Der Abend (Schiller)
Die Sonne zeigt, vollendend gleich dem Helden,
Dem tiefen Thal ihr Abendangesicht,
(Für andre, ach! glüksel’gre Welten
Ist das ein Morgenangesicht)
Ruft die Geschäftigkeit zur Ruh,
Ihr Abschied stillt das Weltgetümmel,
Und winkt dem Tag sein Ende zu.
Laß die Begeisterung die kühnen Flügel schwingen,
Zu dir, zu dir, des hohen Fluges Ziel.
Mich über Sphären, himmelan, gehoben,
Getragen sein vom herrlichen Gefühl,
Durchströmt vom paradisischen Gefühl.
Für Könige, für Grosse ists geringe,
Die Niederen besucht es nur –
O GOtt, du gabest mir Natur,
Ha! wie die müden Abschiedsstralen
Das wallende Gewölk bemalen,
Wie dort die Abendwolken sich
Im Schooß der Silberwellen baden;
Gold, wie das Gelb gereifter Saaten,
Gold ligt um alle Hügel her,
Vergöldet sind der Eichen Wipfel,
Vergöldet sind der Berge Gipfel,
Der hohe Stern des Abends stralet
Aus Wolken, welche um ihn glühn,
Wie der Rubin am falben Haar, das wallet
Um’s Angesicht der Königin.
Und fern die grüne Haide lacht;
Wie hier in jugendlicher Pracht
Der ganze Himmel niederdämmert;
Gepflüket im Elisium,
Auf goldne Wolken hingegossen,
Ihn überschwemmet um und um.
Vom Felsen rieselt spiegelhelle
Und tränkt die Herd und tränkt den Hirt (en)
Am Weidenbusche ligt der Schäfer,
Deß Lied das ganze Thal durchirrt,
Und wiederholt im Thale wird.
Vom Zweige schlägt die Nachtigall,
Ihr Meisterlied macht alle Ohren lauschen,
Bezaubert von dem Götterschall
Wagt izt kein Blatt vom Baum zu rauschen;
Der kühle West beweht die Rose,
Die eben izt den Busen schlose, (schlos)
Entathmet ihr den Götterduft,
Und füllt damit die Abendluft.
Die alle dich, Unendlicher, erheben,
Zerflossen in melodischem Gesang,
Wie tönt des Jubels himmlischer Gesang!
Wie tönt der Freude hoch erhabner Klang!
Schall Lob des HErrn in seines Staubes Harfe!
Verstumm Natur umher, und horch der hohen Harfe,
Hör auf, du Wind, durchs Laub zu sausen,
Und horcht und betet an mit mir:
GOtt thuts, wenn in den weiten Himmeln
Planeten und Kometen wimmeln,
Wenn Sonnen sich um Axen drehn,
GOtt – wenn der Adler Wolken theilet,
Von Höhen stolz zu Tiefen eilet,
Und wieder auf zur Sonne strebt.
GOtt – wenn der West ein Blatt beweget,
Ein Leben in dem Wurme lebt,
Und hundert Fluten in ihm strömen,
Wo wieder junge Würmchen schwimmen,
Wo wieder eine Seele webt.
So sinkt dem Adler sein Gefieder,
So weht kein West mehr Blätter nieder,
So hört des Stromes Eilen auf,
Schweigt das Gebrauß empörter Meere,
O Dichter schweig: zum Lob der kleinen Myriaden,
Die sich in diesen Meeren baden,
Und deren Sein noch keines Aug durchdrang,
Ist todtes Nichts dein feurigster Gesang.
Dein kühner Blik noch tiefer tiefer dringen,
Dort ist nicht Abend mehr, nicht Dunkelheit,
Der Herr ist dort und Ewigkeit!