Der Geschichtsunterricht für Frauen und Mädchen

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Titel: Der Geschichtsunterricht für Frauen und Mädchen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 87–88
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[87] Der Geschichtsunterricht für Frauen und Mädchen.[1] Wenn man die Prospecte, Programme, Stundenpläne so mancher unserer weiblichen Erziehungsanstalten, „Höheren Töchterschulen“, Cyclen für Frauen und Mädchen etc. ansieht, so sollte man meinen, die dort gebildeten jungen Damen müßten förmliche kleine Geschichtsprofessoren werden, müßten in Rom und Athen, ja, in Babylon und Indien ebenso zu Hause sein wie in Deutschland, in den ältesten und urältesten Zeiten ebenso gut wie in der Gegenwart. Wer freilich Gelegenheit hat, genau zu verfolgen was selbst von dem Geschichtsunterricht auf höheren Schulen für die männliche Jugend bei einem großen Theil der Zöglinge zu bleibendem Gewinne für’s Leben aufbewahrt wird, wie viel dagegen gänzlich aus dem Gedächtniß schwindet oder nur in verschwommenen Umrissen hin- und herflattert, wer dies beobachtet hat, der wird zu jenen Prospecten, Programme, Lehrplänen, ja auch zu den Jahresprüfungen solcher Anstalten mit ihren oft so brillanten Resultaten doch nur ungläubig den Kopf schütteln, und die armen Mädchen beklagen, in deren Köpfe so viel hinein gepfropft wird, lediglich um wieder daraus zu entschlüpfen oder sich zu verflüchtigen.

„Die Geschichte der vielen Völkerschaften des Alterthums, des Mittelalters, der Neuzeit“ – so spricht sich ein Fachkundiger, der Culturhistoriker Prof. K. Biedermann, in der neuen Auflage seines „Frauenbrevier, culturgeschichtliche Vorlesungen für Frauen“, über dieses wichtige Thema aus – „diese Geschichte mit ihrer unendlichen Menge von Namen und Daten, von Kriegen und Schlachten, von Friedensschlüssen und Verträgen, von Königen, Feldherren und Staatsmännern, von Revolutionen oder Reformen ihrer inneren Zustände etc. – diese ganze ungeheure Masse geschichtlichen Stoffes in sich aufzunehmen, zu verarbeiten und in klarem, wohlgeordnetem Bilde festzuhalten, ist selbst von den Männern, soweit es nicht zu ihrem Berufe gehört, nur wenigen möglich, geschweige denn Frauen und Mädchen. Nur durch die strengste Beschränkung auf das Allerwichtigste und damit zugleich auf dasjenige Maß des Erfassens und Verarbeitens, welches allein von Frauen und Mädchen erwartet werden darf, kann möglicher Weise erreicht werden, daß das Mitgetheilte zu bleibendem Nutzen aufbewahrt werde.“

„Unserem Herzensinteresse“, fährt Biedermannn fort, „und somit auch unserer thätigen Antheilnahme steht jedenfalls die Neuzeit näher, als eine weit abliegende Vergangenheit, das Vaterland näher, als das Ausland. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß nicht vom allgemein menschlichen Standpunkte aus – und dieser ist in der Regel vorzugsweise [88] derjenige der Frauen – manche Vorgänge und manche hervorragende Persönlichkeiten der alten oder mittelalterlichen Geschichte ebenso warme und lebhafte Sympathien einflößen können, wie solche der neueren Zeiten. Glücklicher Weise kommt, wenn es gilt, aus der älteren Geschichte dasjenige auszuwählen, was auch von Frauen erfaßt und aufbewahrt zu werden verdient, der Wissenschaft die Kunst zu Hülfe, die bildende wie die Dichtkunst. Ihr erhabener Beruf ist es ja, aus allen Zeiten dasjenige durch ihre verklärenden Schilderungen herauszuheben und zu verewigen, was mehr als eine blos zeitliche, vorübergehende, was eine bleibende, weil allgemein menschliche Bedeutung hat. Wenn sie daher aus der früheren Geschichte (soweit es nicht die unseres eigenen Vaterlandes ist) vorzugsweise das zu bleibendem Besitz sich anzueignen suchen, was Gegenstand entweder der bildenden oder der Dichtkunst geworden ist, so werden sie im Ganzen nicht irre gehen.“

Vor nun fünfundzwanzig Jahren veranstalteten zwei Leipziger Gelehrte, der verewigte getreue Mitarbeiter der „Gartenlaube“, Professor Bock und Professor K. Biedermann, gemeinsam einen Cyclus von Vorlesungen für Frauen und Mädchen – damals noch etwas ganz Neues. Bock sprach über Diätetik und Körperpflege, besonders auch der Kinder, Biedermann über Frauenbildung und was dazu gehört. Der Inhalt dieser damals vor nahezu dreihundert Frauen und Mädchen gehaltenen Vorträge findet sich theilweise aufbewahrt in dem bekannten, vielverbreiteten Buche von Bock „Das Buch vom gesunden und kranken Menschen“ (Leipzig, Ernst Keil) und in dem von Biedermann herausgegebenen „Frauenbrevier“ (Leipzig, J. J. Weber). Ersteres ist seitdem oftmals wieder aufgelegt worden, letzteres war gleichfalls rasch vergriffen, allein der Verfasser, mit andern Arbeiten beschäftigt, fand lange keine Zeit zu der nöthigen Umarbeitung.

Jetzt ist eine neue Auflage des „Frauenbrevier“ erschienen, und zwar eine wesentlich veränderte und verbesserte. Insbesondere hat der Verfasser gewisse Materien, welche gebildeten Frauen und Mädchen nicht ganz fremd bleiben dürfen und deren Verständniß gleichwohl für solche nicht ganz leicht ist, z. B. die sociale Frage und Aehnliches, in zweckentsprechender Weise behandelt. Neu ist insbesondere darin auch die Behandlung der Geschichte. Biedermann hat aus der alten und neuen Geschichte Das herausgehoben, was gebildeten Frauen nicht unbekannt sein sollte, was sie aber auch recht wohl fassen und behalten können, wenn sie übrigens mit dem Ballast von Namen und Zahlen verschont werden, womit man nur zu oft in Mädcheninstituten und sonst die jungen Köpfe überfüllt, ohne daß viel davon haften bleibt. Ferner ist, was hier aus der Geschichte hervorgehoben wird, so weit möglich, mit bildlichen oder dichterischen Darstellungen solcher Geschichtsstoffe dergestalt in Verbindung gebracht, daß Bild oder Dichtung dem Geschichtsstoffe, und umgekehrt dieser jenem zur Erläuterung und gleichsam Führung dient.


  1. Haben wir in den letzten Jahren die Besprechung literarischer Erzeugnisse grundsätzlich aus dem Rahmen unseres Feuilletons („Blätter und Blüthen“) ausgeschlossen, so modificiren wir, von inneren Rücksichten gedrängt, unser Princip nunmehr dahin, daß wir fortan von den hervorragenderen wissenschaftlichen Erscheinungen des Büchermarkts in zwangloser Weise Notiz nehmen werden, während die Kritik der rein belletristischen Novitäten nach wie vor hier keinen Platz finden kann.
    D. Red.