CCXXXXIV. Xeres in Spanien Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCXXXXV. Der Dürrenstein
CCXXXXVI. Constanz
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DÜRENSTEIN

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CCXXXXV. Der Dürrenstein.




Tausend Burgen krönen deutsche Höhen; aber wenige sind so herrlich, wenige so ausgezeichnet durch ihre Lage, und wenigere noch so berühmt durch ihre Schicksale, als der Dürrenstein. Wer hätte nicht von der Geschichte des Richard Löwenherz und seines treuen Blondel gehört! Scott’s Roman hat doch wohl Jeder einmal in seinem Leben gelesen. Es macht kein Reisender die Donaufahrt von Ulm nach Wien, und keiner kommt dem romantischen Dürrenstein nahe, der nicht hinauf stiege, wäre es auch nur, um sagen zu können, er habe im schauerlichen Kerkerverließe Richard’s fröhlich einen Becher geleert und von den Zinnen der thurmähnlichen Felsen den köstlichen Blick über die Gegend genossen.

Uralt ist der Dürrenstein, und wohl älter noch als die Urkunden, die seiner schon im elften Jahrhundert gedenken. Den ursprünglichen Zweck der Burg läßt ihre Lage, an einer mit großer Vorsicht zu passirenden Stelle der Donau, nahe bei Krems, leicht erkennen. Er mochte kein edlerer seyn, als jener, der so viele Stammhäuser stolzer fürstlichen und adlichen Geschlechter gegründet hat; – Fehde und Raub nährten auch die Dürrensteiner. Doch frühe, schon im 12. Jahrhundert, erlosch ihr wüstes Geschlecht. Die Güter desselben fielen, als offenes Lehn, an das herzogliche Haus Oesterreich, damals vom Babenberger Stamm. Dieses setzte Vögte auf Dürrenstein – die Hunde von Kuenering, gottlose, dreiste Kämpen, aber treue Diener ihrer fürstlichen Herren.

Herzog Leopold von Oesterreich war, im Jahr 1191, auf den Hülferuf der bedrängten Christen im heiligen Lande, zum Zweitenmale nach Palästina gezogen. Kaiser Friedrich der Erste führte selbst die Schaaren des dritten Kreuzzugs. Er war überaus zahlreich; denn der Größte wie der Kleinste, Jeder, in dem sich Heldensinn [30] mit christlichem Eifer paarte, der folgte dem allmächtigen Rufe. Theil nahmen noch viele Könige und Fürsten, unter ihnen auch Frankreichs und Englands Beherrscher, Philipp der Zweite und König Richard. – Keine spätere Zeit sah wieder eine so große Schaar von fürstlichen Helden versammelt. Der Drang nach Großthaten glühte in eines Jeden Brust; Ruhm war Aller Ziel, und im Streben darnach waren Neid und Eifersucht Allen gemein.

Richard hatte in vielen Kämpfen den Namen des Tapfersten errungen. In seiner Seele wohnte Löwenmuth, Löwenstärke in seinem Körper. War eine Feldschlacht: in den tiefsten Reihen der Feinde wehte sein Panier; galt’s zu stürmen: immer zuerst wehte Englands Fahne auf den Mauern und Wällen der Sarazenen. Im Uebermuthe der Kraft und des Glückes vermaß sich Richard gar oft, wenn’s zum Kampfe ging, den ersten, schönsten Zweig des Siegs von keinem Andern brechen zu lassen, und selten, oder nie, mißlang’s dem Könige. So hatte er auch gethan, als die Christenheere vor Ptolomais lagerten. Ein allgemeiner, letzter Sturm war eben im Rathe der versammelten Heeresfürsten beschlossen worden; da trat Richard auf und schwur, der Erste zu seyn, der das Kreuz, statt des Halbmondes, auf die feindliche Mauer pflanze. Als nun der Sturm geschah und Herzog Leopold mit den Völkern der Ostmark die Wälle zuerst erstieg und Oesterreichs Panier vor Englands von den Mauern wehte, da sprang Richard, von unwürdiger Eifersucht erfaßt, herbei und schleuderte Oesterreichs Fahne von der Zinne hinab. Leopold war tief entrüstet; aber treu dem zur Erhaltung der Einigkeit unter so vielerlei Völkern von jedem Kreuzfahrer geforderten Schwure, so lange der gemeinschaftliche Zweck ihn bände, teine persönliche Beleidigung zu rächen, unterdrückte er den gerechten Ingrimm über den erlittenen Schimpf. Doch verließ er bald darauf mit seinen Schaaren das christliche Heer und zog in seine Lande. In seiner Seele blieb der Stachel bitterer Feindschaft gegen den Löwenherz, und öffentlich hatte er geschworen, Genugthuung zu verlangen, sobald sich hierzu eine Gelegenheit bieten würde.

1192 kehrte auch Richard nach Europa zurück. Er gedachte in Venedig zu landen und über Genua und Frankreich England zu erreichen, folglich sowohl das Gebiet seines schwerbeleidigten Feindes, als auch das des Kaisers, bei welchem Herzog Leopold über den erlittenen Schimpf geklagt hatte, zu vermeiden. Angesichts Venedigs aber überfiel seine Flotte ein Sturm, viele Schiffe gingen unter. Das des Königs wurde bei Aquileja auf den Strand geworfen und mit Noth rettete Richard das nackte Leben. Verlassen und entblößt irrte er unter fremdem Namen im Lande seines Todfeindes umher und suchte die Grenze zu gewinnen. Ehe er diese jedoch erreichen konnte, fiel er den Kundschaftern Leopolds in die Hände, welche dieser ausgeschickt hatte, sobald des Löwenherz Unglück ihm zu Ohren gekommen war. Der Herzog übergab seinen königlichen Gefangenen dem Hund (Hadmar) von Kuenring, auf dessen Treue er rechnen konnte, zur Verwahrung auf dem Dürrenstein. Auf Befehl des [31] Kaisers, dem Leopold darüber berichtete, wurde Richard später nach Trifels geschafft und dort unter Aufsicht eines kaiserlichen Commissarius so lange gefangen gehalten, bis das Lösegeld bezahlt sey, welches Leopold, nach Sitte und Begriff damaliger Zeit, zu fordern ein Recht hatte. Leopold verlangte 160,000 Mark Silber, eine freilich nach damaligem Geldwerth für England unerschwingliche Summe. Im Jahre 1194 kamen Geißeln aus England, um für den König einzutreten, bis diesem, in seine Staaten zurückgekehrt, möglich sey, das Lösegeld an Oesterreich zu bezahlen. Leopold ließ hierauf den Gefangenen ziehen; ob das Geld jemals bezahlt worden ist, läßt die Geschichte zweifelhaft.

Dieß ist das Thatsächliche von der durch die Dichter vieler Jahrhunderte mit dem glänzendsten Schmucke der Romantik, freilich auf Kosten der Wahrheit, umhüllten Geschichte der Gefangenschaft Richard’s.

Als Richard’s Kerker zeigt man auf dem Dürrenstein einen viereckigten Thurm, welcher eine natürliche Felsenmasse einschließt, in deren Mitte ein tiefer, schachtähnlicher Behälter ausgehöhlt ist. Ueber seine Bestimmung als Kerker ist wohl kein Zweifel. Daß aber dem Könige Richard dieses schreckliche Verließ als Gefängniß zugewiesen worden, ist nicht wahrscheinlich. –

In der ersten Hälfte des 13ten Jahrhunderts lagen alle Verhältnisse des Reichs in Verwirrung, und auf dem Boden der Verachtung der Gesetzgeber und der Gesetze blühete das Faustrecht. Der Adel, im Besitze der Gewalt, benutzte sie, um die minder Mächtigen und Wehrlosen zu berauben und zu plündern. Keine dieser Ritter vom Stegreife trieben es aber ärger, als jene Kuenringe, welche von ihren Felsennestern Aggstein und Dürrenstein, an der Spitze ihrer Reisigen, das Land durchzogen, Städte und Dörfer brandschatzten, die Reisenden beraubten, schweres Geleit und unerschwingliche Zölle von den Donauschiffern erpreßten und, übermüthig geworden durch den zusammen-gestohlenen Reichthum, sich am Ende selbst an den Gütern ihres nächsten Lehnsherrn vergriffen. Da öffnete Herzog Friedrich den Landesklagen das Ohr. Er, der letzte des Babenbergischen Stammes, zog mit Heeresmacht gegen die frechen Diebe, bezwang ihre Burgen, zerbrach deren Werke und verhing harte, körperliche Strafe über die Verbrecher. Doch ließ er die Güter der Familie, welche 1355 erlosch. Im 30jährigen Kriege wurden die Festungswerke wieder hergestellt, erweitert, und die Burg erhielt eine kaiserliche Besatzung. 1645 nahmen sie die Schweden ein, plünderten sie und steckten sie in Brand. Seitdem liegt die Veste in Trümmer.

Noch trotzen zwar einzelne Theile des mächtigen Baus der Vernichtung, aber vergebens; unaufhaltsam schreitet sie fort, und da auch von den gegenwärtigen, reichen Besitzern (der Stahremberg’schen Familie) nichts für die Erhaltung der herrlichen Ruine geschieht, so wird sie, nach wenigen Jahrzehnten, nichts mehr seyn, als ein Haufen unkenntlicher Trümmer.