Kissen mir vor Vogel, Büst’ und Thor,
In den weichen Sammetkissen sucht’ hervor ich all mein Wissen,

70
Reihte Bild an Bilder, forschend, was die Absicht von zuvor

Dieses dürr gespenst’gen Vogels, was er wohl gemeint zuvor,
 Krächzend, Niemals mehr, mir vor.

[171]
Und so saß ich rathend, sinnend, doch kein Wort mir abgewinnend,

An den Vogel, dessen Auge stach, als ob es mich durchbohr’.

75
Dies noch mehr saß ich erwägend, meinen Kopf zurücke legend

Auf das Kissen, hell beleuchtet, dessen Sammt rings sah hervor,
Ach nie mehr wird dieses Kissens Sammet pressen wie zuvor,
 Niemals mehr Sie wie zuvor.

Da schien dicht die Luft zu werden, Wesen, nicht daheim auf Erden,

80
Düfte spendend, hörbar schreitend, däuchte mir, vernahm mein Ohr,

Elender! schrie ich, Gott wandte sich zu mir, als er sie sandte,
Läßt in Gnade mich vergessen die verlorene Lenor,
Wirf von dir dein mild Bedauern und vergesse sie, Lenor.
 Niemals mehr, krächzt Er hervor.

85
Prophet, rief ich, Ding des Schlechten! Vogel! Teufel, nicht will rechten

Ich mit dir, ob du Verführer, ob der Sturm dich trieb hervor.
Zweifellos ist es dort wüste, öd’ am Strand der Zauberküste
Deiner Schreckensheimath, sag’ mir, o gieb Wahrheit meinem Ohr,
Giebt es Balsam in Gilead, Wahrheit, Wahrheit meinem Ohr!

90
 Niemals mehr, krächzt er hervor.


[172]
Prophet! rief ich, ohne Zweifel bist Prophet, Thier oder Teufel,

Bei dem Himmel der uns decket, Gott, zu dem wir sehn empor,
Sag’, wird sich die Seel’ entringen dieses Kummers, werd’ umschlingen
Dort im Eden noch die Maid ich, Engel nennen sie Lenor.

95
 Niemals mehr, stieß er hervor.


Sei dies Wort des Scheidens Zeichen, Vogel, Teufel, denn entweichen
Sollst du, packen dich zurücke, hin nach Plutos nächt’gem Thor,
Keine Feder dir entfliege als Erinn’rung an die Lüge,
Die du sprachst, nur laß mich einsam und verlaß die Büst’ am Thor,

100
Nimm den Stachel aus dem Herzen, deine Form von meinem Thor,

 Niemals mehr! krächzt er hervor.

Und der Rabe rührt sich nimmer, sitzt noch immer, sitzt noch immer,
Auf der bleichen Pallasbüste, schau’nd vor meiner Thür hervor,
In dem Aug’ des Bösen Tücke, starres Träumen in dem Blicke.

105
Von der Lampe Licht umflossen legt der Schatten sich auf’s Thor,

Auch auf meiner Seele liegen Schatten dicht, wie nie zuvor,
 Nie mehr hebend sich empor.