Denkmale der Vorwelt. Erstes Stück

Textdaten
Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Denkmale der Vorwelt. Erstes Stück
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aus: Zerstreute Blätter (Vierte Sammlung) S. 185-220
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Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Google und Commons
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[185]
IV.
Ueber
Denkmale der Vorwelt.
––––––
Erstes Stück.
––––

[187] Wenn Pope sein Gedicht vom Menschen mit der Wahrheit anfängt, daß in unserm umgränzten Leben uns wenig mehr nachgelassen sei, als „umherzusehn und zu sterben:“ so meint er mit diesem Umherschauen wohl etwas mehr, als ein blosses Anstaunen der Dinge, das manche Thiere mit uns gemein haben würden. Verwunderung ist das erste Kind der Neugierde; sie muß aber auch eine Mutter der Untersuchung werden. Ein Reisender, der von seiner Wallfahrt unter Trümmern und Denkmalen nichts als die Wahrheit zurück brächte, „daß alles eitel sei,“ und der seine gewonnene Gleichgültigkeit mit dem Namen der Ruhe eines Weisen beehrte, hätte damit nicht viel gewonnen, sondern vielleicht an seiner ehemaligen [188] Wirksamkeit in einem eingeschränkteren Kreise verlohren. Schwermüthig auf den Trümmern der Vorwelt zu sitzen, mag eine malerische Stellung seyn; sie ist aber weder gnügsam noch nützlich.

Auf mehrere Weise hat sich also der menschliche Verstand sorgsamer beschäftigt, wenn er sowohl die Trümmern alter Revolutionen im innern Bau unserer Erde, als über derselben die fast allenthalben zerstreuete Denkmale der Vorwelt bemerkte. Dort hat es an Hypothesen nicht gefehlt, viele dieser Erscheinungen zu einem System zu ordnen, und dadurch die Entstehung unsers Erdkörpers zu erklären; hier ist man noch auf dem behutsamern Wege, einzelne Facta zu sammlen, andere zu erklären und nur wenige kühne Geister haben sich bisher an eine allgemeine Auflösung gewaget. Wer wollte diese auch jetzo schon wagen? da so viele Denkmäler noch unentziffert, andre kaum angezeigt oder mangelhaft beschrieben sind, andre, vielleicht nothwendige Zwischenglieder, uns noch [189] ganz fehlen. Die Entdeckungen rücken indeß gewaltig fort, und der Trägste wird gezwungen, an ihnen Theil zu nehmen. Ja was noch schätzbarer ist, der Entdeckungsgeist unsrer Zeit gewinnet offenbar an Sicherheit, an unpartheilicher Darstellung, an gelehrter Genauigkeit, an zusammenstellender Wahrheit: denn die Jahrhunderte unwissender Mönche, oder täuschender Bekehrungsgeister sind beinahe vorüber. Ein Reisender geht auf der Spur des Andern, Einer berichtigt, Einer scheuet den Andern; und wenn, wie es zu erwarten steht, auch manche geheime Berichte, die einst eine eigennützige Politik verbarg, werden gemein gemacht werden: so wird die Geschichte der überirrdischen Denkmale in dieselbe Combination treten, in welche seit einigen Jahrzehnden die Geschichte der unterirrdischen Vorwelt bereits sehr rüstig getreten ist, ohne Zweifel mit mancherlei neuen Resultaten. Je langsamer wir dabei mit Hypothesen fürs Ganze zu Werk gehn: desto vester wird das Gebäude gerathen.

[190] Es werden also auch mir, einem Mitwandrer auf unsrer Trümmervollen Erde, einige Anmerkungen erlaubt seyn, die entweder die Gedanken anderer leiten, oder von ihnen verbessert werden mögen.

1. Zuförderst, dünkt mich, müsse man die hebräischen Sagen über die Urwelt der gesammten Auslegung aller alten und ältesten Völkerdenkmale nicht zum Grunde legen, sondern sie blos für das, was sie sind, für Nachrichten eines Hirtenvolks der Gegenden annehmen, in welchen es lebte. So wenig dem Geologen die sechs Tage der Schöpfung einen Aufschluß zum Bau der Erde geben werden: so wenig können wohl die an sich schätzbaren Familiennachrichten dieses Volks etwas Genugthuendes für alle Erdvölker gewähren. Die Genalogie der Söhne Noahs scheint nichts als eine Landcharte der Gegenden zu seyn, die der Sammler dieser Nachrichten kannte, in einer Projektion entworfen, wie er sie ansah und mit dem Stammvater [191] seines Volks nach Charakteren, die er uns nicht angiebt, in Verbindung brachte. So sind auch späterhin die rings um Palästina wohnenden Völker mit Hebräern blos nach Geschlechts-Verhältnissen in Verbindung gebracht und mit Ehre oder Schande bezeichnet. Dem Forscher allgemeiner Denkmale der Vorwelt ist diese Privatbeziehung eher hinderlich, als nützlich; sie kann ihn weit verführen, und am Ende gewann er aus ihr doch wenig mehr, als hebräische Namen. Nun ist aber aus allen Welttheilen bekannt, daß Völker selten oder fast nie sich selbst so nennen, wie sie von Auswärtigen genannt werden; geschweige daß alle Völker der Erde an Namen, die ihnen ein abgeschloßenes Volk in einer Verwandtschaftstabelle gab, känntlich seyn sollten. Was z. B. gewinnt Bruce dabei, daß er seine Kunstreichen Troglodyten Kuschiten nennt? als daß er uns den Pfad seiner Hypothese unsicher macht, und unsern Gesichtskreis unangenehm verenget. Eben so wohl hätte er sie Kainiten oder Kabylen [192] nennen können, und hätte ihnen damit noch eine höhere Abkunft gegeben. So vergesse man bei aller Denkmalen die sogenannte Sündfluth; mögen sie vor derselben, oder gar wie die Beduinen von den Pyramiden sagen, vor Adams Schöpfung gebauet seyn; wenn dem Forscher hierüber nicht andere Merkmale Zweifel oder Aufschluß geben: so darf ihn diese Chronologie weder beruhigen, noch gegen andre Facta zu einer gewaltsamen Hypothese verleiten. Noch weniger darf er sich dabei auf die spätere Angabe, und so genannte Tradition unwissender Araber und anderer Mahomedaner verlaßen, da es bekannt ist, aus wie trüben Quellen ihre ganze Tradition geflossen sei, in welcher Unwissenheit sie solche annahmen, und mit tausend Verwirrungen vermehrten. Wenn sie ihm hier also das Grab Adams und der Eva, dort Hiobs und Abels zeigen: so haben diese Zeugnisse eben so wenig urkundlichen Werth, als wenn ihm die Grenzen des ehemaligen Paradieses wiesen. Schon der uralte Sammler der hebräischen [193] Nachrichten nahm diese nur aus einer Tradition auf, und setzte sein Eden an eine Quelle von vier Strömen, die auf unserer Erde nirgend aus Einem und demselben Quell entspringen. Ein anders ists mit Denkmalen, die durch alte schriftliche Zeugnisse genau bestimmt sind, oder an denen sich die mündliche Tradition nach gegebenen Umständen der Geschichte wahrscheinlich hat erhalten mögen. Sonst ist in den Sagen Morgenlandes über die Errichtung ihrer Denkmale dem Namen Salomons so wenig zu trauen, als in andern Gegenden dem Namen Alexanders oder Julius Cäsars.

2. Vielmehr rede jedes Denkmal für sich, und erkläre sich selbst, wo möglich, auf seiner Stelle, ohne daß wir irgend aus einer Lieblingsgegend die Erklärung holen. Wenn man z. B. in Sibirien oder der Mungalei die rohesten Anfänge der Hieroglyphenschrift in Menschen- und Thierfiguren oder andern Zeichen, auf Felsen gegraben und mit rother Farbe bezeichnet, antrift; [194] was schließet man natürlicher, als daß auch hier einmal ein Volk den Versuch machte, den fast alle sogenannte Wilden in jeder Weltgegend gemacht haben, und den täglich jedes Kind macht, wenn es sinnliche Figuren roh entwirft und mit solchen irgend ein Andenken bezeichnet? Anmerkenswerth sind dergleichen Figuren, nicht aber wunderbar: vielmehr müßte man sich wundern, daß solche nicht häufiger auf der Erde vorkommen wenn auch hiervon nicht die Ursache am Tage läge. Da nämlich in den meisten Gegenden der alten Welt die Cultur der Künste sehr alt ist, so sind dergleichen Kindheitversuche längst untergegangen, und haben sich eben nur in denen vom Mittelpunkt der Cultur entfernten Gegenden, in Nordasien, Amerika, vielleicht im innern Afrika und auf den Inseln erhalten. Würden sie einst zusammengebracht: so würde man auch an ihnen allgemein jene Perioden des Fortganges menschlicher Geschicklichkeit und Uebung sehen, die man im Besondern bei jeder [195] Kunst, z. B. bei der Sinesischen Schrift, bei den Hieroglyphen der Aegypter, ja nach einer vergleichenden Zusammenhaltung verschiedener dieser Nordasiatischen Figuren selbst an ihnen deutlich wahrnimmt. a)[1] Auf undenkliche Zeiten vor unsrer Geschichte ergiebt sich aus solchen Versuchen kein Schluß: denn wie leicht war der Versuch zu machen, und mit wie vielen gebildeten Völkern ist diese Nordstrecke Asiens von jeher in Verbindung gewesen!


Wenn im vordern Asien dagegen Alles so verwüstet ist, daß man, außer den Trümmern von Balbeck und Palmyra, die ihre Wüste schützte, in Syrien, Palästina, Mesopotamien, Assyrien und Chaldäa von den alten Wundern der Welt und ihren Hauptstädten sogar wenige oder keine Reste antrift: b)[2] so erklärt sich dies abermals leider [196] aus der bekannten Geschichte dieser Völker, aus den Materialien, von denen ihre Städte und Denkmale aufgeführt waren, endlich aus der Veränderung des Bodens und des Klima dieser Gegenden selbst. Ein steinerner Götzensitz bei Aradus, Todtengrüfte in Felsen, Reste von Wasserleitungen in der Wüste, überbliebene Haufen von gebrannten, zum Theil mit Buchstaben bezeichneten Steinen an Orten, wo einst die grösseste Pracht der Welt blühete, sind gleichsam das Mindste, das man erwarten kann; von welchem Mindesten man also auch um so mehr Gebrauch machen sollte. Wo irgend es möglich wäre, sollte [197] kein beschriebener Stein dieser Gegenden übergangen, ja nirgend auf der Erde ein unverstandenes Alphabet geringe geschätzt werden; es kann mit andern zusammen gehalten, es kann einst verstanden werden. Lobenswürdig ist also die Mühe, die z. B. Niebuhr sich bei seiner Nachzeichnung der Inschriften zu Persepolis, in Arabien und dem Theil Aegyptens gab, den er bereisete; hätte Bruce bei den viel mehreren Hieroglyphen, die er sah, diese Mühe verfolgen können: so wären wir schon weiter, da er selbst nur die Summe aller auf zweihundert und einige zählet. Setzte man diese Mühe dann einst bei den Denkmalen im innern, im süd- und östlichen Afrika, auf Ceylon, in Indien, im westlichen Nordamerika und wo sich sonst Charaktere finden, fort, und machte Europa zur Niederlage derselben: so würde man wenigstens hie und da, sie an einander reihen können, und sich nicht blos an dem dunkeln Namen unbekannter Charaktere begnügen dörfen. [198] Ein sprechendes Denkmal kann uns einst als ein Kapitel der Genesis, als eine Stimme der Vorwelt gelten.


3. Der Erklärung der Denkmäler ist es nicht vortheilhaft, wenn man die Völker, unter denen sie errichtet worden, abgetrennt, und gleichsam so isolirt betrachtet, als ob keine mehr auf der Erde gewesen wären. Die gezwungene Voraussetzung, die uns hierüber anklebt, entspringet Theils aus den wenigen Nachrichten, die wir vom Zusammenhange und Handel der alten Welt haben; noch mehr aber aus der gedrückten Vorstellung, die uns der Zustand Europa’s während seiner barbarischen Jahrhunderte eingeprägt hat. Glücklicherweise aber war dieser Zustand nur ein trauriger Zwischenakt in der Geschichte, der doch auch damals das große Verkehr der Völker in Asien, Afrika, und Europa nicht ganz aufhob, c)[3] am [199] wenigsten aber ältern Zeiten zum Nachtheil gereichen darf. Unsre Genesis selbst in ihrem eingeschränkten Patriarchen-Kreise, verräth einen Zustand der Welt, in welchem nothwendig viel Gemeinschaft der Völker unter einander, Gewerbe, Künste, selbst Wissenschaften und Luxus waren; d)[4] und doch lag es ja am wenigsten in der Lebensart herumziehender Hirten, Dinge dieser Art aufzuzeichnen. Da nun die Geschichte der Griechen so jung und entfernt ist, warum wollten wir nicht noch gegewärtige Thatsachen als Zeugen gelten lassen, gegen welche sich doch überhaupt ein auswärtiger, später Geschichtschreiber, wie ein schwätzender Hauch verlieret? Konnte Persepolis, konnten die Gräber der Könige in seiner Nähe, [200] konnten die Indischen Tempel in Ilura, auf Salsetta, Elephante, Ceylon, endlich alle berühmten Alterthümer des Ober Aegyptens, bis tief in die Wüste und Abessinien hinein, ohne Künste und Luxus gebauet werden? Sehr erfreulich war es mir also, da ich von einem philosophischen, die Geschichte weit-umfassenden Denker allen seinen Mitforschern die Wahrheit laut zu gerufen fand: e)[5] „das Menschengeschlecht ist nur Eins. Es hat in allen Zeitaltern in einander gewirkt, und wird und soll in einander wirken.“ Denn so schwer es wird, bei Behandlung der Geschichte und ihre Denkmale dies jeden Augenblick sichtbar zu machen: so ist es doch der Keim des ganzen lebendigen Körpers unsrer Geschichte. Das menschliche Geschlecht ist Ein Ganzes, seit seiner Entstehung hat es angefangen und sich zu organisiren, und soll diese Organisation vollenden.

[201] Den Denkmalen des Alterthums wird also ein großer Aufschluß, wenn man auf die Wege des Völker-Vereins und Völker-Verkehrs merket. Viele Denkmale liegen offenbar selbst auf dem Wege dieser Gemeinschaft und sind wahrscheinlich durch ihn entstanden. So die Alterthümer an der Küste des östlichen Afrika; so vielleicht jene andre an der westlichen Küste der Indischen Halbinsel. So wars mit Babylon, Damaskus, Palmyra, Tyrus: mit einigen Resten des nördlichen Asiens scheint es nicht anders, und ich halte z. B. die Stadt Madschar, über deren sonderbaren Ursprung von den wilden Madscharen so manche Verwunderung geäußert worden, f)[6] für [202] nichts als einen Handelsort, eine Niederlage der Perser auf einem allgemeinbekannten Wege des Welthandels. Wenn sich, wie ich kaum zweifle, Inschriften daselbst finden, so werden diese ein Mehreres erklären. Lägen indeß auch manche Denkmale nicht unmittelbar auf dem Handelswege der Völker; setzen sie Reichthum, Handel, mithin Gemeinschaft der Nationen, selbst Nachahmung in Künsten voraus, und die Geschichte gäbe kein Licht darüber, so müssen uns Sagen statt der Geschichte gelten, und da dünkt mich, könnte doch die alte Aegyptische, Persische, Indische Fabel, wenn sie von so bündigen Zeugen, den Denkmälern selbst, unterstützt wird, uns immer statt eines Homers jener Nationen dienen. Ueberhaupt scheint Asien von jeher ein vielbelebter Körper gewesen zu seyn; und noch jetzo ists die Mutter und das Grab alles Welthandels.

4. Nur der Zustand einer jungen Welt kann uns die Pracht-Denkmale des hohen [203] Alterthums erklären. Ihre Bestimmung nach sinds offenbar Tempel, Palläste, Gräber. Bei Tempeln weiß jedermann, was die Religion, (damals ganz eine Sache des Staats) für alle, die den Bau anordneten und vollführten, bedeutete. Die Könige waren Götter der Erde, die Priester ihre Werkzeuge oder Regierer. Das Volk lebte sparsam, bedurfte im dortigen Himmelsstrich wenig; milden Gesetzen unterworfen, diente es willig, unter der Zucht der Könige und Priester. Den Göttern also einen Tempel, den Königen ein Haus oder ein Grabmal bauen, war ihm Eins; für sich lebte es gern in Hütten, die keine Denkmale seyn sollten. Setzt man nun einen so ordentlich eingerichteten Zustand des Reichs voraus, wie ihn z. B. die Mauern Persopolis in Figuren zeigen, und fügt eine Religion hinzu, wie die Religion der Perser ihrem Wesen nach war, eine Religion, die nichts als Thätigkeit, Ackerbau, Belebung der Welt mit guten Früchten [204] anordnet; denket man dann im ersten jugendlichen Heldenalter der Welt an jene glücklichen Eroberungen, von denen die Persische Fabel redet: so werden uns eben auf diese Stelle, im Herzen Asiens, zwischen Aegypten und Indien, auf einer Anhöhe, die dem Bau ihre Marmorfelsen selbst anbot, und wo sich Bergeskraft, Volksmenge, Verehrung gegen seinen König, als das Bild der Gottheit, mit Künsten andrer Länder, wie in einen Mittelpunkt vereinigen konnten, Denkmale, wie die zu Persepolis sind, sehr begreiflich. Nicht anders wars mit Indien und Aegypten, wo wahrscheinlich, am meisten in Aegypten, die Künste viel einheimischer waren. Die Eintheilung des Volks in Casten, die strenge Unterwerfung desselben unter Gesetze, Ordnungen, und Priester, seine Bestimmung zu einzelnen Gewerben, die Genügsamkeit desselben und sein milder Himmel unter einer mild-despotischen Regierung, die Lebensweise der Aegypter endlich, bei denen alles von Hölen ausging, und deren Kunst vorzüglich darinn bestand, [205] diese Hölen zu formen und zu bezeichnen, vorliegende Felsen zu Götterbildern, Sphynxen und Obelisken zu bilden; ein Zusammentreffen solcher Umstände in einem solchen Zeitalter, machte allein dergleichen Denkmale möglich. Wir können und werden jetzt so wenig Oblisken als Pyramiden bauen; selbst die Zeit unsrer großen Gothischen Kirchen scheint in Europa geendet; unser Fleiß, unsere Staatskunst wendet sich auf mehrere, schnellere, oft auch nützlichere Gegenstände. Daß auf die Gräber der Könige so viel gewandt wurde, bezeigt vollends die Jugend der Welt. Man erfreuete sich seines irrdischen Lebens, man wünschte Unsterblichkeit, und hatte sich noch nicht getrauet, sich jenseit des Grabes derselben zu versichern; man suchte sie also im Grabe. Dem Mann, dem bei einem kurzen Leben die Welt zu Gebot stand, erbauete sich die prächtigste ewige Wohnung, in welche er als Leichnam, der Sage nach oft mit vielen Schätzen, aber auf einem [206] verborgnen, nur den Priestern bekannten Wege hineinschlüpfte und da ewige Ruhe oder ein ewiges Leben im Grabe hoffte. Alles dies athmet den Geist jugendlicher Weltzeiten; Er war der Riese, der diese Denkmale erbaute.

5.Bei allen Denkmalen der Vorwelt muß man nicht nur zurück auf die Ursachen sehen, die solche beförderten, sondern auch auf die Wirkungen, die dadurch befördert wurden: denn kein Kunstwerk steht todt in der Geschichte der Menschheit. Jedermann sind die neueren Hypothesen bekannt, durch die man auf Ein Urvolk der Künste und Erfindungen hinaufzusteigen versucht hat; man bemühete sich um sie, seitdem man den Kasten Noah als völlig unbrauchbar ansah. Einen unpartheiischen Forscher der ältesten Denkmale darf vorjetzt noch keine solche Hypothese kümmern; in der Zusammenwirkung der Völker, in lauter Versuchen zu ihrer Organisation [207] liegt ihm das erste Urvolk; und er sieht in der Kette der Dinge nicht nur zu dem hinauf, was vorherging, sondern auch zu dem, was daraus erfolgte. Vor allem fällt ihm da die gleichsam zum zweitenmal geschaffene Natur des Menschen, d. i. die ungeheure Neigung ins Auge, mit der Jedes dieser ältesten Völker noch nach Jahrtausenden an seinen Erdstrich, an seine Religion und politische Satzungen gebunden ist. Kein Europäisches Band vermag die Völker zu binden, wie z. B. die Indier an ihren Ganga, an ihre heiligen Oerter und Pagoden gebunden sind. Die Perser waren mit ihren Feuertempeln weniger an ein Vaterland geheftet, da der Pallast Dschemschids nur ein Heiligthum ihrer Staatsverfassung gewesen zu seyn scheinet. Und doch, wie sehr hat auch dies Volk eben in seinen Urgegenden auf manche zum Theil noch unerkannte Art fortgewirket! Die Hölen und Tempel des obern Aegyptens sind längst eine Wohnung der Nachtvögel [208] und Räuber; die Wirkung derselben aber, ihre sogenannte Weisheit, ihre Geheimnisse, ihre Symbole, wie weit umher ist sie verpflanzt! in welche Formen ist sie metamorphosirt worden! Endlich die armen Krypten des Jüdischen Landes, ursprüngliche Hölen der Trogloditen, nachmals Gräber der Könige und der Reichen, zu wie Manchem haben sie Anlaß gegeben, was ohne sie schwerlich auf so viele Völker verbreitet wäre! In diesen unterirrdischen Grüften ward eine Versammlung der Väter, ein Todtenreich, (Scheol) voll ewigen Schattenlebens. Hier flossen Bäche Belials: hier nagte der Tod; hier in diesen Felsenklüften ward Auferstehung offenbaret. Wäre, wie in Indien, im vordern Asien der Körper verbrannt worden: so wäre wahrscheinlich die Idee der Seelenwanderung auch hier entstanden oder fortgepflanzt worden, und die Vorsehung hätte sich auf einer andern Stelle der Erde einen Geburtsort trostreicher Hoffnungen, deren das bedrückte [209] Menschengeschlecht bedorfte, erwählet. So allenthalben. Keine Wirkung, die durch ewige Denkmale ins Herz der Menschen gebauet werden konnte, hat ihres Zweckes verfehlet. Lasset uns z. B. hören, wie ein armer Israelit nach einer 1200jährigen Verbannung sich nach den nackten Gebürgen, den Gräbern und Denkmalen seines uralten, von ihm nie gesehenen Vaterlandes sehnet. g)[7]

Seufzer nach den Denkmalen des heiligen Landes
Eine Elegie.

Hast du vergessen der Deinen, die jammernd schmachten in Fesseln?
Zion, vergissest du jener unschuldigen Schaar,

[210]

Eines Restes der Heerde, die sonst in ruhigen Thälern
Vor dir weidete; jetzt fremd, und entfernet von Dir.
Nimmst du den Frieden nicht an, h)[8] mit dem von jeglicher Seite
Sie dich grüssen, wohin irgend ein Treiber sie trieb?
Ach den Gruß eines Sklaven, der noch in den Fesseln zu hoffen
Waget; es rinnen ihm Zähren nach Zähren hinab,
(Wie der Thau vom Hermon in nächtlichen Tropfen hinabrollt;)
Glücklich, könnt’ er sie nur weinen in Deinen Schoos!

[211]

Könnte mit ihrem Bade nur Deine verödeten Hügel,
feuchten! Und dennoch, nein! sinket die Hoffnung ihm nicht.
Wenn ich dein Elend beweine, so gleich ich der nächtlichen Eule;
Harfe des Dankes wird, Harfe der Freude mein Herz,
Denk’ ich deiner Erlösung. O Beth-El, heilige Stäte, i)[9]
heilige Hallen, wo einst sichtbar der Ewige sprach,
Wo die azurnen Thore des Himmels sich nimmer verschlossen;
Sonne, Mond und Gestirn wichen dem herrlichen Glanz

[212]

Gottes. Könnt’ ich ergießen mein Herz, wo des Ewigen Geist sich
auf der Jünglinge Schaar, Israëls Jünglinge goß.
Seliger Ort! dem Höchsten der irdischen Throne zu heilig,
nur dem Schöpfer geweiht, nur des Erhabensten Thron;
(Ach, und entweihet jetzt von verwegnen Knechten!) O könnt’ ich
einsam irren umher, Zion, in Trümmern von dir;
könnt’ in trauriger Stille, auf dunkeln Fittigen schwebend,
zu Dir tragen mein Herz, welk und vom Jammer geknirscht,
könnte mit meinem Angesicht dort hinsinken zur Erde,
vest anschließen die Stirn an den gesegneten Staub,

[213]

Und aufrichten sie dann zu den Gräbern meiner verwes’ten
     Väter, anstaunend jetzt Hebron, der Könige Grab,
Euch, ihr Berge, die ihr die grössesten Lichter der Welt deckt;
     Zion, so athmete ich Aether der Geister in Dir.
Nackt und entsohlet würd’ ich mit Wohllust suchen den Erdgrund,
     Der, sich eröfnend, Dich, Lade des Bundes, empfing,
Dich in den dunklen Schoos, du Heiliges der Heiligen, aufnahm
     Daß des Verruchten Hand nimmer entweihete dich.
Hingestreuet des Hauptes Schmuck auf deine Gefilde,
     wäre Verwünschung mir, mir dem Verzweifelnden Trost.

[214]

Jede Verwünschung, womit ich den Tag des Jammers belege,
     der dich verödet, o Land, wäre mir einzige Lust;
Sonst ist jede mir schnöde, so lang’ ich von Hunden den Löwen, k)[10]
     Fürsten von Sklaven zerfleischt, Edle von Raben zerhackt
Sehe gezerret umher. Ich scheu und hasse das Taglicht,
     das so scheußliche mir, schreckliche Bilder mir zeigt.

[215]

Der du den Kelch der Trübsale mischest, halt’ o Erbarmer,
     halt’ ein wenig! Gefüllt ist er mit bitterem Trank.
Laß mich erholen mich, und allen Jammer noch Einmal
     fühlen; und gieße den Rest völlig dann über mich aus.

Krone der Schönheit, ermuntere dich. Erwach’ o Geliebte,
     Denke, Zion, der Huld, denke der Liebe zu dir,
Welche die Herzen deiner Gespielen mit mächtigem Reiz zieht,
     Daß dein Wohl sie entzückt, daß sie dein Jammer betrübt.
Aus der Gefängniß Kluft sehnt ihre Seele zu dir sich;
     Knieen sie nieder; zu dir neigett sich sehnend ihr Haupt.

[216]

Nimmer vergisset die Heerde, von jenen Höhen verscheuchet,
     Deiner Hürde; sie denkt ihrer im dunkelsten Thal,
Schmachtet ächzend zurück zum Schatten der heiligen Palmen,
     lenket immer zu dir seinen ermatteten Tritt.
Dreimal selige Burg! kann, übermüthig im Stolze,
     Pathros gleichen sich dir, Sinear gleichen sich dir?
Mag ein unheiliger Spruch sich deinem Urim und Thummim
     gleichen? Besitzt ein Volk, was du vom Himmel empfingst?
Wo sind ihre Gesalbten des Herrn? wo ihre Propheten?
     wo des Levitenchors, göttlich-entzündetes Lied?

[217]

O die Reiche der Götzen, sie werden im Rauche vergehen;
     Du nur, Wohnung des Herrn, du nur, Erkohrene, bleibst.
Heil dem Manne, dem einst in deinen Mauern die Ruh wird!
     Heil dem Manne, der harrt, bis er mit Jauchzen erblickt,
Daß dein Morgen erscheint, daß deine Freude nun ausbricht,
     Daß sich Alles erneut, wenn du dich wieder verjüngst.


Also der Israelit; und wem gingen nicht sonderbare Gedanken auf, wenn er einen so tiefen Eindruck alter Einrichtungen, verfallener Denkmale, öder Gräber noch nach Jahrhunderten bemerkt, und dies Jammern und Jauchzen höret? So vieles dabei dem Dichter eigen, und in seiner inviduellen Lage gegründet gewesen seyn mag; [218] so unangenehm es seinem ganzen Volk seyn würde, wenn man es aus aller Welt Ende ins verödete Palästina beschränkte: so ist es schon merkwürdig gnug, daß nach einer so langen Verbannung Wünsche und Seufzer dieser Art von Tausenden wenigstens noch in Worten, Bildern und Gebräuchen festgehalten werden. Und noch werden wahrscheinlich manche Jahrhunderte hin die Trümmern Jerusalems und was dem anhängt, Millionen der Menschen im Andenken seyn und ihnen Bilder des wahren oder falschen Trostes, Reize zu Liebe und Haß, Hoffnungen, Ahnungen, Prophezeihungen gewähren. Ihr Bau ist einmal gleichsam im Herzen der Zeit, im Jugendunterricht und in der Religion gegründet. Lasset uns dagegen sehen, wie Muhammedanische Prinzen die Ruinen Persepolis betrachteten, und was sie auf ihnen anzuzeichnen gut fanden. l)[11]

[219]
Gott allein bleibt!

Wo sind die Könige, die Allererhabensten?
Sie waren nur so lange, bis das Schicksal den Todesbecher ihnen bot.
Wie viele stolze Städte blühten einst!
Sie sanken, und der Tod begrub mit ihnen all’ ihre Lebenden –


O wisse, Creatur, nur Gott besteht!
Du wünschest dir das Reich des Solimann;
Wo ist nun Solimann? Von seiner Pracht,
von seiner Größe, seinen Schätzen nahm
er nichts mit sich. Was Staub betritt, wird Staub;
ein Menschenantlitz decket jede Schichte
der Erde; jeder Tritt vielleicht betritt
hier einen Königssohn. Von dem Vergangnen
erfreuet uns Ein Ruhm nur, gute That.
Wer Tugend sucht, begehrt nichts mehr als sie.

[220] So sammlen sich die Menschen Weisheitsprüche aus Trümmern, die ihre Vorfahren selbst veranlasset haben. Jeder indessen dieser verschiedenen Eindrücke, die aus Denkmälern der Vorwelt hervor gingen, ist dem Forscher der Menschheit wichtig.


Und so wird es mir denn erlaubt seyn, nach den hier geäußerten Grundsätzen, einige Betrachtungen über dieses und jenes Denkmal der Vorwelt anzustellen, und wo die klare Geschichte nicht hinreicht, einige Muthmaassungen zu äußern. Zeitig gnug kommen wir auf unserm unbefangenen Wege zu Griechenlandes und Italiens Denkmalen, mit denen sich ohnedies die Einbildung am liebsten beschäftigt.


  1. a) Strahlenberg, tab. 16. 15. 14. 4.
  2. b) Als ein sehr brauchbares Register der Denkmale des Alterthums auf der gesammten Erde können Oberlins [196] orbis antiqui monumentis suis illutrati primae literae. Argent. 1790. dienen. Meiners Beschreibung alter Denkmahle, Nürnb. 1786. erstreckt sich nach S. 12. nur auf diejenigen, „deren Urheber gänzlich unbekannt sind, und die alle auf das Daseyn grösserer und gebildeter Völker schließen lassen, als man bey der Entdeckung der neuen Welt in grosser Entfernung von diesen Monumenten antraf.“
  3. [199] c) S. Fischers Gesch. des teutschen Handels Th. 1. Sprengels Gesch. der geogr. Entdeckungen, Anderson, Bruce, Robertson u. f.
  4. d) Gatterers Kurzer Begriff der Weltgesch. Th. 1. S. 31. f. hat davon ein kurzes Bild gegeben.
  5. e) Schlötzers Weltgeschichte Th. 1. 85. hin und wieder.
  6. f) S. Büschings Magazin Th. 5. S. 533. Schon Fischer, einer der verdientesten Männer um die Nordöstliche Geschichte muthmassete den Persischen Ursprung dieser Stadt; meine Hypothese ist aber nicht völlig die seine. Gefundene Inschriften würden die beste Auskunft geben.
  7. g) Jehudah Hallevi hieß er, der Uebersetzer oder Verfasser des Buchs Kosri. Er lebte im zwölften Jahrhunderte, einer der größten Bedrückungszeiten seines Volks; daher man ihm die heftigen Stellen verzeihen wird, die ihm der Schmerz gegen andre damals lebende Völker auspreßte.
  8. h) Der gewöhnliche Friedensgruß mehrerer morgenländischer Völker.
  9. i) Ein schönes poëtisches Bild. Sein ganzes verödetes Land redet der Dichter als den nackten Stein an, auf welchen der Stammvater seines Volks, Jacob, einst das Haupt legte, darüber den offnen Himmel sah, und die Verheißung des Ewigen hörte.
  10. k) Bei dieser Stelle soll der Verfasser, da er im funfzigsten Jahr seines Alters nach Palästina gezogen war, und mit zerissenem Kleide, mit entblößten Füßen diese Elegie singend, Jerusalem betreten hatte, sein Leben gewaltsam verlohren haben. Vielleicht nur eine ausschmückende Tradition, um diese Stelle recht zu bezeichnen.
  11. l) Niebuhrs Reisebeschreibung Th. 2. S. 239.