Der Buckel (Knickung der Wirbelsäule) und seine Verhütung

Textdaten
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Autor: Dr. Schildbach
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Titel: Der Buckel (Knickung der Wirbelsäule) und seine Verhütung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 216–217
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Buckel (Knickung der Wirbelsäule) und seine Verhütung.

Von Dr. Schildbach in Leipzig.

„Ich möchte Sie meines Kindes wegen um Rath fragen, welches anfängt, einen krummen Rücken zu bekommen.“ Mit diesen Worten führte sich vor Kurzem ein Herr aus der Provinz bei mir ein. Ich fragte ihn, da er das Kind nicht mit hatte, ob die Krümmung sich über den ganzen Rücken erstrecke. „Nein, es sind nur 2 oder 3 Wirbel.“ Nur! als wenn in der geringen Zahl eine Beruhigung läge. Leider mußte ich dem Manne sagen, daß es sich dieser Beschreibung nach bei seinem Kinde um die schlimmste Form der Rückgratsverkrümmung handele, weil ihr eine Knochenkrankheit zu Grunde liege.

Es ist dies eine der verderblichsten Krankheiten, welche dem Orthopäden vor Augen kommt, denn sie führt in ihrem weitern Verlaufe zu den bedeutendsten Entstellungen, welche nicht nur die Wohlgestalt, sondern auch das Wohlsein und die Leistungsfähigkeit der davon Betroffenen außerordentlich beeinträchtigen, ja sie kann sogar das Leben gefährden. Sie hat ihren Sitz in dem Körper (d. i. dem vorderen dicken Stück) meist eines, selten mehrerer Rückenwirbel. Diese Wirbelkörper sind derart auf einander geschichtet, daß sie gleichsam eine Säule bilden, durch welche der Brustkorb, so wie die Arme und der Kopf getragen werden. Bei jener Krankheit nun, welche in ihrem weitern Verlauf die Erscheinungen des Knochenfraßes zeigt, wird der von ihr befallene Wirbelkörper in der Weise verändert, daß er nicht mehr die nöthige Festigkeit besitzt, um das auf ihm ruhende Gewicht des Oberkörpers zu stützen; wenn dasselbe daher fortfährt, auf ihm zu lasten, wird er allmählich zusammengedrückt, und es erleidet die Wirbelsäule eine Knickung. Der dadurch gebildete Winkel ist allemal nach hinten und meist ein wenig nach einer Seite gerichtet, da gewöhnlich beide Seiten des Wirbelkörpers nicht in gleichem Grade betheiligt sind.

Aus diesem Vorgange ergiebt sich für die ärztliche Behandlung die sehr einfache Aufgabe, dem Oberkörper statt der Wirbelsäule eine andere Stütze zu geben. Diese Aufgabe aber kann dem behandelnden Arzte nicht eher zum Bewußtsein kommen, als bis er weiß, daß ein Wirbel krank ist – und zu diesem Wissen gelangt er oft erst dann, wenn die Knickung bereits begonnen hat und sich im Vortreten einiger Wirbel bemerklich macht; denn die Krankheit entbehrt in ihrem Beginn aller auffälligen Symptome; schleichend und heimtückisch ist ihr Auftreten, und ihre ersten Erscheinungen sind höchstens dem sorgsamen, stets wachen Mutterauge, nicht dem gelegentlich hinzugerufenen Arzt bemerkbar. Soll daher der einzige, zu wirksamem Eingreifen zu Gebote stehende Zeitraum nicht unbenutzt verstreichen, so wird die Anregung dazu meist von der Umgebung des Kranken ausgehen müssen; und deren Aufmerksamkeit wach zu rufen, ist der Zweck dieser Zeilen.

Wenn ein Kind unter neun Jahren eine erschöpfende Krankheit von längerer Dauer überstanden hat, so ist allemal Achtsamkeit nothwendig. Die in Frage stehende Wirbelkrankheit tritt nämlich sehr selten in späterem Alter und fast stets nach schwächenden Einflüssen auf. Einen Fall oder Stoß, dem gewöhnlich die Schuld beigemessen wird, habe ich nur ein einziges Mal als wirkliche Ursache erkennen müssen. Unter den angegebenen Umständen nun bemerkt man zuweilen eine Unlust des Kindes zu lebhaften Bewegungen, eine sonst dem Kindesalter so fern liegende Schlaffheit und Trübseligkeit; es ermüdet leicht bei aufrechter Haltung und besonders beim Gehen, stützt sich gern mit den Armen auf irgend einen festen Gegenstand oder auch auf die eigenen Oberschenkel und läßt auch sonst in der Haltung das Bestreben erkennen, die Wirbelsäule vorn oder auf einer Seite zu entlasten. Ein seitliches Neigen des Kopfes oder der Schultern, ein auffallendes Zurückdrängen, der Arme ist darauf zu beziehen. Sorgfältig wird jede Erschütterung, besonders das Springen vermieden und selbst festes Auftreten möglichst umgangen. Auffallend ist in vorgerückterem Zeitraume des Leidens die Art, wie der Patient Gegenstände vom Fußboden aufhebt; er beugt sich nämlich nicht vorn über, sondern kauert mit senkrecht gehaltenem Oberkörper nieder.

Aeußerlich wahrnehmbare Formveränderungen sind im ersten Zeitraume der Erkrankung nicht vorhanden, höchstens eine geringe seitliche Ausbiegung der Wirbelsäule als Gewohnheitshaltung. Da auch Schmerzen (in den Beinen oder einer Rumpfseite, seltner am Sitz der Krankheit) erst später aufzutreten pflegen, verdienen die angegebenen Veränderungen im Benehmen und der Bewegungsweise des Kindes um so sorgfältigere Berücksichtigung.

Der Arzt, welcher nach solchen Wahrnehmungen hoffentlich immer sofort zugezogen werden wird, kann nach Sicherstellung der Erkenntnißfrage nicht umhin, das Kind zum steten Liegen zu verurtheilen. Nun ist es abermals die Mutter, welcher, wie bei der Erkenntniß, so auch bei der Cur die Hauptaufgabe zufällt. Sie muß es sich zum strengsten Gesetz machen, während der ganzen Dauer der Horizontallage – und dieselbe ist oft viele Monate lang erforderlich – dem Patienten nie, auch nicht für einen einzigen Augenblick, die aufrechte Haltung zu gestatten. Entschuldigungen, wie: „Das Kind sei nicht im Liegen zu erhalten,“ „die Sache sei nicht durchzuführen,“ und dergl., können gar keine Geltung beanspruchen. So lange es gilt, die Knickung der Wirbelsäule zu verhüten, ist ein unterbrochenes Liegen so gut wie gar keines; der kranke Wirbel soll eben niemals einem Drucke ausgesetzt werden. Und wenn, was bei aller Sorgfalt nicht immer zu vermeiden ist, einige Wirbel beginnen sich deutlicher zu markiren, so möge dies als eindringliche Mahnung beachtet und die Horizontallage um so sorgsamer bewahrt werden.

Für Kinder, die sich selbst beschäftigen können, ist die Bauchlage eine große Annehmlichkeit; doch ist es nicht nothwendig, wie es mehrfach geschieht, dieselbe ununterbrochen beizubehalten, denn auch die Rückenlage erfüllt den Zweck.

Zwar wird es nicht in jedem Falle gelingen, die Wirbelsäule in völlig unversehrter Richtung zu erhalten; es wird aber entschieden durch die Horizontallage der möglichst günstige Ausgang gesichert. Der Werth derselben ist aber mit der Verhütung von Entstellung nicht erschöpft; sie trägt zugleich wesentlich dazu bei, das Grundleiden der Heilung zuzuführen, und zwar durch die Ruhe, welche sie der kranken Stelle gewährt. Bei jedem erhöhten Reizzustand, wie er auch hier in dem kranken Wirbel vorhanden ist, ist natürlich Fernhaltung jeden Reizes erste Bedingung der Heilung. Man pflegt daher bei Gelenkentzündungen das betreffende Glied außer Gebrauch zu setzen und horizontal zu lagern. In neuerer Zeit jedoch hat man diesen Weg noch weiter verfolgt und fügt zur Herbeiführung absoluter Ruhe noch einen Verband von Kleister oder Gyps hinzu, welcher das ganze Glied umschließt und nach seiner Erstarrung jede Bewegung desselben hindert. Die ausgezeichneten Erfolge dieser Behandlungsweise haben dahin geführt, sie auch bei der Wirbelvereiterung anzuwenden, und auch hier sind die Erfolge die gewünschten. Wenn nämlich die Horizontallage auch durch Fernhaltung allen Druckes vom Wirbel dessen Schwund verhütet und die Heilung begünstigt, so verhindert sie doch nicht alle Rumpfbewegungen, deren jede für die ergriffene Stelle ein neuer Reiz ist und die Heilung erschwert. Um auch diese Bewegungen unmöglich zu machen, legen einige der heutigen Orthopäden solchen Kranken einen Rückenpanzer an, der vorher über einem Gypsmodell aus einem Klebeverband gefertigt worden ist. Ich selbst, ohne diese Form der Ausführung verwerfen zu wollen, ziehe es vor, den Panzer aus einer Guttapercha-Platte zu formen. Uebrigens fällt diese ganze Frage der Entscheidung des Arztes anheim, wie auch die Bestimmung über etwa anzuwendende innere Mittel.

In sehr vielen Fällen aber ist leider der Buckel in größerer oder geringerer Ausbildung schon vorhanden, bevor zu irgend welchen Maßregeln geschritten wird. Dann ist freilich die Hoffnung auf Besserwerden in sehr enge Grenzen zu beschränken. Ist der Vereiterungsproceß noch nicht völlig abgelaufen – und diese Frage ist die vor allen Dingen zu entscheidende –, so müssen dieselben Maßregeln getroffen werden, wie sie als für den Beginn des Leidens geeignet oben bezeichnet wurden. Man wird selten die Freude haben, eine bemerkenswerte Abnahme des Buckels zu erreichen, aber man verhindert wenigstens die Zunahme desselben, deren Grenze sich im Voraus sonst gar nicht bestimmen läßt, und beschleunigt das Wiederfestwerden der Wirbel.

Hat man es nach völlig abgelaufenem Krankheitsproceß blos mit dem Formfehler zu thun, so hat die gymnastisch-orthopädische Behandlung in Wirksamkeit zu treten. Auch sie aber kann nur mäßigen Ansprüchen, keinen hochgespannten Forderungen genügen. Die erste Aufgabe ist Verhütung neuer Anfälle des Leidens, welche [217] so häufig das vorher mühsam Erhaltene wieder in Frage stellen. Als vollkommen gesichert davor kann man den Körper erst dann betrachten, wenn es gelungen ist, ihm seine volle Kraft und Lebensfrische zurückzugeben. Dies erreicht man einzig durch zweckmäßige Lebensweise und zwar um so schneller, wenn man Gymnastik hinzufügt.

Die geringe Streckung, deren die Verkrümmung fähig ist, so wie eine Verbesserung der meist sehr verdorbenen Haltung ist ebenfalls durch Gymnastik anzubahnen. Das Hauptgewicht aber muß auf alle Hang-Uebungen gelegt werden, bei welchen der Körper durch seine eigene Schwere eine ganz ansehnliche Dehnung erfährt.

Diese Verlängerung ist zwar zunächst keine bleibende, kann aber durch häufige Wiederholung und längere Dauer des Hanges teilweise zur bleibenden werden. Um nun den Hang auf längere Zeit möglich zu machen, als es die eigene Kraft des Kranken vermag, wendet man besondere mechanische Vorrichtungen an, deren einfachere Form, die Glisson’sche Schwebe, sich auch zum Gebrauch in Privatwohnungen eignet, während die in orthopädischen Anstalten gebräuchliche Kunde’sche Gehmaschine für den Privatgebrauch zu umfänglich und kostspielig ist.

Hat die Verkrümmung bereits eine gewisse Grenze überschritten, so ist außerdem, während der Kranke in aufrechter Haltung verweilt, ein Stützapparat von ihm zu tragen, durch welchen der Wirbelsäule ein Theil der Last, welcher auf ihr ruht, abgenommen wird; andernfalls ist ein immer weiteres Zusammensinken des Körpers unausbleiblich. Auch mit Stützapparat darf der Kranke nicht anhaltend gehen, stehen und sitzen, sondern muß täglich mehrmals die Wirbelsäule durch Einnehmen der Horizontallage entlasten.

Sind Schmerzen in der Seite oder den Beinen, Athmungs- und Verdauungsbeschwerden vorhanden, die regelmäßigen Begleiter höherer Grade dieser Verkrümmung, so gelingt es auf diesem Wege meist, sie zu beseitigen. Der Kranke selbst weiß am besten, was das zu bedeuten hat, und wird diesen Gewinn sicher nicht gering achten, obgleich er den Formfehler behält.

Alles in Allem betrachtet aber sind es doch ziemlich bescheidene Erfolge, auf welche die Orthopädie bei Behandlung dieser Form der Rückgratsverkrümmung rechnen kann. Nur in seinen ersten Anfängen kann dem Leiden wirksam begegnet werden; und es ist, wie bereits bemerkt, der Zweck vorstehender Zeilen, diesen Anfangserscheinungen eine größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, als sie bis jetzt gefunden zu haben scheinen. Gelingt mir dies, so wird der Orthopäd künftig doch nicht mehr gar so oft in den Fall kommen, mit schwerem Herzen sagen zu müssen: „Es ist zu spät; die Verkrümmung ist nicht mehr zu beseitigen.“