Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892/Anhang
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Nachträglich sei noch die Vernehmung des schwachsinnigen Zeugen, Drechsler Knippenberg, hinzugefügt, dessen bereits auf Seite 70 kurz erwähnt ist. Der 35jährige Drechsler Clemens Knippenberg, dessen Sistirung beschlossen wurde, da er der gerichtlichen Vorladung nicht Folge leistete, wurde von einem Polizeibeamten vorgeführt. Knippenberg ist der Bruder der Frau Hegmann, mithin Onkel des ermordeten Knaben. Er war mehrere Tage nach der That verschwunden und wurde auch anfänglich der That verdächtigt. Haltung und Miene des Zeugen bekunden deutlich, daß man es mit einem Geisteskranken zu thun hat. Nichts im ganzen Saale schien ihm zu imponiren, weder der Gerichtshof noch die Geschworenen, weder die Vertheidiger noch die zahllose Menge, welche geduldig sich drängte und drückte, um nichts von den interessanten Verhandlungen zu verlieren. Gemüthlich schlenderte der Zeuge zum Zeugentischchen und schaute stieren Blickes um sich. Der Präsident ließ den Zeugen, welcher nicht gut hört, nahe an den Gerichtstisch führen und frage ihn, auf den Angeklagten zeigend: „Kennt Ihr den Mann, der da sitzt?“
Zeuge sah den Angeklagten verwundert an und erwiderte: Nee, von Haus aus nicht. – Präs.: Woher seid Ihr heute gekommen? – Zeuge: Von Xanten am Niederrhein, da bin ich geboren. – Präs.: Weshalb seid Ihr gestern nicht gekommen? – Zeuge sieht um sich, ohne zu antworten. – Präs.: Wie seid Ihr hierhin gekommen? – Zeuge: Mit der Bahn. – Präs.: War einer bei Euch? – Zeuge: Angenendt. (Das war der ihn begleitende Polizei-Sergeant) – Präs.: Was ist das für ein Mann? – Zeuge: Er hat Soldatenkleider an, nein, Polizeikleider. – Präs.: Wie alt seid Ihr? – Zeuge (nach einigem Besinnen): Am 21. Oktober 1857 geboren. – Präs.: Könnt Ihr auch lesen? – Zeuge: Ja. – Präs.: Geht Ihr auch in die Kirche? – Zeuge: Ja. – Präs.: Was wird in der Kirche gethan? – Zeuge: Messe. – Präs.: Wohnt Ihr der Messe auch andächtig bei? – Zeuge: Ja. – Präs.: Habt Ihr etwas gehört von Halsabschneiden? – Zeuge: Ja. – Präs.: Wo war das denn? Zeuge: Hinter der Kirche bei Scholl. – Präs.: War das ein Kind von Scholl? – Zeuge: Das weiß ich nicht. – Präs.: Seid Ihr verheiratet? – Zeuge: Früher. – Präs.: Wo ist denn Ihre Frau geblieben? – Zeuge: Auch umgebracht. – Präs.: Womit? – Zeuge: Mit der Stang. - Präs.: Habt Ihr auch Kinder? – Zeuge: Aber hier nicht. – Präs.: Wie viel Kinder habt Ihr? – Zeuge: Zwei. – Präs.: Leben die noch? – Zeuge: Nee, die sind auch todt. – Präs.: Wovon sind die denn gestorben? – Zeuge: Durch den Schlund. – Präs.: Wer hat das denn gethan? – Zeuge: Die sind überfallen worden. – Präs.: Sind denn in Xanten so böse Leute? – Zeuge: Die Festung ist losgewesen. – Präs. (auf den Bürgermeister zeigend): Kennt Ihr den Mann da? – Zeuge: Das ist keine Familie von mir. – Präs.: Habt Ihr den in Xanten nie gesehen? – Zeuge: So nicht. – Präs.: Hatte er einen anderen Rock an? – Zeuge: Nee. – Präs.: Habt Ihr nie etwas vom Bürgermeister gehört? – Zeuge: Der war mit mir verwandt. – Präs.: Wie heißt er denn? – Zeuge: Der hieß Schleß – Präs.: Lebt der noch? – Zeuge: Nee. – Präs.: Wodurch ist er gestorben? – Zeuge: Durch die Festung. – Präs.: Habt Ihr auch einen Richter in Xanten? – Zeuge: Ja, der ist mir verwandt. – Präs.: Wie heißt der? – Zeuge: Ja, die Türken haben Musik gespielt. – Präs.: Waren das Türken? – Zeuge: Ja, die waren bei uns am Niederrhein. – Präs.: Wohnen denn Türken am Niederrhein? – Zeuge: Nein, aber wir hatten geschrieben und auch wieder nach Haus gelassen. – Präs.: Das wird aber theuer gewesen sein? – Zeuge: Ja, sie sind mit Extrazug wieder fortgefahren. – Präs.: Habt Ihr auch Verwandte in Xanten? – Zeuge: Der letzte ist auf dem Kastell bei mir. – Präs.: Habt Ihr auch ein Kastell? – Zeuge: Ja, auf dem Berg, das ist mein Eigenthum. – Präs.: Kennt Ihr einen Mann in Xanten, Namens Hegmann? – Zeuge: Ja, das ist mein Schwager. – Präs.: Lebt der Hegmann noch? – Zeuge: Der ist auch gestorben. – Präs.: Der Hegmann hat ein Haus auf der Kirchstraße? – Zeuge: Nee. – Präs.: Wem gehört das Haus? – Zeuge: Das Haus gehört mich. – Präs.: Habt Ihr vor Peter und Paul Streit gehabt und gesagt, das ist mein Haus. – Zeuge: Nee. – Präs.: Hat Hegmann Kinder? – Zeuge: Nee. – Präs.: Sind die Kinder von Hegmann alle fort? – Zeuge: Die standen alle in Xanten, sie sind beim Militär. – Präs.: Ist Schängchen (Der Ermordete) auch beim Militär? – Zeuge: Nee: - Präs.: Habt Ihr gehört, daß Jemand dem Schängchen den Hals abgeschnitten? – Zeuge: Erzählt haben sie es wohl im Geschäft gegenüber.
Geh. Medizinalrath Dr. Pellmann bat hierauf den Bürgermeister Schleß, unmittelbar vor Knippenberg zu treten, und nun kam es zwischen Pellmann und Knippenberg zu folgenden Fragen und Antworten: Kennt Ihr diesen Mann? – Nee. – Aber doch! – Nee. – Ist das nicht Euer Bürgermeister? – Früher ist er es gewesen. – Lebt er nicht mehr? – Nee, nicht mehr. – Wie hat er geheißen? – Schleß. – Wie viel Kinder hat er? – Vier. (Knippenberg zählt vier Namen auf.) – Hat Eure Schwester auch Kinder gehabt? – Ja, Gretchen, Schängchen (der Ermordete). (Knippenberg kennt noch zwei.) – Von wem sind die Kinder? – Vom Wilhelm. (So heißt der Schwager Hegmann.) – Wo sind die Kinder? – Todt. – Wann ist das Schängchen gestorben? – Ich weiß es nicht. – Wo ist er gestorben? – Ist lange todt. – Habt Ihr ihm etwas gethan? – Ich bin nicht dabei gewesen. – Wer hat es Euch gesagt? – Die Militärs.
In der Küppers’schen Scheune in Xanten fragte der Präsident den Knippenberg, indem er ihn an die Stelle führen ließ, an der der ermordete Knabe gefunden worden ist: Ist nicht hier Schängchen umgebracht worden. – Knippenberg: Das weiß ich nicht. – Präs.: Ist Schängchen auch durch den Schlund gestorben? – Knippenberg: Ja. – Präs.: Was versteht Ihr unter Schlund? – Knippenberg (mit idiotischem Lächeln): Durch den Schlund sterben, das ist Gericht halten. – Präs.: Habt Ihr einmal über das Schängchen Gericht gehalten? – Knippenberg: Nee. – Präs.: Habt Ihr ihm nie etwas gethan? – Knippenberg: Nee.