Denk-Schrift über den Cult des heiligen Bluts in der Pfarrkirche zu Weingarten

Textdaten
Autor: Friedrich Konrad Ludwig Hoyer (1785–1855)
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Titel: Denk-Schrift über den Cult des heilig. Bluts in der Pfarrkirche zu Weingarten
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Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Joseph Bayer
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Erscheinungsort: Altdorf
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Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Ludwigsburg, E 258 VI Bü 3174 (Permalink); via Commons
Kurzbeschreibung: Denkschrift zur Verehrung des Heiligen Bluts in Weingarten (Württemberg)
Der Textautor des anonym erschienenen Pamphlets, das die von der evangelischen württembergischen Obrigkeit wie auch von der katholischen staatskirchlich-aufgeklärten Kirchenleitung abgelehnte Heilig-Blut-Verehrung verteidigte, war der aus Aalen stammende evangelische Ravensburger Oberamtmann Hoyer. Seine Autorschaft wurde bald bekannt; zur Strafe wurde er danach in das kleinste württembergische Oberamt Gerabronn versetzt.[1] Joseph Bayer lithographierte das Werk in deutscher Kurrentschrift.
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DENK-SCHRIFT

ÜBER

den Cult des heilig: Bluts

IN

der Pfarrkirche

ZU

Weingarten.

Lith. von I: Bayer in Altdorf.

[1]

„Aber der Hauptmann und die bey ihm waren und bewahrten Jesum, da sie sahen das Erdbeben und was da geschahe, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich! dieser ist Gottes Sohn gewesen.[2] Hernach aber öffnete der Kriegs-Knechte einer, Jesu Seite mit einem Speer, und alsbald gieng Blut u. Wasser heraus.[3]

– An diesem Evangelium gleich wie an einem diamantnen Ancker beginnt und ruht die Kette der Urkunden und Ueberlieferungen, welche für Weingarten den örtlichen Cult, des heiligen Bluts, seine Entstehung und seine Schicksale begründen.

Der Heilige sollte die Verwesung nicht sehen,[4] auch im kleinsten Theile nicht. In Allem sollte das Verwesliche anziehen, das Unverwesliche.[5] Die Erde sollte weder den Leib in sich auflößen, noch das ihm entströmende Blut trincken.

Das Kreuz, welches nun schon durch achtzehn Jahrhunderte hindurch diese dunkle Erde durchstrahlt, sollte die Reise aller göttlichen Entwicklungen beginnen, und die Quelle bezeichnen für alle Lichtstrahlen des neuen Gottes-Reichs.

Unter ihm stand der im Anblick des Göttlichen und unter den Ängsten u. Wehen erzitternder Natur wunderbar zum Christus Bekenner gereifte Römer-Hauptmann.

Er bewahrte Teile des Bluts, das unter seinen Händen, dem Leibe des Heiligen entfloß.

Wenn die Menschen einander seinen Namen als Longinus – wie schon das älteste (obschon apocryphische) Nicodemus Evangelium, und des Römers Heimath, Mantua, zuriefen, ist es zu verwundern, daß auch ein Jahrhundert dem anderen den Namen u. die Heimath des ersten Christen zurief?

[2]

Eben so dem Welt-Lauf gemäß ist es, daß er, der die Götter des heidnischen Olymps, und als Christus-Jünger den Kriegerstand verlies, sich der Italischen Heimath zuwandte und hier den ersten Christen-Verfolgungen als Märtyrer erlag.

Wenn aber von hier an, des von ihm bewahrten Heiligthums 800 Jahr lange u. dann weitere 249 Jahre gegen die Stürme der Völker-Wanderung fortgesetzte Verbergung in mantuanischer Erde, dann dessen zweymahlige Auffindung u. Wieder-Erkennung, endlich deßen dritttheilige Zerlegung und Ausfolge (an Kaiser, Mantua u. Rom) durch eine Reihe von Urkunden der Kaiser, u. Litteratoren bewährt werden: So können alle diese, obschon miteinander übereinstimmenden Diplome den Wunder-Schleyer nicht heben, welcher, wie überhaupt über jener Glaubenskräfftigen Zeit, so auch über diesen Ereignissen schwebt.

In dieser Region der Wunder geht der neuren Welt der Athem aus. Wo aber unermeßliche Wunder, wie Todten-Erweckung, – Auferstehung, Himmelfarth vorangingen, wer wird die Gränze wo die Wunder Zeit aufhörte zu bestimmen und die Möglichkeit nachgefolgter viel kleinerer zu läugnen wagen? Wer wird die Menschheit der Möglichkeit anklagen, daß sie viele Generationen u. Jahrhunderte hindurch, vernünftiger Wahrnehmung entrückt, und am meisten in ihren Edelsten und Gebildetesten, in frommer Selbstäuschung, sagenhaffter Dichtung, oder gar in arglistigem Trug gefangen gelegen?

Jede Stufe menschlicher Entwicklung hat ihre eigenthümlichen Anlagen und Bedürfniße u. im großen Erziehungs-Plane für dießes Geschlecht, liegen die jeder Stufe u. Anlage entsprechenden Anstalten.

Kaum zu den ersten Begriffen keimender Civilisation u. zur ersten Entfaltung religiöser Anlagen erwacht, hatten die Völker die sich auf dem

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weiten Boden des untergegangenen Römer-Reichs gelagert, – weder Anlagen u. Fähigkeit zu Denkgläubigkeit u. Spiritualismus, noch so viel Herzschwäche sich dadurch zu beruhigen.

„Die Persönlichkeit schloß sich damals nur an Lebendiges, Persönliches, an allgemeine Sätze, bloße Begriffe setzten wenig in Bewegung, und wenn man sich Christus u. Maria nicht näher gefühlt, nicht enger mit ihnen gelebt hätte, wie wäre z. B. so große Begeisterung für die Errettung des heiligen Landes möglich gewesen? Die Vortheile welche aus dem fleißigen Hinblicken auf die Helden des Christenthums entstehen können u. müßen, sind in spätern Zeiten zu sehr in den Hintergrund gestellt, oder ganz geläugnet worden.“ (Raumer Geschichte der Hohenstaufen, 6ter Band Seite 244.)[6]

Acht Jahrhunderte waren nöthig um das Christenthum bleibend auf dem abendländischen Kaiser-Thron zu befestigen. Wer wird mit Insecten Augen dem Welten-Auge, dem starken Arm der die Jahrhunderte in ihrem Bette leitet die Wege vorrechnen, die zu ergreifen waren, um das Christenthum aus seiner Wiege groß zu ziehen, um die Völker wach zu erhalten, um ihr erschlaftes Zurück hinken in Barbarey abzuwenden?

Aus dieser Region der Wunder heraus, tritt man zuerst wieder auf den Boden der eigentlichen Geschichte am 31. März 1090. An diesem Tag übergibt in Weingarten Judith Tochter des Grafen Balduin den auf diesen von König Heinrich vererbten Longinus Schatz des heiligen Bluts (jenes einst dem Kaiser zugeschiedenen Dritt-Theils) feyerlichst dem Gotteshauße Weingarten. Bis dahin hatten die heldenmüthig frommen Inhaber diesen Weihe-Schatz als heilige Aegide gegen alle Fährlichkeit unzertrennlich stäts mit sich geführt.

Fortan ward dieser Tag, die Festlichkeit der ersten Übergabe nachbildend mit Prozession und öffentlichen Dank-Gebeten gefeyert.

[4]

Schon hatten unzählbare Fürsten, Bischöffe u. Religiösen aller Grade diese Feyer theils getheilt u. mit begangen, theils bestättigt, aber noch fehlte dieses Festtages Kirchen-Oberhäuptliche solenne Anerkenntniß und Confirmation. Oft nachgesucht u. lange hingehalten erfolgte endlich, auf Vorlegen des Cyclus aller Diplome und Ueberlieferungen, die Untersuchung u. Prüfung des S. Collegiums aller Cardinäle, u. auf ihren Antrag ließ endlich Pabst Innocenz der XII. am 10ten jänner 1693 jene Bulla confirmationis ergehen, die allen nachgefolgten Päpstlichen u. Kaiserlichen Gnaden Briefen zu Grunde liegend, für ewige Zweiten den Festtag regulierte, der das Andenken u. das Dankgebet für Zuwendung dieser heiligen Ueberreste, auf die Nachwelt u. alle kommenden Geschlechter übertragen sollte! –

Nicht nur aber diese kirchliche sondern auch die Weihe des Rechts, dieses die Menschheit irrdisch vereinenden Bandes, ward diesem Cult zu Theil.

Welf der IV. (auch der Stiffter genannt) spricht im Jahr 1090, in jener, die Herrschaft Weingarten vorgebenden Urkunde. „Wir opfern dem heiligen Blut unsers Herrn Jesu Christi nachfolgende Güter, als 1. die Gewalt im Altdorfer Wald, u. s. w. Wer diese Güter dem Gottes-Haus entführte, oder mit Willen geschwächt, oder irgend eine Sach unnutzbar macht, den thue Gott in den ewigen Bann u. Fluch, und scheide ihn von allem himmlischen Sold, u. schlage ihn in den ewigen Tod!“ –

Ebenso sagt 128 Jahre später Kaiser Friedrich der IIte in einer Urkunde vom Jahr 1218.

„Hier wegen thun wir auch insgemein zu wissen, daß wir das Kloster Weingarten, so von den Herzogen Welfen löblicher Gedächtniße in der

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Ehre des Heiligen Bluts unseres Herrn Jesu Christi xx mit aller Zugehör empfahn, unter unßern u. des heiligen Reichs Schirm nehmen.“

Was auch über dieser Reliquie Verleihung an dieses Gotteshaus, und über die daran geknüpften Culte, als wären sie zu allen Zeiten dem Regularisirenden Ober Aufsicht-Recht der Kirche unterworffen, dißertirt und behauptet werden mag, immer wird jedoch dasjenige neue u. weitere Rechts-Verhältniß anzuerkennen u. zu beachten seyn, welches durch Zuwendung von gestiffteten und vergabten Realitäten an diese Cult Anstalt, als Kirchliches Institut erwuchs.

Dieser gestiffteten Güter Inhaber (im vorliegenden Fall der Staat) wird somit entweder die Cult-Anstalt, (als empfangende u. erwerbende juridische Person) in dem Daseyn zu erhalten, oder zu erwarten haben, daß die an sie gebundenen Realitäten als vacantes Stiftungs-Gut erklärt u. reclamirt werden.

Allein dieß Alles, die Diplome der Kaiser u. der Päpste, Religion u. Vertrag, Seegen und Fluch – konnten die mannigfachsten Anfechtungen dieses harmlosen Cults nicht zurückhalten.

Abgesehen von den heydnischen waren es hauptsächlich Christliche Verfolgungen, die diesen Kirchen-Schatz zwar nicht wie jene unter den Boden, aber aus dem Herzen reißen wollten.

Das große Drama des Kirchen-Spalts am Saum des 16ten Seculi, im 18ten das Gifft des Materialism und einer von Gott u. Ewigkeit abgefallenen Weltweisheit, hirauf wie in Frankreich dem Altar das Staats-Gebäude erschütternd u. dröhnend nachstürtzte – All dieß mußte die Bresche öffnen, durch die das 19te Jahrhundert einzog!

[6]

Wie die Bewegung vom Mann in der Mönchskutte auch auf die katholisch gebliebene Kirche wirkte, ist Welthistorisch festgestellte Thatsache. Die großartigste Erscheinung dießes In-Sich-Selbst-Zurückziehens der alten Kirche ist das Tridentische Concilium. Größtentheils von eben denselben Richtungen aus, in welche sich die Dissidenten abgeschieden, strebte dieser Ehrwürdige Synodus, die Kirche wenigstens für die Folge, von den Vorwürfen zu befreyen, welche das traurige Schißma herbeyführten. Unter diesen war bekanntlich der, Protestantischer Seits auf die äußerste Spitze getriebene Vorwurf des Bilder u. Reliqien-Dienstes.

Mit jener Weisheit, die, bis in unsre Tage, neben der erhebenden Einwirkung auf die Kunst-Cultur, als die richtige Mitte haltend, anerkannt wurde, strebte jener große Synodus, jede Abirrung in Götzendienst mit zürnendem Ernst zu zermalmen, und doch in Zulaßung edler Bilder u. Denkmale, der sinnlich geistigen Natur der Menschenkinder jene Brücke zu erhalten, die in der Anschauung des Typus oder der Form aufstiegend zum Ueber-sinnlichen und zum Wesen gewonnen wird.

Daß Nie das Bild für sich selbst Subject des Anrufs u. Gebets werde, ward in allen Rede Formen einschneidend zum Worte gebracht, aber dabey dann doch (Sessione XXV. im Capitel „de reliquiis e. e.) gesagt:

„Auch die Leiber derer, die einst für das Evangelium den Tod erlitten, und die nun mit Christo leben, – auch diese Leiber, zuvor Tempel des heiligen Geistes, sind von den Gläubigen hochzuschätzen, und derjenige, welcher lehrt daß den Reliquien der Heiligen keine Ehre gebühre und daß dieße Ehre eitel unnütz sey, – solche sind u. werden anmit von der Kirche verflucht.

Indessen – jene empörten Wellen des zu Ende rinnenden 18ten Jahrhunderts, – sie schlugen noch nicht an dieses stille friedliche Gotteshauß.

[7]

Als aber endlich das Haupt-Stifft, der Stamm selbst zusammenstürzt, so konnten auch die unter ihm gelagerten Anstalten und frommen Werke, obschon Ewigkeit hoffend, der gewaltigen Axt nicht entrinnen.

Merkwürdig u. unverkennbar eine Erbschaft der Zopf-Prediger-Zeit, ist der Hohn u. Ingrimm, die wegwerfende Verachtung, womit die Axt an die Gebilde einer frommen Vorzeit gelegt wurde. Schien ja schon der bloße Name: „Blutfreytag“ – „Blutritt“ mit denen das Red-abkürzende Volk, jene Tage bezeichnet hatte, zu ihrer Abschaffung hinzureichen. Man untersuchte nicht lange den Religiös-Kirchlichen, den rechtlich-sittlichen Charakter dieser Culte, u. selbst Sicherungs- und Criminal-Polizey müßten ihr Contingent zu den Gründen stellen, mit denen man die Abschaffung dieser harmlosen Gottesdienste beschwor.

Diese Verfolgung, in welcher die damalige Königl. Baiersche Landesdirection in Schwaben, den Reihen erröffnete, konnte ja doch keine Fortdauer finden in einer ruhigeren, in einer sich constituirenden Zeit, welche in ihre Fortschritte auch Gerechtigkeit u. Weisheit, nicht nur Raschheit legen wollte.

Indessen – bleiben, allwärts sich zeigen mußte immerhin der Gegensatz, in welchem eine, die Religion auf Begriff zurückführende, spiritualisierende Zeit, über eine Gefühls- und Glaubensstarke, zu Gericht sitzt, und so blieb es bei dem Verbot des s. g. Blut-Umritts,

und

jeder weiteren, über die verstattete Prozession hinausgehenden Feyerlichkeit.

Also verblieb es, bis das im Februar 1838 verkündete, neueste Kirchen-Gebot vom Junius 1837 in seinen 24ten und 25ten § sogar

[8]

1. die Aufstellung der Reliquie auch nur auf dem Altar, (vielmehr ihre Verbergung unter Schloß u. Riegel) verbot und
2. jede Prozession, und
3. (somit schon dadurch) alles Herumtragen dieses Kirchenschatzes niederschlug.

In Gemäßheit der ergangenen Verordnungen, hat seit 26 Jahren diejenige Solennität aufgehört, wo aus vielen umliegenden Kirchspielen Compganien Weise geordnete u. eigends ausgerüstete Reuter, der Jahrs Prozession einen – mit der Religion des Friedens u. der Demuth vielleicht contrastirenden Glanz gaben.

Er beruhte aber wesentlich auf dem frommen Volks-Glauben, an einen, auf Feld, Haus u. Vieh, aus diesem Dienst für das ganze Jahr sich verbreitenden Seegen, und daher ist auch die Sitte geblieben: daß an diesem Tage viele hundert Männer, einzeln oder in Gruppen, die Altdorfer Flur umreuten.

Die übrige u. eigentliche Prozession war geblieben.

Mit ihr zog die geheiligte Reliquie umher und auf den geeigneten Orten erfolgte die Vorlesung des Evangeliums, unter Volks-Gesang u. priesterlichem Seegen.

Noch, u. bis auf die neuesten Jahre waren 6tausend bis 10tausend Gläubige, die Genoßen dieses Tages aus Nähe u. Ferne; – ein Zeug[nis][7] des im Volk noch immer nicht untergegangenen Glaubens an des alten Heiligthums hohe Würde u. Kraft, und an die besondere Weihe der hier, im Aufblick zum Erlöser vorgehenden Begehung der Sackramente der Beicht und des Altares.

So wie Beides wegenommen und also die Andacht-vermittelnde Reqliquie zum dritten u. letzten mahle begraben, u. das Sackrament unmöglich gema[cht][7] wird weil kein Priester mehr für sie da ist: So wird für immer und auf

[9]

einmal diese Menge von Gläubigen zerstäubt seyn.

Wohl wird eingewendet:

einmal müße das Volk vom Äußerlichen zum Innern der Religion des Geistes hinübergeführt, einmal der gereifte erwachsene Christ den Windeln enthoben, und das Apostel-Wort: „als ich ein Mann war, that ich ab, was Kindisch war,“[8] erfüllt werden.

Allein werden je die Bedingungen der vom Sichtbaren zum Unsichtbaren sich aufschwingenden Andacht aufhören? Wird je ein durch die Stimmen u. die Andacht von 40 Generationen beglaubigter Ueber-Rest von dem Blut, „das für die Erlösung der Welt floß,“ für die Christen geringfügig u. gleichgültig werden können?

Wird jene Reihe von Ehrwürdigen Zeugen berichteter, an Gläubigen dadurch bis auf unsere Tage vermittelter wundervoller Gnaden Wirkungen, je im Andenken des Volks vertilgt werden können?

„Wer so glaubt, dem ist das Heilige nahe,“

und wenn in moderner Zeit nur wenige dieser Gnaden-Wirkungen mehr hervortretten, so liegt wohl allein die Erklärung darin, daß unsrer Zeit das Organ, die Kraft des hingebenden, sich selbst aufgebenden Glaubens erloschen ist, durch das jene Welt sich dem Menschen öffnet, aus der er kömmt, und in die er zurückgeht.

Zuletzt ist selbst das Wunderbare der Sache an sich selbst u. gegenüber allen bekannten Natur-Gesetzen, nicht ausser Beziehung auf jenen Glauben zu setzen. Ein Geschlecht sagte es dem Andern: wie dieser in Crystall hermetisch verschloßene Körper, zwar immer eben dieselbe Größe und Farbe behalten, zu Zeiten jedoch flüßig, zu anderer Zeit troken erschienen.

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Und welcher andere Bluts-Tropfen wäre nicht in wenig Jahren in – Nichts aufgelößt worden!

Ueberall kann Gott angebetet werden im Geist und in der Wahrheit, daß es aber dennoch Orte gibt, die durch an sie geknüpfte Erinnerungen, durch in ihnen dargebotene sichtbare Gegenstände, der Entwicklung religiöser Gefühle u. der Andacht der Gläubigen besonders günstig sind, – ist darum Nicht in Abrede zu ziehen. Auch in unseren Tagen ist dieses Bedürffniß gläubiger Herzen noch nicht verschwunden, u. eben so wenig nur auf die minderen Volks-Stände beschränkt. Alle Jahre sahen wir eine erlauchte Kaiser Familie andachtsvoll nach Mariazell wandern.

Wohl mag bey so vielen Kirchlich- wie Politisch zuvor selbstständigen, nun unter Einem Ober-Hirten vereinigten Kirchen, diesem unbestritten zustehen, von dem zur Zeit der Selbstständigkeiten den Einzelnen Eingeräumten, das Widersprechende zu vermitteln und die einer guten Kirchlichen Gesammt Ordnung wiederstrebenden Elemente ehemaliger Vereinzelnung, zu einem harmonischen Ganzen umzubilden.

Allein eine zur Feyer des Erlösers und seines Werks Einmal des Jahres vorgehende, zumal vom Oberhaupt der Kirche feyerlich bestättigte Feyer kann in keiner Christlichen Kirche, für widerstrebend guter kirchlicher Ordnung erkannt, und (mit dem Volk zu reden) in’s alte Eisen geworfen werden.

Das tridentinische Concilium sagt ausdrücklich (Sessio XIII. Cap V.) „Nichts ist angemessener, als daß gewiße Tage geordnet seyen, wo alle Christen sich vereinigen, um dem gemeinschaftlichen Herrn u. Erlöser für die unaussprechliche und göttliche Wohlthat vom Sieg seines Todes, sich dankbar u. eingedenk zu erweisen.“

Nirgends ist also eine Kirchliche Nothwendigkeit u. Befugniß einzusehen, eine Stiftnung gänzlich zu unterdrücken, die sich nur durch deren jährliche

[11]

Begehung äußert, auf welcher die erheblichsten, den Rechtstitel ihres Besitzers begründenden Vergebungen ruhen, die durch eine Reihe von Beschlüßen der Oberhäupter der Kirche bestättigt, durch Edicte der Kaiser geschirmt, durch eine Schaar der Ehrwürdigsten Zungen und endlich durch den Glauben und die Andacht von Acht Jahrhunderten geweiht ist. Solch, eine vernichtende Übung Kirchlicher Regiments-Gewalt, vollbracht an solch einer Sache, könte die Gemüther nur theils mit sich selbst, theils mit der Kirche entzweyen.

Der Cult kann entzogen, das Vehikel der Andacht eingesperrt werden, Allein – welche Gedanken u. Empfindungen die Stelle der bisherigen in den Gemüthern der Gläubigen einnehmen werden, – ob mit den bisherigen Übungen frommer Andacht nicht auch der auf das Heilige gerichtete Sinn ertödtet, die Abwendung vom äußerlich Heiligen aus Streben nach Vergeistigung, nicht als Abwendung aus Geringschätzung angesehen, u. so als erkältendes Gifft wirksam wird? – dieß sind Fragen, die jeder zu verneinen um so weniger sich beeilen wird, je vertrauter ihm die Zustände des Volks u. die Zeichen der Gegenwart sind.

Die Ehrwürdige katholische Kirche würde ihre Einheit u. siegreiche Existenz wohl schwerlich durch 18 Jahrhunderte gerettet haben, hätte ihrer Erscheinung oder ihrem Cult nicht jene, die Bedingungen allgemein-menschlicher Erhebung zum Ewigen u. Unsichtbaren beachtende – Weisheit vorgestanden, und hätte ihr, statt deßen, das Princip der Vergeistigung präsidirt, bei dem, weil darin Indvidualität also das Mannichfache vorherrschen, die Kirche in unzählbare Secten zerinnt.

Einst, wann schon lange vorher die Masse nach den Sackramenten der Beichte u. des Altars sehnsüchtig herbeygedrängter Gläubigen verschwunden und zerronnen seyn wird – weil kein Priester mehr da ist, sie an diesen

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Tagen zu empfangen,

Einst wann Nie mehr der fromme Großvater, die andächtigen Haus-Mütter, gefolgt von betenden Kindern und Enkeln an den Altar jenes Bluts wallen wird, das für die Sünden der Welt vergoßen ward;

Wann keine Schaar der Gläubigen mehr, jenes Pfand der Unsterblichkeit in ihrer Mitte, unter Gottes glänzendem Himmel mehr die Fluren segnend durchwallt;

Dann, wann Schulgezänke statt des Gebets, eitler Wissens-Prunk statt der Andacht zur Herrschafft gelangt seyn werden;

Dann erst wird der Unterschied klar werden zwischen einem ruhigen, dem Glauben seiner Väter treuen Volke, und einem Denkgläubigen, eben daher in sich zerrißenen, von seiner Vorzeit abgeschnitten fortwankenden Geschlecht!

Weingarten, den 25ten Merz 1838.

Anmerkungen (Wikisource)

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  1. vgl. Oberschwaben-Portal; ausführlich bei Vadim Oswalt: Staat und ländliche Lebenswelt in Oberschwaben 1810–1871. (K)ein Kapitel im Zivilisationsprozeß? DRW, Leinfelden-Echterdingen 2000, ISBN 3-87181-429-6 (zugl. Diss., Universität Tübingen, 1998/99), S. 181–192, sowie Alfred Lutz: Zwischen Verbot und Wiederbelebung. Der Heilig-Blut-Kult in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Norbert Kruse, Hans Ulrich Rudolf (Hrsg.): 900 Jahre Heilig-Blut-Verehrung in Weingarten 1094-1994. 3 Bde. Thorbecke, Sigmaringen 1994, ISBN 3-7995-0398-6, Bd. 1, S. 151–161 (mit fehlerhafter Transkription von Auszügen)
  2. WS: Matthäus 27,54
  3. WS: Johannes 19,34
  4. WS: Apostelgeschichte 2,27
  5. WS: 1.Korinther 15,53
  6. WS: MDZ München (ganz unten und Folgeseite)
  7. a b WS: Scan am Zeilenende unlesbar
  8. WS: 1. Korinther 13,11