Der Hohlweg
- Graf von Klockenberg.
- August, dessen Sohn.
- Sophie Sternfeldt, Schauspielerin.
- Lisette, deren Mädchen.
- Justizrath Steinberg.
- Brigitte, des Grafen Haushälterin.
- Ein Jäger.
- Ein Diener.
(Die Scene geht auf dem Gute des Grafen von Klockenberg vor.)
Graf. Schon wieder matt! – Diese Partie hast Du wie mit Absicht verloren. Du bist mir ein schöner Schachspieler!
August. Lieber Vater –
Graf. Ich mag nicht weiter spielen! Deine Gedanken sind nicht bei dem Schachbrett.
August. Wie könnten sie auch dort seyn? Ein großer Philosoph hat einmal gesagt, das Schachspiel sey zu ernsthaft für den Scherz, und zu scherzhaft für den Ernst.
Graf. Dennoch bin ich überzeugt, daß Du in diesem Augenblick nicht an einen großen Philosophen gedacht hast.
August. Sie können Recht haben!
Graf. Du durftest nur den König hier, wo ich ihn angriff, durch einige Offiziere schützen, so warst Du gerettet; dagegen bemühst Du Dich, die Königin zu erhalten, die im entferntesten Winkel des Brettes steht, und in diesem Augenblick eine verlorene Rolle spielt.
August (zerstreut). In acht Tagen tritt sie ihre Kunstreise an.
[314] Graf. Die Königin?
August. Sophie, mein Vater!
Graf (wirft die Schachfiguren zusammen). Sophie und immer Sophie!
August. Die acht Tage bring’ ich noch bei Ihnen zu, dann werf’ ich mich in eine Extrapost, und reise ihr nach, wohin sie ihre Schritte auch wenden möge.
Graf. Die Dame ist sehr glücklich, Dich auf allen ihren Wegen zu finden – glücklicher als Dein Vater, der Dich im Laufe dieses Jahres im Spätherbst zum ersten Mal sieht.
August. Tadeln Sie mich darum nicht! Mein Herz ist an die Residenz gewachsen, – meine Studien nehmen meine ganze Zeit in Anspruch.
Graf. Was hast Du denn studirt? – die Augen der Mademoiselle Sophie.
August. Sie thun mir Unrecht! Ich habe den Plan zu einem großen Trauerspiel: „Das Leben im Tode“ entworfen, in welchem Sophie eine Rolle haben soll, wie sie selbst der Mars noch nicht zu Theil geworden ist. Ich bin vielleicht der Erste aus Ihrer Familie, der mit dieser Leistung in die Reihe der schönwissenschaftlichen Geister tritt.
Graf. So siehst Du auch aus, als ob Du unter die Geister treten wolltest mit dem blassen Gesicht, was Du aus der Residenz mitgebracht hast, und der schwarzen Cravatte darunter. Die Bauern erschrecken, wenn sie Dich einhergehn sehen.
August. Ich bin auch nicht mehr für die Bauern da.
Graf. Nicht für die Bauern da, und willst doch einmal ihr Gutsherr seyn?
August. Meine Gutsherrschaft liegt mir in diesem Augenblick weniger am Herzen als meine Liebe und mein Trauerspiel. Ich trete mit demselben und zugleich mit der kühnen Behauptung auf, daß Sophie nicht allein für das Tragische, sondern sogar vorzugsweise für das Tragische geschaffen sey. Wie gefällt Ihnen der Titel, den ich gewählt habe: „Das Leben im Tode“? – ich habe ihn den französischen Romantikern nachgebildet.
Graf. Ueber die französische Romantik also und über „das Leben im Tode“ vergißt Du Deinen Vater, der seit dem Tode Deiner Mutter schon drei Jahre im Wittwerstande lebt. Es wäre [315] mir unter diesen Umständen wahrlich nicht zu verargen, wenn ich ein zweites Mal ein Ehemann würde.
August. Werden Sie das, mein Vater!
Graf. Daß Du mir dazu räthst, das ist doch seltsam! Wünschest Du Dir eine Stiefmutter?
August. Eine Gefährtin Ihres Lebens wünsch’ ich Ihnen, welche die leergewordene Stelle in Ihrem Hause wieder füllt, die Ihnen die mangelnde Tochter, den abwesenden Sohn ersetzt, an deren Seite Sie noch einmal jung und fröhlich werden.
Graf. Wenn Du Dich der Sache mit solcher Wärme annimmst, so könnt’ ich Dir sagen, daß bereits Aussichten – Wünsche –
August. Auch Sie, mein Vater, hätten Aussichten, Wünsche? – und mich, der ich noch jung bin, in den Jahren, wo die Pulse fliegen, das Herz verdoppelt schlägt – mich wollten Sie tadeln, daß ich eine Wahl getroffen habe, über welche die Liebe für mein Leben entschieden hat?
Graf. Du wähltest nur zu frühe, und dennoch könnt’ ich mich nur freuen, wenn Du gut gewählt hättest, wenn Du mir eine brave Schwiegertochter nach meinem Sinn in das Haus brächtest, ein Paar Jahre später muntere Enkel. – Wär’ ich dann auch selbst kein Ehemann mehr, so freut’ ich mich an Deinem Glück; aber daß Du Dich in eine Coulissen-Heldin verliebtest –
August. Nennen Sie das Wort nicht! Sie machen mir das Blut in die Wangen steigen. – „Coulissen-Heldin!“ – Sie leben hier in der Einsamkeit Ihrer Wälder und Forsten, kommen aus Grundsatz nicht in die Residenz, hassen die neuesten Journale, studiren in Ihrer Bibliothek das Siècle de Louis quatorze – da können Sie freilich nicht wissen, mit welcher Liebe und Verehrung man unsern Künstlern jetzt begegnet, sonst wüßten Sie auch, daß solch ein Wort wie „Coulissen-Heldin“ veralteter ist als die Schleppröcke und Puder-Coiffüren des vorigen Jahrhunderts.
Graf. Wie Du Dich ereiferst, und wirst mich doch nicht für die Schauspieler gewinnen!
August. Es gab eine Zeit, wo Rousseau sie angreifen durfte, aber sie ist vorüber. Sie liegt uns fern, wie das graue Alterthum. Wir leben in einer Zeit, wo die Kunst nur noch einen Tempel auf Erden hat, einen lebendigen Tempel, der [316] an die Stelle todter Bildsäulen und verbleichender Gemälde getreten ist – die Bühne! – Wenn ich aber in den Tempel trete, muß ich seine Götter ehren, ich muß ihnen Weihrauch streuen, und, ich frage Sie, für wen dampft jetzt noch Weihrauch empor? – Etwa für einen Phidias, einen Raphael? – Nein, für Künstlerinnen der Bühne!
Graf. Wenn Du Dich nur beruhigen wolltest –
August. Ich kann mich nicht beruhigen! Dieses Wort: „Coulissen-Heldin“ empört mein innerstes Wesen. Ich wollt’ es Ihnen wohl vergeben, aus kindlicher Liebe; aber daß Sophie es lesen mußte, daß ihr unglücklicherweise ein Brief in die Hände gefallen ist, in welchem Sie diesen Ausdruck gebraucht haben – das kann ich nie vergessen.
Graf. Ein Brief von mir? – Das thut mir leid! Damit hab’ ich die Mademoiselle wohl sehr beleidigt?
August. Sie können ja Ihr Unrecht wieder gut machen mit einem einzigen Wort. Nennen Sie Sophie Ihre Schwiegertochter!
Graf. Das geht nun einmal nicht!
August. Warum denn nicht?
Graf. Fragtest Du mich tausend Mal, so hätt’ ich nur eine Antwort darauf: Weil Du der Graf von Klockenberg bist.
August. Wie nun, wenn ich der Graf Rossi wäre?
Graf. Wer ist der Graf Rossi?
August. Vater! – Bekümmern Sie sich nicht um die Kunstgeschichte? – Lesen Sie keine Zeitungen? – Der Graf Rossi ist der Hochbeglückte, der die unsterbliche Sontag geheirathet hat.
Graf. Ja so – dem willst Du nun nachahmen, und die Unsterbliche – wie heißt sie?
August. Sternfeldt!
Graf. Sternfeldt – heirathen?
August. Ja, mein Vater!
Graf. Den Gedanken schlage Dir aus dem Sinn, so lange Du noch einen sterblichen Vater hast! Ueberhaupt, mein Sohn, eine Liebe wie die Deinige, so wie Du sie jetzt vor mir darlegst, verfliegt wie Champagner-Rausch. Ich habe das empfunden! Ich habe auch einmal geliebt, ehe ich Deine Mutter heirathete. Es war, als ich in Prag studirte. Ich erinnere mich sehr wohl der Zeit –
[317] August (ihm in’s Wort fallend). Wen Sie auch geliebt haben mögen – es war nur ein Mädchen!
Graf. Was ist denn die Mademoiselle Sternfeldt?
August. Eine Künstlerin, mein Vater! Eine Künstlerin liebt man nicht mit einem Herzen, man liebt sie mit tausenden! – Wollt’ ich die neckisch lächelnde „Cappriciosa“ vergessen, so taucht das Bild der romantischen „Corona“ vor mir auf:
„Und wollt’ ich auch Corona’s Bild vernichten,
Schwebt mir die himmlische „Griseldis“ vor,
Wer sonst nur spricht, muß bei Sophien dichten! –
Sie führt’ ihn durch das goldne Musenthor.“
Graf. Du machst ja Verse?
August. Unwillkürlich!
Graf. Komm einmal zu Dir selber! Angenommen, Du könntest diese Dame mit ihrer dramatischen Vielseitigkeit heirathen – würdest Du verlangen oder gar erwarten, daß Deine Frau in Deinem Hause alle die Rollen fortspielen sollte, durch welche Dich die Künstlerin entzückte?
August. Allerdings würd’ ich das, und zwar auf folgende Weise. Des Morgens klopft’ ich an und sagte: „Guten Morgen, Griseldis!“ dann hätt’ ich den ganzen Tag hindurch die sanfteste, demüthigste Frau von der Welt; – klopft’ ich an und sagte: „Guten Morgen, Gurli!“ so wäre sie ein neckisch lächelndes Kind, das mir tausend Späße machte. (Heftiger) Klopft’ ich aber an und sagte: „Guten Morgen, Julia!“ – so wär’ ich Romeo! – o, mein Vater, Sophie kann nicht so langweilig seyn als andre Frauen, es ist nicht möglich!
Graf. Ich sehe, daß Dein Kopf verwirrter ist, als ich selbst es dachte. Bleib’ bei mir, in der frischen Bergluft, und kehre für’s Erste nicht wieder in die Residenz, vor Allem nicht in das Schauspielhaus zurück. Gewöhne Dich an den Klang unsrer Hörner, hole Dir wieder rothe Backen, gewinne die Natur wieder lieb.
August. Die Kunst ist die Combination des Schönen in der Natur, und ist die Natur des ewig Schönen zugleich –
Graf (ihm in’s Wort fallend). Und der Hengst ist jetzt gesattelt und wartet auf Dich! Geh’, und mache einen Spazierritt in’s Freie!
[318] August. Der Hengst gesattelt, wenn ich von Sophien spreche! – Sie sind grausam wie ein Winterfrost im Mai, Sie fahren wie ein düst’rer Schlagschatten über die lichten Felder meiner Phantasie, Sie satteln den Hengst, wenn ich von ihr spreche! – Welch ein empörender Uebergang! O Sie müßten sie gesehen haben, nur ein einziges Mal!
Graf. Und wenn ich sie sähe?
August. Sie würden anders denken. Sie würden sagen: „es giebt für August keine Frau als nur Sophie!“ Mit Ihrer Einwilligung würd’ es mir leichter werden, die der Göttlichen zu erlangen.
Graf. Hast Du die nicht schon? – Ich dächte, Mademoiselle Sternfeldt könnte sich nur geehrt fühlen, wenn ein Cavalier und dereinstiger Rittergutsbesitzer sich um ihre Hand bewirbt?
August. Sie mag mich nicht!
Graf. Das ist das Erste, was mir an ihr gefällt!
August. Sie tadelt meine Jugend, meine Heftigkeit, und thut mir damit doch so Unrecht! Ist der Vulkan nicht selbst am schönsten, wenn er Feuer speit? Sie liebt mich auch, ich weiß es, aber ich habe einen Nebenbuhler.
Graf. Nur einen? Das nimmt mich Wunder!
August. Nicht einen Nebenbuhler von Fleisch und Blut, den ich besiegen könnte – nein, einen viel gefährlicheren! Wenn ich außer mir zu ihren Füßen sinke, wenn ich sie frage: „Sophie, wen lieben Sie mehr als mich?“ – so sagt sie ruhig: „meine Kunst.“ – Es ist zum Verzweifeln! Nicht einmal einen Gegner, mit dem ich mich schlagen kann! – Die Kunst, und alle neun Musen, wenn ich sie heraus forderte, sie kämen nicht!
Graf. Wäre auch nicht eine Gesellschaft, die sich für einen Cavalier Deines Standes paßte, und bei welcher ich Sekundant seyn möchte. – Doch nun, mein Sohn, der Hengst wird ungeduldig! Laß ihn die Sporen fühlen und hole Dir zum Mittagsessen guten Appetit!
August (träumend). In acht Tagen tritt sie ihre Kunstreise an!
Graf. Das hast Du schon vorhin gesagt, als ich Dir die Schachpartie abgewann.
[319] August. Noch kann ein Brief von mir sie erreichen, wenn ich an sie schreibe. Der Weg führt sie nahe hier vorbei. Sie laden sie ein, Sie bewirthen sie bei sich –.
Graf (unwillig). Bist Du nun vollends närrisch geworden? – Ich eine Schauspielerin bei mir bewirthen? Weißt Du nicht, daß erst vorgestern der Herr Erzbischof auf der Durchreise bei mir logirt hat? – Ich bin gewiß sehr gastfrei gegen Jedermann; aber – ich wähle meine Leute.
August. Sie wollen nicht?
Graf. Nimmermehr!
August. Auch meine schönste Hoffnung fehlgeschlagen! – So leben Sie wohl, mein Vater, und wenn Ihr Hengst nicht wiederkehrt, so denken Sie, die Windsbraut habe ihn entführt. (Ab.)
Der Brausekopf! – So war ich auch, als ich meine Fanny liebte, die Tochter des Rektors in Prag, und habe mich doch beruhigt. Das war indessen eine solide Liebe, ein Mädchen, auf das man mit unbesorgtem Herzen spekuliren konnte – nicht eine Künstlerin, die ihre Launen wechselt wie ihre Kleider. Kann ich ihn tadeln, den armen Jungen? Er ist angesteckt von dem modernsten Fieber unsrer Zeit, von dem Theaterfieber. Gegen solche Krankheit wächst eine China hier in unsern Wäldern, und wenn ich ihn an mich fesseln könnte, wollt’ ich ihn wohl heilen von seinen Träumereien, seiner modernen Verschrobenheit – aber er läßt sich nicht fesseln! Er ist ein Vogel, der das heimische Nest verlassen hat; Sophie hat ihn flügge gemacht! Ich armer, einsamer Burgpatron! – Wenn ich auch eine Sophie hätte, die meine Einsamkeit beleben könnte! – Muth! – Der Spiegel wirft mir noch kein Greisenbild zurück, und war ich drei Jahre hindurch ein redlicher Wittwer, kann ich auch noch ein glücklicher Ehemann werden. Der neue Justizrath hier in dem Städtchen wollte mir einen Vorschlag machen. Er hat die Partie des Baron von Wildenberg gestiftet. – Ich will doch sehen, was er mir schreibt. (Er holt einen Brief hervor) Ich wagte nicht, in Augusts Gegenwart den Brief zu lesen. (Er lies’t) – Er schreibt ganz kurz, [320] ganz abgebrochen: „er wisse eine Partie für mich, eine Frau aus einem gräflichen Hause, wie für mich geschaffen. Er werde dafür sorgen, daß ich noch heut in meinem Schlosse auf eine verbindliche Weise ihre Bekanntschaft mache, ich sollte mich rüsten zum Rendezvous, gegen zwölf Uhr würde er selbst hier seyn – alsdann das Weitere.“ – Seltsam! – Ein Rendezvous in meinem eignen Hause. Nun, ich bin gerüstet! – Jung oder alt, hübsch oder häßlich – wenn sie nur aus einem guten Hause ist, von echtem Schrot und Korn, wie meine Caroline war; – des Suchens überhoben, hätt’ ich schon viel gewonnen!
Jäger. Herr Graf, Sie verzeihen, daß ich störe!
Graf. Bringst Du etwas in der Waidtasche mit? – Ich bekomme heut vielleicht Besuch. Wenn Du ein Paar Schnepfen geschossen hast, nehm’ ich es nicht übel.
Jäger. Nein, Herr Graf, ich bringe nichts in der Waidtasche, ich bringe nur zwei Gäste mit, die ich auf dem Wege vom Forsthause im Hohlweg getroffen habe, zwei Damen.
Graf. Was sagst Du?
Jäger. Sie müssen es schon nicht übel nehmen: ich konnte nicht anders. Sie standen mit den zarten Füßchen auf dem feuchten Lehmboden, und der Schmied, der ihren Wagen untersuchte, meinte, die Reparatur könne wohl ein Weilchen dauern.
Graf. Ist im Hohlweg wieder etwas vorgefallen?
Jäger. Ein Rad von einer Reise-Chaise ist zerschellt. Schaden hat indessen Niemand genommen.
Graf. So mögen die Reisenden unterdeß im Dorfkrug bleiben.
Jäger. Ich dachte, für den Dorfkrug schickten sich solche Gäste nicht, drum hab’ ich mir die Freiheit genommen, sie auf’s Schloß zu führen. Es ist eine Dame mit ihrer Zofe, die eine sehr hübsche Reise-Equipage hat: vier Pferde Extrapost, sehr viele Koffer, einen Diener, der aussieht wie ein Kammerherr, und einen Postillon, der sich tausend Mal bei der gnäd’gen Gräfin entschuldigte, so ungeschickt gefahren zu seyn.
[321] Graf. Ja so, das ändert die Sache! Wo sind die Damen?
Jäger. Sie müssen mir auf dem Fuße folgen! Ich bin ihnen vorangeeilt.
Graf. Du hast Recht daran gethan, sie herzuführen. Du bist ein artiger Bursch!
Jäger. Es freut mich, daß ich bei dem Herrn Grafen mehr Gehör finde. Die Frau Brigitte wollte von der Empfangnahme meiner Gäste nichts wissen.
Graf. Hier hab’ ich zu befehlen und nicht die Frau Brigitte. Geh den Damen entgegen und sage, sie sollen mir willkommen seyn!
Jäger. Ganz wohl, Herr Graf! (Ab.)
Eine Dame mit ihrer Zofe und eine Gräfin? – Es reisen jetzt einige Herrschaften incognito – wie leicht könnte es etwas vom Gefolge seyn. Sie sollen keiner Artigkeit bei mir entbehren. – Oder, welch ein Gedanke! – Muß er mir nicht kommen, da ich so eben diesen Brief erhalten habe? – Sollte die Dame vielleicht die Dame seyn, die mir bestimmt war, heut auf meinem Schlosse zu empfangen? – Sollte sie nicht zufällig in dem Hohlwege umgeworfen haben? – Sollte die Combination der Ideen des Herrn Justizraths sich so weit verstiegen haben, daß er den Postillon bestochen hätte? – Nimmermehr, solche Einfälle dürfen die Justizräthe nicht haben! – Es wird eine Andere seyn! – Es ist indessen eine Dame, und man muß es an keiner Fürsorge fehlen lassen. (Ab durch die Seitenthür rechts. Die Scene bleibt einige Augenblicke leer.)
Diener. Haben Euer Gnaden sonst noch etwas zu befehlen?
Sophie. Nichts, mein Freund! Lege die Sachen nur ab! Für Deine Mühe! (Sie giebt ihm ein Trinkgeld.)
[322] Diener (ab).
Lisette. Der abscheuliche Hohlweg! Das macht, weil wir acht Tage vor der Urlaubszeit gereist sind.
Sophie. Ereifere Dich doch nicht um eine Kleinigkeit! Wir werden aber hier so artig aufgenommen. Sollte hier ein Kunstfreund wohnen, dessen Thür sich mir auf meinen Namen öffnet?
Lisette. Ihren Namen, Fräulein, den hab’ ich in dem Wirrwarr noch gar nicht genannt, bin auch nicht danach gefragt worden. Der dumme Postillon, der uns umgeworfen hat, nannte Sie ja immer gnädige Gräfin und Excellenz – da mögen uns die Leute wohl für eine große Herrschaft genommen haben.
Sophie. Ja so! Wo sind wir denn eigentlich? Ich habe den Namen überhört!
Lisette. Wo wir freiwillig vielleicht nicht hingegangen wären. Das Gut heißt Schloppau, und gehört dem Grafen von Klockenberg.
Sophie. Schloppau? – Klockenberg? Das ist doch nicht –
Lisette (ihr in’s Wort fallend). Der Vater von dem Hitzigen mit der schwarzen Cravatte.
Sophie. Der seinem Sohne so artige Briefe schreibt?
Lisette. Derselbe! Ich habe mich bei dem Jäger danach erkundigt. Er hat einen Sohn, der August heißt.
Sophie. Das ist mir nicht lieb! Wenn der Kunstfeind, der Kannibale, meinen Namen hört, wirft er mich wieder zur Thür hinaus.
Lisette. Es wäre Schade, wenn wir um die schöne Gastfreundschaft kämen. Es ist hier besser als draußen unter dem Regenschirme.
Sophie. Ist denn sonst kein Unterkommen hier im Dorfe?
Lisette. Der Dorfkrug wäre wohl da, aber er ist erbärmlich schlecht. Bei dem Pfarrer können wir eintreten, er wohnt recht freundlich, aber er ist katholisch und ein Cölibatair; man muß die Ruhe eines Menschen nicht stören.
Sophie. Nun, so bleiben wir hier! Mit dem alten Herrn wollen wir schon fertig werden. Du sagst ja, Du hast meinen Namen noch nicht genannt. Geh’ eiligst zurück zu Friedrich, der die Sachen beaufsichtigt, und sage, wenn er von mir spricht, soll er mich nur die gnäd’ge Gräfin nennen! Wie nenn’ ich mich nur? – [323] Gräfin – Gräfin von Strahlen. – Auch Du giebst mir diesen Titel! Verstehst Du mich?
Lisette. Ich habe Sie schon verstanden! (Ab.)
Es läßt sich hier schon warten, und ich sollte wieder umkehren, weil ich mich vor einem Manne fürchtete, und vor dem Grafen von Klockenberg? Nein, ich will mir’s wohl seyn lassen! Der Graf von Klockenberg ist hoch in meiner Schuld. Ich lese alle Morgen die Verse, die mir sein Sohn überschickt, und das ist keine kleine Arbeit. Ich höre geduldig seine langweilige Unterhaltung an, wenn er von Liebe und Verzweiflung spricht, ich halte das Lauffeuer seiner Augen, gedämpft durch eine Lorgnette, am frühen Morgen und am späten Mittag aus. Zum Dank für diese Leiden kann mir der alte Herr einmal ein Obdach gönnen. Er ist zwar etwas barsch in seinen Briefen, aber ich will ihn schon versöhnen. Was verlang’ ich denn auch? Ein Canapee für das Opfer meiner Zeit. (Sie legt sich auf das Canapee) Ich muß in meiner neuen Rolle weiter lesen. Ich war so schön im Memoriren, als der Stoß mich traf, und memorire nicht lieber als im Wagen. (Sie holt eine Rolle aus der Tasche) Wo war ich steh’n geblieben? – Bei dem Monolog. (Sie lies’t.)
„Guiscardo, schweigender, verklärter Jüngling,
So hoch bevortheilt um der Liebe Lohn –
Mein Herz zerspringt, und weint sein reuig Blut.
Du trugst die volle Seele mir entgegen,
Du warst ein Hymnus, den Empfindung sang,
Die Zärtlichkeit, sie troff wie Maienregen
Aus deiner Schwüre einzig süßem Klang;
Du reichtest mir in deiner Minne Frohne
Das Ueberschwängliche, des Lebens Krone.
Mit einem Worte konntest Du Dich retten,
Dein hoch Gemüth sprach dieses Wort nicht aus;
Ein duldend Opfer, nahmst Du ew’ge Ketten,
Geschmiedet in des Orkus furchtbar’m Haus,
Ein leichtes Zürnen hätt’ ich nur befahren,
Du schweigst und stirbst, auch das mir zu ersparen!“
Immermann, Krone der Dichter!
„Guiscardo, schweigender, verklärter Jüngling!“
– (Wieder im Gesprächston) Doch was thu’ ich? Ich vergesse, wo ich bin. Weg mit der Poesie! – Ich könnte mich verrathen. Schon hatten mich die Schwingen meiner Phantasie zu weit getragen. (Sie steckt die Rolle wieder ein) Für meinen Monolog wird sich wohl ein andres Stündchen finden. Die Zeit ist kurz, und ich möchte sie nicht entschwinden lassen, ohne diesem alten Herrn, diesem Kunst-Vandalen eine kleine Lehre zu geben. Wüßt’ ich nur, wie ich sie geschickt anbrächte! – (Sie überlegt) Da kommt er ja – er sieht ganz artig aus. (Bei Seite) Auf Ihrer Hut, mein Graf!
Graf. Ich störe doch nicht?
Sophie. Die Frage wäre wohl an mir, Herr Graf! – Ich habe doch die Ehre, den Herrn des Hauses vor mir zu sehen?
Graf. Der bin ich, meine Gnädige! Sie haben einen Unfall auf meinem Gebiet erlitten?
Sophie. Man kann es kaum so nennen! Mein Wagen ward etwas auf die Seite geworfen, und hat, wie ich hoffe, nur unbedeutenden Schaden genommen.
Graf. Ich lasse noch heut den abscheulichen Weg repariren!
Sophie. Es soll mich freuen, wenn ich die Veranlassung zu einem so menschenfreundlichen Unternehmen bin!
Graf. Ihre Reise ist dadurch unterbrochen worden. Es thut mir herzlich leid! In Beziehung auf mich kann ich es zwar nur ein glückliches Ungefähr nennen –.
Sophie. Ein Ungefähr? – Herr Graf, es giebt kein Ungefähr!
Graf (bei Seite). Kein Ungefähr? – Justizrath! –
[325] Sophie. Sie wenden sich ab! Sie sind mir böse, daß ich so früh Ihre Ruhe gestört habe. (Ihn ansehend) Nicht wahr, Sie sind’s?
Graf (sie wieder ansehend). Kann man Ihnen böse seyn, wenn man Sie ansieht?
Sophie (ihn noch immer ansehend). Sie können es! Sie sind ein Weiberfeind!
Graf. Sie erschrecken mich!
Sophie. Ja, Sie sind’s! – Sie haben den Zug um den Mund, der es verräth!
Graf. Ich war nie ein Weiberfeind, und wär’ ich es, so wäre ja mit Ihnen mein Arzt gekommen.
Sophie. Gefährliche Kranke, Herr Graf, nehme ich nicht in Pension!
Graf. Ich war ja niemals krank von dieser Seite. Sehen Sie mich nur deutlich an! Auf das Wort allein, daß eine Dame die Reisende im Hohlwege sey, hat sich Ihnen meine Thür geöffnet.
Sophie. Das flößt mir freilich Zutrauen ein! Ich wollte schon wieder umkehren.
Graf. Sie verstehen sich nicht auf Physiognomie, wenigstens nicht auf die meinige. Kommen Sie, meine Gnädige! (Er führt sie zum Canapee) Nehmen Sie Platz! Der Stoß muß Sie doch ein wenig erschreckt haben.
Sophie. Wenn man viel auf Reisen ist, gewöhnt man sich an kleine Störungen.
Graf (setzt sich zu ihr). Sind Sie viel auf Reisen?
Sophie. Es vergeht selten ein Jahr, wo ich nicht irgend eine Grenze passire.
Graf. Ihr Herr Gemahl ist vielleicht Gesandter?
Sophie. Mein Gemahl – der hat schon seine letzte Gesandtschaft angetreten!
Graf. Wie versteh’ ich das? – Sie sind doch nicht –
Sophie. Wittwe!
Graf. Wär’ es möglich?
Sophie. Seit zwei Jahren – doch, was thu’ ich, Herr Graf? Ich komme mit Ihnen in das Plaudern, und überlege nicht, daß diese große Hutschachtel Sie geniren wird. Sie sind [326] an solche Kleinigkeiten in Ihren Umgebungen nicht gewöhnt. Erlauben Sie! (Sie will die Schachtel wegnehmen.)
Graf. Lassen Sie das, meine Gnädige! Lassen Sie so viel Schachteln bringen als Sie wollen. Ich bin ganz damit einverstanden. Ich weise Ihnen jenes Zimmer (er weis’t auf das Zimmer links), es ist das Gastzimmer, zu Ihrem Gebrauch an! Betrachten Sie es ganz als das Ihrige, und verweilen Sie daselbst mit allen Ihren Schachteln, so lange Sie nur wünschen.
Sophie. Ein Zimmer für mich? – Das ist zu viel der Güte, Herr Graf! Ich hoffe, mein Aufenthalt soll nicht lange währen! Der Schmied versprach mir, sich zu beeilen.
Graf. Die Arbeit verzögert sich oft bei solchen Leuten. Warum wollten Sie sich auch beeilen? – Ginge es nach meinem Wunsch, so hätten Sie vier Räder am Wagen zerbrochen.
Sophie. Wie schadenfroh Sie sind!
Graf. Nur zu meinem Vortheil! Es verirrt sich so selten ein weiblicher Gast auf mein einsames Schloß.
Sophie (theilnehmend). Bewohnen Sie allein dies große Schloß?
Graf. Seit drei Jahren, seit ich Wittwer bin!
Sophie (theilnehmend). Wittwer?
Graf. Und Sie, meine Gnädige – so jung, und schon Wittwe!
Sophie. Des Grafen von Strahlen! Haben Sie meinen Mann vielleicht gekannt?
Graf. Ich hab’ einmal mit einem von Strahlen in Prag studirt.
Sophie. Ich weiß nicht, ob es derselbe seyn kann. Mein Mann stand in seinem fünfundzwanzigsten Jahre, als er starb.
Graf (lächelnd). Nein, dann möchte es doch nicht derselbe gewesen seyn. (Wieder ernsthaft) So jung, und Sie haben ihn verloren? Gewiß ein schmerzlicher Verlust!
Sophie. Ach Gott, die Jugend thut’s nicht! Ich war zwei Jahre verheirathet; aber von Ehestands-Seligkeit weiß ich nicht zu sprechen. Unsere Verbindung war eine solche, wie die Convenienz sie täglich schließt, und deren Opfer ich schon frühe werden mußte.
Graf. Doch kein Unwürdiger?
[327] Sophie. Unwürdig? – Wie würde das Wort über meine Lippen kommen? Strahlen war ein lebhafter, aufbrausender junger Mann. Sie nannten ihn wohl den Sausewind. Die Ehe sollte ihn bändigen. (Seufzend) Er wurde auch bei mir nicht vernünftig!
Graf. Dann war er unverbesserlich!
Sophie. Ich aber, sein unglückliches Opfer, stellen Sie sich vor, ich kann seitdem keinen lebhaften jungen Mann sehen, ohne zu denken: „Er ist leichtsinnig wie Adalbert war!“ – Nur zu Männern, die ein höheres Gepräge männlichen Ernstes an sich tragen, verirrt sich noch mein Vertrauen, und schließ’ ich jemals wieder ein Eheband – ist’s nur mit einem älteren Mann! – Doch, wie kindisch bin ich, Herr Graf, daß ich Ihnen das Alles sage! Sie werden meinen, ich plaudere –
Graf. Plaudern Sie, meine Gnädige! Ich plaudere gern, und habe das Vergnügen lange nicht genossen. – Mein Sohn ist zwar zugegen –.
Sophie. Sie haben einen Sohn?
Graf. August mit Namen. – Er bringt die akademischen Ferien bei mir zu.
Sophie. Er ist hier?
Graf. In diesem Augenblick nicht, er ist ausgeritten! – Ach, ich habe mich in diesen Tagen über ihn geärgert.
Sophie. Er ist wohl ein wilder Knabe?
Graf. Ein Knabe? – Sagt’ ich nicht, die akademischen Ferien? – Nicht die Schulferien! Er ist schon herangewachsen!
Sophie. Ja so, das konnt’ ich nicht voraussetzen! Desto mehr befremdet es mich, daß Sie sich über ihn geärgert haben.
Graf. Stellen Sie sich vor! Ich schicke den Junker auf die Universität, um zu studiren. Er aber sieht eine gewisse Sophie Sternfeldt, eine Schauspielerin, kommt zurück, und spricht und träumt von nichts, als von Sophie.
Sophie. Ist es möglich?
Graf. Eines nur möcht’ ich wissen. Wenn er Sie sähe, meine Gnädige, wie Sie hier neben mir sitzen in diesem reizenden Reise-Anzuge, mit Ihrem huldvollen Gesicht, ob er dann noch würde sagen: „Es giebt nur eine Sophie!“
Sophie. Er ist wohl verliebt in die Mademoiselle?
[328] Graf. Er will sie heirathen!
Sophie. Nun – die Sternfeldt hat einen berühmten Namen!
Graf. Ich kann sie aber doch nicht meine Schwiegertochter nennen.
Sophie. Warum denn nicht?
Graf. Das Warum ist mir nicht recht klar; aber Sie müssen mich verstehen! Sie ist eine Schauspielerin! Ich frage Sie auf Ihr Gewissen, meine Gnädige, würden Sie sich mit einem Acteur verbinden?
Sophie. Warum nicht? – Wenn er geistreich und liebenswürdig wäre und gesetzten Geistes –.
Graf. Ich kann diese Ansicht nicht theilen. Ich würde niemals meine Einwilligung zu einer solchen Mesalliance geben. Ich hatte mir immer eingebildet, mein Sohn würde mir einmal eine Schwiegertochter zuführen, deren Namen meinem Hause Ehre machte, die man furchtlos präsentiren könnte, der man auf den ersten Blick die Noblesse ansähe, wie Ihnen, meine Gnädige! Sie hätten sich gar nicht nennen dürfen, ich hätte Ihren Stand von selbst errathen!
Sophie. Wirklich?
Graf. Würd’ ich sonst so viel Zutrauen zu Ihnen fassen? Ich bin loyal, sehr loyal – aber nur mit meines Gleichen.
Sophie. Um aber auf die Sternfeldt zurück zu kommen – man sagt viel Gutes und Vortreffliches von ihr.
Graf. Mag seyn; sie ist aber immer eine Schauspielerin! – Ich weiß, es giebt Leute, die diese Künstler jetzt poussiren, die sie uns gleichstellen wollen; aber ich sage: „der alte Adel muß doch etwas für sich haben!“ – Schon hab’ ich zu meinem Verdruß in Recensionen und auf Theaterzetteln, die mir vielleicht bei irgend einer Emballage in die Hände gefallen sind, unter dem darstellenden Personal Cavaliere und gnädige Fräuleins – ausgedruckte gnädige Fräuleins gefunden.
Sophie. Die Censur muß doch nichts dagegen haben, da sie es stehen läßt.
Graf. Man wird bald nichts mehr voraus haben!
Sophie. Nun, ein Graf hat bis jetzt den Cothurn noch nicht angeschnallt, oder die Maske Thalia’s vorgenommen.
Graf. Es wäre auch entsetzlich!
[329] Sophie. Entsetzlich! (Lisette tritt ein durch die Mittelthür.)
Lisette. Frau Gräfin!
Graf. Da kommt Ihre Kammerjungfer! Wie reizend alle Ihre Umgebungen sind.
Lisette. Ich hoffe, wir werden bald fahren können. Der Schmied hat versprochen, in einer Viertelstunde fertig zu seyn.
Graf. Der böse Schmied!
Sophie. So trage die Schachtel wieder nach dem Wagen! Es ist doch Alles in Ordnung?
Lisette. Alles doch nicht! Der eine Koffer hat einen tüchtigen Stoß erlitten, gerade der, in welchem das neue Kleid eingepackt war.
Sophie. Das grüne?
Lisette. Nein, das andere!
Sophie. Welches denn?
Lisette. Das Drap-d’argent-Kleid, was Sie bei der ersten Vorstellung anziehen wollten – (sich fassend) ich wollte sagen –
Sophie (ihr zuwinkend). Willst Du schweigen! (Laut) So schließe den Koffer wieder und laß mich; – dem Diener sage, daß er die Sachen keinen Augenblick verlasse!
Lisette. Ganz wohl, Frau Gräfin! (Ab.)
Sophie. Die Plaudertasche!
Graf. Sie sprach von einer Vorstellung.
Sophie (bei Seite). Wie mach’ ich das nur wieder gut? (Laut) Diese Domestiquen können nicht schweigen. Ich muß mich in Wien der Erzherzogin, vielleicht der Kaiserin vorstellen lassen. Sie hat das gehört, und nun erwähnt sie es auf jeder Station. Ich wünschte, die langweiligen Akte wären erst vorüber.
Graf. So etwas ist freilich ein wenig fatiguant; aber es ist doch immer ehrenvoll!
Sophie. Wenn ich könnte, würd’ ich die Ehre von mir weisen; aber es geht nicht gut; die Verhältnisse meiner Familie verlangen es so.
Graf. Ich glaube es gern, ohne näher in dieselben dringen zu wollen; die Strahlen’s haben, wenn ich nicht irre, durch drei Generationen hindurch Hof-Chargen gehabt. Ihr Herr Gemahl hat Ihnen überhaupt einen ehrenvollen Namen hinterlassen.
[330] Sophie. Er hat mir mehr als einen Namen, er hat mir viel Vermögen hinterlassen!
Graf. Und darüber seufzen Sie?
Sophie. Muß ich nicht? – Ich fühle mich so einsam mit demselben. In der Residenz zu leben ist nicht mehr mein Hang, und auf dem Lande vermag ich es nicht auszugeben.
Graf. Sie göttliche, Sie unvergleichliche Frau, Sie vermögen Ihre Revenüen nicht auszugeben! – Dagegen ließe sich wohl ein Mittel finden. Sie sollten sie mit einem Andern theilen.
Sophie. Und mit wem?
Graf. Vielleicht – (zögernd) mit meinem Sohn?
Sophie. Mit Ihrem Sohn? – Wohl gar einem lebhaften jungen Mann? – Fühlen Sie, welche Aufregung Sie mit diesen Worten in mir hervorgebracht haben. – Nimmermehr!
Graf (aufstehend, pathetisch). Nun denn, meine Gnädige, wenn Ihre Antipathie gegen die Jugend so gegründet ist, wenn in der That die schwachen Vorboten eines noch entfernten Alters, einige so eben emporgekommene graue Haare Sie nicht schrecken – so – (er hält wieder inne.)
Sophie. So –?
Graf (abbrechend und etwas in Verlegenheit). Verzeihen Sie, ich – ich habe ein Frühstück für Sie bestellt, ich will doch einmal sehen, wie weit es damit ist. (Er will abgehen.)
Sophie. Bleiben Sie, Herr Graf, und bemühen Sie sich nicht des Frühstücks wegen! Ich werde ohnedies bald fahren. – Für jetzt erlauben Sie mir einen Augenblick, von meinem Zimmer Gebrauch zu machen. Meine Toilette ist etwas en désordre gerathen. – Erlauben Sie? (Ab in das Zimmer links.)
Graf. War das nicht ein Heiraths-Antrag, der auf meinen Lippen schwebte? – Und so plötzlich? – Wie bin ich nur dazu gekommen? – Sie fühlte es, er kam zu früh für ihr Zartgefühl, und sie zog sich zurück. Diese Perle darf ich mir aber nicht entgehen lassen. Jung, hübsch, reich, Vorliebe für einen älteren [331] Mann, Alles, was ich mir nur wünschen kann in meiner Einsamkeit. Hier hat der Himmel für mich gewählt, wenn es nicht – der Justizrath gewesen ist. (Es tritt ein Diener auf.)
Diener (anmeldend). Herr Justizrath Steinberg!
Graf. Wie gerufen! (Zum Diener) Mir angenehm! (Diener ab. Der Justizrath tritt ein.)
Justizrath. Guten Morgen, Herr Graf!
Graf. Seyn Sie bedankt, Herr Justizrath! Wie gehn die Geschäfte?
Justizrath. Geschäfte? – Geldgeschäfte überlasse ich den Banquiers! Prozesse giebt’s halt nicht viel, die Leute sind hier zu friedlich; aber Heiraths-Geschäfte, Herr Graf, Heiraths-Geschäfte, das ist mein Fach! Woll’n Sie glauben, daß ich in diesem Jahre schon drei Partieen hier in der Umgegend geschlossen habe, die alle Drei ganz vortrefflich und nach Wunsch ausgefallen sind? Heut aber geht’s an die Ihrige!
Graf. Das hat mir schon Ihr räthselvoller Brief gesagt, den Sie mir näher erklären werden!
Justizrath. Von Herzen gern! – Sie sagten mir, Sie wünschten sich zu verheirathen, aber Sie frequentirten nicht mehr die Salons der Residenz, Sie wünschten im Schooß Ihrer Wälder und Forsten, am liebsten, wie von Ungefähr, eine Ihrer würdige Bekanntschaft zu machen. Nun wohl, Herr Graf, ich habe für das Ungefähr gesorgt. Ich habe diesen Sommer eine reiche Wittwe kennen lernen, aus einem gräflichen Hause, deren Geschäftsführer ich bin. – Sie sollen sie noch heute sehen!
Graf. Auf welche Weise?
Justizrath. Ein Rendezvous, wie es ein französischer Novellist nicht besser improvisiren könnte. Meine Gräfin reist nach Wien, und passirt hier durch Schloppau. Unweit Ihres Schlosses bricht, wie von ungefähr, ein Rad an ihrem Wagen. Ich bin zur selben Stunde in der Nähe, sehe die Bestürzung der Dame, und lade sie zu meinem Freund und Gönner auf das Schloß.
Graf (in die Hände klatschend). Meine Ahnung!
Justizrath. Sie nehmen sie gütig auf, laden sie zum Mittagessen ein, beginnen bei der Suppe ein Gespräch, werden beim Ragout immer wärmer, sinken ihr bei dem Dessert zu Füßen, gesteh’n ihr Ihre Liebe –
[332] Graf (ungeduldig). Hören Sie auf, Justizrath, sie ist ja schon hier! Sie haben vortrefflich für mich gewählt!
Justizrath. Sie wäre schon hier, die Gräfin? – Ich erwarte sie erst um drei Viertel auf Eins.
Graf. Ja, ja, die Gräfin Strahlen!
Justizrath. Strahlen? – Hat sie sich einen andern Namen gegeben?
Graf (der diese letzten Worte kaum gehört hat). Justizrath, Sie haben einzig für mich gewählt!
Justizrath. Stoßen Sie sich nicht an ihre Jahre?
Graf. An ihre Jugend? – Wie meinen Sie das?
Justizrath (bei Seite). Jugend? Was hat denn der geseh’n? (Laut) Es ist doch nicht eine Andere? – Wenn sie mit ganzer Equipage angekommen, ist sie’s nicht!
Graf. Sie ist ja zerbrochen, ihr Wagen liegt im Hohlweg.
Justizrath (abgehend). Erlauben Sie, daß ich mich davon überzeuge. Ich kann es noch nicht glauben! – Der Postillon ist mir überdies dafür verantwortlich, daß meine Reisende keinen Schaden genommen hat. (Ab durch die Mittelthür.)
Graf (allein). Gut, daß er geht, ich schmachte nach einem tête-à-tête mit dieser Wittwe. Ob ich zu ihr hineingehe? – Es würde sich nicht schicken! – Ich muß schon warten, bis sie zurück kommt. (Er setzt sich an den Tisch zur Rechten der Bühne und sieht mit sehnsüchtigen Blicken nach der gegenüber liegenden Thür.)
Graf. Sieh da, Frau Brigitte!
Brigitte. Ja, ich bin’s, Herr Graf! – Was muß ich hören? Eine Dame hier auf dem Schlosse, und ich weiß es nicht!
Graf. Müssen Sie denn Alles wissen?
Brigitte. Ich dächte doch! – Bei der regen Theilnahme, die ich an Allem nehme, was den Herrn Grafen betrifft, und die der Herr Graf auch kennen –
Graf. Nun, so wissen Sie denn, daß allerdings eine Dame hier auf dem Schlosse ist, und zwar im Gastzimmer einquartiert.
[333] Brigitte. Im Gastzimmer? Das ist ja nicht einmal in Ordnung. Der hochwürdige Herr, der vorgestern darin logirten, haben befohlen, Kaminfeuer zu machen, und das hat das ganze Zimmer eingeräuchert. – Ich bin mit dem Einkochen der Preißelbeeren beschäftigt gewesen, und habe noch nicht Zeit gehabt, nach dem Rechten zu sehen. – Nun ist nichts darin in Ordnung! Nicht einmal frische Gardinen hab’ ich aufgesteckt.
Graf. Beruhigen Sie sich! Die Dame wird das nicht übel nehmen.
Brigitte. Nicht übel nehmen? Was soll sie aber für einen Begriff bekommen von meiner Ordnung, meiner Haushaltung? – Hätt’ ich’s nur eine Stunde vorher gewußt!
Graf. Das ging einmal nicht! Die Dame ist zufällig gekommen!
Brigitte. Zufällig? – Der Zufall bringt selten etwas Gutes!
Graf. So hat er diesmal etwas Vortreffliches gebracht!
Brigitte (mit gedehntem Ton). So? – Der Herr Justizrath haben wohl die Dame mitgebracht?
Graf. Nein, sie hat ihn mitgebracht, oder vielmehr – doch warum wollen Sie das wissen? – Sie belästigen mich mit Ihren Fragen. Die Dame ist mein Gast, und ich verlange, daß Sie ihr mit der größten Artigkeit begegnen.
Brigitte. Ich werde den Wünschen des Herrn Grafen nachzukommen suchen. – Wird Hochdieselbe lange hier verweilen?
Graf. Vielleicht – vielleicht sehr lange!
Brigitte. Wahrscheinlich eine Anverwandte des Herrn Grafen?
Graf. Das nicht! – Eine Dame indessen, für welche Sie alle égards haben sollen, die Sie gegen die Herrin des Hauses – ja, gegen meine Gemahlin nur haben könnten.
Brigitte. Was muß ich hören? – Der Herr Graf sind doch nicht – (inne haltend.)
Graf. Nun?
Brigitte (langsam). Verheirathet? – Vielleicht heimlich?
Graf. Was sind das für Spukgeschichten! Wenn ich mich verheirathe, brauche ich das Licht der Welt nicht zu scheuen – werde es auch nicht scheuen.
Brigitte. Der Herr Graf wollen sich also verheirathen?
[334] Graf. Fragen Sie den Katechismus! – Von mir bekommen Sie keine Antwort mehr!
Brigitte. Ich war doch sonst nicht so lästig mit meiner Unterhaltung.
Graf. Sonst und Jetzt – die Umstände verändern sich! – Langeweile und Einsamkeit können Einem Vieles erträglich machen.
Brigitte. Langeweile! – Einsamkeit! – Erträglich machen! – Was muß ich hören? Welche Veränderung ist hier vorgefallen? – (Ruhiger) Haben der Herr Graf sonst noch etwas zu befehlen?
Graf. Nichts als das Frühstück, was ich bereits bestellt habe und was Sie im Eßzimmer zu serviren haben!
Brigitte. Dafür soll gesorgt seyn! – So will ich mich denn zurück ziehen. Ich hätte zwar gern noch gefragt – ob der Herr Graf in verwichener Nacht wieder durch Träume sind beunruhigt worden?
Graf. Was haben Sie nach meinen Träumen zu fragen? Sie werden mir fernerhin weder die Karten legen noch meine Träume deuten.
Brigitte. Ich meine es doch so gut – so herzlich gut mit meiner Wissenschaft.
Graf. Nun, so wissen Sie denn, wovon ich in der verwichenen Nacht geträumt habe – von einem hellen, lichten Feuer –
Brigitte. Feuer, hab’ ich dem Herrn Grafen bereits gesagt, bedeutet allemal eine Hochzeit.
Graf. Da ich also in dem Feuer stand –
Brigitte. Der Herr Graf selber? – Ich dachte, der Herr Sohn wären es gewesen.
Graf. Warum mein Sohn? Kann ich nicht selber mehr im Feuer stehen?
Brigitte. I nun – warum nicht? Der Herr Graf könnten sich auch noch einmal verbrennen.
Graf. Sie werden unangenehm! – Verlassen Sie mich und sehen Sie nach Ihrem Frühstück! Sie haben hier für nichts zu sorgen, als daß in der Küche nichts verbrennt.
Brigitte. Ich gehe, Herr Graf, ich gehe; aber – ehe man die alten Möbel wegwirft, sollte man doch erst versuchen, ob die neuen besser sind. (Ab durch die Mittelthür.)
[335]
Lästige Schwätzerin! – Begreif’ ich doch nicht, wie ich drei Jahre mit ihr unter einem Dache leben konnte. Und dennoch war ich manchmal froh, wenn sie in den langen Winter-Abenden eine Partie Triktrak mit mir spielte. Das macht die Einsamkeit! Nun, es wird anders werden, wenn wieder eine Gräfin hier im Hause ist. Denk’ ich mir’s in der Perspektive, wie ich des Abends in meinem Lehnstuhl sitzen werde – und neben mir dieser Engel, der mir vorlies’t! – so möchte mir der Kopf schwindeln. Ich muß mein Glück versuchen! Ich hatte so Vieles auf der Zunge, was ich meiner schönen Reisenden sagen wollte, und nun ist Alles fort. Die alte Schwätzerin hat mich ganz aus der contenance gebracht. Ich muß mich wieder sammeln! – Nein, es geht nicht mehr! Sie kommt zurück! – Wie reizend sie aussieht! Ihre Toilette ist in diesem Augenblick wieder schöner geworden.
Graf. Nun, meine Gnädige, wie gefällt Ihnen mein Gastzimmer? Ich höre so eben mit Bedauern von meiner Haushälterin, daß nicht Alles darin in Ordnung seyn soll.
Sophie. Nicht in Ordnung? – Daß ich nicht wüßte, Herr Graf! Ich habe mich nicht darin umgesehen, nur zum Fenster hinausgeschaut, und mich über die herrliche Aussicht gefreut, die man auf das Gebirge genießt.
Graf. Sie lieben das Gebirge?
Sophie. Ueber Alles! – Das Stammschloß meines Mannes lag in einer so langweiligen Ebene.
Graf. Sie könnten ja die Ebene mit dem Gebirge vertauschen, es ließe sich so leicht thun. Sie könnten – (inne haltend.)
Sophie. Was könnt’ ich?
Graf. Haben Sie mich denn vorhin nicht verstanden?
Sophie (ruhig). Nein!
[336] Graf. So weiß ich nicht, wie ich mich Ihnen verständlich machen soll. Ich muß es auf eine andere Weise anfangen! – Sagen Sie offenherzig, meine Gnädige, kennen Sie den Justizrath Steinberg?
Sophie. Nein, ich kenne ihn nicht!
Graf. Auch das nicht! – So muß ich für mich selber sprechen. Sie wollen es! – Fühlen Sie nicht, daß nach dem, was Sie vorhin gegen mich äußerten von Ihrer Vorliebe für das reifere Mannesalter – fühlen Sie nicht, daß nach alle dem – verstehen Sie mich wirklich nicht?
Sophie. Bis jetzt noch nicht!
Graf. Hätt’ ich doch die Zunge meines Sohnes! – Zum ersten Mal beneid’ ich ihn um seine Beredtsamkeit. (Ein Diener kommt.)
Diener. Der Wagen der Frau Gräfin ist reparirt und vorgefahren.
Sophie. Schon gut!
Graf. Der Wagen – das ist entsetzlich!
Sophie. Das ist prächtig! So werd’ ich meine Reise fortsetzen können. Es treibt mich ohnedies, nach Wien zu kommen.
Graf. Nach Wien? – Sie wollen nach Wien? – Dann bin ich verloren! Wien ist zu gefährlich für eine Frau wie Sie sind. Wenn Sie dahin gehen, kommen Sie als Wittwe nicht wieder zurück.
Sophie. Und was kann Ihnen daran liegen?
Graf. Was mir daran liegen kann? – Fragen Sie nicht so leichtsinnig, so gewissenlos! Könnt’ ich es mit ansehen, daß Sie die Gattin eines Andern würden?
Sophie. Welche Sprache führen Sie, Herr Graf? – ich verstehe Sie nicht mehr.
Graf. Die Sprache meines Herzens! – Hören Sie mich an!
Sophie. Ich höre – zu meinem Erstaunen!
Graf. Sehen Sie nicht die Hand des Himmels, der Ihren Wagen hier im Hohlweg stürzen ließ?
Sophie. Ich sehe nur die knotige Baumwurzel, die im Wege lag.
Graf. Spielen Sie nicht mit meinem Herzen, Gräfin, ich liebe Sie – ich weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin. Es [337] ist das erste Mal, daß ich es einer Frau sage, nach dem Tode meiner Caroline. Ich biete Ihnen in diesem Augenblick mein Herz, meine Hand, mein Leben, wollen Sie die Meine seyn?
Sophie (noch immer ruhig). Soll ich den Antrag, den Sie mir so aus dem Stegreif machen, für einen Scherz oder für eine Strafe nehmen? Hab’ ich mich so leichtsinnig betragen, daß Sie mit mir scherzen dürfen?
Graf. Es ist kein Scherz, es ist mein heiligster, unverbrüchlichster Ernst! Ich würde nicht so eilig seyn, wenn der Postillon nicht wartete, und wenn Sie nicht nach Wien wollten. – Ich frage Sie noch einmal: wollen Sie die Einsamkeit meines Schlosses mit mir theilen – wollen Sie die Meine seyn?
Sophie (lächelnd). Wenn ich nun wollte?
Graf. Sie Göttliche, Sie wollen! – Sie kennen den Justizrath Steinberg, sagen Sie es mir! (Er sinkt ihr zu Füßen) Wollen Sie?
Sophie (reicht ihm die Hand). Steh’n Sie auf!
August. Engel, da sind Sie! – Schon hab’ ich Ihren Wagen gesehen, Ihre Kammerjungfer gesprochen: es war nur der Vorhof meines Glückes. Ich trete in den Tempel ein!
Graf. Wo kommst Du denn her?
August. Auf den Flügeln der Liebe bin ich zurückgekehrt, mein Vater! Es ließ mir keine Ruhe in Feld und Wald. Kaum eine Viertelstunde Weges von hier entfernt, wandt’ ich wieder um. Ich sah einen Wagen im Hohlwege liegen, den ich von fern für Sophiens zu erkennen glaubte; ich spornte mein Roß, und komme noch zur rechten Zeit. Welch glückliches Unglück! Verunglückt auf unserm Gebiet! – Sophie!
Graf. Bist Du toll geworden? – Siehst Du Deine Sophie überall? Es ist ja die Gräfin von Strahlen! Sie hat mir so eben ihre Hand zugesagt. Ich stelle Dir in derselben Deine künftige Mutter vor!
[338] August. Meine Mutter? – Wollen Sie die Geschichte des Don Carlos wiederholen? – Heirathen Sie Sophie, – Sie werden ein unglücklicher Philipp!
Graf. Er hat den Verstand verloren! – Sagen Sie ihm selbst, meine Gnädige, wer Sie sind –.
August (zu Sophie). Sagen Sie, was Sie wollen! Ich setze Ihren Betheu’rungen diese Bonbons entgegen, die Kraniche des Ibikus, die Sie verrathen sollen. (Er holt einen Bonbon aus der Tasche) Die Aehnlichkeit ist schwach, aber sie ist zu erkennen. (Er hält ihr den Bonbon vor) Sophie, ist das Ihr Portrait?
Sophie (nach einer Pause). Es ist das meine!
Graf (tritt entsetzt zurück). Sie wären auf diesen Bonbons?
Sophie. Ich, Herr Graf, ich bin auf diesen Bonbons! Heut Morgen noch die Gräfin Strahlen, von Stund’ an wieder Sophie Sternfeldt. Hören Sie mich an! – Ich bin auf einer Kunstreise begriffen. Der Zufall ließ mich hier im Hohlwege einen Unfall erleiden. Sie nahmen mich gütig auf, boten mir ein Zimmer, ein Unterkommen gegen den Regen an – zum Dank dafür hab’ ich eine Komödie in Ihrem Hause gespielt. Bin ich strafbar, wenn ich Ihnen ein wenig von unsrer Kunst gezeigt habe, die Sie so hartnäckig mit Ihren Anfechtungen verfolgen? – Sie haben die Ehre meines Geschlechts und meines Standes in mir beleidigt, durch Ausdrücke, die Sie in Ihren Briefen gegen mich gebraucht haben. Ich bin nur ein Weib, ich kann mich nicht mit Dolchen, nur mit Nadelspitzen rächen; – ich habe Ihr Herz ein wenig verwundet, hoffentlich nur geritzt; – ich denke aber, Sie werden die Dame, der Sie einmal Ihre Hand angeboten haben, nie wieder so weit verachten, daß Sie dieselbe eine Coulissen-Heldin nennen, oder sie für unwürdig erachten könnten, Ihre Schwiegertochter zu heißen.
August. Schwiegertochter – Vater, versteh’n Sie den Wink?
Sophie (zu August). Beruhigen Sie sich, junger Mann, es war nur, um meine Ehre zu retten. Ihre Ansprüche bleiben dieselben.
Graf. Sie heirathen nicht meinen Sohn?
Sophie. Ich heirathe nicht Ihren Sohn! Fürchten Sie nichts für Ihren Stammbaum!
Graf. Also nur Sophie Sternfeldt!
Sophie. Nur Sophie Sternfeldt!
[339] Graf. Sie grausame Schauspielerin, Sie haben meinem Herzen einen argen Streich gespielt.
Sophie. Was that ich denn? – Ich habe den Vorzügen Ihres Standes und Ihrer Geburt die meiner Kunst und meiner Erziehung entgegengesetzt, die einzigen Waffen, die eine Künstlerin hat. Mein schärfstes Schwert hab’ ich ja gar nicht gegen Sie gezückt! – (Sie holt ihre Rolle hervor) Hier, meine neueste Rolle, Immermanns „Opfer des Schweigens“ – mein Pergament, Herr Graf, vielleicht nicht so alt als das Ihrige, aber desto frischer und blühender. – Laß sehen, welchen Namen man einst lauter nennen wird, den Namen Klockenberg oder Immermann! – Soll ich Ihnen meine Rolle recitiren? Nein, ich will so grausam nicht seyn! (Sie steckt die Rolle langsam wieder ein) Ich bin Ihnen schon in Prosa gefährlich gewesen, mit der Poesie will ich’s gar nicht versuchen. (Mit leichterem Ton) Ja, ja, Herr Graf, Sie haben mich nur in meinem Alltagskleid gesehen, und haben mir zu Füßen gelegen – Sie werden fernerhin die nicht verdammen, die mir vor der Bühne ihre kleinen Opfer bringen.
Graf. Unbegreiflich!
August. Ich begreif’ es wohl!
Sophie (zum Grafen). Sind Sie versöhnt mit mir? – Reichen Sie mir die Hand! Nicht wahr, Sie kommen bald einmal in die Residenz und sehen mich spielen?
Graf. Ach, meine Gnädige, ich wollte sagen, meine verehrte Mademoiselle – ich glaube nicht, daß Sie mir in irgend einem Costüm, in irgend einer Rolle so schön gefallen könnten, wie Sie mir dort auf dem Canapee gefielen, wo Sie die Gräfin Strahlen waren und wo Sie mit mir plauderten.
Sophie. Also nur die Gräfin wollen Sie?
Graf. Ja – die Gräfin!
Sophie (halb für sich). Sie Vandale!
Graf. Warum sind Sie nur so schön, so liebenswürdig?
Sophie. Warum? – Sie sollten die Recensenten fragen, die sagen es mir alle Tage, und wissen für Alles einen Grund.
Graf. Warum mußten Sie um diese Stunde in dem Hohlwege liegen?
Sophie. Das weiß ich vollends nicht! Da müssen Sie sich an meinen Postillon wenden, oder an den Himmel, der es so gefügt hat!
[340] Graf. Nein, an den Justizrath will ich mich wenden, denn es ist eine verwickelte Sache! Da kommt er zurück. – Sagen Sie, Justizrath –
Justizrath. So ist die Sache, Herr Graf! – Ich habe mich mit dem Postillon verständigt, und habe eine kleine Promenade im Hohlwege gemacht. – Es war die Gräfin von Wangenheim, die heut hier eintreffen sollte; – die Pferde indessen, die ich für die Wangenheim bestellt hatte, sind irrthümlicher Weise für eine andere Dame in Beschlag genommen worden. Der Postillon, der sie fahren sollte, hat diese Dame gefahren. – (Er zeigt auf Sophie, sie wendet sich um) Was seh’ ich? – Fräulein Sternfeldt!
Sophie (freundlich auf ihn zugehend). Herr Assessor!
Justizrath. Verzeihen Sie – aus dem Assessor ist ein Justizrath geworden!
Sophie. Gratulire zum Avancement!
Justizrath. Der bereits seit zwei Jahren hier in der Umgegend fungirt. Ein Ehemann überdies.
Sophie. Das ist schön, daß Sie meinen Rath befolgt haben! Sind Sie glücklich verheirathet?
Justizrath. Ich muß es wohl seyn, denn ich mache mir zuweilen ein Vergnügen daraus, die Andern zu verheirathen.
Sophie. Es freut nich übrigens, daß ich Sie noch am Leben finde. – Das letzte Mal, als Sie von mir gingen – erinnern Sie sich wohl? – wollten Sie sich eine Kugel durch den Kopf jagen, weil ich Sie, wie Sie meinten, nicht freundlich angesehen hatte.
Justizrath. Ja, Sie waren immer recht boshaft gegen mich.
Sophie. Mein lieber Justizrath, ich kann einmal die Juristen nicht leiden!
Justizrath. Und Ihre Kunst kann doch so schön vor dem Gesetz bestehen.
Sophie (zieht ihn auf die Seite). Werden Sie nicht witzig – wir ennüyiren sonst unsern Wirth.
[341] August (für sich). Sie hört nicht auf, mit ihm zu sprechen. (Er tritt zwischen sie) Sophie!
Sophie. Was wünschen Sie?
August. Sind Sie mir böse?
Sophie. Ich sollte Ihnen böse seyn! Sie haben mich mit einem Bonbon verrathen. Wie gewöhnlich! – Wär’ es noch mit einem Judaskuß gewesen.
August. Den will ich Ihnen noch geben!
Sophie. Ich danke!
August. Sophie, einen einzigen!
Sophie. Wenn Sie Ihr Trauerspiel vollendet haben.
August. Seliger Lohn, der meiner wartet! – Hesperiden-Apfel, den ich pflücken soll, wenn ich am Ziele bin!
Sophie. Und wenn er Ihnen dann noch munden wird. – Prahlen Sie nicht mit Ihrem Enthusiasmus, junger Mann – nehmen Sie ein Beispiel an diesem Herrn! (Auf den Justizrath zeigend.) Es sind noch nicht drei Jahre – da liebte er mich, wie Sie – da war ihm kein Pulver zu theuer, er verschoß es für mich! – nun ist er verheirathet, und Alles ist vorbei!
Justizrath. Alles doch nicht! – Spotten Sie nicht mit einem Männerherzen. In den großen offnen Saal desselben kann eine Frau, eine Gattin einziehen; aber – es bleiben Kämmerchen für die Vergangenheit.
Sophie. Ich nehme mit einem Kämmerchen fürlieb. (Sie wendet sich zu August.)
Justizrath (tritt zu dem Grafen auf die entgegengesetzte Seite der Bühne). Apropos, Herr Graf, die Gräfin Wangenheim muß bald kommen. Es ist halb ein Uhr. – Soll ich sie aufzuhalten suchen?
Graf. Um Gotteswillen, lassen Sie sie gesund durch den Hohlweg passiren!
Justizrath. Wenn Sie es wünschen; – sonst wäre es mir ein Leichtes –
Graf. Ich hab’ an einer Feuerprobe genug!
Justizrath. Sie ist nicht so jung als Fräulein Sternfeldt; aber sie ist aus einem guten Hause. Sie müssen sie doch sehen –.
Graf. Ein ander Mal, Justizrath – für heute will ich mich mit einer Braut begnügen.
[342] Justizrath. Wie Sie befehlen! Ihre Haushälterin wird sehr zufrieden damit seyn. (Es tritt ein Diener auf.)
Diener. Das Frühstück ist servirt!
Graf. Das Frühstück – das beste Mittel gegen die Verlegenheit. Kommen Sie, Justizrath! – (Er wendet sich zu Sophie) Meine Gnädige, wenn ich Ihnen noch einmal meinen Arm anbieten darf – das Frühstück ist servirt.
Sophie. Welche Fortschritte Sie in der Cultur gemacht haben, Herr Graf! Sie laden eine Künstlerin zum Dejeuner, Sie bieten derselben Ihren Arm – ich bin stolz auf solche Güte; – ich habe aber schon erklärt, daß ich für dieselbe danken muß. Meine Zeit ist gemessen, und ich will keinen Augenblick verlieren. Man erwartet mich in Wien.
Justizrath. Sie wollen fort?
Sophie. Muß ich nicht? – Uns Künstler treibt es in die weite Welt. Die Kunst trägt uns auf ihren Flügeln durch die Lüfte, den schweren Boden berühren wir nur mit leichten Sandalen, und wenn es heißt: „zum Frühstück“, rollen wir davon, dem Lorbeer entgegen, der unsrer wartet, und den wir pflücken müssen, ehe er verwelkt. – Leben Sie wohl! (Lisette tritt auf.)
Lisette. Fräulein, der Postillon wartet!
Sophie. Ich komme – nur noch einen Gruß:
(Zum Publikum)
„Wenn Sophie auf der Reise
Nicht Ihr Zürnen auf sich lud,
Bezeigen Sie’s auf Ihre Weise,
Und machen ihr zur Rückkehr Muth.“