Der Rabe (Übersetzung Ploennies)
Mitternacht umwob mich schaurig, als ich einsam saß und traurig
Bei Folianten, die mir manchen dunklen Traum heraufbeschworen.
Ich entschlief, doch unterbrochen ward mein Schlummer durch ein Pochen.
Wer ist’s, der so spät (so fragt’ ich) sich hierher zu mir verloren? –
Oder täuschten mich die Ohren?
Ach, die Nacht vergeß’ ich nimmer! denn Dezember war’s, und immer
Düstrer huschten durch mein Zimmer Schatten, die mein Traum geboren.
Sehnlich hofft’ ich auf den Morgen, die Folianten wollten borgen
Um das schöne, lichte Mädchen, das bei Engeln weilt, Lenoren,
Das der Erde ging verloren.
Auf der seidnen Vorhäng’ Rauschen mußt’ ich, leis’ erbebend, lauschen,
Geisterschrecken, mich zu necken, kamen, von der Angst beschworen.
Hatt’ ich nochmals diese Worte: Wer hat sich hierher verloren?
Wer ist’s, der zu meiner Pforte sich so spät hierher verloren? –
Oder täuschten mich die Ohren? –
Stärker fühlt’ ich mich geworden von den lautgesprochnen Worten;
Wißt, ich schlief, als mich erweckte neues Pochen, das mich schreckte,
Das mich fast wie Täuschung neckte – Täuschung, die ein Traum geboren. –
Weit die Thüre öffnend, stand ich drauf in Dunkelheit verloren,
Nichts war da – nur Trug der Ohren! –
Zweifelnd, fürchtend, das zu schauen, was vielleicht mein Wahn geboren.
Doch die Nacht blieb undurchbrochen, nur mein Herze fühlt’ ich pochen,
Als ich leis’ das Wort gesprochen: Kam der Gruß wohl von Lenoren?
Drauf das Echo wiederholte, geisterhaft drang mir’s zu Ohren:
Und zurück ins Zimmer wandte ich den Schritt, mein Herze brannte;
Plötzlich, stärker als zuvor, drang das Pochen mir ins Ohr. –
Sicher, sagt’ ich, hört’ ich’s klopfen, oder waren’s Regentropfen? –
Ich will sehn, warum das Klopfen meine Fenster sich erkor.
Hat der Wind getäuscht mein Ohr?
Rasch das Fenster öffnend, schaute ich ein Ding, vor dem mir graute,
Denn es kam herein ein Rabe, gleich der Nacht, die ihn geboren,
Kam herein so gravitätisch, feierlich, fast majestätisch,
Auf der Büste einer Pallas, die er sich zum Thron erkoren,
Saß er starr, wie halb erfroren.
Saß wie Ebenholz so dunkel, und der Augen wild Gefunkel,
Das so starr auf mich gerichtet, schien mich glühend zu durchbohren.
Geisterhafter, grimmer Rabe, kommst du von des Orkus Thoren?
Sag, bei welchem finstren Namen nennen dich, die dort verloren?
Leise krächzt er da: Verloren!
Darauf wieder schweigend saß er auf der Büste, bald vergaß er
Nicht aufs lei’este sich regend, keine Feder nur bewegend,
Und ich dachte, er wird bleiben, bis der lichte Gang der Horen
Diesen Finstern wird verbannen, bis sich Nacht in Licht verloren.
Wieder krächzt er da: Verloren.
Sprach ich: einzig dies zu sprechen, scheint der Finstre auserkoren.
Ach, vielleicht von einem Dichter, den das Leid verfolgte, spricht er,
Alle süßen Hoffnungslichter, ach von Einem, der geboren
Dieses traurig überdenkend, dann auf ihn die Blicke lenkend,
Sah ich den Geheimnißvollen, mich mit glüh’ndem Aug’ durchbohren.
Ich versank in tiefe Träume, legte auf des Kissens Säume
Meine Stirn: ach diese Räume (sprach ich) sind zum Leid erkoren,
Nur zum Leid bin ich geboren.
Dunkler von der Nacht umrungen fühlt’ ich sie von Duft durchdrungen,
Ward ein Weihrauchfaß geschwungen, unsichtbar? – durch alle Poren
Drang der Duft, – ich rief: Erbarmen haben Engel mit mir Armen,
Trink, mein Herz, die duft’ge Lethe, und vergiß, die du verloren.
Wieder krächzt er da: Verloren! –
Ein Prophet wohl ohne Zweifel (rief ich), Vogel, oder Teufel!
Such ein Nachtquartier da draußen in den grünen Sykomoren.
Sieh, ich fleh’ dir ohne Zagen: werd’ ich wiedersehn Lenoren?
Wiedersehn im fernen Eden, jene süße Maid, Lenoren?
Und der Rabe sprach: Verloren!
Sei dies Wort dein Abschiedszeichen! Vogel, Teufel! du mußt weichen!
Dir vom nächtigen Gefieder falle keine Feder nieder,
Nimmer, nimmer, stör mich wieder! fort vom Platz, den du erkoren!
Heb hinweg die glüh’nden Augen, die mein Innerstes durchbohren!
Wieder sprach er da: Verloren!
Sitzt, den Blick auf mich gerichtet, scheint mich glühend zu durchbohren.
Und mir ist, als ob er wühle mir im innersten Gefühle.
Denn mein Haupt auf dunklem Pfühle, hat sein Aug’ als Ziel erkoren.
Immer wird sein Schatten dichter, leise spricht er: Von Lenoren,
Die verloren!