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Titel: Der Nord-Ostseekanal
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Nord-Ostseekanal.
Zur Erinnerung an den 3. Juni 1887.

In festlichem Schmuck prangte die Hafenstadt Kiel am 2. Juni. Flaggen wehten von den Thürmen und ein buntes Fahnenmeer wogte in den Straßen, die am späten Abend im Glanze ungezählter Lichter erstrahlten. Jubelnd drängten sich die Volksmassen nach dem Bahnhof. Es galt ja, den Kaiser zu empfangen! Aber nicht ihm allein galt der Jubel, er galt auch dem Friedenswerke, zu welchem der greise Monarch den Grundstein legen sollte, er galt der Großthat der Kultur, die aus deutschem Boden in Angriff genommen wurde, dem Nord-Ostseekanal, der in seiner Größe mit den weltberühmten Kanälen von Suez und Panama sich messen darf.

Seit Jahrhunderten hat man die Ausführung desselben erstrebt. Fast bis zu dem Zeitpunkt zurück, in welchem sich die beiden nordischen Meere zuerst umfangreicheren Handelsbeziehungen erschlossen, läßt sich der Plan verfolgen, eine Schifffahrtsverbindung zwischen ihnen herzustellen, ja mehr als das: dieselbe ist wiederholt, aber stets in durchaus unzureichender Weise zur Ausführung gekommen. In den Jahren 1391 bis 1398 erbauten die Hansen den noch heute bestehenden Steckenitzkanal; um das Jahr 1525 wurde von den Städten Hamburg und Lübeck vorübergehend ein Kanal von der Trave zur Alster geschaffen. Wenn aber diese beiden Wasserstraßen nur den Charakter von Binnenkanälen trugen und ihrer ganzen Anlage nach der Seeschifffahrt keinen Nutzen bringen konnten, so beweist ein in der Kieler Universitätsbibliothek aufbewahrtes Schriftstück aus dem 16. Jahrhundert, daß auch eine wirkliche Verbindung von Meer zu Meer damals schon unseren unternehmungslustigen Ahnen vorschwebte. In jenem Schriftstück aus der Kanzlei des Herzogs Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorp wird sogar bereits die Eiderlinie als die voraussichtlich günstigste Trace für den Kanalbau erwähnt. Seit jener Zeit hat der Gedanke eines Nord-Ostseekanals nie völlig geruht, wenn auch die Ungunst der Verhältnisse seine Ausführung immer wieder zurückdrängte. Von den verschiedensten Seiten kam man stets auf seine Nothwendigkeit und seine Vortheile zurück. Im Jahre 1628 soll Wallenstein den Bau sogar begonnen haben und nur durch die Enthebung von seiner allgewaltigen Stellung an der Vollendung gehindert worden sein, nicht lange darauf beschäftigte sich Cromwell mit dem Plan, Wismar für England zu erwerben und von der Elbe über die Elbe und den Schweriner See einen Kanal nach diesem Ostseehafen zu bauen. Kaum ein Jahrhundert später wurde eine Trace von Ballum nach Apenrade studirt und 1777 wurde endlich unter König Christian VII. von Dänemark mit der Ausführung des jetzigen Eiderkanals begonnen. Es war in der That für seine Zeit ein recht beachtenswerthes Werk, obwohl die beschränkten Geldmittel nicht gestattet hatten, diesen Kanal für Fahrzeuge von größerem Tiefgang zu erbauen, und die schwierige Ansegelung seiner Westmündung [427] die Benutzung geringer werden ließ, als sein eifrigster Förderer, der Prinz Friedrich von Dänemark, erwartet hatte. Die stäte Steigung der Größenverhältnisse sowohl der Handelsschiffe wie ganz besonders der Kriegsfahrzeuge schränkte den Verkehr auf der einst so hoffnungsfreudig begrüßten Wasserstraße immer mehr ein, die Abmessungen der die Fahrt ungemein verlangsamenden sechs Schleusen erwiesen sich als völlig unzureichend.

Es konnte daher nicht ausbleiben, daß man schon frühzeitig an den Ersatz durch einen den Anforderungen der Neuzeit durchaus entsprechenden Neubau dachte, die Abtrennung der Elbherzogthümer von Dänemark gab sowohl 1848 wie 1864 neue Anregungen, und es ist in der That seit 1848 wohl jede mögliche Route technisch eingehend erwogen worden. Die politischen Verhältnisse ließen die Verwirklichung des Baues aber immer wieder zurücktreten, und selbst, nachdem in der preußischen Thronrede vom Januar 1866 seine Inangriffnahme in nahe Aussicht gestellt worden war, mußten die Elbherzogthümer noch einmal auf die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches verzichten: der Aufgaben, welche an Preußen und später an das neugeeinte Deutsche Reich herantraten, waren so viele, daß die Ausführung des Nord-Ostseekanals vorläufig vertagt wurde. Obwohl man gerade die militärische Bedeutung desselben voll anerkannte, hielt man es vor Allem doch für nothwendig, in erster Linie eine wirkliche Verstärckung der maritimen Kräfte unseres Vaterlandes anzustreben. Finanzielle Erwägungen kamen hinzu. Je ruhiger man die vielerörterte Angelegenheit betrachtete, desto mehr überzeugte man sich, daß der Kanalverkehr an sich in absehbarer Zeit eine Verzinsung des erforderlichen ganzen Anlagekapitals kaum würde aufbringen können; ein Geschäft war mit dem Kanal kaum zu machen: das bewies auch das Scheitern aller von privater Seite angestrebten Versuche, die nöthigen Kapitalien für seinen Bau zu schaffen. Sowohl Dr. Bartling, der 1879, auf englische Kapitalisten gestützt, Vorschläge zu einer Linie von Glückstadt nach Kiel machte, wie der unermüdlichste Verfechter des Kanalbaues, Herr H. Dahlström in Hamburg, beanspruchten die materielle Unterstützung der Regierung.

Die Trace des Nord-Ostseekanals.

Es konnte jedoch überhaupt nicht im staatlichen Interesse liegen, die Ausführung und Verwaltung eines so wichtigen Unternehmens in private Hände zu legen. Nach nochmaliger eingehender Prüfung aller einschlagenden Fragen durch die preußischen und Reichsbehörden und nachdem unsere Flotte inzwischen annähernd die gewünschte Stärke erhalten hatte, entschloß die Regierung sich im Jahre 1885, unter Zugrundelegung des Dahlström’schen Projektes einer Trace von Brunsbüttel über Rendsburg auf Kiel, dem Reichstag einen Gesetzentwurf für den Kanalbau zu unterbreiten.

Als Westmündung konnte für den Kanal nur die Elbmündung in Betracht kommen, da nur sie ein sicheres Ansegeln gestattet, während die der ganzen Westküste Holsteins vorgelagerten Watten überall sonst die Schiffahrt wesentlich erschweren. Für die Ostmündung war Kiel als Kriegshafen der deutschen Flotte vorgeschrieben – spielt doch überhaupt bei der Anlage des ganzen Kanals seine militärische Bedeutung eine Hauptrolle. Nur durch ihn wird es möglich sein, unsere heute in zwei Theile gespaltene Flotte überraschend sowohl in der Nordsee, wie in der Ostsee zu vereinigen. Soll der Kanal aber auch für die größten Kriegsfahrzeuge schiffbar, soll die Vereinigung der Flotte schnell durchführbar sein, so mußte er ohne Schleusen, ohne scharfe Krümmungen erbaut werden und von vorherein in allen seinen Verhältnissen reichlich dimensionirt werden. Diesen Rücksichten ist denn auch volle Beachtung geschenkt worden. Der Kanal erhält nur an seinen Ausmündungen die bei den Wasserverhältnissen beider Meere unentbehrlichen Fluthschleusen und ist im Uebrigen als freier Durchstich geplant. Bei Brunsbüttel an der Elbmündung beginnend, durchschneidet er die niedrigen Marschen und die Wasserscheide zwischen Eider und Elbe, folgt dann dem Lauf der Gieselau, um bei Wittenbergen die durch eine Schleuse abzusperrende Eider zu treffen; von hier aus wird deren Lauf unter entsprechenden Gradelegungen bis zur alten Stadt Rendsburg benutzt. Die Trace schließt sich dann den oberen Eiderseen und endlich im Wesentlichen dem bisherigen Eiderkanal an, um bei Holtenau in die herrliche Kieler Föhrde zu enden. Die Abmessungen des projektirten Querschnitts übertreffen diejenigen des Suezkanals, die Wassertiefe wird aus der ganzen Linie auf mindestens 8,5 Meter gehalten werden, die zu gestattende Fahrtgeschwindigkeit durch den Kanal ist auf 10 Kilometer in der Stunde veranschlagt.

Alle diese reichlichen Abmessungen werden, obwohl sie zunächst aus Rücksicht aus die Kriegsflotte bestimmt wurden, doch auch dem anderweitigen Verkehr zu Gute kommen, und gerade durch sie wird sich voraussichtlich ein großer Theil der heute um Kap Skagen gehenden Handelsfahrzeuge zur Benutzung des Kanals veranlaßt sehen. Schnelligkeit und Sicherheit des Verkehrs sind so die wesentlichsten Faktoren der Schiffahrt. Wenn nun auch gerade in den letzten Jahrzehnten die Fahrt um das Kap Skagen bedeutend an Gefährlichkeit verloren hat, so beweisen doch die außerordentlich hohen Prämien, welche die Versicherungsgesellschaften immer noch für sie fordern, daß die Verluste auf ihr auch heute nicht gering sind; in den Motiven, mit denen die Regierungsvorlage dem Reichstag unterbreitet wurde, waren sie auf mindestens 8 Millionen Mark im Jahre geschätzt. Was aber andererseits die Schnelligkeit des Verkehrs anbetrifft, so schafft der Kanal in den Verkehrsbeziehungen zwischen den meisten deutschen Nordsee- und den Ostseehäfen eine Wegekürzung von gegen 400 Seemeilen, Dampfer werden daher etwa 40 Stunden, Segelschiffe mindestens drei Tage ersparen. Die Reiseabkürzung von London nach den Ostseehäfen wird auf 238 Seemeilen berechnet. Die Ausführung des Kanals, dessen Anlagekosten sich auf 156 Millionen Mark beziffern, ist durch das Reichsgesetz vom 16. März 1886 gesichert worden, und die Arbeiten sollten sofort in Angriff genommen werden.

Um ihnen eine feierliche Weihe zu verleihen, war Kaiser Wilhelm nach Kiel gekommen. Am 3. Juni sollte er den Grundstein zu der Holtenauer Schleuse legen. Schon am frühen Morgen eilten unzählige Scharen der Zuschauer nach dem nahen Orte, an welchem der alte Kanal in die herrliche Kieler Föhrde mündet: zu Fuß die Einen, die Anderen auf Schiffen und Barken. Der Himmel war anfangs mit Wolken umhangen, aber ein frischer Nordost, der den Spiegel der See kräuselte, zerriß bald den Vorhang, und die Sonne strahlte hernieder auf den weiten Festplatz, auf welchem bunte Uniformen glänzten, Minister und Generäle, die Prinzen Heinrich und Wilhelm, sowie Oskar von Schweden den Kaiser erwarteten. „Zur Ehre Deutschlands, zu seinem fortschreitenden Wohle, seiner Macht, seiner Stärke“ legte der Kaiser den Grundstein, in dem die Urkunde liegt, welche die Bedeutung des Kanals in folgenden Worten kennzeichnet:

„Ein Bauwerk von gewaltiger Ausdehnung soll damit unternommen, ein bleibendes Denkmal deutscher Einigkeit und Kraft geschaffen und in den Dienst nicht nur der vaterländischen Schifffahrt und Wehrhaftigkeit, sondern auch des Weltverkehrs gestellt werden. Keine menschliche Voraussicht vermag die zukünftige Bedeutung dieses Baues in vollem Umfange zu ermessen, die Wirkungen ragen über das lebende Geschlecht und über das zur Rüste gehende Jahrhundert.“

Die Form der Grundsteinlegung ist überall gleich, aber einen eigenartigen Abschluß von gewaltiger Wirkung erhielt die Feier zu Holtenau. Die kaiserliche Standarte wehte von der „Pommerania“, der siegreiche Feldherr fuhr die lange Linie der in der Kieler Föhrde versammelten Kriegsflotte entlang, und über dreißig deutsche Kriegsfahrzeuge grüßten mit ehernem Mund ihrer Kanonen Kaiser Wilhelm, den Gründer der deutschen Seemacht.