Textdaten
Autor: George Gordon Byron
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Giaur
Untertitel: Bruchstück einer türkischen Erzählung
aus: Gedichte von Joseph Emanuel Hilscher. Originale und Uebersetzungen, S. 124–181
Herausgeber:
Auflage: Zweite vermehrte Auflage
Entstehungsdatum: 1813
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag:
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Prag
Übersetzer: Joseph Emanuel Hilscher
Originaltitel: The Giaour
Originalsubtitel: A Fragment of a Turkish Tale
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[124]

Der Giaur.
Bruchstück einer türkischen Erzählung von Byron.

Vorbericht.

     Die Geschichte, welche diese unverbundenen Bruchstücke darstellen, ist auf Vorfälle gegründet, die jetzt im Oriente weniger gewöhnlich sind als vormals, entweder weil die Frauen vorsichtiger als vor Alters, oder weil die Christen glücklicher oder weniger unternehmend sind. Vollständig enthielt sie die Abenteuer einer Sklavin, welche nach Moslemweise wegen Untreue in das Meer geworfen, und durch ihren Geliebten, einem jungen Venezianer, gerächt wurde. Dies geschah zur Zeit, als die sieben Inseln im Besitze der Republik Venedig waren, bald nachher als die Arnauten aus Morea zurückgeschlagen wurden, welche dieses Land einige Zeit nach dem Einfalle der Russen verheert hatten. Der Abfall der Mainoten, weil ihnen Plünderung Misitra’s verweigert worden war, führte das Aufgeben jener Unernehmung und Verwüstung Morea’s herbei, während welcher die Grausamkeit, aller Orten ausgeübt, sogar in den Jahrbüchern der Rechtgläubigen nicht ihres Gleichen fand.

„Ein heillos Erinnern, ein Gram in der Brust,
Der kalt überschattet den Schmerz, wie die Lust,
Dem das Leben kann heller nicht, trüber nicht sein,
Dem nicht Balsam die Lust wird, noch Stachel die Pein.“
Moore.


     Kein Lufthauch unten bricht die Flut
Am Grab, wo der Athener ruht,[1]
Am Grab, das glänzend hoch vom Riff
Am Ersten grüßt, kehrt heim ein Schiff

5
[125] Zum Land, das er umsonst befreit –

Bringt solchen Helden noch die Zeit?
– – – – – – – –

     Wie lächelt jede Jahrzeit mild
Der sel’gen Inseln schönem Bild,
Das von Kolona’s Höh’ erblickt,

10
Das Herz, das es begrüßt, entzückt,

Und Einsamen Ergötzung schickt!
Sanft kräuselnd stralt das Meer zurück
Den Farbenschmuck von manchem Pic,
Den lächelnd sich erhascht die Flut,

15
In der das Eden Ostens ruht.

Wenn lind ein Hauch vorüberschweift,
Den blauen Seekrystall durchläuft,
Und Blüten von den Bäumen streift –
O wie willkommen solche Luft!

20
Sie wecket und verbreitet Duft.

Denn hier erziehen Berg und Thal
Die Sultanin der Nachtigall,[2]
Die Rose, welche sie besingt,
Daß fort und fort die Luft erklingt;

25
Und röther glüht bei solchem Schall

Die Gartenkönigin, die hart
Kein Sturmwind beugt, kein Schnee erstarrt,
Die, fern vom winterkalten West,
Gedeihen jede Jahrzeit läßt.

30
Was Süßes ihr Natur gegeben,

Läßt sie als Duft gen Himmel schweben,
[126] Und dankbar lächelnd schenkt er ihr
Arom’ und schönstes Roth dafür.
Noch manche Blume giebt es dort,

35
Für Liebe manchen Schattenort,

Und manche Grotte auch zur Rast,
Die der Pirat besucht als Gast,
Der hier versteckt im hohlen Riff,
Belauscht ein friedlich nahes Schiff,

40
Bis die Guitarr’ des Seemanns schallt,[3]

Der Abendstern im Westen stralt!
Dann mit umwund’nem Ruder sacht
Stürzt aus des Felsenufers Nacht
Der Räuber los auf seinen Fang,

45
Und macht Gestöhn aus Rundgesang. –

Seltsam! daß hier, wo die Natur
Ein Land schuf, wie für Götter nur,
Wo alle Reize sie vereint,
Damit ein Paradies erscheint –

50
Der Mensch, verliebt in’s Elend, dann

Zur Wildniß es verstümmeln kann.
Auf Blumen tretend gleich dem Vieh,
Die ohne einer Stunde Müh’,
Die ohne Hilfe seiner Hand

55
Erblüh’n in seinem Feenland,

Die seine Wartung gern verschmäh’n
Und lieblich nur um Schonung fleh’n.
Seltsam! wo Alles friedlich ruht,
Da tobt der Leidenschaften Wuth,

60
Und Raubsucht herrscht und rohe Gier,

[127] Verfinsternd dieses Lichtrevier;
Als hätten Teufel hier besiegt
Die Seraphim, die sie bekriegt,
Als sollten hier auf Himmelsthronen

65
Befreiter Hölle Erben wohnen.

Wie’s schön ist, wie’s nur Lust gewährt,
Verflucht so, wer dies Land verheert!

     Wer sich zur Leiche hingebeugt,
Eh’ sich der erste Tag geneigt,

70
(Der erste finst’rer Nichtigkeit,

Der letzte von Gefahr und Leid),
Eh’ tilgend der Verwesung Hand
Die Züge löscht, wo Schönheit stand, –
Die milde Engelmiene da,

75
Entzückung hier der Ruhe sah,

Den Ausdruck, welchen sanft, doch fest
Erschöpfung bleichen Wangen läßt:
Der – wär’ nicht trüb das Auge zu,
Das nie mehr leuchtet, lächelt, weint,

80
Wär nicht das Antlitz kalt versteint.

Wo der Erstarrung frost’ge Ruh’ [4]
Entfärbt des Trauernden Gesicht,
Als sei auch ihm sein Loos entdeckt,
Das fesselnd hier den Blick erschreckt –

85
Der wird – wär’ dies, nur dieses nicht –

Vom Trug der Stunde irr gemacht,
Bezweifeln fast des Todes Macht:
So schön erscheint, so ruhig mild [5]
[128] Des Todten erstes, letztes Bild. –

90
Und so auch hier! Das Land umher

Ist Hellas – doch es lebt nicht mehr!
So frostig lieb, so todtenschön!
Uns schaudert, hier nicht Geist zu seh’n.
Ja Schönheit ist’s – im Tode auch,

95
Nicht ganz entfloh’n im letzten Hauch;

Die Farbe, die das Grab versteckt,
Des Ausdrucks Glanz, der scheidend glüht,
Ein goldner Hof, der um Verfall sich zieht,
Ein Stral Gefühl, der Abschied nehmend flieht,

100
Ein Funke Licht, vielleicht vom Himmel her,

Der glänzend – wärmt sein theures Land nicht mehr.

     Land der Heroen! heil’ge Luft!
Vom Flachland bis zur Bergeskluft
Der Freiheit Herd! des Ruhmes Gruft!

105
Altar der Größe! Kann es sein,

Daß dir nur dies noch blieb allein?
Kommt, feige Sklaven, kriechet her!
Sind das die Thermopylen? Sprecht!
Und ringsherum das blaue Meer –

110
Von Freien du entsproß’ner Knecht!

Sprich, wie dies Meer, dies Ufer hieß? –
Die Bucht, der Fels von Salamis!
Dies Land – ist unbekannt sein Ruhm?
Steh’ auf! ergreif’s als Eigenthum!

115
Nimm, wo der Staub der Väter ruht,

Die heiße Asche früh’rer Glut!
[129] Wer dann im Kampfe fällt voll Muth,
Fügt ihren – einen Namen bei,
Den zitternd hört die Tyrannei,

120
Läßt Ruhm dem Sohn und Hoffnung nach,

Der lieber Tod auch wählt als Schmach;
Denn blutig wird die Freiheitsschlacht,
Begann sie, Sohn auf Sohn vermacht
Und oft vereitelt, stets vollbracht.

125
Du Hellas, das in Schrift noch lebt,

Ihr Heldenzeiten – Zeugniß gebt!
Von Königen blieb Asche bloß
In Pyramiden – namenlos;
Doch deinen Helden riß vom Grab

130
Das Weltloos auch die Säulen ab,

Steh’n als ein größ’res Denkmal doch
Des Vaterlands Gebirge noch,
Wo uns die Musen Gräber nennen
Von Männern, die nicht sterben können. –

135
Ermüdend, trüb ist’s, folgt man nach

Jedwedem Schritt vom Glanz zur Schmach;
Genug! kein äuß’rer Feind verstieß
Den Geist, bis er sich selbst verließ;
Nur Selbstverderbniß brach dem Nah’n

140
Der Despotie, der Knechtschaft Bahn.


     Was sieht er, den dein Ufer trägt?
Nichts, was uns deine Vorzeit lehrt,
Nichts, was der Muse Schwingen regt
Zu hohem Flug, wie einst bewegt;

145
[130] Als noch der Mensch des Landes werth.

Das Herz, den Thälern hier entstammt
Die Feuerseele, sonst entflammt
Zu Thaten, schön und groß –
Kriecht von der Wiege nun zur Gruft;

150
Nicht Sklave – Knecht des Sklaven,[6] ruft

Ihn Trieb zu Lastern bloß.
Von jeder Schuld ist er befleckt,
Am Thierischwilden nur entdeckt,
Des Wilden Tugend aber fehlt:

155
Ein Busen frei und muthbeseelt

Noch macht ihn auf dem Nachbarstand
Sprichwörtlich alte Lust bekannt,
Des feinen Griechen letzte Spur;
Berühmt macht jetzt ihn diese nur,

160
Vergebens riefe Freiheit noch:

Durchbrich, o Geist, die Knechtschaft doch!
Umsonst – sein Nacken buhlt um’s Joch. –
Beklagen will ich’s länger nicht;
Doch traurig wird nun mein Bericht,

165
Und, Hörer! glaubt, es ziemt der Gram

Ihm, welcher ihn zuerst vernahm.
– – – – – – – –

     Fern, finster längs dem Meere blickend,
Den Felsenschatten näher rückend,
Erschreckt’s den Fischer, wie ein Boot –

170
Ist’s der Pirat? der Mainot?

Er mag in Furcht für seinen Kahn
Nicht zweifelhaften Riffen nah’n;
[131] Hat Arbeit ihn auch müd’ gemacht,
Ist schwer auch die beschuppte Fracht –

175
Er rudert laß, doch kräftig fort,

Bis er Leone’s sich’rern Port
Im lieblich milden Licht erblickt,
Das Ostens Nacht am schönsten schmückt.
– – – – – – – –

     Wer donnert her auf schwärz’stem Roß –

180
Die Hast im Huf, den Zügel los?

Der Eisen Klappern ruft zu Tag
Den Widerhall, der schlummernd lag:
Horch! Sprung auf Sprung, und Schlag auf Schlag,
Was weiß des Renners Seite streift,

185
Scheint Schaum, wie Flut ihn sammelnd häuft;

Doch ruht auch nun das müde Meer –
Des Reiters Brust, sie ruht nicht mehr,
Und tobt der Sturm auch morgen lauer –
Dein Herz wird nicht mehr stiller, Giaur![7]

190
Ich kenn’ dich nicht, verhaßter Mann!

Doch deine Züge zeigen an,
Was Zeit nur stärkt, nicht tilgen kann.
Ob jung und bleich – die Stirne ist
Vom Brand der Leidenschaften wüst;

195
Ob argen Blick’s du niedersiehst,

Wie meteorgleich du entfliehst –
Ich seh’s recht gut: dich sollten kühn
Osmanen tödten, oder fliehn.

     [132] Fort jagt’ er, fort, und staunend zog

200
Der Blick ihm nach, wie er entflog;

Doch wenn er auch dem Nachtgeist glich,
Und kaum genaht, schon schwindend wich,
Fest haftend hat sein düst’res Bild
Mit Unruh’ mir die Brust erfüllt,

205
Und im erschreckten Ohr nach lang

Des schwarzen Renners Huf erklang.
Er spornt sein Roß, er kommt zur Höh’ –
Die in den Abgrund schattet gäh’ –
Er wendet um – er jagt vorbei –

210
Die Felswand macht vom Blick ihn frei,

Der unwillkommen, wie mir deucht,
An ihm gehaftet, der entfleucht;
Und auch kein Sternchen leuchtet hell
Auf ihn, der flieht so zeitlos schnell. –

215
Er schied – ein Blick nur ging vorher,

Ein Blick, als ob’s der letzte wär’;
Ein Weilchen hielt gehemmt sein Roß –
Ein Weilchen zum Verschnauben bloß –
Ein Weilchen er im Bügel stand –

220
Was schaut er über’n Wald gewandt?

Das Neulicht schimmert an der Höh’,
Von Lampen flimmert die Moschee,
Und ist’s zu fern, daß Widerhall
Erwecke der Topheiken Knall;[8]

225
Im Blitz der Feuer nimmt man klar

Der Moslem frommen Eifer wahr.
[133] Heut’ Nacht verstrich der Ramazan,
Heut’ Nacht das Bairamfest begann,
Heut’ Nacht – doch was bist du, und wer?

230
In fremder Tracht, die Brauen schwer!

Und was ist euch und dir dies Fest,
Daß es dich weilen, flüchten läßt? –
Er stand – im Antlitz Angst und Pein;
Doch bald nahm Grimm die Stelle ein,

235
Nicht wie sich zeigt entflammtes Blut

In flücht’gen Zornes gäher Glut –
Nein, wie am Grab der Marmor, blaß,
Wo Dunkel hebt das Weiße graß.
Die Brauen Nacht, die Augen Glut,

240
Erhob er seine Hand mit Wuth,

Sie schüttelnd mild, als schwankte er,
Noch zwischen Flucht und Wiederkehr.
Da, weil die Rast zu lange währt,
Da wiehert laut sein Rabenpferd,

245
Da sinkt die Hand – sie sucht das Schwert.

Den wachen Träumer hat’s erweckt,
Wie Eulenruf den Schlaf erschreckt.
Es sticht der Sporn – der Renner fühlt’s –
Hinweg! hinweg! das Leben gilt’s!

250
Schnell, wie der Flug des Dscherrid,[9] setzt

Der Rappe fort, vom Sporn verletzt;
Die Felswand ist zurückgelegt,
Der Huf nicht mehr den Strand zerschlägt –
Jetzt bei dem Riff – verschwunden ist

255
Der Helmbusch und der freche Christ!

[134] Es war nur ein Moment und kaum
Bezwang des Berbers Flug der Zaum –
Nur ein Moment, daß er verweilt,
Und dann, wie vor dem Tod, enteilt:

260
Doch der Moment trieb durch den Sinn

Die Winter der Erinn’rung hin,
Und schloß in einen Tropfen Zeit
Ein Leben, Schuld und Gram geweiht.
Furcht – Liebe – Haß ergießt in’s Herz

265
Schon einzeln jahrelangen Schmerz;

Was fühlt’ erst er, mit einemmal
Durchras’t von jeder höchsten Qual!
Die Pause, die sein Loos durchsann,
Wer ist, der sie ermessen kann?

270
Sie war fast nichts im Buch der Zeit,

Doch im Gedanken – Ewigkeit,
Der wie der Weltraum gränzenlos
Solch ein Bewußtsein wohl umschloß,
Das einen Schmerz in sich enthält,

275
Dem Namen – Hoffnung – Ende fehlt.

– – – – – – – –

     Die Zeit verrann – der Giaur ist weit,
Ob er entkam? ob fiel im Streit?
Weh’, daß er floh, daß er genaht!
Der Fluch, gesandt für Hassans That,

280
Kehrt nun sein Schloß zum Grabe um.

Er kam und ging wie der Simum,[10]
Der Tod verkündet rings herum,
[135] Und dessen ferner, gift’ger Hauch
Hinmodert die Cypresse auch,

285
Die dunkle, die – wenn And’rer Schmerz geheilt –

Allein noch trauernd bei dem Todten weilt.

     Daß Roß aus Hassans Stall verschwand,
Kein Sklav’ mehr in der Halle stand;
Der Spinne graues Florgewand

290
Deckt langsam wachsend jetzt die Wand;

Die Fledermaus im Harem baut,
Die Feste seiner Macht vergraut,
Als Herr vom Thurm die Eule schaut;
Der wilde Hund am Springborn heult,

295
Wo ihn getäuschter Durst verweilt,

Denn im Marmorbett ist versiegt die Flut,
Und nur Unkraut ist da, und nur einsamer Schutt –
Schön war zu seh’n das Spiel der Flut,
Das sonst verscheucht des Tages Glut,

300
Der Silberthau, der leicht sich hob,

Und dann in Wirbeln bunt zerstob,
Wollüst’ges Kühl verbreitend rund,
Mit Grün bedeckend rings den Grund.
Schön war’s im Sternenlicht, wenn lang

305
Der feuchte Stral hinauf sich schwang,

Und durch die Nacht melodisch klang.
Und oft sprang Hassan spielend um
Den Wassersturz als Kind herum,
Und oft am Mutterbusen sang

310
In Schlummer ihn der Wellen Klang,

[136] Und oft dem Jüngling in’s Gemüth
Drang schmeichelnd hier der Schönen Lied,
Und sanfter schien die Melodie
Mit Wogenklang die Harmonie.

315
Doch Hassan soll im Alter nicht

Am Quelle ruh’n im Dämmerlicht –
Versiegt ist in dem Born die Flut,
Verströmt aus seiner Brust das Blut.
Die Menschenstimme ist verhallt,

320
Nicht Wuth, nicht Schmerz, nicht Lust mehr schallt

Hier, wo zuletzt ein Schrei erklang,
Den Todesangst dem Weib erzwang,
Der dumpf erstarb – seitdem ist’s stumm;
Mit dem Gitter nur schlägt noch der Wind herum –

325
Ob Sturm und Regen ras’t und gießt,

Die Klammern keine Hand mehr schließt.
Erfreulich wär’ in Wüsten nur
Vom Menschenschritt die schwächste Spur;
So würde hier auch Klageton

330
Wie Trost ein Echo wecken schon –

Es spräche: „Alle sind nicht fort,
Ein Leben blieb, zwar einsam, dort!“
Denn mancher Prunksaal blieb verschont,
Den Einsamkeit wol gern bewohnt,

335
Und die Zerstörung schlich darin

Krebsartig zwar, doch langsam hin;
Doch Grauen schaut aus off’ner Thür,
Hier ruht nicht einmal der Fakir,
[137] Hier hält nicht mehr der Derwisch Rast,

340
Weil Milde nicht erfreut den Gast,

Hier weilt nicht mehr des Fremden Noth,
Zu segnen heil’ges Salz und Brod,[11]
Der Reichthum wie die Armuth zieh’n
Hier unbeachtet, achtlos hin:

345
Denn Gastlichkeit und Mitleid schwand

Mit Hassan von der Bergeswand;
Sein Dach, das Menschen Zuflucht gab,
Deckt der Verödung Hungergrab;
Der Sklav’ floh die Arbeit, der Gast mied die Halle,

350
Seit der Giaur ihm den Turban zerhieb mit dem Stahle.[12]

– – – – – – – – – – –

     Ich höre Tritte nähern sich,
Doch keine Stimme grüßet mich.
Sieh! Turban naht auf Turban itzt,
Der Atagane[13] Silber blitzt;

355
Den Bordersten der Bande macht

Als Emir kenntlich grüne Tracht. –[14]
„Wer bist du? halt!“ – „Salam![15] Du siehst,
Daß dich ein Moslem tief begrüßt.
Was Ihr da tragt, so vorsichtvoll,

360
Verlangt die höchste Sorgfalt wol,

Ich seh’ für theu’re Fracht es an;
Gern bringt sie fort mein schlichter Kahn.“

     „Das sprichst du wahr. Stoß’ ab vom Land,
Und führ’ uns weg vom stillen Strand!

365
[138] Laß eingerollt das Segel sein,

Das nächste Ruder nimm allein!
Zu jenen Felsen, wo die Flut
Im tiefen Bette finster ruht!
Ruh’ aus vom Werk! – So! Brav, Gesell!

370
Die Fahrt, sie war vollendet schnell,

Obwol die längste Reise, traun,
Die eine von – – – –
– – – – – – – –

     Es plumpte dunkel, sank gemach;
Das stille Wasser schwoll und brach.

375
Es war, als ob es sich bewegt,

Der Strom schien mehr als sonst erregt –
Vielleicht nur war’s der Lichtstral, der
Bunt schillert auf bewegtem Meer.
Ich lauschte, bis es schwand dem Blick:

380
Wie Kies wich sinkend es zurück,

Der Flut gescheckt und Aug’ geneckt.
Ein weißer Fleck, stets mehr versteckt
Und das Geheimniß schlief nun, kund
Nur Geistern tief am Meeresgrund;

385
Die zitternd – im Korallenhaus –

Die plaudern’s nicht den Wellen aus.

     Wie mit dem Purpurschwingen hin
Des Ost’s Insekten-Königin[16]
Auf Kaschemir’s smaragd’ner Flur

390
Den Knaben lockt auf ihrer Spur,

Von Blume hin zu Blume fliegt,
Um Zeit und Mühe ihn betrügt,
[139] Und dann entfloh’n ihn läßt zurück,
Den Busen klopfend, naß den Blick:

395
So lockt den Mann der Schönheit Bild,

So glänzt es hell, so flieht es wild.
Der Furcht, der Hoffnung eitler Streit
Beginnt mit Wahn, beschließt mit Leid;
Denn beiden, wenn der Sieg gelingt,

400
Dem Falter, wie der Schönheit bringt

Verlust der Ruhe nur und Schmerz
Des Knaben Spiel, des Mannes Scherz.
Das schöne Spielzeug, heiß begehrt,
Verliert erhascht schon Reiz und Werth,

405
Bald hat die Hand noch, die’s ergreift,

Die schönsten Farben abgestreift.
Bis es, wie Reiz und Glanz verdirbt,
Verlassen flieht und einsam stirbt.
Verwundet Brust und Schwinge so –

410
Wo winkt dem Opfer Ruhe, wo?

Hebt von der Rose, wie zuvor
Zur Tulpe jener sich empor?
Kann Schönheit sich – verwelkt, allein –
Noch in erbroch’ner Kammer freu’n?

415
Nein! froh’rer Falterschwarm enteilt,

Wo einer stirbt, wird nicht verweilt;
Und schön’rer Wesen Mitleid spricht
Für jeden Fehl, nur eig’nen nicht,
Und jeden Gram beweinen sie,

420
Nur den verirrter Schwester nie.

– – – – – – – –

     [140] Das Herz gleicht, voll Gewissenspein,
Dem Skorpion, umringt von Glut:[17]
Stets mehr im Kreis naht Feuerschein,
Stets enger schließt ihn Flamme ein,

425
Bis tausend Schmerzen in ihm schrei’n,

Und rasend ihm vor Wuth
Nur finst’rer Trost im Stachel lebt,
In ihm, der für den Feind genährt,
Ein stets erprobtes Gift gewährt,

430
Und allen Schmerz mit einem hebt,

Den er in’s Hirn verzweifelnd gräbt.
So stirbt, wenn Nacht im Busen ruht,
So lebt er – Skorpion in Glut,
Sich windend vor Gewissensbissen,

435
Von Erd’ und Himmel losgerissen,

Die Hölle dort – Verzweiflung hier –
Die Flamme rings – und Tod in ihr.
– – – – – – – –

     Den Harem Hassan finster flieht,
Nach Frauenreiz er nicht mehr sieht,

440
Ihn lockt nur ungewohnte Jagd,

Doch Waidmannsluft ist ihm versagt.
Nie war er so zu flieh’n gewohnt,
Als Leila sein Serail bewohnt –
Wie, wohnt darin nicht Leila mehr?

445
Fragt Hassan d’rum! das weiß nur er.

Doch ein Gerede geht im Ort,
Sie floh an jenem Abend fort,
[141] Wo Ramazan zu Ende geht [18]
Und blitzend jedes Minaret

450
Von Millionen Lampen brennt

Im gränzenlosen Orient.
Das Bad war Vorwand ihrer Flucht,
Wo Hassan fruchtlos sie gesucht;
Denn sie entkam der Wuth bei Nacht

455
Wie in georg’scher Pagentracht,

Und seiner Rache so entrückt,
Hat ihn der Giaur und sie berückt,
Zwar ahnte Hassan mancherlei,
Doch zärtlich schien sie stets und treu,

460
Und er vertraute ihr zu viel,

Die durch Verrath dem Grab verfiel,
Als zur Moschee ihn Andacht trieb,
Als er im Kjosk beim Festmahl blieb.
So ist der Nubier Bericht,

465
Die nicht zu streng der Pflicht gedacht;

Doch Andere in jener Nacht
Sah’n in Phingari’s bleichem Licht[19]
Den Giaur auf schwarzem Roß entflieh’n,
Doch ihn allein nur, wie er hin

470
Mit blut’gem Sporn am Strande ritt –

Nicht Maid, noch Page trug er mit.
– – – – – – – –

     Nichts schildert ihres Aug’s Magie!
Das Auge der Gazelle sieh’!
Es unterstützt die Fantasie.

475
[142] So groß – so schwarz, drang schmachtend klar

Ein Blick aus ihm, der Seele war,
Und durch die Wimpern stralte hell
Wie Dschemschid’s blendendes Juwel.[20]
Ja – Seele! Spräche der Prophet,

480
So athme Staub nur, der verweht;

Bei Allah! rief ich – nein! und steht
Auch auf Al-Sirath [21] schon mein Fuß,
Hinschwankend über’m Feuerfluß,
Und schaut mein Blick in’s Paradies,

485
Und winken alle Huri süß.

Wer las in Leila’s Augenlicht
Den Spruch des Korans,[22] welcher spricht:
Das Weib ist Staub nur, seelenlos,
Für rohe Lust ein Spielzeug bloß!?

490
Der Mufti hätte selbst bekannt,

Daß Ewigkeit darin gebrannt,
Der Wangen Unverwelklichkeit
War vom Granatenbaum bestreut
Mit Blüthe, röther stets erneut;[23]

495
Wie Hyacinthen floß ihr Haar,[24]

Wenn sein Gelock entfesselt war,
Im Kreis der Mädchen, in der Halle,
Wo herrlich überragend Alle
Ihr Fuß auf Marmor glitt dahin,

500
Der weißer als der Bergschnee schien,

Den, in der Wolke Schooß versteckt,
Der Erdenstaub noch nicht befleckt.
[143] Wie Schwäne durch die Wogen gleiten,
Sah man Tscherkassiens Tochter schreiten,

505
Die schönste Zier von Frangestan;[25]

Und wie den Hals erhebt der Schwan,
Mit stolzem Fittig schlägt die Flut,
Wenn Fremde sich dem Ufer nah’n,
Der Gränze, wo sein Wasser ruht:

510
So hob ihr Hals sich, weißer mehr,

So schlug sie mit der Schönheit Wehr
Des Thoren allzufreien Blick
Und sein vermeintes Lob zurück.
Und wie ihr Gang war schön und frei,

515
So war sie dem Geliebten treu –

Geliebter? War es Hassan? – Nein!
Ach, dieser Name war nicht dein!
– – – – – – – –

Verreis’t ist Hassan; mit ihm zieh’n
An zwanzig der Vasallen hin,

520
Bewaffnet, wie es ziemt dem Mann,

Mit Büchse und mit Atagan.
Der Führer, wie zum Krieg bewehrt,
Trägt am Gehäng’ das scharfe Schwert,
Das der Arnauten Herzblut trank,

525
Als ihre Schaar im Engpaß sank,

Und wenig nur es kund gethan,
Was sie im Thal von Parne sah’n.
Pistolen er im Gürtel führt,
Die einen Pascha einst geziert,

530
[144] Die stets, obwohl mit Gold geschmückt,

Der Räuber selbst mit Furcht erblickt,
Er holt die Braut heim, wie es hieß,
Mehr treu, als sie, die ihn verließ,
Die schamlos ihr Gemach erbrach,

535
Und für den Giaur – zu größ’rer Schmach!

– – – – – – – –

     Der Abendstral, am Bühl noch wach,
Blitzt funkelnd aus dem Quellenbach,
Auf dem für kühle, klare Flut
Des Bergbewohners Segen ruht.

540
Hier winkt dem griech’schen Handelsmann

Die Rast, die er nicht suchen kann
Zu Haus, wo er dem Herrn zu nah’
Geheimen Schatz gefährdet sah.
Hier mag er ruh’n, und ohne Scheu –

545
In Städten Sklav’, in Wüsten frei –

Beflecken mit verbot’nem Wein
Den Becher, welchen Moslem scheu’n.
– – – – – – – –

     Am Ausgang nimmt man den Tatar,
An gelber Mütze kenntlich, wahr,

550
In langen Reihen zieh’n gemach

Die Andern durch den Engpaß nach.
Blutdürstig auf den First gesetzt,
Ein Geierschwarm die Schnäbel wetzt,
Den wohl zu Nacht ein Festgericht

555
Herablockt vor dem Morgenlicht;

[145] Tief unten ließ die Winterflut,
Vertrocknet durch des Sommers Glut,
Ein Bett zurück, wo nackt und bleich
Nur Strauchwerk wächst – zu welken gleich;

560
Am Pfad zu beiden Seiten hin

Liegt vom Granit der graue Grien,[* 1]
Durch Zeit zerrissen oder Blitz
Vom Gipfel aus dem Wolkensitz;
Denn wer hat Liakura’s Höh’n[* 2]

565
Noch unverschleiert je geseh’n?

– – – – – – – –

     Der Fichtenwald ist nun erreicht.
„Bismilla![26] die Gefahr entweicht,
Denn offen liegt die Eb’ne dort;
Schnell spornt man jetzt die Rosse fort.“

570
Kaum spricht’s der Tschausch – da fliegt das Blei

Dicht über seinen Kopf vorbei,
Und in das Gras beißt ein Tatar.
Schnell hemmt der Zaum der Rosse Lauf,
Schnell aus den Bügeln springt die Schaar,

575
Doch nie mehr steigen Drei hinauf,

Vom Feind verwundet unsichtbar
Fleh’n sie umsonst um Rache auf.
Den Hahn gespannt, den Stal entblößt
Hält dieser sich am Sattel fest,

580
[146] Vom Streitroß halb geschützt,

Da jener hinter Felsen flieht,
Dem Angriff so entgegensieht,
Ergrimmt zu bluten itzt
Durch des verborg’nen Feindes Rohr,

585
Der sich nicht wagt in’s Freie vor.

Nur Hassan steigt vom Roß nicht ab,
Setzt unerschrocken fort den Trab,
Bis ihn der Vorhut Blitz auf Blitz
Zu sicher zeigt der Räuber Sitz,

590
Die gut den einz’gen Weg umstellt,

Wo jetzt versproch’ne Beute fällt.
Da sträubte seinen Bart die Wuth,[27]
Und in sein Aug’ fuhr wild’re Glut:
„Ob nah und fern die Kugeln droh’n –

595
Mehr blut’ger Stund’ entkam ich schon!“ –

Der Feind, der nun die Schlucht verließ,
Die Schaar sich zu ergeben hieß;
Doch Hassan’s wildes Machtgebot
Erschreckt sie mehr als Feind und Tod:

600
Von seinem Häuschen wirft kein Mann

Die Büchse weg, den Atagan,
Und Keiner muthlos ruft: Aman! –[28]
Und nah und näher – ganz erscheint
Der hinterste versteckte Feind,

605
Und folgend aus dem Wald gelangt

Ein Trupp, der hoch zu Rosse prangt.
Wer führt sie an, mit fremdem Schwert
Fernleuchtend seine Hand bewehrt?
[147] „Er ist’s! er ist’s! Ich kenn’ ihn gleich

610
An seiner Stirne, wüst und bleich,

Am argen Blicke,[29] der ihm half
Bei dem Verrath, den Neid entwarf,
Am Barte, pechschwarz wie die Nacht;
Doch schmückt ihn auch Arnautentracht,

615
Abtrünnig schnöder Glaubenspflicht,

Vom Tode soll’s ihn retten nicht.
Willkommen mir zu jeder Stund’,
Verführer Leila’s, Christenhund!“

     Gleichwie der Strom, zum Meere rollend,

620
Hinein mit finstern Fluten stürmet,

Das Meer dann, ihm entgegen grollend,
In Azursäulen stolz sich thürmet,
Viel Ruthen weit zurück ihn drängt,
Schaumkräuselnd wilde Wogen mengt,

625
Weil Wirbel und gebroch’ne Flut

Der Wintersturm empört zur Wuth,
Mit Donnerschlägen durch den Gischt
Der Wasser Wetterleuchten zischt
Entsetzlich weiß hin über’s Land,

630
Daß flimmert und erbebt der Strand;

So wie sich Strom und Meer erfaßt,
Und das Gemisch der Wogen ras’t,
So ringt jetzt Schaar und Schaar vermengt
Von Haß und Wuth zum Kampf gedrängt.

635
Gemetzel scharfer Säbel klirrt

Weit schallend oder näher mehr,
[148] Gellt in das pochende Gehör
Der Todesschuß, der fernher schwirrt;
Gestampf, Geschrei, Gestöhne irrt

640
Nachzitternd nun das Thal entlang,

Wo besser klänge Hirtensang.
Schon schmilzt die Zahl – doch Keiner fleht
Um Leben, Schonung wird verschmäht.
O feurig klopft die junge Brust,

645
Ergreift und reicht sie Liebeslust;

Doch sie auch fühlt, wenn sie begehrt,
Was Schönheit seufzend nur gewährt,
Nicht halb die Brunst, mit der man haßt,
Zum letztenmal den Feind umfaßt,

650
Und mit den Armen ringend fest

Umklammert, was man nie mehr läßt.
Verlachen Treue, Lieb’ und Freundschaft,
Treu bis zum Tod verknüpft die Feindschaft.
– – – – – – – –

     Den Säbel, bis an’s Heft zersplittert,

655
Noch naß vom Blut, das er verspritzt,

Von abgehau’ner Hand umgittert,
Die treu den Falschen hält noch itzt;
Der Turban fern gerollt im Lauf,
Zerschlitzt die strengsten Falten d’rauf;

660
Das Oberkleid zerfetzt vom Stal,

Wie das Gewölk im Morgenstral,
Das roth gestreift ein Zeichen ist,
Daß sich der Tag mit Sturm beschließt;
[149] Das Strauchwerk blutig, wo im Riß

665
Der Palampor[30] Fragmente ließ;

Die Brust zerhackt – in tausend Stücken –
Das Antlitz aufwärts – auf dem Rücken
Liegt Hassan jetzt; unzugedrückt
Noch nach dem Feind sein Auge blickt,

670
Als ob die Todesstunde Groll

Untilgbar überleben soll;
Und zu ihm beugt der Feind sich her,
Finster im Angesicht, wie er.
– – – – – – – –

      „Ja, Leila schlummert tief im Meer,

675
Doch röther ist sein Grab nunmehr;

Gut lenkt’ ihr Geist den Stal, der dies
Fühllose Herz doch fühlen ließ.
Er rief zu Mahom – doch die Rache
Des Giaur war stärker als der Schwache;

680
Er rief zu Allah – doch dies Wort

Ward nicht gehört, geachtet dort.
Ungläub’ger Thor! Wenn Leila fleht –
Ist’s fruchtlos? gilt nur dein Gebet?
Ich sah zur Zeit, ließ Streiter nah’n,

685
Griff, Falscher! dich im Heimzug an;

Es ist vollbracht – mein Grimm schlief ein –
Nun geh’ ich – doch ich geh’ allein.“
– – – – – – – –

     [150] Kameele grasen, Glöckchen klingen,
Durch’s Gitter seine Mutter sah –

690
Sah frischen Thau den Abend bringen,

Feucht lag die grüne Weide da;
Sah Sterne matt hervor sich ringen;
„Es dämmert! sicher ist er nah.“
Sie fand in den Gartenlauben nicht Ruh’,

695
Flog spähend dem höchsten der Thürme zu.

„Was, kommt er nicht? Sein Roß ist gut,
Und scheut sich nicht vor Sommerglut.
Was schickt nicht der Bräutigam Gaben längst?
Ist sein Herz mehr kalt? minder schnell sein Hengst?

700
O falscher Tadel! den Tatar

Nehm’ ich am nächsten Berge wahr.
Behutsam setzt er von dem Hang –
Jetzt sprengt er schon das Thal entlang –
Und die Gabe trägt er am Sattelbug –

705
Wie schien mir träg’ des Renners Flug?

Ein reicher Lohn sei ihm zu Theil
Für schweren Weg, willkomm’ne Eil’!“

     Abstieg nun der Tatar am Thor,
Erschöpft hielt er sich kaum empor;

710
Sein braunes Antlitz sprach von Gram –

Vielleicht, daß dies von Mattheit kam;
Sein Kleid war roth von Blut und feucht –
Vom spornverletzten Roß vielleicht.
Was zog er aus dem Kleid als Mal?

715
Engel des Todes! Hassan’s Turbanshawl!

[151] Sein Kalpak ist’s[31] – sein Kaftan roth!
„Braut wurde deinem Sohn der Tod.
Verschont, nicht weil ich Mitleid fand,
Muß bringen ich dies Purpurpfand.

720
Dem Tapfern, der verblutet, Ruh!

Doch weh’ dir, Giaur! die Schuld trägst du.“
– – – – – – – –

     Ein Turban, roh in Stein gehau’n,
Ein Pfeiler, moosumhüllt zu schau’n,
Worauf man kaum mehr lesen kann

725
Den Trauervers aus Alkoran,

Bezeichnen nun das Todtenmal,[32]
Wo Hassan fiel im öden Thal.
Dort schläft ein Osman, treu – wie nie
Zu Mekka Einer bog das Knie,

730
Der stets gehaßt verbot’nen Wein,

Sein Antlitz hingewandt zum Schrein
Gebete wiederholte lang,
Wenn ernst das „Alla hu“[33] verklang.
Zwar starb er durch des Fremden Hand,

735
Der Fremdling war in seinem Land,

Zwar starb er fallend im Gefecht,
Und mind’stens nicht durch Blut gerächt:
Doch Huri luden ihn alsbald
Voll Ungeduld ins Paradies;

740
Der Augen dunkler Himmel stralt

Ihm nun für immer hell und süß;
[152] Sie kommen – grüne Tücher weh’n –
Ein Kuß begrüßt den Tapfern schön –[34]
Wer kämpfend fällt durch’s Giaur-Schwert,

745
Ist ew’gen Heils am meisten werth.

– – – – – – – –

     Doch du, Ungläub’ger! winde dich,
Schwingt rächend Monkirs Sense sich;[35]
Und bist du seiner Qual entfloh’n,
So wand’re rings um Eblis[36] Thron,

750
Und Glut, die unauslöschlich glüht,

Umgebe, fülle dein Gemüt,
Das Ohr nicht hört, noch Zunge nennt,
Wie inn’rer Hölle Pein dich brennt.
Doch früher sprenge – ein Vampyr –[37]

755
Als Leichnam deines Grabes Thür’,

Wohn’ gräßlich dann im eig’nen Haus,
Und saug’ das Blut der Deinen aus,
Daß so bei Tochter, Schwester, Weib
Der Lebensstrom versiegt im Leib.

760
Dir ekle vor dem Mahle; doch

Dein Leichenleben frist’ es noch
Bis, eh’ die Opfer ganz vergeh’n,
Im Dämon sie den Vater seh’n,
Dir fluchen, und von dir verflucht

765
Am Stamm verdorren – Blüte, Frucht.

Von Einer nur, die durch dich fallen,
Der Jüngsten, Liebsten dir aus Allen,
[153] Sei schmeichelnd Vater noch genannt,
Und durch dies Wort dein Herz entbrannt;

770
Doch enden mußt du ganz, vergeh’n

Die Glut an Aug’ und Wange seh’n,
Den letzten Blick, der eisig stiert,
Auf leblos mattem Blau gefriert.
Mit frevler Hand dann reiße ihr

775
Vom Haupt des gelben Haares Zier,

Von dem ein Löckchen nur gewährt
Sonst zärtlich ward als Pfand verehrt,
Das aber jetzt von dir entführt,
Ein Denkmal deiner Marter wird.

780
Vom liebsten Blute triefend dann

Gefletschten Mund, geknirschten Zahn,[38]
Schleich in dein finst’res Grab dich fort,
Mit Gol und Afrit tolle dort,
Bis sie entsetzt vor dir verweh’n,

785
Den mehr als sich verflucht sie seh’n.

– – – – – – – –

     Wie heißt der dort im Mönchgewand?
Sein Antlitz sah ich einmal schon
Vor Jahren einst im Vaterland,
Wie er am öden Strand entfloh’n

790
Zu Roß, so flink, als je sich bot

Ein Renner für des Reiters Noth.
Nur einmal sah ich’s, doch so graß
Von inn’rer Qual gezeichnet, daß
Ich es bis jetzt noch nicht vergaß;

795
[154] Noch haucht’s denselben finstern Geist,

Als sei vom Tod es eingeeist.

     „Im Sommer sind sechs Jahre hin,
Seit er zuerst sich uns gezeigt,
Zu weilen hier bestimmte ihn

800
Wol schwarze That, die er verschweigt:

Allein zur Vesper sank er nie,
Noch vor dem Beichtstuhl je auf’s Knie,
Noch nahm er Theil, wenn Chorgesang
Und Weihrauch sich gen Himmel schwang;

805
Meist in der Zelle dumpf daheim,

Blieb Stamm und Glauben uns geheim.
Er kam zur See vom Heidenland,
Stieg dort herauf zu uns vom Strand;
Allein ein Osman scheint er nicht,

810
Und Christ auch nur von Angesicht;

Er dünkte mir ein Renegat,
Der hier bereut des Abfalls That –
Doch er vermeidet den Altar,
Genuß des heil’gen Mahls sogar.

815
Viel Reichthum hat er hergebracht,

Den Abt sich so geneigt gemacht;
Doch wär’ ich Prior nur – ich ließ
Ihn keinen Tag hier, oder stieß
Zur Büßerzelle ihn hinein –

820
Die sollt’ ihm ew’ger Wohnort sein!

Oft murmelt er in Träumen her:
Sein Liebchen sei versenkt in’s Meer,
[155] Der Säbel flink, der Feind geflüchtet,
Die Schuld gerächt, der Türk vernichtet.

825
Man sah, daß er am Ufer stand

Und faselnd sprach von blut’ger Hand,
Die frisch vom Körper abgehau’n
Unsichtbar, nur für ihn zu schau’n,
Ihm hingewinkt zu seinem Grab,

830
Gelockt zum Sprung in’s Meer hinab.“


     Unirdisch, finster, grämlich sticht
Aus brauner Kutte sein Gesicht;
Der Blitz des Aug’s, geöffnet weit,
Verräth zu viel Vergangenheit,

835
Und wechselt auch sein Nebelschein –

Wer ihn geseh’n, wird’s lang bereu’n;
Denn namenloser Zauber bricht
Aus ihm, der – unaussprechlich – spricht,
Ein hoher, unbezwung’ner Geist,

840
Der Obmacht heischt und an sich reißt;

Und wie der Vogel bebt, und bange
Nicht fort kann aus dem Blick der Schlange,
So macht sein Blick auch unerträglich,
Verzagt und doch zu flieh’n unmöglich.

845
Der halb erschrock’ne Mönch entflieht,

Wenn er mit ihm allein sich sieht;
Sein Blick – sein bitt’res Lächeln schreckt,
Als ob es Arglist nur entdeckt.
Oft lächelt zwar der Stolze nicht,

850
Doch traurig zeigt dann sein Gesicht,

Wie’s lächelnd Hohn dem Elend spricht.
[156] Wie’s zuckt – den bleichen Mund verzieht –
Und wie für immer dann entflieht!
Als ob es Stolz ihm oder Weh

855
Verboten, noch zu lächeln je.

Wol gut wär’s! denn so grause Lust
Entspringt aus keiner frohen Brust.
Allein noch trüber stellt sich dar,
Was einst Gefühl im Antlitz war;

860
Zeit hat die Züge nicht verwischt,

Mit lichtern finst’re nur gemischt,
Und Nachglanz zeigt, nicht ganz erstorben,
Noch ein Gemüt, nicht ganz verdorben,
Ob’s Schuld auf Schuld auch sich erworben.

865
Der Pöbel zwar entdeckt hier nichts

Als Nacht der That und des Gerichts,
Allein der schärf’re Blick gewahrt
Den hohen Geist, die edle Art.
Sind sie vergebens auch gewährt,

870
Durch Gram entstellt, durch Schuld versehrt!

Nie zählt man zu der Menge ihn,
Dem solche Gaben sind verlieh’n,
Und immer fast, von Angst gepreßt,
Verweilt auf ihm das Auge fest.

875
Die Hütte, dachlos und zerschellt,

Hält einen Wand’rer kaum zurück;
Der Thurm jedoch, durch Sturm gefällt,
Wo trotzig eine Zinne hält,
Heischt und erschreckt des Fremden Blick;

880
[157] Denn jeder Pfeiler epheugrün,

Zeugt stolz von Ruhm, der nun dahin.

     „Sein Kleid um sich gefaltet zieht er
Im Säulengang nun langsam fort;
Sein Anblick schreckt, und finster sieht er

885
Die Andacht, welche weiht den Ort.

Nun hallt der Chor von Gottes Ruhm –
Die Mönche knien – nun kehrt er um.
Der Lampe stilles Flackerlicht
Erhellt im Kreuzgang sein Gesicht;

890
Er harrt, bis es zu Ende geht,

Hört beten und – spricht kein Gebet.
Sieh! wie am Pfeiler, halb erhellt,
Sein Haar aus der Kapuze fällt,
Das wild die bleiche Stirn umstrickt,

895
Als ob Gorgona d’rauf gedrückt

Die schwärzeste der Schlangenbrut,
Die ihm auf grauser Stirne ruht.
Abweichend von dem Klostereid
Wuchs die unheil’ge Locke groß,

900
Und doch trägt er das Ordenskleid,

Und macht – nicht fromm – aus Hoffart bloß
Die Mauern reich, die nie gehört,
Das ihm ein heil’ges Wort entfährt.
Sieh! wie nun lauter Gottes Lob

905
Harmonisch sich gen Himmel hob –

Die Wange blaß, die Haltung Stein,
Trotz und Verzweiflung im Verein.
[158] Halt ihn, Franziscus, vom Altar!
Sonst droht des Himmels Zorn Gefahr

910
Und wird durch Omen offenbar.

Ein böser Engel stellt, fürwahr!
Nur so in Menschenform sich dar;
Und ob auch Schuld vergeben werde –
Den Blick sah Himmel nicht, noch Erde.“
– – – – – – – –
– – – – – – – –

915
     Ein sanftes Herz fühlt Liebe bald,

Doch nie der Liebe Allgewalt;
Zu blöde, hehlt es seinen Gram,
Zu schwach ist’s, wenn Verzweiflung kam.
Es fühlt allein das stärk’re Herz

920
Der Wunde unheilbaren Schmerz.

Metall, das roh im Schachte lag,
Muß glühen, daß es glänzen mag;
Die Ofenflamme macht es weich,
Und schmelzt es – doch es bleibt sich gleich.

925
Es wird, wie du es brauchst, durch Glut

Zum Schützen wie zum Morden gut,
Ein Brustschild für die Zeit der Noth,
Ein Schwert zu deines Feindes Tod;
Und wenn ein Dolch – dann sei bedacht,

930
Wer seine Spitze schärfer macht!

Der Frauen Gunst, der Liebe Schmerz,
Zähmt, wandelt so das stärk’re Herz;
[159] Durch sie wird es in Form gepreßt,
Wie sie es bilden, bleibt es fest,

935
Es bricht – eh’ sich es beugen läßt.

– – – – – – – –

     Folgt Einsamkeit auf Gram – gering
Ist dann der Trost: die Qual verging!
Der leere Busen dankt dem Schmerz,
Der minder öde ließ das Herz;

940
Was Niemand theilt, macht Ueberdruß,

Selbst Glück quält im Alleingenuß;
Das Herz, so einsam ganz gelassen,
Muß aus Bedürfniß endlich hassen.
So wär’s dem Todten, wenn er fühlt,

945
Wie rings der Eiswurm ihn umwühlt,

Und schaudernd, weil Gewürm sich jetzt,
Den Moderschlaf bejubelnd, letzt,
Die Macht vergißt, die es verwehrt,
Daß kalt Gezücht am Staube zehrt.

950
So wär’s dem Wüstenvogel auch,[39]

Der aufreißt seines Busens Flut,
Und wie sie hungrig kreischt, die Brut,
Gern hingiebt eig’nen Lebenshauch –
Wenn sie, wie er die Brust zerriß,

955
Entfloh’n ihr leeres Nest verließ.

Entzücken wird aus schärfster Pein
Für ein Gemüt, das schaurig, leer,
Blattlose Wüste ward, wo kein
Gefühl das Herz beschäftigt mehr.

960
[160] Wer will verdammt sein, stets im Blauen

Nicht Sonne noch Gewölk zu schauen?
Mehr gräßlich ist’s als Sturmgetos
Zu trotzen nie dem Wogenstoß,
Und wenn der Krieg der Winde schwand,

965
Ein Wrack zu sein am Glückesstrand,

In ekler Ruh’ und stummer Bucht
Zu heimlichem Verfall verflucht.
Besser versenkt vom Sturme tief,
Als stückweis faulen so am Riff!
– – – – – – – –

970
     „Vater, dein Sein ging friedlich hin

Nur in Gebeten, ungezählt;
Durch die ward And’rer Schuld verzieh’n –
Selbst schuld- und sorglos, nur gequält
Von flücht’gem Leid, das Keinem fehlt,

975
Blieb bis in’s Alter sanft dein Blut,

Du magst dich segnen vor der Wuth
Der Leidenschaft, die heiß und wild
Des Sünders Beichte dir enthüllt,
Dem offen steht für Schuld und Schmerz

980
Dein reines, mitleidvolles Herz.

Mein Sein jedoch, zwar kurz bisher,
Bot Freuden viel, doch Leiden mehr,
Doch nie, ob ich geliebt, gehaßt,
Hat Lebenssattheit mich erfaßt;

985
Bei Freunden jetzt, bei Feinden nun –

Stets war mir’s ekel, träg’ zu ruh’n.
[161] Jetzt aber ohne Lieb’ und Groll,
Nicht stolz mehr und nicht hoffnungsvoll,
Wär’ lieber ich vom Giftgezücht,

990
Wie es an Kerkerwänden kriecht,

Als dumpf zu leben, wechsellos,
Hinbrütend und beschauend blos.
Ein Wunsch nur lauscht in meiner Brust –
Nach Rast – doch Rast mir unbewußt.

995
Bald wird wohl die Gewährung nah’n.

Bald schlaf’ ich tief, nicht träumend mehr,
Was einst ich war, und gern noch wär’,
Schwarz, wie dir dünkt, was ich gethan.
Nur Grab ist mein Gedächtniß nun,

1000
Wo lang schon Glück und Hoffnung ruh’n.

Wär’s besser auch, mit todt zu sein,
Als leben, langgeweilt durch Pein;
Nie hat sich noch mein Geist entsetzt
Vor Schmerz, der endlos stechend quält,

1005
Nie hätte Selbstmord ich erwählt –

Wie Thoren sonst und Feige jetzt;
Doch nie vor Tod auch bebte ich –
Wie süß! wenn er im Schlachtfeld mich,
Wo die Gefahr mich lockte, traf –

1010
Des Ruhmes, nicht der Liebe Sklav’.

Ich trotzte ihr – auf Ruhm nicht dacht’ ich –
Ersiegt – verspielt – des Lorbeers lacht’ ich!
Laß’ And’re d’rum die Welt verheeren,
Für Söldnerlohn und hohe Ehren!

1015
[162] Doch mir gieb die Vergangenheit!

Kommt, die als Preis ihr würdig seid:
Geliebtes Weib! verhaßter Mann!
Die Bahn des Ruhm’s durchflieg ich dann,
Zu retten – tödten – wie es noth –

1020
Durch Schwerter, Feuer, Kampf und Tod!

Doch blicke den nicht zweifelnd an,
Der thun will, was er schon gethan!
Tod ist’s, was Starke trotzend seh’n,
Was Schwache dulden, Arme fleh’n –

1025
Mag hin das Sein zum Ursein geh’n!

Hat die Gefahr mich nicht entsetzt
In Glück und Hoheit – warum jetzt?“
– – – – – – – –

     „Ich liebte, betete sie an!
Doch dieses Wort braucht Jedermann –

1030
Ich hab’ es mehr durch That bewährt:

Ein Blutfleck blieb auf meinem Schwert,
Ein Blutfleck, der nicht weichen kann,
Verspritzt für sie, die starb für mich,
Aus einer Brust, die ich gehaßt.

1035
Doch starre nicht, und kreuze dich!

Es mehrt nicht meiner Sünden Last;
Du sprichst von dieser That mich los,
Verübt am Feind des Glaubens bloß –
Des Nazaräers Name schon

1040
War Wermuth jenem Heidensohn.

Der Thor, der Undankbare! bringt
Das Schwert, wenn gut die Hand es schwingt,
[163] Die Wunde, die ein Christ gab, gleich
Den Türken in sein Himmelreich,

1045
So harrte sein der Huri Chor

Voll Ungeduld an Mahoms Thor. –
Ich liebte sie, und Liebe wagt,
Wo selbst der Wolf zu rauben zagt;
Und wagt sie viel, so wär’ es hart,

1050
Wenn ihr nicht auch Belohnung ward –

Gleich gilt hier: wo und was und wie –
Ich seufzte nicht umsonst für sie.
Doch manchmal wünsch’ ich tief betrübt:
O hätte sie mich nie geliebt!

1055
Sie starb – ich darf nicht sagen, wie;

Doch meine Stirne zeigt es – sieh’!
Kains Fluch und Sünde lese dort –
Die Lettern wischt die Zeit nicht fort.
Doch ehe du verdammst – halt’ ein!

1060
Der Anlaß, nicht die That ist mein;

Doch er that nur, was ich gethan,
Betrog sie mehr als einen Mann:
Ihm untreu – führte er den Streich,
Mir treu – und er lag kalt und bleich.

1065
Zwar fällte Recht das Urtheil ihr;

Doch treu durch Treubruch, gab sie mir
Ihr Herz hin, welches einzig frei
Nicht fesseln kann die Tyrannei,
Und ich – zu spät zur Rettung – gab,

1070
Was ich vermocht, ihr mit hinab,

Gab – Trost doch war’s – dem Feind ein Grab.
[164] Mich drückt sein Tod nicht; ihr Geschick
Nur schuf mich hassenswerth dem Blick.
Sein Loos stand fest; ihm war’s bekannt –

1075
Tahiri warnte ihn vorher,

In dessen ahnendes Gehör[40]
Der Schuß des Mörders tönte schwer,
Eh’ seine Schaar am Wahlplatz stand;
Auch starb er im Getös der Schlacht

1080
Wo Schmerz und Noth nicht wird bedacht –

Ein Hülfschrei drang zu Mahom bloß,
Und ein Gebet zu Allah schloß.
Er kannte mich – und suchte mich –
Ich aber sah, wie er erblich,

1085
Sah, wie hinweg die Seele schlich;

Doch gleich dem Parder, tief verletzt,
Empfand er halb nicht, was ich jetzt;
Vergebens suchte ich die Weh’n
Verwundeten Gemüth’s zu seh’n,

1090
Denn an der finstern Leiche trug

Nicht Reue, Wuth nur jeder Zug.
Was gäbe d’rum die Rache hin!
Erschien Verzweiflung ihr darin,
Der letzten Stunde letzte Reu’,

1095
Wo schon der Buße Macht vorbei,

Wo sie vom Grab kein Schreckbild scheucht,
Nicht retten kann, noch Lind’rung reicht.“
– – – – – – – –

     [165] „Ein kaltes Land giebt kaltes Blut –
Dort fühlt man kaum, was Liebe heißt;

1100
Mein Blut war heiß wie Lavaflut,

Die Aetna’s Flammenbrust durchkreis’t.
Nicht faseln konnt’ ich, wimmern je
Von Liebesjoch und Liebesweh.
Wenn heiße Adern, Blässe, Glut,

1105
Ein Mund, der weder klagt, noch ruht,

Ein brechend Herz, ein Hirn voll Muth,
Wenn Wagniß, Rachgelüst, und was
Ich fühle und gefühlt – wenn das
Von Liebe zeugt, so liebte ich,

1110
Und bitter wohl bewährt’ es sich.

Nicht weinen konnt’ ich, seufzen – nein!
Erringen – sterben – das allein.
Ich sterbe – doch besaß den Lohn,
Und kommt was will! – war selig schon.

1115
Soll ich ein Loos der Wahl beklagen?

Nein, ausgeraubt, doch ohne Zagen,
Bangt mir um sie nur, die erschlagen.
Doch gieb mir mit dem Schmerz die Lust,
Und wieder lebt und liebt die Brust.

1120
Ja, heil’ger Mann! mir fällt nunmehr

Ihr Tod nur, nicht der meine schwer.
Sie schläft, wo wandernd Wogen zieh’n –
Ach! wär’ ein Erdgrab ihr verlieh’n,
Dies Herz, das bald schon stille steht,

1125
Es theilte dann ihr enges Bett.

[166] Sie war ein Bild voll Lust und Licht,
Blieb immerdar mir im Gesicht,
Schien, wo ich hinsah, nah’ und fern,
Mir als Erinn’rungs-Morgenstern!“

1130
     „Ja, von dem Himmel stammt sie ab,

Ein Funke ew’ger Glut ist Liebe,
Den Allah uns und Engeln gab,
Vom Staub zu heben nied’re Triebe;
Dringt Andacht auch zum Himmel ein –

1135
Herabzieht Liebe ihn allein.

Sie ist ein Fühlen, Gott entlehnt,
Das von der Selbstsucht Schmutz entwöhnt,
Ein Stral vom Allerschaffer stammend,
Ein Nimbus, rings das Herz umflammend.

1140
Nenn’ unrein meiner Liebe Geist,

Nur was man falsch oft Liebe heißt,
Auch sündhaft, wenn du willst – nur sprich,
O sprich: Sie liebte schuldlos mich.
Sie war als Leitstern mir erwacht,

1145
Verlosch – und nichts erhellt die Nacht;

O führte jetzt noch mich sein Stral –
Und sei’s zu Tod und ärgster Qual!
Wie könnt Ihr staunen nur, daß er,
Der nicht mehr hat, noch hofft dies Glück,

1150
Nicht weichlich ringt mit Trübsal mehr, –

Nein! rasend anklagt sein Geschick,
Und in der Tobsucht Greuel übt,
Wodurch er Schmerz mit Schuld noch trübt?
[167] Ach! blutet innerlich das Herz –

1155
Dann schreckt es nicht ein äuß’rer Schmerz,

Und stürzt man aus dem Himmelreich –
In welchen Abgrund, gilt dann gleich.
Wild wie der finst’re Geier nun
Erschein’ ich dir in meinem Thun,

1160
Und Abscheu zeigt dein Antlitz nun;

Ich ward, daß ich auch ihn erfuhr,
Ja, jenem Raubthier gleich betrat
Ich mit Zerstörung meinen Pfad;
Doch auch die Taube lehrte mich:

1165
Treu erster Liebe sterbe ich.

Ja, diese Lehre giebt dem Mann
Ein Thier, das er verachten kann:
Der Vogel, der im Busche schlägt,
Der Schwan, den fort die Welle trägt,

1170
Ein Weibchen nur zu wählen pflegt.

Dem Wechsel sei der Thor geneigt,
Er spöttle, wo Bestand sich zeigt,
Und prahle frech mit Bubenspiel;
Ich neide nicht sein Siegsgefühl,

1175
Ich setze solch herzlosen Mann

Tief unter den verlass’nen Schwan,
Tief unter jene Maid, die schwach
Für Glauben fand Betrug und Schmach.
Nicht solchen Schandfleck trug ich je!

1180
Mein Denken, Leila, gilt nur dir –

Mein Heil und Unheil! Wohl und Weh!
Mein Hoffen dort! mein Alles hier!
[168] Nichts blüht auf Erden, was dir glich,
Und blüht’s – so blüht es nicht für mich.

1185
Nicht seh’n um Welten mag ich’s – ist

Ein Weib dir gleich – wenn du’s nicht bist;
Die schuldverderbte Jugendzeit,
Mein Todtenbett bezeug’ es heut.
Zu spät kommt Alles! bist du doch

1190
Des Herzens theurer Wahnsinn noch!“


     „Sie starb – und o! ich hauchte noch,
Doch Lebensodem war es nicht,
Um’s Herz mir jene Schlange kroch,
Die stets zum Kampfe reizend sticht;

1195
Nicht Zeit gewahr mehr, floh ich nur,

Entsetzt vom Antlitz der Natur,
Wo reizend frisch sonst jeder Zug
Die Schwärze meines Busens trug.
Was übrigt noch – das weiß dein Herz,

1200
Ganz meine Schuld, halb meinen Schmerz;

Doch sprich von Reue mir kein Wort –
Du siehst, bald muß von hier ich fort –
Und ist dein heil’ger Spruch kein Wahn,
Gethanes machst du ungethan.

1205
Ich dank’ dir ja; doch solche Pein

Kehrt nicht um Trost bei Priestern ein.
Rath heimlich, wie es steht um mich,
Mitleid’ger sei, und minder sprich![41]
Gebiete Leila, zu ersteh’n,

1210
Dann will ich um Vergebung fleh’n,

[169] Dann sei mein Anwalt dort, wo feil
Um Messen ist das Seelenheil.
Geh’, wo des Jägers Hand im Forst
Die Jungen riß aus ihrem Horst –

1215
Sprich der verlass’nen Löwin zu!

Nicht mich mit Trost verhöhne du.“

     „In stillen Tagen, längst dahin,
Wo froh mit Herz sich Herz vereint,
Dort, wo der Heimath Lauben blüh’n,

1220
War – ach! wo jetzt? – mir Einer Freund.

Ich sende dieses Pfand noch hin;
Ein Denkmal für den Jugendschwur,
Erinnr’ es an mein Ende ihn.
Gedenkt der Geist in sich gekehrt,

1225
Des fernen Freund's auch flüchtig nur -

Mein welker Name bleibt ihm werth.
Wie wahr! Er sah mein Loos vorher;
Ich lächelte – wie konnt’ ich doch!
Als mit der Klugheit Stimme er

1230
Gewarnt den Unbesorgten noch.

Nun raunt Erinn’rung mir in’s Ohr
Die Worte, kaum bemerkt zuvor.
Sag’ ihm, sein Ahnen ist erfüllt;
Erschrecken wird er, wenn er’s hört,

1235
Und wünschen, daß sich’s nicht bewährt.

Sag’ ihm, ob ich auch sorglos wild
Bei manchem bittern Anlaß zwar
In uns’rer gold’nen Jugend war –
[170] Im Schmerze hätt’ ich sterbend noch

1240
Gesegnet sein Gedächtniß doch;

Allein des Himmels Zorn verschmäht –
Für Unschuld selbst – der Schuld Gebet.
Ich will nicht seinen Tadel stumm;
Er geht nur zart mit Leumund um, –

1245
Und was hab’ ich zu thun mit Ruhm!

Ich will nicht, daß sein Klagen schweigt,
Weil solcher Wunsch Verachtung zeigt, –
Und was kann mehr als Freundeszähren
Dem Sarg des Bruders Schmuck gewähren?

1250
Gieb ihm den Ring, einst sein, und sprich,

Wie du mich sahst, als ich verblich:
An Leib und Seele welk, erschlafft,
Ein Wrack, das rückließ Leidenschaft,
Verschrumpftes Blatt, verstreutes Laub,

1255
Dem Herbststurm Gram verfall’ner Raub.“

– – – – – – – –

     „O, nenn’ es nicht ein Traumgesicht!
Nein, Vater, nein! ich träumte nicht;
Weil Traum nur Schlummernden erscheint –
Ich wachte – hätte gern geweint,

1260
Und konnte nicht; in heißer Stirn

Schlug mir der Puls bis tief in’s Hirn,
Nur eine Thräne wünschte ich,
Willkommen hold und neu für mich;
Ich wünsche sie, wie damals noch –

1265
Verzweiflung weigert sie jedoch.

[171] Vergeude dein Gebet nicht mehr;
Verzweiflung ist ja mächtiger,
Ich will nicht, mag nicht selig sein;
Kein Himmel fehlt mir; Rast allein.

1270
Ja, damals war es, Vater! da,

Daß ich sie lebend wiedersah;
In dem Symar[42] erschien sie licht,
Wie dort der Stern aus Wolken bricht,
Den ich wie sie jetzt schaue – doch

1275
Viel holder blickte, blickt sie noch.

Schon ist getrübt sein Zitterschein,
Die Nacht wird morgen dunkler sein,
Und ich – eh’ er sich stralend hebt –
Bin leblos, Schreckbild dem, der lebt.

1280
Doch irr’ schon red’ ich, weil den Geist

Es mächtig hin zum Endziel reißt. –
Ich sah sie, Mönch! und sprang empor,
Vergessend, was ich litt zuvor,
Flog aus dem Bett, und hielt sie fest,

1285
An’s hoffnungslose Herz gepreßt,

Umschloß – ach! was umschloß mein Arm?
Kein Wesen war es, athmend, warm,
Kein Herz schlug meinem Herzen zu,
Und doch – du warst es, Leila! du.

1290
Und so verändert – ach, so sehr!

Mein Auge sieht – mein Arm ist leer.
Doch mag dein Reiz auch kalt nun sein
Schließt nur der Arm mein Alles ein,
Und wär’ es nur für ewig mein!

[172]
1295
Doch ach! nur Luft ist’s, was er hält –

Zurück zur öden Brust er fällt. –
Doch – ich seh’noch sie schweigend steh’n,
Und winkend mit den Händen fleh’n!
Helldunkles Aug’! geflocht’nes Haar!

1300
Sie ist nicht todt – es ist nicht wahr!

Doch er ist todt! Ich sah im Thal,
Dort, wo er fiel, sein Grab, sein Mal.
Er steigt nicht aus der Erde Nacht,
Er kann nicht – wie bist du erwacht?

1305
Sie sagten, Wogen rollen wild

Hin über dein geliebtes Bild;
Sie sagten – ach! es klingt so graus,
Die Zunge spricht es nimmer aus –
Ist’s wahr? du flohst die Meeresschlucht

1310
Hast dir ein still’res Grab gesucht?

O! streichle mir mit feuchter Hand
Die Stirne – dann verlischt der Brand;
Mein hoffnungsloses Herz berüh’r!
Ob lebend, ob als Schatten hier –

1315
Erbarm’ dich – scheide nicht von mir!

Ach! oder laß’ uns weiter flieh’n,
Als Winde weh’n und Wasser zieh’n!“
– – – – – – – –

     „So ist mein Name, meine Beicht;
Verschwieg’nes Ohr, mit leisem Hauch

1320
Hat so mein Jammerloos erreicht.

Dank für die edle Thräne auch,
[173] Die nie mein Auge mehr beschlich!
Zu schlichten Todten lege mich,

1325
Und nur ein Kreuz erhebe sich,

Das Name nicht, noch Sinnbild hat,
Daß nicht des Fremdlings Neugier naht,
Des Pilgers Schritt verweilt am Pfad.“
Er schied. Zu Name und Geschlecht

1330
Führt keine and’re Spur zurecht,

Als was der Mönch nicht sagen mag
Von seiner Beicht am Sterbetag.
Was kund nur, kann dies Bruchstück sagen:
Wen er geliebt, und wen erschlagen.[43]


[174]

Anmerkungen.
  1. Ein Grab auf den Felsen des Felsen des Vorgebirgs, von Einigen für die Grabstätte des Themistokles gehalten.
  2. Die Liebe der Nachtigall zur Rose ist eine wohlbekannte persische Fabel. Wenn ich nicht irre, so ist „der Bulbul der tausend Märchen“ eine ihrer Benennungen.
  3. Die Guitarre ist bei Nacht die beständige Unterhaltung des griechischen Seefahrers; bei stetig günstigem Winde und während einer Windstille ist sie immer von Gesang, und oft von Tanz begleitet.
  4. „Ja aber sterben, geh’n wer weiß wohin,
    Liegen in der Erstarrung Frost.“
         Shakespeare’s Maß für Maß: Act 3. Scene 2.
  5. Ich glaube, daß wenige meiner Leser jemals Gelegenheit gehabt haben, das bezeugen zu können, was hier zu beschreiben versucht worden ist: doch diejenigen, welche sie gehabt haben, werden wahrscheinlich eine schmerzliche Erinnerung an jene eigene Schönheit behalten, welche, mit seltenen Ausnahmen, die Züge des Todten wenige Stunden, doch auch nur wenige Stunden nachher, wenn der Geist nicht mehr da ist, einnimmt. Es ist zu bemerken, daß beim gewaltsamen Tod durch Schußwunden der Ausdruck allzeit der des Schmachtens ist, wie auch immer die natürliche Charakterenergie der Leidenden war; im Tod durch den Dolch aber behält die Geberde den Zug voll Gefühl oder Grimm, und die letzte Richtung des Gemüths.
  6. Athen ist das Eigenthum des Kislar-Aga, des Sklaven des Serails und Hüters der Weiber, welchen der Woywode ernennt. Ein Kuppler und Eunuch – dies sind nicht seine, aber wahre Benennungen – ist nur ein Statthalter des Statthalters von Athen.
  7. [175] Giaur, Ungläubiger
  8. Tophaike, Flinte des Bairam, wird durch Kanonenschüsse bei Sonnenuntergang angesagt; die Beleuchtung der Moscheen und das Feuer aus jeder Art scharf geladener Kleingewehre verkünden ihn während der Nacht.
  9. Dscheried oder Dscherrid, ein stumpfer türkischer Wurffspieß, welcher zu Pferd mit großer Kraft und Genauigkeit geschleudert wird. Es ist eine Lieblingsübung der Muselmänner; doch weiß ich nicht, ob sie eine männliche genannt werden kann, da die Gewandtesten in dieser Kunst die schwarzen Eunuchen von Konstantinopel sind. Mich dünkt, nächst diesen war ein Mameluk in Smyrna der Geschickteste von denen, die ich selbst beobachtete.
  10. Simum, der Sturm, der Wüste, jedem lebenden Wesen verderblich, und oft erwähnt in der Poesie des Orients.
  11. Theil zu nehmen am Mahle, Brod und Salz zu brechen mit seinem Wirthe, verbürgt die Sicherheit des Gastes, sogar eines Feindes; seine Person ist von diesem Augenblicke an geheiligt.
  12. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß Mildthätigkeit und Gastlichkeit die ersten Pflichten sind, welche Mohammed einschärft, und die Wahrheit zu sagen, sie werden sehr häufig von seinen Bekennern ausgeübt. Das erste Lob, welches einem Oberhaupte ertheilt werden kann, ist eine Anpreisung seiner Wohlthätigkeit, das nächste seiner Tapferkeit.
  13. Der Atagan, ein langer Dolch, wird mit den Pistolen im Gürtel getragen, in einer Scheide von Metall, gewöhnlich von Silber, bei den Reichern vergoldet oder golden.
  14. Grün ist die privilegirte Farbe der zahlreichen vorgeblichen Nachkommen des Propheten, mit dieser, wie hier, scheint der Glaube (das Familien-Erbtheil) die Nothwendigkeit guter Werke aufgehoben zu haben; sie sind die schlechtesten einer sehr gleichgiltigen Brut.
  15. „Salam aleikom! aleikom salam!“ Friede sei mit Euch! mit Euch sei Friede! – die Begrüßung, welche dem Rechtgläubigen vorbehalten ist; für einen Christen sind: „Urlarula!“ Glückliche Reise! oder „Saban hiresem! saban serula!“ Guten Morgen! [176] Guten Abend! und zuweilen: Möge Euer Ende glücklich sein! die gebräuchlichsten Begrüßungen.
  16. Der blauflügelige Schmetterling in Kaschemir, der seltenste und schönste aller Gattungen.
  17. Anspielung auf den zweifelhaften Selbstmord des Skorpions, wenn er von zartfühlenden Philosophen zum Versuche in solche Lage gebracht wird. Einige behaupten, daß die Richtung des Stachels, gegen den Kopf gewendet, blos eine krampfhafte Bewegung sei; Andere aber haben wirklich gestimmt für „Felo de se.“ Die Skorpione sind gewiß für schnelle Entscheidung dieser Frage interessiert, da es ihnen, wenn sie einmal förmlich als Insekten-Catos anerkannt sind, wahrscheinlich erlaubt werden wird, so lange zu leben, als sie es gehörig erachten, ohne um einer Hypothese willen gemartert zu werden.
  18. Die Kanonenschüsse bei Sonnenuntergang schließen den Ramazan. (Siehe Anmerkung 8.)
  19. Phingari, der Mond.
  20. Der berühmte fabelhafte Rubin des Sultans: Dschemschid, des Verschönerers von Istakar, seines Glanzes wegen: Schebgerag, „die Fackel der Nacht,“ auch „der Becher der Sonne“ genannt.
  21. Al-Sirath – die Brücke – schmäler als der Faden einer ausgehungerten Spinne – über welche die Muselmänner in das Paradies glitschen müssen, zu welchem sie der einzige Zugang ist. Doch dies ist nicht das Aergste. Der Strom darunter ist die Hölle selbst, in welche, wie zu erwarten, die Ungeschicktesten und unsicher Tretenden mit einem „facilis descensus averni“ hinabtaumeln, zu nicht sehr erfreulichem Anblick der Nachfolgenden. Für Juden und Christen giebt’s einen kürzern Weg hinunter.
  22. Allgemeiner Irrthum. Der Koran verwilligt wenigstens ein Drittheil des Paradieses den Frauen von guter Aufführung; aber die bei weitem größere Zahl der Muselmänner erklärt den Text auf ihre eigene Weise, und schließt ihre Hälften vom Paradiese aus. Als Feinde alles Platonischen können sie nichts Angenehmes an den Seelen des andern Geschlechtes finden, welche sie als den Huris nachgesetzt betrachten.
  23. [177] Ein orientalisches Gleichniß, welches, obwol ein gut angebrachtes Plagiat, dennoch „plus arabe qu’en Arabie“ scheinen mag.
  24. Hyacinthenfarbig, im Arabischen „Sunbul,“ ein eben so gebräuchlicher Gedanke in orientalischen Dichtern, wie er es unter den Griechen war.
  25. Frangestan, Tscherkassien.
  26. „Bismilla!“ Im Namen Gottes! (Der Anfang aller Capitel des Korans, eines ausgenommen, des Gebetes und der Danksagung).
  27. Eine nicht ungewöhnliche Erscheinung bei einem zornigen Muselmanne. Im Jahre 1809 wurden die Bärte des Capitan Pascha bei einer diplomatischen Audienz zum Schrecken aller Dragomane vor Zorn nicht weniger lebendig als bei einer Tigerkatze. Die fürchterlichen Bärte kräuselten sich, sie standen von selbst aufgerichtet, und man erwartete jeden Augenblick, daß sie auch ihre Farben verändern würden; aber endlich sanken sie wieder beruhigt herab, welches wahrscheinlich mehr Köpfe errettete, als sie Haare enthielten.
  28. Aman, Quartier, Pardon.
  29. Der arge Blick, ein in der Levante gewöhnlicher Aberglaube, dessen eingebildete Wirksamkeit sich jedoch sattsam an denen äußert, welche davon ergriffen werden.
  30. Palampor, der geblümte Shawl, meistens von Personen von Rang getragen.
  31. Der Kalpak ist die starke Kappe, oder der innere Theil der Kopfbekleidung; der Shawl ist um ihn gewunden und bildet den Turban.
  32. Der Turban, der Pfeiler und der inschriftliche Vers verzieren die Gräber der Osmanen, im Begräbnißplatz wie in der Wildniß. In den Gebirgen geht man oft an ähnlichen Memento’s vorüber, und auf Nachfrage wird man belehrt, daß sie an Opfer des Aufruhrs, der Ausraubung oder der Rache erinnern.
  33. „Alla hu!“ Die Schlußworte des Rufes zum Gebet, den der Muezzin an der Außenseite des Minarets von der höchsten [178] Gallerie herab erschallen läßt. An einem stillen Abende, wenn der Muezzin eine angenehme Stimme hat, wie dies meistens der Fall ist, ist die Wirkung weit feierlicher und schöner als die aller Glocken des Christendoms.
  34. Folgendes ist ein Theil eines Schlachtgesanges der Türken: „Ich sehe – ich sehe ein dunkelaugiges Mädchen des Paradieses! Sie weht mit einem Tuche und ruft laut: Komm! küsse mich! denn ich liebe dich!“ u. s. w.
  35. Monkir und Nekir sind die Todtenrichter, von welchen der Leichnam eine kurze Prüfung und vorbereitende Einübung zur Verdammniß zu bestehen hat. Wenn die Antworten nicht entsprechen, so wird er mit einer Sense emporgerissen, und mit einer glühendrothen Keule wieder gestampft, bis er gehörig bearbeitet ist, was mit andern mithelfenden Prüfungen abwechselt. Das Amt dieser Engel ist kein Mußeamt; es sind ihrer nur zwei, und da die Anzahl der orthodox Verstorbenen nur in geringem Verhältniß zu allen übrigen steht, so haben ihre Hände immer vollauf zu thun.
  36. Eblis, der orientalische Fürst der Finsterniß.
  37. Der Vampyr-Aberglaube ist noch allgemein in der Levante. Der ehrliche Tournefort erzählt eine lange Geschichte davon, welche Southey in den Anmerkungen zu Thalaba für diese „Broukolochas,“ wie er sie nennt, anführt. Die romanische Benennung ist „Bardoulacho.“ Ich erinnere mich einer ganzen Familie, welche durch das Gekreisch eines Kindes erschreckt, glaubte, daß dies von einem solchen Besuche herrühren müsse. Die Griechen erwähnen dies Wort nie ohne Schauder. Ich finde, daß „Broukolochas“ die echte alte hellenische Benennung ist; wenigstens ward sie so oft auf Arsenius angewendet, welcher nach Meinung der Griechen nach seinem Tode vom Teufel belebt wurde. Die neuen jedoch bedienen sich des oben erwähnten Wortes.
  38. Die Frische des Angesichts und das Triefen der Lippe von Blut sind die nie trügenden Kennzeichen eines Vampyrs. Die Geschichten, welche man in Ungarn und Griechenland von diesen scheußlichen Fressern erzählt, sind sehr seltsam, und einige davon höchst unglaublich beglaubigt.
  39. [179] Der Pelikan, wie ich glaube, ist der Vogel, welchen man mit dieser Benennung schmäht, weil man von ihm glaubt, daß er die Jungen mit seinem Blute nähre.
  40. Dieser Aberglaube eines Vorherhörens (denn nie traf ich auf ein offenbares Vorhersehen im Oriente) gerieth einmal unter meine eigene Beobachtung. Auf meiner dritten Reise zum Cap Kolonna, im Frühjahre 1811, bemerkte ich, als wir den Hohlweg passirten, der von dem Flecken zwischen Keratia und Kolonna sich hinzieht, daß der Derwisch Tahiri abseits vom Pfade ritt, und seinen Kopf wie besorgt auf die Hand stützte. – Ich ritt hin, und fragte ihn. – „Wir sind in Gefahr!“ antwortete er. – Was Gefahr! wir sind jetzt nicht in Albanien, noch in den Pässen von Ephesus, Messalunghi oder Lepanto; wir sind stark genug und wohl bewaffnet, und die Choriaten haben nicht den Muth, Räuber zu sein. – „Das ist wahr, Effendi! aber dem ungeachtet klingt mir der Schuß in den Ohren.“ – Der Schuß? nicht eine Topheike wurde diesen Morgen abgefeuert. – „Aber ich höre ihn doch – bum! bum! – so deutlich, wie ich Eure Stimme höre.“ – Pah! – „Wie es Euch gefällt, Effendi! Ist es geschrieben, so wird es geschehen.“ – Ich verließ den feinhörenden Vorhersager und ritt zu Basili, seinem christlichen Landsmanne, dessen Ohren obwohl nicht im Mindesten prophetisch, keineswegs diese Nachricht vergnügte. Wir Alle kamen in Kolonna an, verweilten dort einige Stunden und kehrten gemächlich zurück, mancherlei witzige Bemerkungen über den verkannten Seher machend in mehr Sprachen, als den Thurmbau Babels zerstörten. Romanisch, arnautisch, türkisch, italienisch und englisch; Alles wurde gebraucht zu verschiedenen Einfällen über den unglücklichen Muselmann. Während wir uns in die herrliche Aussicht betrachtend verloren, war der Derwisch bei den Säulen beschäftigt. Ich glaubte ihn in einen Alterthumforscher verwandelt und fragte ihn, ob er ein Palaskastro-Mann geworden sei. „Nein,“ sagte er, „aber diese Säulen sind sehr anwendbar als Standpunkt zur Vertheidigung,“ wozu er noch andere Bemerkungen fügte, welche wenigstens seinen eigenen Glauben an sein leidiges Vermögen des Vorherhörens bewiesen. Bei unserer Rückkehr nach Athen hörten wir von [180] Leone, einem einige Tage nachher an’s Land gesetzten Gefangenen, den beabsichtigten Angriff der Mainoten, welcher mit der Ursache, warum er nicht Statt fand, in den Anmerkungen zum Childe Herold, Gesang 2, erwähnt wird. Ich war bemüht, den Mann auszufragen, und er beschrieb Kleidung, Waffen und Abzeichen der Pferde so genau, daß wir, da noch andere Umstände dazu kamen, nicht zweifeln konnten, er sei in spitzbübischer Gesellschaft und wir seien in übler Nachbarschaft gewesen. Der Derwisch galt nun sein Lebelang als Wahrsager, und ich darf sagen, daß er jetzt mehr Musketen hört, als je abgefeuert werden sollen, zu großem Ergötzen der Arnauten von Berat und seiner himmlischen Berge. Ich erwähne noch einen Zug von dieser gewöhnlichen Menschengattung. Im März 1811 kam ein ausgezeichnet herzhafter und thätiger Arnaute (ich glaube der fünfzigste mit dem nämlichen Antrage), sich als Bedienter anzubieten, welches abgelehnt wurde. „Wohl Effendi!“ sprach er; „möget Ihr leben! Ihr würdet mich brauchbar gefunden haben. Morgen gehe ich aus der Stadt in die Berge; im Winter kehre ich zurück; vielleicht werdet Ihr mich dann annehmen.“ Der Derwisch, welcher gegenwärtig war, bemerkte, als gewöhnlich und nicht von Folgen: „Er wird indessen zu den Klephten (Räubern) stoßen;“ welches buchstäblich wahr gewesen. – Werden sie nicht ausgerottet, so kommen sie im Winter herab, und leben unbelästigt in irgend einer Stadt, wo sie oft eben so bekannt sind, wie ihre Thaten.
  41. Des Mönchs Predigt ist weggelassen. Es scheint, sie habe so wenig Wirkung auf den Kranken hervorgebracht, daß sie sich auch bei dem Leser nicht viel Hoffnung machen könnte. Es sei genug zu sagen, daß sie von hergebrachter Länge war (wie aus den Unterbrechungen und dem Mißbehagen des Sünders zu entnehmen ist), und in dem näselnden Tone aller orthodoxen Prediger vorgetragen wurde.
  42. Symar, Leichenhemd, Leichenkleid.
  43. Der Vorfall, auf welchen sich diese Erzählung bezieht, ist keiner von den ungewöhnlichen in der Türkei. Vor wenigen Jahren beklagte sich die Gemahlin des Muchtar Pascha bei ihrem Vater über seines Sohnes vermeintliche Untreue; er fragte, mit wem? [181] und sie hatte die Grausamkeit, ihm ein Verzeichniß von zwölf der schönsten Frauen in Janina zu übergeben. Diese wurden ergriffen, in Säcke gebunden, und in derselben Nacht in die See geworfen. Eine von den Wachen, die dabei gegenwärtig war, erzählte mir, daß keines der Opfer einen Schrei ausstieß, oder ein Merkmal der Angst zeigte bei einem so plötzlichen Losreißen von Allem, was wir kennen – von Allem, was wir lieben. Das Schicksal Phrosinens, des schönsten dieser Opfer, ist der Gegenstand manches romanischen und arnautischen Liedes. Die Geschichte dieses Bruchstückes wurde vor mehreren Jahren als die eines jungen Venetianers erzählt, und ist jetzt beinahe vergessen. Ich hörte sie zufällig von einem Kaffeehaus-Geschichtenerzähler vortragen, deren es unzählige in der Levante giebt, und die ihre Geschichten entweder singen oder erzählen. Die Zusätze und Einschübe des Uebersetzers werden sich von dem Uebrigen durch den Mangel an orientalischer Bildlichkeit nicht unterscheiden lassen; und ich bedaure blos, daß mein Gedächtniß nur so wenig Fragmente des Originals behielt.

Den Inhalt einiger Anmerkungen verdanke ich zum Theile Herbelot, und theils jener wahrhaft orientalischen, und, wie Weber sie mit Recht nennt, erhabenen Erzählung „Kaliph Bathek.“ Ich weiß nicht, aus welcher Quelle der Verfasser dieses einzigen Buches seine Materialien geschöpft haben mag; einige seiner Ereignisse sind in der „Bibliothèque Orientale“ zu finden; aber in Richtigkeit des Costümes, Schönheit der Beschreibung und Gewalt der Einbildungskraft übertrifft es weit alle europäischen Nachahmungen, und trägt solche Merkmale der Originalität, daß diejenigen, welchen den Orient besuchten, schwer glauben werden, daß es mehr als eine Uebersetzung sei. Als orientalische Erzählung muß auch Rasselas sich vor ihm beugen; sein „glückliches Thal“ hält keinen Vergleich aus mit „Eblis Halle.“



  1. Gebröckel, in der Schweiz üblich.
  2. Der Parnaß.