Textdaten
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Autor: Wilhelm von Ploennies
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Titel: Der Hinkelhirt
Untertitel:
aus: Deutsche Hausmärchen, S. 369–376
Herausgeber: Johann Wilhelm Wolf
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1851
Verlag: Dietrich'sche Buchhandlung, Fr. Chr. Wilh. Vogel
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Erscheinungsort: Göttingen und Leipzig
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[369]

Der Hinkelhirt.

Es war einmal ein König von Oranien, der war Wittmann und hatte einen einzigen Sohn. Eines Tages sah er das Bildniß der Tochter des Königs von Siebenstern, das gefiel ihm so gut, daß er sie zu heirathen beschloß; er übergab also seinem Sohn die Verwaltung des Reichs und machte sich auf die Brautfahrt, noch in seinen alten Tagen. Als er schon eine gute Zeit unterwegs war, kam er eines Abends spät in ein kleines Wirthshaus am Eingang eines großen, großen Waldes. Er fragte, ob der Weg noch weit sei bis zum Königreich von Siebenstern? Da schlug der Wirth die Hände über dem Kopf zusammen und sprach: „Dahin kommt ihr euer Lebtag nicht, Herr König, sieben Tage lang müßt ihr ziehen, bis ihr wieder aus dem Walde seit und dann kommt ihr erst noch durchs Reich der Menschenfresser. Das sind ungeheure Riesen und stehen am Wege her, erst einer, dann zwei, dann vier, dann acht und so immer fort, und schlagen jeden Fremden mit ihren eisernen Stangen todt.“ Da fiel dem König von Oranien das Herz in die Schuh, er ließ seinen Wagen herumdrehn und fuhr wieder heim.

Unterdeß hatte der Sohn das Bildniß der Prinzessin auch gesehen und sich noch viel ärger in sie verliebt als zuvor sein [370] Vater. Als der alte König wieder zurück war, sagte er: „Vater, ich will fortgehn und es auch einmal probiren,“ und kein Zureden konnte ihn davon abhalten. Als er in das kleine Wirthshaus kam, erzählte ihm der Wirth wieder von den Gefahren seines Weges, er aber sagte, das habe er schon gewußt, ehe er fortgegangen sei, und machte sich des andern Morgens früh auf den Weg in den großen Wald. Als er lang, lang geritten war und es schon anfing, dunkel zu werden, rief eine Stimme hinter ihm: „Prinz Ferdinand, halt still!“ Er drehte sich um, da stand ein klein grau Männchen vor ihm und sprach: „Prinz Ferdinand, wenn du meinem Rathe folgen willst, so wirst du mich erlösen und die Prinzessin von Siebenstern heirathen!“ Das wolle er, sagte der Prinz und das Männchen fuhr fort: „Der Wald ist eigentlich noch sieben Tagereisen lang, doch du wirst schon morgen früh herauskommen; an dem ersten Kreuzweg, den du siehst, grabe mit deinem Degen ein Loch, so wirst du drei Stücke finden, eine Kanne, ein Schwert und ein Pfeifchen. Der Wein in der Kanne gibt dir die Kraft das Schwert zu regieren, und das Pfeifchen hebe gut auf, es wird dir nützlich sein.“ Wie das Männlein gesagt, so geschah's. Der Königssohn kam mit Tagesanbruch aus dem Wald und an den Kreuzweg, er grub die drei Stücke heraus, trank den Wein, hing das Schwert um und steckte das Pfeifchen in seine Tasche. Gegen Mittag kam er an die Grenze des Riesenreiches, wo der erste Wächter stand. „Was willst du, Erdwurm?“ schrie der ihn an und hob die Stange gegen ihn, doch auf den ersten Hieb mit dem Zauberschwert lag er da und [371] war todt. Ebenso ging es mit den Zweien und den Vieren, und als er an die Acht kam, so dachten sie, hat er sieben todtgeschlagen, so schlägt er auch achte todt und liefen was sie laufen konnten und so machten es die folgenden nach, so daß der Prinz ungehindert in das Königreich von Siebenstern gelangte.

Ehe er in die Hauptstadt kam, mußte er aber noch durch einen großen Wald reiten. Die Nacht überfiel ihn und er war noch mitten drin. Da sah er ein Licht, ritt drauf zu und kam in ein wunderschönes Schloß. Das Thor stand offen und oben auf dem Thurme brannte das Licht, das er gesehen hatte, es war aber Niemand zu hören und zu sehen. Er ging in den Stall, da standen die herrlichsten Pferde von allen Farben und neben jedem hing ein gleichfarbiges Geschirr. Dann stieg er hinauf in den Saal, da hingen an der Wand Kleider von allen Farben und Arten, von den köstlichsten bis zu den schlechtesten. Er legte endlich sich schlafen, des andern Morgens aber ließ er sein Pferd im Stalle stehn, zog die schlechtesten Kleider an, die er finden konnte und ging zu Fuß weiter, bis er aus dem Wald und in die Stadt zu dem König von Siebenstern kam. „Herr König,“ sagte er, „habt ihr keinen Diener nöthig?“ Der König sagte, es fehle ihm in der Haushaltung und dem Hofstaat Niemand als ein Hinkelhirt, das könne er werden; wenn er aber seine Hinkel nicht alle wieder richtig aus dem Walde mitbringe, so werde ihm der Kopf abgehackt; das sei jetzt schon drei Hinkelhirten hintereinander geschehen.

Des andern Tags fuhr der Königssohn mit seinen Hühnern [372] hinaus in den Wald, wo das wunderbare Schloß stand und konnte nicht widerstehn, einmal nach seinem Pferde zu sehn. Das that er denn, als er aber wiederkam, war die ganze Heerde auseinandergelaufen. Er wußte sich nicht zu rathen und zu helfen, bis ihm das wunderbare Pfeifchen einfiel. Er setzte es an und that einen Pfiff, da kamen von allen Seiten Hinkel geflogen, aber so viele, so viele, daß er sich vor lauter Hinkeln gar nicht mehr zu retten wußte. Er brachte die ganze Heerde wieder mit nach Haus und noch dreimal so viel dazu. Deß freute sich der König gar sehr und sprach: „Du bist mein lieber und getreuer Hinkelhirt und sollst bei mir bleiben bis an dein Ende.“

Der Königssohn hatte schon viele Wochen lang seinen Dienst versehen, da kam große Trauer in die Stadt. Denn hinter der Stadt war ein Berg und in dem Berge wohnte ein Drache, und der Drache hatte drei Köpfe und mußte alle Jahr eine reine Jungfrau fressen; anders that er's nicht, denn es gehörte zu seiner Gesundheit. So waren aber die Jungfrauen erst sehr rar geworden und dann ganz ausgegangen, so daß dießmal des Königs eignes Töchterlein dran sollte.

Als nun der Tag gekommen war, sagte der König am Morgen zu dem Königssohn: „Willst du nicht da bleiben, mein lieber und getreuer Hinkelhirt, und sehen, wie es mit meiner Tochter geht?“ „Nein,“ sagte der Prinz von Oranien, „das will ich nicht mit ansehen, viel lieber will ich mit meinen Hinkeln ausfahren.“

Als er aber in den Wald kam, ging er in das Schloß und [373] zog schwarze Kleider an und sattelte sich einen schwarzen Gaul und hing sein Zauberschwert um.

Unterdessen war der alte König mit der ganzen Stadt in Trauerkleidern hinaus an den Berg gezogen und hatte seine Tochter gebunden und dem Drachen zum Fraße hingelegt. Das Ungethüm kam langsam herausgekrochen und ließ seine drei rothen Zungen vor Gier armslang aus dem Halse hängen und besann sich nur noch, mit welchem Maul es zuerst anbeißen wollte. Da sprengte auf einmal vom Berg herab ein schwarzer Ritter, hieb mit einem gewaltigen Schlag dem Drachen einen Kopf ab und verschwand eben so schnell wieder, wie er gekommen war. Als der Hinkelhirt nach Hause kam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, wärst du doch da geblieben, so hättest du den fremden Ritter gesehn, der unserm bösen Drachen einen Kopf abgehauen hat; aber noch zweimal müssen wir die Prinzessin hinausbringen, sonst frißt er die ganze Stadt.“

Als er des andern Morgens wieder hinaustrieb, sagte der König wieder: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, willst du nicht dableiben und sehen, wie es mit meiner Tochter geht?“ „Viel lieber will ich mit meinen Hinkeln ausfahren.“ Und dießmal zog er in dem Schlosse rothe Kleider an, nahm sich ein rothes Roß und hieb dem Drachen den zweiten Kopf ab, er sprengte aber wieder so schnell fort, daß ihn Niemand erkennen oder halten konnte. Als er heimkam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, wärest du doch da [374] geblieben, heut war ein anderer Ritter da und hat dem Drachen noch einen Kopf abgehauen, aber einen hat er immer noch und die Prinzessin muß morgen wieder hinaus.“

Den dritten Tag zog der Hinkelhirt weiße Kleider an und setzte sich auf ein weißes Roß und schlug dem Drachen den dritten und letzten Kopf ab. Nun war die Prinzessin erlöst, Niemand kannte aber den, der es gethan.

Da ließ der König ein großes Turnier anstellen und verkündigen, daß der, welcher den Preis davon trüge, seine Tochter zur Frau bekommen solle und das ganze Königreich dazu. Es galt aber, mit dem Speer einen Ring von einem Querbalken hinwegzunehmen und ihn in vollem Rennen wieder hinzuhängen. Die geschicktesten Reiter fanden sich ein, aber keiner konnte es fertig bringen. Auf einmal sprengte ein kohlschwarzer Ritter mit geschlossenem Visir auf einem schwarzen Gaul in die Schranken und in einem Nu hatte er den Ring hinweggestochen und wieder an seinen Platz gehängt, dann aber sprengte er in einem Rennen zu den Schranken hinaus und fort. Das verdroß den König und sein Töchterlein gar sehr und als der Hinkelhirt Abends heim kam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, heute hättest du sehen können, was der schwarze Ritter, der unserm Drachen den ersten Kopf abgehauen hat, so schön turnieren und stechen kann. Er ist aber wieder durchgegangen, ich glaube, meine Tochter ist ihm zu schlecht.“

Gerade so ging es den folgenden Tag bei dem zweiten Turnier, [375] nur daß der Hinkelhirt wieder den rothen Gaul und die rothen Kleider hatte.

Den dritten Tag aber befahl der König, wenn wieder ein fremder Ritter komme, so solle man das Thor schließen und ihn fangen, todt oder lebendig.

Dießmal kam der Hinkelhirt wieder in weißen Kleidern und auf dem weißen Pferde. Er stach den Ring noch zierlicher, als die andern Tage, verneigte sich sittsam vor des Königs Töchterlein und wollte wieder fortsprengen. Wie er sah, daß das Thor geschlossen war und des Königs Leute von allen Seiten heranliefen, um ihn zu fangen, setzte er mit einem Satze über das Thor und fort war er. Vorher hatte ihm ein alter Invalid mit dem Spieß ins Bein gestochen, aber die Spitze brach ab und blieb in dem Bein des Ritters stecken, der sich dadurch nicht aufhalten ließ. Des Königs Töchterlein aber fing an zu weinen, weil sie glaubte, jetzt müsse sie immer ledig bleiben.

Als der Hinkelhirt nach Hause kam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, wärst du da geblieben, so hättest du sehen können, wie der weiße Ritter durchgegangen ist, der unserm Drachen seinen letzten Kopf abgehauen hat. Aber warum blutet denn dein Bein so sehr?“ Der Hinkelhirt wollte sich immer noch verstellen, doch der König ließ seinen Leibfeldscheerer rufen, der zog ihm die abgebrochene Spitze aus dem Bein und die paßte genau auf die Lanze des Invaliden. Nun kam es heraus, daß die drei Ritter Niemand anders waren als der Hinkelhirt und immer wieder der Hinkelhirt. Der aber [376] ging in den Wald und zog seine Prinzenuniform an und kam wieder und heirathete die Prinzessin und war jetzt König von Siebenstern. Das Schloß im Wald war nun auch erlöst. Die Pferde waren wieder Grafen, Ritter, Edelleute, Musikanten, Stallknechte und Hirten, und jeder zog seine Kleider an, die in dem Saale hingen und Alle gingen dem Hinkelhirten entgegen und gratulirten ihm.

Der neue König von Siebenstern machte sich nun auch das Riesenreich unterthänig und ließ mitten durch Wald und Feld einen schönen breiten Weg machen; auf dem kam der alte König von Oranien gefahren, als er seinen ersten Enkel aus der Taufe hob.