Textdaten
Autor: Johann Diederich Gries
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Titel: Der Arzt
Untertitel:
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1799, S. 183–188
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1799
Verlag: J. G. Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
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Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[183]
Der Arzt.


     Von der Krankheit Glut verzehret
Lag des Königs einz’ger Sohn.
Alles, was die Kunst gewähret,
Ward zur Rettung seines Lebens

5
Angewandt, doch nur vergebens;

Allem sprach das Uebel Hohn.
     Und der Vater saß am Bette,
Sah des Sohnes Leben fliehn:
O wer ist, der mir ihn rette?

10
Alle Schätze, alle Gaben,

Was er fordert soll er haben,
Nur erhalten soll er ihn!
     Aber auf dem stillen Zimmer
Härmt die junge Mutter sich

15
Einst im vollen Jugendschimmer

Ließ um sie der Jüngling werben,
Und sie sieht den Liebling sterben,
Dessen Bild ihr nie erblich.

[184]

     Und die letzten Kräfte schwanden,

20
Und des Todes Stunde naht;

Da erscheint aus fernen Landen
Noch ein Mann in weißen Haaren,
Der des Fürsten Noth erfahren,
Reich an Kunst und weisem Rath.

25
     Alles wird von ihm erwogen,

Und es sieht der kluge Mann,
Wenn nicht alle Zeichen trogen,
Steckt des Uebels Grund im Herzen,
Liebe machte diese Schmerzen,

30
Sie nur ist’s, die helfen kann.

     Tiefer sucht er nun zu spüren;
Unter schlau erdachtem Grund
Läßt er zu dem Prinzen führen,
Reich an Reizen, alle Schönen,

35
Die den Hof des Fürsten krönen;

Doch es giebt sich nichts ihm kund.
     Nur wenn in des Sohnes Zimmer
Sich die Königinn begiebt,
Sieht er einen hellen Schimmer

40
In des Jünglings Augen glühen.

Seine bleichen Wangen blühen:
Wär’ es diese, die er liebt?

[185]

     Heimlich lauscht er oft verborgen,
Ob er auch die Wahrheit fand.

45
Ach! wohl trafen’s seine Sorgen;

An des Jünglings Herzen nagen
Hoffnungsloser Liebe Plagen,
Die er nimmer noch gestand.
     Doch wie einst in heissen Thränen

50
Sich ihr Schmerz Erleichtrung schafft,

Da ergreifet ihn ein Sehnen,
Seine Liebe zu ergießen,
Und er sinkt zu ihren Füßen,
Sammelnd seine letzte Kraft:

55
     O vergieb, daß ich es wage,

Zu entweihn der Pflicht Gebot!
Doch am Ziele meiner Tage
Sprengt die Liebe diese Ketten;
Nicht mein Leben kannst du retten,

60
So versüße meinen Tod!

     Ha! warst du nicht mir versprochen?
Wessen Arm zerriß das Band?
Deine Fesseln sind gebrochen;
Liebe hat dich mir geweihet,

65
Sey denn unser Bund erneuet,

Dieser Ring sey Hymens Pfand!

[186]

     Nicht mehr Mutter; nein, Geliebte!
Jetzt hat uns ein Gott getraut.
Was das Leben mir verübte,

70
Soll des Todes Hand ersetzen;

Liebe soll mich sterbend letzen,
Sterbend sey du meine Braut!
     Sieh! schon öffnen sich die Thore,
Und der dunkle Hades winkt

75
Hörst du nicht in leisem Chore

Unsern Brautgesang erschallen?
Auf! ich will voran dir wallen,
Folge bald – er spricht’s und sinkt.
     Doch von Liebe hingerissen

80
Stürzet sie dem Jüngling nach;

Und als sie mit heissen Küssen
Ihn von Hades finstern Stufen
Sucht zurück an’s Licht zu rufen,
Oeffnet schnell sich das Gemach.

85
     Und der Fürst, vom Arzt begleitet,

Sieht die Gattinn, sieht den Sohn.
Tief in seinem Busen streitet
Ein Gewühl von wilder Regung;
Doch die edlere Bewegung

90
Trägt des Sieges Ruhm davon.
[187]

     Und er wirft sich bei ihm nieder:
Höre deines Vaters Schwur!
Kehr’, o kehr’ in’s Leben wieder,
Und erhält nur dies dein Leben,

95
Sey die Gattinn dir gegeben;

Aber leb’, o lebe nur!
     Und schon an des Orkus Schwellen,
Kehrt des Jünglings Geist zurück
Zu des Lebens heitern Quellen;

100
Er begrüßt das Licht der Sonne,

Nun nicht mehr der Schmerz, die Wonne
Schließt den kaum erwachten Blick.
     Doch bald strömt ein neues Leben
In die schnell geneß’ne Brust,

105
Und er fühlt mit süßem Leben

Sein erstarrtes Herz erwarmen
In der Vielgeliebten Armen,
Fühlt des jungen Lebens Lust.
     Und zu seines Vaters Füßen

110
Sinkt er mit gerührtem Blick,

Will des Danks Gefühl ergießen:
Doch der König spricht: Zu preisen
Hast du einzig diesen Weisen;
Leben dankst du ihm und Glück.

[188]
115
     „Herr, du hast es nicht zu danken

Mir und meiner Wissenschaft;
Unsre Kunst hat enge Schranken;
Amor ist’s, der dich verwundet,
Er, durch den du jetzt gesundet:

120
Preise seine Wunderkraft.“
GRIES.