Der Kampf gegen die Schmutzliteratur

Textdaten
Autor: Josephine Siebe
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Titel: Der Kampf gegen die Schmutzliteratur
Untertitel: Ein Wort an die Frauen.
aus: Reclams Universum. Moderne Illustrierte Wochenschrift, 26. Jahrgang 1910, Seite 95–96
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Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Phillip Reclam jun.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Kampf gegen die Schmutzliteratur.
Ein Wort an die Frauen. Von Josephine Siebe.

Die Schmutzliteratur ist leider dem deutschen Volk seit Jahrhunderten nicht fremd, wenn auch der Ausdruck selbst erst zu einem Schlagwort der neuesten Zeit geworden ist. Immer wieder wurden im Wandel der Zeiten die Klagen über das Überhandnehmen schlüpfriger Bücher laut, und das bittere Wort Johann Heinrich Merks: „Es ist wohl kein Land wie Teutschland, wo sich so elende Köpfe zum Beruf aufwerfen, das Publikum zu unterhalten“, hat noch heute für einen Teil Bücherschreiber seine traurige Berechtigung. In einem Punkt aber ist man fortgeschritten, das ist in der Erkenntnis der Gefahr, die der sittlichen Gesundheit des Volkes durch die Schmutzliteratur droht. Freilich so mächtig wie in unserer Zeit überflutete diese trübe Schlammwelle noch nie das Land. Der Größe des Übels gegenüber kann man nicht umhin, noch von einer starken Indolenz zu sprechen. „Ach, so schlimm wird es nicht sein“, damit werden die Bedenken niedergeschlagen und die meisten meinen genug zu tun, wenn sie für ihre eigene Person diesen Schmutz ignorieren.

Am wenigsten ist bisher seitens der Frauen in diesem Kampf getan worden, hier und da wird einmal in einem Verein ein Vortrag gehalten, man spricht ein wenig über die Angelegenheit, aber die große Masse der Frauen kümmert sich fast gar nicht um das Anwachsen der Gefahr, ja, viele ahnen die Gefahr nicht einmal. Die Unkenntnis ist es auch in erster Linie, auf der die Indolenz der Frauen beruht, von dem, was in der Tiefe brodelt, haben die Frauen, die in behaglichen Lebensverhältnissen auf glatter Straße einherschreiten, gar keine Ahnung. Es wäre nun wirklich zuviel verlangt, wollte man Quellenstudien anraten. Es genügt schon, wenn hier einmal mit Zahlen und Büchertiteln hantiert wird oder wenn aufklärende Schriften verbreitet und - gelesen werden. Vor allem müßten die verschiedenen Frauenvereine, welcher Richtung sie auch angehören mögen, für Aufklärung der Frauen über die wachsende Gefahr sorgen. Den ersten größeren Vorstoß in diesem Kampf zu machen hat der „Allgemeine Deutsche Frauenverein“ unternommen. Auf der diesjährigen Generalversammlung des Vereins in Darmstadt wurde der Antrag gestellt: „Die Ortsgruppen möchten es sich mehr als bisher zur Aufgabe machen, die Schmutzliteratur zu bekämpfen und besonders die Jugend vor ihr zu schützen.“ Dem Antrag war folgende Begründung beigegeben: „Angesichts der erschreckenden Verbreitung, welche die Schmutzliteratur in weiten Schichten unseres Volkes gefunden hat, genügt es nicht mehr, daß, wie bisher, nur Fachvereine (pädagogische Vereine, Sittlichkeitsvereine etc.) den Kampf dagegen führen; es ist vielmehr notwendig, daß alle Zweigvereine und Ortsgruppen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins sich daran beteiligen. Unser modernes Leben entwickelt das Sensationsbedürfnis der Jugend in höchst bedenklichem Maße. Darum sollten alle Frauen, deren häuslicher oder sozialer Pflichtenkreis sie in Berührung mit der Jugend bringt, vor allem aber die Mütter, es sich angelegen sein lassen, diesem Sensationsbedürfnis entgegenzutreten. Aufgabe der Frauenvereine wird es sein, ihre Mitglieder, wie überhaupt möglichst viele Frauen aller Kreise, durch Vorträge und Kurse über die Grundlagen der Kinderpsychologie und die sich daraus ergebenden Anforderungen an eine gesunde Jugendlektüre zu belehren und sie zu veranlassen, die Lektüre ihrer Kinder sorgsam zu prüfen und zu überwachen.“

Der erste Akt, an dem alle Einzelarbeit der Frauen beginnen müßte, ist das Haus, die Kinderstube. Aber leider verstehen es viele Frauen der gebildeten Stände nicht einmal, ihr Haus von diesem verderbenbringenden Schmutz rein zu halten. Was das Dienstmädchen liest, ist den meisten Frauen völlig unbekannt; was da in der Tischlade, unter dem Kopfkissen, in den Taschen der Dienstmädchen steckt und heimlich in unbewachten Augenblicken verschlungen wird, entzieht sich der Kenntnis der Hausfrau. Sieht diese einmal solch ein ominöses Heft in grellfarbigem Umschlag in der Hand des Mädchens, so verbietet sie wohl das Lesen während der Arbeitsstunden, weiter aber geht ihre Sorge nicht. Und durch die Dienstboten erhalten oft die Kinder die verbotene Schauerlektüre, und die heißhungrige Phantasie, namentlich der im Entwicklungsalter stehenden Knaben und Mädchen, nimmt mit wahrer Gier die gebotene Nahrung. Auch hier ahnen die Mütter oft nicht, was sich da zwischen Schulheften, Spielschachteln, in der Tiefe der Schränke vor ihren Blicken verbirgt, welches Gift unbemerkt sich in der Seele ihres Kindes verbreitet.

Wie sich die Mutter um die Nahrung und Kleidung ihrer Kinder kümmert, so muß sie auch um die Lektüre der Kinder sorgen. „Ich kann doch nicht alles selbst lesen“, seufzt da wohl die vielgeplagte Hausfrau. Das ist auch nicht immer nötig, es gibt Merkblätter, Orientierungsschriften; und manchmal wäre es auch besser, zu Weihnachten unterbliebe diese oder jene überflüssige Handarbeit und die erübrigte [96] Zeit gehörte den Weihnachtsbüchern der Kinder. Wie viele Käufer und Käuferinnen aber sehen den Titel an, die Umschlagzeichnung, und wenn der Preis ihrem Wunsch entspricht, wird auf das Geratewohl gekauft. Daß man die besonderen Veranlagungen, Fehler, Neigungen eines Kindes berücksichtigen muß, wird recht selten in Betracht gezogen. Eine an sich harmlose Indianer- oder Seefahrtgeschichte z. B. kann aber schon für einen zum Abenteuerlichen neigenden Knaben schädlich sein, während vielleicht einem allzu schwärmerischen, sentimentalen Mägdlein eine etwas kräftigere Kost als eine sogenannte Backfischgeschichte not täte. Aber was bedeuten diese harmlosen Sachen gegen die Schundbücher, die unsere Kinder oft zu lesen bekommen. Sorgfältige Überwachung der Mutter und Bildung des Geschmacks durch gute Bücher sind die Mittel, die helfen können.

Weit schwieriger ist es natürlich, die Lektüre der Dienstboten zu beeinflussen, schwierig oft, weil ein starker Gegenwille da ist. Auch hier kann die Hausfrau nur wirken, wenn sie selbst, dem vorhandenen Lesebedürfnis Rechnung tragend, für gute Lektüre sorgt, auch einmal über das Gelesene spricht, kurz, Interesse für das geistige Leben ihrer Dienstboten zeigt. Manchmal hilft wohl auch das einfache Rechenexempel: das Mädchen findet es billiger, wenn die Frau für die Bücher sorgt, als wenn sie selbst 10–20 Pfennig für ein Bändchen zahlen soll. – Was soll solch ein Mädchen lesen, woher sind die Bücher zu nehmen? Manches Buch des Bücherschrankes eignet sich wohl gut dazu, und das Mädchen, das ein Buch aus dem Familienbücherschrank zu lesen bekommt, wird dies sicher zu schätzen wissen. Dann haben wir billige Büchersammlungen, die das Beste bieten; wir haben Volkslesehallen, zu deren Besuch die Dienstboten angehalten werden können. Die Erfahrungen der Lesehallen über den Geschmack können zum Ratgeber dienen. Vielfach wird ja der Fehler gemacht, daß die Leser zu rasch gebildet werden sollen. Menschen, die den ganzen Tag über schwer arbeiten, haben in den Mußestunden selten Lust und geistige Spannkraft zu einer schweren Lektüre. Ihre Phantasie will spielen, will sich behaglich in einem weiten Garten ergehen, diese Lust ist es auch, die zügellos geworden und der Schundliteratur immer neue Leser zuführt. Ungeleitet wird das Spiel zur Leidenschaft, das Lustwandeln im Garten der Phantasie zum wüsten Rasen; wer also helfen will, muß zuerst zu leiten verstehen, muß wissen, was not tut. Es gilt auch hier, wie bei so mancher sozialen Arbeit, Dämme zu bauen, um der trüben Schlammflut Einhalt zu tun, und es wäre gut, wenn sich die Frauen der Gefahr bewußt würden und mitbauten an den Schutzwällen – gilt es doch oft das größte Heiligtum der Mutter, die Seele ihrer Kinder, zu schützen.