Textdaten
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Autor: Rudolf Kleinpaul
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Titel: Der Druckfehlerteufel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 596, 598
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Druckfehlerteufel.

Von Rudolf Kleinpaul.


Als Lucifer, der Engel des Lichts, gefallen war, schleuderte ihn der heilige Michael mit solcher Gewalt in die Luft, daß sein Körper zerschellte und seine Glieder nach allen Weltgegenden flogen. Sie erzeugten dort die Laster, welche für einzelne Völker charakteristisch sind.

Aber zugleich mit dem alten Drachen, der die Welt verführt, wurden auch alle seine Engel ausgeworfen. Denen nützte ihre zwerghafte Figur, sie gingen nicht entzwei, sondern kamen ganz auf der Erde an, wo sie behend in engere Kreise des menschlichen Lebens schlüpften. Unzählbar sind die Namen und die Elemente dieser häßlichen Kobolde. Der eine fuhr in die Destillationen: das war der Branntweinteufel. Der andere fuhr in die Spielhöllen: das war der Spielteufel. Und so entstanden die Waldteufel, die Krautteufel, die Grenzteufel, die Kriegsteufel, die Theaterteufel. Endlich fuhr auch einer in die Officinen, wo man die Bücher druckt: das war der sogenannte Druckfehlerteufel.

Letzterer ist ein seltsames Exemplar von einem Kobold; Johannes Fust mag ihn vor vierhundert Jahren zu Mainz hereingelassen haben. Sein Thron ist der Setzkasten in der Druckerei; sein Narr der Setzer, und sein Opfer der Schriftsteller. Die Sünde begeht der Setzer; den Schaden hat der Autor, dem durch den Druckfehlerteufel oft seine besten Gedanken zu nichte gemacht werden. Die Druckerei als solche kann am wenigsten dafür. Man sagt Druckfehler; man sollte sagen Satzfehler. Denn der Fehler liegt nicht im Drucken, sondern im Setzen.

Eine elementare Bekanntschaft mit der edlen Buchdruckerkunst darf ich bei meinen Lesern wohl voraussetzen. Zunächst ist ein Original da, das ist das Manuskript des Autors. Dieses Original wird vom Setzer nicht sowohl kopirt, als vielmehr in ein zweites Original verwandelt, welches abgedruckt werden kann. Der Setzer schreibt das Manuskript gleichsam noch einmal in Blei. Vor ihm steht ein Kasten, der eine Anzahl Fächer enthält: in diesen Fächern liegen (nicht in der Reihenfolge des Alphabets, sondern ihrem Verbrauch entsprechend) die Buchstaben oder Typen. Der Setzer greift in den Kasten hinein, erfaßt einen Buchstaben und setzt einen nach dem anderen in den sogenannten Winkelhaken; zwischen die Worte kommt ein kürzeres Bleistück, der sogenannte Ausschluß. So geht es fort, bis die Zeile, das heißt, die Formatbreite des Winkelhakens voll ist. Nun beginnt der Druckfehlerteufel sein Spiel.

Das Nächste ist, daß er das Auge des Setzers trübt und die Hand, welche die Signatur des Buchstabens untersucht, muthwillig irreführt. Wenn ein Buchstabe verkehrt steht (K), wenn die Letter mit dem Fuße druckt, was der Buchdrucker „Fliegenkopf“ O nennt, wenn sich der Ausschluß in die Höhe gezogen hat und ein „Spieß“ (D) zum Vorschein kommt, so ist das ein Geringes. Die Gefahr liegt darin, daß ein Buchstabe für den anderen gesetzt, daß ein Buchstabe weggelassen oder eingefügt wird. Bedenkt man, wie oft ein einziger Buchstabe, ein einziges Komma, ein einziger Strich den Sinn verändern kann, so wird man auch die Verheerungen errathen, welche ein unordentlicher Setzer im Satz anrichten kann. Mit Leichtigkeit verwandelt er ein „Mahnwort“ in ein „Wahnwort“, ein „Rothbuch“ in ein „Nothbuch“, eine „Flugschrift“ in eine „Fluchschrift“ und eine gesetzmäßig „deliberirende“ Versammlung in eine „delirirende“. Er läßt Polen in voller „Monarchie“ statt „Anarchie“ begriffen sein; er wittert in der „empirischen“ eine „empörerische“ Wissenschaft und die „kantische“ Philosophie ist ihm eine „komische“ Philosophie. In einer großen Schiller-Ausgabe ist das Leben der Güter höchstes „Licht“; in einer Reisebeschreibung glühen die Damen wie „Matrosen“, in einem Staatshandbuch nimmt der Adel Antheil an den „Lastern“ des Staates – ich will dem Leser das Vergnügen lassen, in den drei letzten Fällen das Richtige, es ist nur ein einziger Buchstabe zu verändern, selber zu errathen. Ja, war nicht einmal Oesterreich reich an „Paradeochsen“ statt an „Paradoxen“, „Landtag“ ein „Langtag“, die „Generalversammlung“ eine „Greuelversammlung“, die „Preßfreiheit“ eine „Freßfreiheit“ und der „Purismus“ ein „Puerismus“? – Es kommt unserem Setzer nicht darauf an, aus einem „ehelosen“ Leben ein „ehrloses“, aus einem „asthmatischen“ Zustand einen „ästhetischen“, aus der „südlichen“ Halbkugel eine „sündliche“ und aus einem „sechsstündigen“ Waffenstillstand einen „sechspfündigen“ zu machen; wie der rasende Herkules wirft er Alles über den Haufen, daß zuguterletzt der „schafsinnige Ritter Don Quixote“ und in Schiller’s Maria Stuart statt der „Armen Marie“ eine „Anne Marie“ dasteht – und das Alles, wenn den Unglückseligen der Druckfehlerteufel plagt.

Kann er dabei gerade eine recht schöne Stelle verhunzen und dem Dichter das Strahlende schwärzen, so freut sich der Teufel boshaft. Uhland begann (1815) die Widmung seiner Gedichte mit folgenden Zeilen:

„Lieder sind wir; unser Vater
Schickt uns in die weite Welt.“

Was glaubt man wohl, daß der Druckfehlerteufel that? Den zweiten Buchstaben wußte er wegzuprakticiren! – Uhland konnte, so gutmüthig er war, eine Anspielung auf diesen Streich zeitlebens nicht vertragen.

Aber, wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen, und die Wittwe Schäfer, die ein Gedicht auf ihren seligen Mann verfaßte und darin klagte:

„Ach! Schäfer liebt’ ich nur! –“

[598] aber, da das Ausrufungszeichen für ein t genommen worden war, gedruckt bekam:

„Acht Schäfer liebt’ ich nur! – “

soll mit großen Augen angesehen worden sein.

Einen Druckfehler der heitersten Art enthält ein kürzlich erschienenes französisches Werk über den Wahnsinn. Der Verfasser, ein namhafter Arzt, hatte dasselbe mit einigen längeren Citaten geschlossen und schrieb, da die Stellen ohne Anführungszeichen gesetzt worden waren, an den Rand des Bogens; pour finir, il faut guillemeter tous les alinéas, d. h. man versehe alle Abschnitte mit Anführungs- und Schlußzeichen. Und der Autor that einen tiefen Athemzug, denn das Werk war fertig. Das Buch wird schnell ausgedruckt, sofort geheftet und versandt. Der Verfasser bekommt seine Freiexemplare, aber, wie er sich beim Durchblättern die letzte Seite ansieht, weiß er nicht, ob er lachen oder ob er weinen soll. Man hatte die Randnotiz für einen Manuskriptsatz gehalten und zur Schlußzeile der gelehrten Arbeit erhoben; nicht genug, man hatte etwas Groteskes daraus gemacht. Es stand zu lesen: Pour finir, il faut guillotiner tous les aliénés, d. h. um es kurz herauszusagen, alle Geisteskranken müssen guillotinirt werden.

Schon aus diesen Beispielen wird man merken, daß sich der Druckfehlerteufel nicht damit begnügt, die Sinne des Setzers zu verwirren; er sucht ihm Leib und Seele zu verderben. Er macht den Setzer hochmüthig – das alte Laster! Wie die Schlange redet er ihm zu: bist du nicht klüger als der Autor, wissend, was gut und böse ist? Auf, liebe Seele, hilf nach, wo es nöthig ist, wir wollen’s besser machen! – Ein charakteristischer Fall dieser Art sei hier erwähnt. Albrecht schreibt über Hahnemann’s Leben und Wirken und mit Rücksicht darauf, daß er die Fürstenschule zu St. Afra in Meißen besucht hat: Hahnemann, der Afraner. Der Korrekturbogen kommt an; gesetzt ist: Hahnemann, der Afrikaner. Albrecht streicht also das ik durch und setzt sein Deleatur, das bekannte Zeichen (????.) an den Rand, welches dem Setzer andeutet, daß die betreffenden Buchstaben wegfallen sollen. Die Revision kommt an; aber die Korrektur ist nicht ausgeführt, es steht immer noch zu lesen: Hahnemann, der Afrikaner. Unwillig streicht Albrecht das ik noch einmal, und zu besserem Verständniß schreibt er: Afraner!! an den Rand. Bald darauf erhält er den Reindruck. Das Afrikaner ist nicht geändert worden. Der Autor ist außer sich: er läuft in die Druckerei, er setzt den Faktor zur Rede, er ruft Himmel und Erde zu Zeugen dieses Ungehorsams an. Der Setzer wird citirt; er schüttelt sein weises Haupt als ein Gerechter. „Aber meine Herren,“ sagt er, „ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Es heißt doch: Amerika, der Amerikaner. So muß es doch auch heißen: Afrika, der Afrikaner!“ – Man hörte den Druckfehlerteufel in einem Winkel kichern.

Auf diese Weise entstehen die willkürlichen Druckfehler, die häufiger sein dürften als die unwillkürlichen, zumal die Maschine der Hand ziemlich regelmäßig arbeitet, aber beim Lesen, vollends undeutlicher Handschriften, die Phantasie mit dem Setzer durchgeht, wie sie mit dem Universitätsbuchbinder in Jena durchging, der eine Eingabe an „Einen Hohen Illustrirten Senat“ machte. Und doch bezeichnen diese Verbesserungen noch nicht den Gipfel des setzerischen Hochmuths, denn sie erfolgen immerhin gewissermaßen in gutem Glauben; sie sind sogar zu entschuldigen, weil der Autor wirklich nicht selten Fehler macht, Fehler wie ein Schulkind, ein Wort doppelt schreibt, eine Silbe wegläßt und gegen die Rechtschreibung sündigt. Nein, seine höchsten Triumphe feiert der Druckfehlerteufel, wenn es ihm gelingt, den Setzer zu bewußten und heimtückischen Aenderungen des Textes zu verleiten. Der Mann macht sich dann seine kleinen, unerlaubten Späße. Da heißt es in der Bibel (1. Mose 3, 16) vom Weibe: „Dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein.“ Hier hat ein Setzer, der wahrscheinlich bittere Erfahrungen mit den Töchtern Eva’s gemacht hatte, „Narr“ anstatt „Herr“ gesetzt. „Und er soll dein Narr sein.“ Leider müssen wir der Wahrheit die Ehre geben und bekennen, daß sich auch die Autoren selber jezuweilen des Frevels schuldig machen, Druckfehler zu fingiren und geflissentlich etwas Falsches in den Text zu setzen, um es am Ende des Buches berichtigen zu können – eine der feinsten Bosheiten, die das bissige Litteratenthum hervorbringt; denn ihre Spitze richtet sich fast immer gegen Persönlichkeiten. Einmal wird das Gute und das gleichsam aus Versehen gespendete Lob ostentativ zurückgenommen. So ließ der französische Sprachforscher und Lexikograph Menage le docte Morel, der gelehrte Morel, drucken, woraus er die Berichtigung machte: Statt docte lies Docteur, der Doktor Morel. Nicht jeder Doktor ist gelehrt. Er nannte Morel’s Werke des délices de l'esprit, einen geistigen Hochgenuß, und verbesserte dann: des délires de l'esprit, geistige Delirien. Das andere Mal wird das Schlimme und die Injurie gedruckt und dann bedauernd zurückgenommen. Der originelle Arzt und Schriftsteller Zimmermann wurde bekanntlich in seinen letzten Lebensjahren vielfach angegriffen. Der witzige Kästner verfolgte ihn mit Druckfehlern. Er ließ drucken: „der berühmte Windarzt Zimmermann in Hannover“ und verbesserte dann: „lies Wundarzt.“ O Litteraten, Druckfehlerteufelchen in Person!

Es ist bekannt, daß gewisse Werke durch einen merkwürdigen Druckfehler selten werden und für Büchernarren einen besonderen Werth erlangen: so die oben erwähnte Bibel mit dem „Narren“. Es ist nicht minder bekannt, daß schier kein Buch ohne Druckfehler herzustellen ist: und wenn, wie das bei schwierigem Satze vorkommt, zwanzig Korrekturen gelesen, wenn, wie bei Logarithmentafeln, die aufgefundenen Druckfehler je mit zwanzig Mark honorirt werden, irgendwo hapert es doch, ohne daß es bemerkt wird; denn es ist eine physiologische Thatsache, daß wir von einem Worte gewöhnlich nur ein paar Buchstaben wirklich sehen und lesen und den Rest zu errathen pflegen, eben deßhalb übersieht der Autor die Druckfehler bei der Korrektur. Es ist endlich nicht zu leugnen, daß viele Bücher überhaupt Druckfehler sind. Aber der Teufel, der hinter dem Allen steckt, der vielleicht an mir in diesem Augenblicke, während ich mich über ihn verbreite, selber sein Müthchen kühlt, ist wahrlich kein Druckfehler, sondern der lästigste, listigste, leider Gottes zuweilen auch lustigste Plagegeist, den der Mann von der Feder kennt.