Der Maler im Dorf
[564] Der Maler im Dorf. (Zu dem Bilde S. 553.) Es muß ein weit von der Eisenbahn entlegenes venetianisches oder umbrisches Dörfchen sein, wo eine im Hof aufgepflanzte Malerstaffelei noch einen solchen Zusammenlauf veranlassen kann. Dichtgedrängt umsteht sie die ganze Einwohnerschaft des alten räucherigen Hauses: der glückliche Vater Fleischermeister, der seine Kunden im Lädchen warten läßt, um zwischendurch einen Blick auf das werdende Konterfei seines Bambino zu werfen, die hübsche junge Mutter mit den älteren Kindern, der zahnlose Großvater, dessen Neugier, dem Maler zuzusehen, ihn das Gewicht des Gemüsekorbs auf seiner Schulter vergessen läßt, dann der Herr Kurat, die oberste Kunstautorität im Dörfchen, der hier vor versammelter Nachbarschaft wieder einmal sein Licht leuchten läßt und mit gewichtiger Miene ein übers andere Mal ruft: „Schön, sehr schön! Zum Sprechen ähnlich ist das kleine Herzchen!“ und jedesmal dem Künstler noch etwas näher auf den Leib rückt. Aber dieser läßt sich dadurch nicht aus der Fassung bringen: derlei gehört zum Handwerk und kommt nicht in Betracht gegen die mögliche schlechte Laune des Modells im kurzen Hemdchen. Noch gestern brüllte und schlug „das kleine Herzchen“ wie ein junger Teufel, heute aber ist es gut aufgelegt und lacht in den Armen seiner Marietta vergnügt den Mann an, der hinter der großen Tafel „Guck, guck!“ macht.
So steht zu hoffen, daß er sein Bild ungehindert vollenden möge, und wenn er auf der nächsten Ausstellung nicht die erste Medaille bekommt, so ist der kleine Peppino sicher nicht schuld daran, denn der hat dafür gethan, was er konnte, und die ganze Hauseinwohnerschaft nebst dem Herrn Kuraten kann’s bezeugen! Bn.