Der Kampf zwischen den Wollenen und Baumwollenen
[483] Der Kampf zwischen den Wollenen und Baumwollenen. Die Anhänger Jäger’s und seiner Lehre von der alleinseligmachende Wolle
haben jetzt eine neue eifrige Gegnerschaft gefunden in den Vorkämpfern der Baumwolle, und es ist in Berlin vor einiger Zeit zu einem Redeturnier
zwischen beiden Parteien gekommen, bei welchem die jedesmalige Opposition sich nach parlamentarischem Brauch durch heftiges Zischen bemerkbar
machte. Dr. Lahmann aus Chemnitz vertrat in dieser Versammlung, die im Hôtel de Rome stattfand, die Vorzüge der Baumwolle,
erkaunte die Verdienste Jäger’s insoweit an, als dieser die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Frage der Bekleidung gelenkt und für durchlässige
Kleider eingetreten sei, doch die Baumwolle erfülle diese Bedingung, wenn sie nur trikotartig und nicht appretirt und gestärkt sei, eben so gut wie
die Wolle, ja sogar noch mehr als die letztere, die eine Ueberreizung hervorrufe und die Haut erhitze, wodurch diese empfindlicher werde für
die Schwankungen der Temperatur. Auch verbreiteten Pflanzengewebe an sich nicht schlechte Düfte: reine lockere Baumwolle nehme nicht mehr
riechende Stoffe auf als Wolle, nur die Appretur und Stärke sowie das Schlichtmaterial binde die schlechten Düfte. Auch sei die Baumwolle
billiger als die Wolle. Zum Beweis, daß die Reformbaumwollstoffe so weich, warm und schmiegsam wie die zarteste Wolle seien, waren zu beiden
Seiten der Rednertribüne baumwollene Garne, Trikotstoffe, fertige Hemdenn u. dergl. m. ausgestellt. „Hie Wolle, hie Baumwolle“ ist jetzt die Losung;
bei der Baumwolle handelt es sich indeß bloß um die Unterkleider. Die Anhänger der Leinwand haben bei diesem Kampfe das Zusehen: jedenfalls
werden sie von beiden Reformparteien in die Rumpelkammer der Diätetik und Hygiene verwiesen. †