Der Krystallfund am Galenstock

Textdaten
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Autor: Max Wirth
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Titel: Der Krystallfund am Galenstock
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 733–735
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Krystallfund am Galenstock.

Von Max Wirth.

Alljährlich ziehen Schaaren von Touristen einerseits von Meiringen über die Furka in’s Reußthal, andererseits aus dem Reußthal durch’s Meienthal über den Sustenpaß nach Meiringen, – nur selten verirrt sich aber ein Fremder in die zwischen diesen beiden Gebirgspfaden liegende Hochalpen- und Gletscherwelt. So oft ich in den Herbergen am Steingletscher oder am Rhonegletscher Rast machte, erfaßte mich die Sehnsucht jenes über ihnen in Lichtglanz thronende Firnengebiet zu durchforschen. Dr. Abraham Roth’s prachtvolle Schilderung einer Fahrt über den Trift- und Rhonegletscher, das schönste Kleinod seiner „Berg- und Gletscherfahrten“, sowie die Errichtung einer Hütte mitten im Triftgletscher von Seiten der Berner Section des schweizerischen Alpenclubs, brachte endlich meinen Entschluß zur Reife. Ich brachte in Begleitung meines Bruders und der beiden Führer Andreas und Johann von Weißenfluh aus Mühlestalden vier Nächte auf dem Heulager der Clubhütte zu, die mit einem guten Kochapparate ausgerüstet ist, und sechs Stunden von der nächsten Hütte im Gadmenthale zwölf Stunden von der Grimsel entfernt liegt. Jeden Morgen wurde ein anderer Gipfel von elf- bis zwölftausend Fuß erstiegen: zuerst der Schneestock mit seinem dachartigen Firngrat, von dem wir rittlings die Beine auf der einen und der andern Seite herunterbaumeln ließen; den anderen Tag der hintere Thierberg, während mein Bruder, weil er sorgloser Weise zu wenig Gebrauch von seinem Schleier gemacht hatte, schneeblind in der Clubhütte Eisüberschläge machen mußte; den dritten Tag der Dammastock, der den Galenstock um dreißig Fuß überragende höchste Gipfel dieses Gebirgszuges.

Nachdem wir in dieser Nacht uns einer herrlichen Mondbeleuchtung erfreut, bei der die umliegenden Schneegipfel in einem zauberischen Lichtmeer schimmerten, – und vor Mitternacht noch einen verspäteten Gletscherwanderer, der von Grimsel und Galenstock kam, mit einer aus Liebig’schem Fleischextract gebrauten Suppe erquickt hatten, wollten wir am folgenden Tage den noch jungfräulichen, zwischen dem Damm- und Galenstock gelegenen Rhonestock erklimmen und von da einen Paß nach der neuen Furkastraße hinab suchen. Wind und Wetter vereitelten aber unser Vorhaben, so daß wir froh waren, mit heiler Haut die Grimsel zu erreichen und uns durch die Ersteigung des mittleren Wetterhorns vom Urbachthal und Rosenhorn aus nach Grindelwald hinab zu entschädigen.

Was uns mißlungen, das glückte wenige Wochen darauf den Herren Gebrüdern Lindt von Bern mit den Guttauer Führern Sulzer, Vater und Sohn. Dieselben entkleideten den Rhonestock seiner Jungfräulichkeit und stiegen von da über den „Tiefen Sattel“ auf den Tiefengletscher hinab, dessen Abfluß von der neuen Furkastraße überbrückt wird.

Bei dieser Gelegenheit bemerkten die genannten Alpenclubbisten östlich vom Galenstock am östlichen Rande des Tiefengletschers, ungefähr da, wo auf der eidgenössischen Stabskarte Blatt XIII. unten rechts im Worte „Gletschhorn“ der Buchstabe O sich befindet, ein mächtiges „Strahlband“, das heißt einen Gang oder eine Schichte im weißen Quarz, welche sich in einer Mächtigkeit von sechs bis zwölf Fuß, fünfzig bis sechszig Fuß breit, durch eine mehrere hundert Fuß hohe Granitwand (Fluh) schräg hinaufzieht.

Schon im vorigen Jahrhundert war eine große Krystallhöhle am Lauteraargletscher im benachbarten Gebirgsstock entdeckt worden, aus welcher mehrere Tausend Centner weißer Krystall nach Mailand verkauft wurden, wo sie, als Schleifwaare sehr geschätzt, zu hohen Preisen in den Handel kamen, da die Krystallglasfabrikation noch nicht entwickelt war. In den letzten Jahrzehnten ist die Gegend um den Galenstock wegen ihrer reichen Ausbeute an Krystallen von Gemsjägern und Hirten fortwährend durchforscht worden, und der alte Papa Weißenfluh hatte manch’ ein prächtiges Exemplar von seinem Platz, der lange seine Privatdomaine war, in’s Thal gebracht und an Fremde und Schleifer verkauft.

Die obengenannten Gletscherfahrer hatten in jenem „Strahlband“ etwa hundert Fuß über dem Gletscherrand einige dunkle Stellen bemerkt, welche von Peter Sulzer als Löcher erkannt wurden. Derselbe behauptete sofort, daß daselbst wie in allen Quarzbändern „Strahlen“, d. h. Bergkrystalle verborgen seien. [734] Das Erklettern der steilen Granitwand erschien aber zu schwierig, das Wetter zu ungünstig und die Tageszeit zu weit vorgerückt, um noch eine genauere Untersuchung vornehmen zu können. Vierzehn Tage später machten sich die beiden Sulzer allein auf den Weg den Fundort zu erspähen, und es gelang dem verwegenen Sohne Andreas zu den erwähnten Löchern am Quarzbande emporzuklettern. Er untersuchte die Löcher, welche in eine dunkle Höhle zu führen schienen, mit seinem Hakenstock, und es gelang ihm neben feinem Sand einige Stücke schwarzen Bergkrystalls herauszuziehen. Schlechtes Wetter und die Gefahr der Stellung hinderten die Sache damals weiter zu verfolgen.

Erst im folgenden Jahre, im August 1868, wurde das Unternehmen wieder aufgegriffen. Da gelang es zuerst Andreas Sulzer, Johann von Weißenfluh, Lehrer Ott und Kaspar Bürki aus Guttanen, ein erstes größeres Stück von fünfzehn Pfund aus einem Loch herauszustöbern. Bald kam neue Mannschaft aus Guttanen und man ging nun daran, ein benachbartes Rundloch von acht bis neun Zoll Durchmesser durch Sprengung zu erweitern. Welche gefahrvolle Arbeit es war, auf schmalem Granitgesimse, hoch über dem Abgrund, mit Schlägel und Sprengzeug zu hantiren, das beweist Lindt’s Schilderung des Besuches der Höhle, welche im Jahrbuch des schweizerischen Alpenclubs abgedruckt ist. Derselbe rechnet vier Stunden von der Furka zur Höhle und fährt dann fort: „Am Fuße der Felswand bildet der Gletscher eine fünfzehn bis zwanzig Fuß hohe Gwächte (steiler Schneehaufen), von der man an den Felsen hinuntersteigt, um dann schräg der Wand entlang auf wenige Zoll breiten Vorsprüngen und Ecken zur Höhle zu gelangen. Die Erklimmung ist aber keine leichte Sache, denn nur wenige der besten und kühnsten Steiger wagen es ohne Hülfe hinaufzukommen. Zwei Stellen namentlich erfordern viel Sicherheit und Gewandtheit im Klettern; der erste böse Tritt ist eine senkrechte Granitplatte ohne alle Unebenheiten und so hoch, daß ein Mann von mittlerer Größe mit ausgestreckten Armen nur eben die Finger am obern Rande anhängen kann, mittelst welchen Griffes man sich hinaufziehen muß.“

Ausbeutung der Krystallhöhle am Tiefengletscher, Canton Uri,
im August 1868.

Da Lindt das erforderliche Maß nicht hatte, so mußte er sich am Seil hinaufziehen lassen; von unten kann nicht nachgeholfen werden, weil die Felskante für zwei Mann zu schmal ist. Weiter oben hat man sich um einen vorspringenden rundlichen Granitkopf herumzuschwingen und braucht dazu Sehnen und Muskeln aus Stahl, Glieder, die sich blutegelartig ansaugen und anklammern können. Für ordinäre Sterbliche wird ein Seil hinter dem Felskopf durchgezogen und dasselbe um die Faust gewickelt, damit der Körper sich schwebend erhalte. Ein zweites Seil wird um den Leib befestigt und von dem jenseits stehenden Führer angezogen, sodann folgt eine gewaltige Anstrengung der Arme und Beine und man ist am Ziel. Bei Lindt’s Besuch war die Witterung sehr ungünstig, die Felsen mit Eiszapfen befranzt, der fortwährend fallende Schnee verwandelte sich in eine breiige Masse, die Wände trieften von eisiger Nässe, dazu brauste von Zeit zu Zeit ein Windstoß (Gux) die Schneefelder herauf und jagte in weitem Schwung den Firnstaub um die Häupter, so daß die Führer bedenklich wurden.

Noch schlimmer war es den Entdeckern der Höhle ergangen. Sturmesgeheul war eine lange, lange Nacht hindurch das Schlachtlied der verwegenen Gesellen, welche die Windstöße zuweilen von dem Felsen in den Gletscher hinab zu fegen drohten. Hagel und Regen machten die leichtbekleideten Glieder erstarren; zähneklappernd schmiegten sich die „Strahler“, an Rettung fast verzweifelnd, so eng als möglich aneinander, jeder wärmenden Bewegung beraubt, ohne belebendes Getränke und hinreichende Nahrung. So brachten die abgehärteten Männer die sturmdurchtobte Nacht auf kleinen Vorsprüngen vor dem Loche zu, unter ihnen der Abgrund, über ihnen die gellende Fluh. Halb erstarrt und bis auf die Haut durchnäßt, begannen sie mit Tagesgrauen ihre Arbeit auf’s Neue, und es gelang mit einem dritten Sprengschuß die Oeffnung genügend zu erweitern, um den erstaunten Blicken eine weit in’s Innere des Felsens gehende Höhle bloßzulegen.

Dieselbe war bis zu einem Fuß von der Decke von einer Schuttmasse angefüllt, welche aus Quarz- und Granitstücken sowie Chloritsand bestand. In einiger Tiefe erschienen einzelne in dem Schutte eingebettete rabenschwarze Krystallflächen, und nun war der Schatz gefunden! Da lagen abgelöst von der Felswand, an der sie gewachsen, tausend prachtvolle kohlschwarze Krystalle oder Moreonen, darunter auch einige hellere Stücke oder Rauhtopase im Gesammtgewicht von gegen dreihundert Centnern. Nur ein kleinerer, faustgroßer Krystall hing noch am Felsen. Klumpen von kleineren Krystallen oder Drusen fanden sich nicht vor, sondern meist Stücke von mehreren Pfunden bis zu mehreren Centnern, gegen fünfzig ein- bis zweicentnerige Stücke, fünfzehn bis zwanzig von über zwei Centnern und zwei von über drei Centnern. Neben wohlerhaltenen prachtvollen Cabinetstücken fand sich auch mehr oder weniger beschädigte, zerbrochene oder mangelhaft entwickelte Schleifwaare.

Nachdem die ersten Entdecker gegen zwanzig Centner geborgen, brach die ganze wehrhafte Mannschaft von Guttanen, gegen siebenzig Mann, mit Hämmern, Picken, Schaufeln, Seilen und Tragkörben auf, um den Schatz zu heben. Und so wurde Anfang September in Zeit von acht Tagen die ganze Höhle geräumt, die kleineren Krystalle auf den Gletscher geworfen, die schöneren und größeren theilweise in Säcke verpackt, am Seil heruntergelassen, und zur Vorsicht durch ein sogenanntes Widerseil von der Wand weg auf den Gletscher gezogen. Von da wurden die Krystalle in Tragkörben, die größeren auf Schlitten auf die Furkastraße und sodann zu Wagen nach Oberwald im Canton Wallis gebracht, gegen fünfzehn Centner aber auf dem Rücken über die Gletscher nach der Grimsel getragen. Die Nachricht, daß der Canton Uri sein Territorialrecht zur Geltung bringen wolle, beschleunigte die Wegschaffung, so daß die Bergung des Fundes zum Nachtheil vieler Stücke in fieberhafter Hast betrieben wurde. So dauerte der Transport eine Woche lang Tag und Nacht, während deren [735] kein Schlaf die „Strahler“ erquickte. Ein mit zentnerschwerer Last bebürdeter Mann stürzte in einen fünfzig Fuß tiefen Schlund, konnte sich aber unter Hinterlassung seines Schatzes wieder herausarbeiten.

Dem Urner Landjäger, welcher zur Beschlagnahme der auf Urner Gebiet liegenden Stücke heranrückte, gelang es daher nur, drei größere Krystalle im Gesammtgewicht von sechs Centnern mit Beschlag zu belegen, worunter allerdings einer der größten von zweihundertsechszig Pfund.

Nachdem der Fund durch Herrn Lindt constatirt war, begaben sich die Herren Altgroßrath Bürki und der Geologe Edmund von Fellenberg an Ort und Stelle, um die Krystalle zu prüfen, zu classificiren und die Verwerthung, beziehentlich Vertheilung der Cabinetsstücke an die verschiedenen Museen Europas zu unterstützen. Genf, welches den genannten Herren zuvorgekommen, ist es gleichwohl nur gelungen, Stücke dritten Ranges zu acquiriren. Ein vorzüglicher Krystall von hundertdreißig Pfund wurde von den Herren R. Piggott und E. v. Fellenberg, ehemaligen Zöglingen der Bergakademie zu Freiberg, der dortigen Sammlung geschenkt. Die Museen von Zürich, St. Gallen und Basel besitzen jedes ein ausgezeichnetes Exemplar, welche zu sechs bis sieben Franken das Pfund angekauft wurden. Eines der schönsten Stücke war an das Museum in Paris gesandt, ist aber dort zurückgewiesen worden, weil die Regierung den erforderlichen Credit von fünfzehnhundert Franken nicht bewilligen wollte.

Die große Krystallgruppe im Museum zu Bern.
1. Der König, Höhe 87 Centimeter, Umfang 100 Centimeter, Gewicht 255 Pfund. – 2. Der Dicke, Höhe 68 Centimeter, Umfang 110 Centimeter, Gewicht 210 Pfund. – 3. Der Arm, 39 Pfund. – 4. Der Jüngling, 56 Pfund. – 5. Der Spiegel, 33 Pfund. – 6. Zwilling I., Höhe 72 Centimeter, Umfang 84 Centimeter, Gewicht 130 Pfund. – 7. Zwilling II., Höhe 71 Centimeter, Umfang 77 Centimeter, Gewicht 125 Pfund.

Die sieben schönsten Stücke des ganzen Fundes bilden die große Gruppe im Museum von Bern, welche von Herrn Bürki zum Preise von achttausend Franken acquirirt und in liberaler Weise dem genannten Museum zum Geschenk gemacht worden sind. Die Perle dieser Gruppe ist der „König“, welcher siebenundachtzig Centimeter Höhe, einen Meter Umfang hat und zweihundertfünfundfünfzig Pfund wiegt. Nach ihm kommt der „Großvater“ von zweihundertsiebenundsechszig Pfund Schwere, neunundsechszig Centimeter Höhe und hundertdreiundsechszig Centimeter Umfang. Die Berner Krystallgruppe mag nach Farbe und Größe als die bedeutendste betrachtet werden, welche irgend ein Museum aufzuweisen hat.