Der Räuber und die Hausthiere

Textdaten
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Autor: Ernst Meier
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Titel: Der Räuber und die Hausthiere
Untertitel:
aus: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben, S. 11-15
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: C. P. Scheitlin
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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3. Der Räuber und die Hausthiere.

Da war einmal ein Müllerknecht, der hatte seinem Herrn schon viele Jahre lang treu und fleißig gedient, und war alt geworden in der Mühle, also, daß die schwere Arbeit, die er hier zu verrichten hatte, endlich über seine Kräfte gieng. Da sprach er eines Morgens zu seinem Herrn: „Ich kann Dir nicht länger dienen, ich bin zu schwach; entlaß mich deshalb und gib mir meinen Lohn!“ Der Müller sagte: „jetzt ist nicht die Wanderzeit der Knechte; übrigens kannst Du gehen, wenn Du willst, aber Lohn bekommst Du nicht.“ Da wollte der alte Knecht lieber seinen Lohn fahren laßen, als sich noch länger in der Mühle so abquälen, und verabschiedete sich von seinem Herrn.

Ehe er aber das Haus verließ, gieng er noch zu den Thieren, die er bis dahin gefüttert und gepflegt hatte, um ihnen Lebewohl zu sagen. Als er nun zuerst von dem [12] Pferde Abschied nahm, sprach es zu ihm: „wo willst Du denn hin?“ „Ich muß fort,“ sagte er; „ich kann’s hier nicht länger aushalten.“ Und wie er dann weiter gieng, so folgte das Pferd ihm nach. Darauf begab er sich zu dem Ochsen, streichelte ihn noch einmal und sprach: „jetzt b’hüt di Gott, Alter!“ „Wo willst Du denn hin?“ sprach der Ochs. „Ach, ich muß fort; ich kann’s hier nicht länger aushalten,“ sagte der Müllerknecht und gieng traurig fort, um auch noch von dem Hunde Abschied zu nehmen. Der Ochs aber zog hinter ihm her wie das Pferd, und ebenso machten es die übrigen Hausthiere, denen er Adieu sagte, nämlich der Hund, der Hahn, die Katze und die Gans.

Als er nun draußen im Freien war und sah, daß die treuen Thiere ihm nachzogen, redete er ihnen freundlich zu, daß sie doch wieder umkehren und daheim bleiben möchten. „Ich habe jetzt selber nichts,“ sprach er, „und kann für euch nicht mehr sorgen.“ Allein die Thiere erklärten ihm, daß sie ihn nicht verlaßen würden und zogen vergnügt hinter ihm drein.

Da kamen sie nach etlichen Tagen in einen großen großen Wald; das Pferd und der Ochs fanden hier gutes Gras; auch die Gans und der Hahn ließen sich’s schmecken; die andern Thiere aber, die Katze und der Hund, die mußten Hunger leiden wie der alte Müllerknecht, und knurrten und murrten nicht darüber. Endlich, als sie ganz tief in den Wald hineingekommen waren, sahen sie auf einmal ein schönes großes Haus vor sich stehen; das war aber fest zugeschloßen; nur ein Stall stand offen und war leer, und von [13] hieraus konnte man durch eine Scheuer in das eigentliche Haus kommen. Weil nun Niemand in dem Hause zu sehen war, so beschloß der Knecht, mit seinen Thieren daselbst zu bleiben, und wies einem jeden seinen Platz an. Das Pferd stellte er vorn in den Stall, den Ochsen führte er an die andere Seite; der Hahn bekam seinen Platz auf dem Dache, der Hund auf dem Miste, die Katze auf dem Feuerheerde, die Gans hinterm Ofen. Dann reichte er jedem sein Futter, das er in dem Hause reichlich vorfand, und er selbst aß und trank was er mochte, und legte sich dann schlafen in ein gutes Bett, das in der Kammer fertig dastand.

Als es nun schon Nacht war und er fest schlief, kam der Räuber, dem dieß Waldhaus gehörte, zurück. Wie der aber in den Hof trat, sprang sogleich der Hund wie wüthend auf ihn los und bellte ihn an; dann schrie der Hahn vom Dache herunter: „Kikeriki! Kikeriki!“ also, daß es dem Räuber angst und bange wurde; denn er hatte in seinem Leben noch keine Hausthiere gesehen, die mit dem Menschen zusammenleben, sondern kannte bloß die wilden Thiere des Waldes. Deshalb nahm er Reißaus und sprang eilig in den Stall; aber da schlug das Pferd hinten aus und traf ihn an die Seite, daß er um und um taumelte und sich nur mit Mühe noch in die hintere Seite des Stalles flüchten konnte. Kaum aber war er hier angekommen, so drehte sich auch schon der Ochs um und wollte ihn auf seine Hörner nehmen. Da bekam er einen neuen Schrecken und lief, was er konnte, durch die Scheuer hindurch und dann in die Küche, um ein Licht anzuzünden und zu sehen, was da los sei. [14] Wie er nun auf dem Heerde herumtastete und die Katze anrührte, fuhr die auf ihn los und kratzte ihn dermaßen mit ihren Tatzen, daß er halsüberkopf davonsprang und sich eben in der Stube hinter den Ofen verkriechen wollte. Da wachte aber die Gans auf und schrie und schlug mit den Flügeln, daß es dem Räuber höllenangst wurde und er sich in die Kammer flüchtete. Da schnarchte nun der alte Müllerknecht in dem Bette so kräftig wie ein schnurrendes Spinnrad, daß der Räuber meinte, die ganze Kammer sei mit fremden Leuten angefüllt. Da überfiel ihn ein arges Grauen und Grausen, kannst du glauben, und er lief schnell zum Hause hinaus und rannte in den Wald hinein, und stand nicht eher still, als bis er seine Raubgesellen gefunden hatte.

Da fieng er nun an zu erzählen: „Ich weiß nicht, was mit unserm Hause vorgegangen ist; es wohnt ein ganz fremdes Volk darin. Als ich in den Hof trat, sprang ein großer wilder Mann auf mich zu und schalt und brüllte so grimmig, daß ich dachte, er würde mich umbringen. Ein anderer reizte ihn noch auf und rief vom Dache herunter: „gib’m au für mi! gib’m au für mi!“ (gib ihm auch für mich!) Da mir’s der Erste schon arg genug machte, so wollte ich nicht warten, bis ihrer etwa mehre über mich herfielen, und flüchtete mich in den Stall. Aber da hat ein Schuhknecht (Schuster) mir einen Leisten an die Seite geworfen, daß ich’s noch spüre; und als ich dann hinten in den Stall kam, stand da ein Gabelmacher und wollte mich mit seiner Gabel aufspießen; und als ich in die Küche [15] kam, saß da ein Hechelmacher und schlug mir seine Hechel in die Hand; und als ich in die Stube sprang und mich hinterm Ofen verstecken wollte, da schlug mich ein Schaufelmacher mit seiner Schaufel; als ich aber endlich in die Kammer lief, da schnarchten darin noch so viele andere, daß ich nur froh sein mußte, als ich lebendig wieder draußen war.“

Als die Räuber dieß hörten, entsetzten sich alle so sehr, daß keiner Lust hatte, in das Haus zu gehen. Nein, sie meinten, die ganze Umgegend sei durch dieß fremde Volk unsicher geworden und zogen noch in selbiger Nacht fort, weit weg in ein anderes Land, und sind nie wieder gekommen.

Da lebte nun der Müllerknecht mit seinen treuen Thieren in Ruh und Frieden in dem Hause der Räuber, und brauchte sich nicht mehr zu plagen in seinen alten Tagen; denn der schöne Garten neben dem Hause trug ihm jährlich mehr Obst, Gemüse und allerlei Nahrung, als er und seine Thiere verzehren konnten.

Anmerkung des Herausgebers

[301] 3. Der Räuber und die Hausthiere. Mündlich aus Derendingen von einem Handwerker, der dieß Märchen in Zürich gehört hatte. Verwandt ist in der Grimm’schen Sammlung Nr. 27, die Bremer Stadtmusikanten; Nr. 10, das Lumpengesindel und Nr. 41, Herr Korbes.